Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 18: XVIII. Kapitel --------------------------     „Bäh!“ Alas- Ramus streckt ihrem Ziehvater genau in jenem Moment die Zunge heraus, als dieser auf den Auslöser drückt. „Alas-chan“, seufzt Mao tief, „bitte.“ „'kaay“, zwitschert sie vergnügt und diesmal hält sie still und lächelt in die Kameralinse, als sie ihren Schneemann umarmt und schon gelingt das Foto. „Sehr toll. Gut gemacht, Alas-chan“, lobt Mao sie und betrachtet zufrieden das Foto auf dem Display seines Smartphones. Sie ist wirklich eine richtige kleine Prinzessin in ihrem pinkfarbenen Schneeanzug, ihrem in der Abendsonne glänzendem Haar und ihren Augen, die wie zwei Amethyste strahlen. „Ha!“ beginnt er triumphierend, doch dann hält er plötzlich inne. Was auch immer er sagen wollte, es bleibt ihm in der Kehle stecken. Plötzlich ist alle Fröhlichkeit aus seinem Gesicht verschwunden, stattdessen starrt er nur betrübt auf das kleine Display. Es dauert vielleicht eine Sekunde, dann hat er sich wieder unter Kontrolle und zaubert wieder sein altbekanntes Lächeln auf seine Züge. „Gehen wir jetzt rodeln, Alas-chan?“ „Au ja!“ jubelt das Mädchen und rennt zu dem Holzschlitten, der drei Meter entfernt an der Hauswand steht. Sie schnappt sich das Seil und beginnt, daran zu ziehen. Doch der Schlitten ist zu schwer für sie, also setzt sie sich einfach darauf und winkt Mao aufgeregt zu „Papa! Zieh mich!“ „Ich mach schon!“ bietet sich Chiho eifrig an und nimmt das Zugseil, bevor Mao auch nur einen Schritt gemacht hat. Sie hat fast den ganzen Tag mit Alas gespielt und verspürt jetzt einen leisen Hauch von Eifersucht. Sie ist ein Einzelkind und Alas sieht sie inzwischen als große Schwester und das möchte sie nicht so schnell wieder aufgeben. Alas akzeptiert ihr Angebot, sie zu ziehen nur allzu gerne und feuert sie vergnügt an, als Chiho den schmalen Pfad entlangstapft, der eine leichte Anhöhe hinter dem Haus hinauf führt. Auf der anderen Seite ist der Hügel auf einer Strecke von vierzig Metern völlig unbewachsen, bis dann der Wald wieder beginnt. Im Sommer befindet sich hier eine wilde Blumenwiese, aber jetzt, im Winter, ist dies hier der perfekte Platz zum Rodeln. Sie kennen die Gegend, sie haben schon den ganzen Tag hier gespielt, aber es wird niemals langweilig. Mao und Emi folgen ihnen in einem etwas gemächlicheren Tempo und Emi nutzt die Gelegenheit, einmal ungestört mit ihm zu reden. „Was wolltest du vorhin sagen?“ beginnt sie in einem lauernden Tonfall, ganz so, als kenne sie die Antwort schon. Er weiß sofort, worauf sie anspielt. „Nichts“, erwidert er unwirsch. Emi zieht nur die linke Augenbraue hoch, sagt aber nichts. Ihr Schweigen ist lauter als jedes Wort und er knickt schnell ein. Seufzend tastet er in seiner Jackentasche nach seinem Smartphone und gibt leise zu: „Ich dachte mir nur, dass Lucifer es bestimmt bereuen wird, nicht mitgekommen zu sein, wenn er das Foto sieht. Und dann fiel mir wieder ein...“ Er stockt, schluckt einmal schwer und reibt sich dann zu Emis großer Überraschung die Nässe aus den Augenwinkeln. „...dass er nichts sehen kann“, beendet sie seinen Satz trocken. Er nickt beklommen. „Schon hart." Versonnen streicht sich Emi eine Strähne ihres tiefroten Haares zurück und beobachtet nachdenklich Alas und Chiho vor ihnen. „So von jetzt auf gleich zu erblinden. Wenn ich mir vorstelle, das alles hier nicht mehr sehen zu können..." ihre Stimme verklingt in Alas-Ramus' vergnügtem Lachen, das der Wind zu ihnen hinüberweht. Mao wirft ihr einen schiefen Seitenblick zu. „Höre ich da etwa Mitgefühl heraus?" neckt er sie. E s ist harmlos gemeint, doch sie bekommt es in die völlig falsche Kehle. Mit geballten Händen wirbelt sie zu ihm herum und funkelt ihn zornig an. „Mitgefühl?“ braust sie auf. „Mit Lucifer? Niemals. Hast du vergessen, dass er mein Dorf niedergebrannt hat?" „Wie könnte ich? Ich gab ihm den Befehl dazu." Obwohl sie dieses Argument in schöner Regelmäßigkeit herausholt, ist es doch das allererste Mal, dass er seine eigene Verantwortung so deutlich ausspricht. Und er hat noch mehr zu sagen. „Es war niemand mehr in den Häusern, als er dein Dorf abfackelte. Er gab ihnen die Gelegenheit zur Flucht. Was nutzten uns tote Bauern und Händler? Wir brauchten ihre Angst und Verzweiflung." „Du warst doch gar nicht dabei." „Du doch auch nicht!“ Sie wirft ihm nur einen giftigen Blick zu. „Wie auch immer - ich muss nicht dabei gewesen sein, um das zu wissen“, fährt er kühl fort. „Er ist mein General. Ich kenne seine Kriegstaktiken. Und dein Vater wurde Opfer der Heiligen Kirche. Wir haben nichts mit seinem Tod zu tun." Sie schnaubt nur und wendet den Blick ab. Sie wird es niemals zugeben, aber seit ihrem letzten Gespräch mit Suzuno gehen ihre Gedanken immer öfter in dieselbe Richtung. Die ehemalige Attentäterin der Heiligen Kirche hat, sehr zu Emis Leidwesen, einen ständig wachsenden Einfluss auf die Art, wie Emi die Welt sieht.   „Dein Vater war Bauer, nicht wahr?- fragte Suzuno sie einmal, als sie sich mal wieder lautstark über die Taten eines gewissen Dämonengenerals in Ente Isla aufregte. „Und als solcher hielt er Vieh, nicht wahr?“ fuhr Suzuno fort, als Emi so nur verdutzt ob diesen Themenwechsels anstarrte. „Und wenn ihr einen Festbraten brauchtet, habt ihr eines oder mehrere geschlachtet, nicht wahr? Und andere, junge oder zu alte, habt ihr verkauft. Ihr habt sie ihren Familien fortgenommen, denn dafür waren sie ja da. Und die Heilige Kirche lehrt uns, dass Tiere keine Seele und daher auch keine Gefühle haben. Sie zu töten ist daher kein Mord, sie auszunutzen keine Sklaverei und die Kinder ihrer Mutter zu entreißen kein Verbrechen." Aus Emis Verwunderung wurde zunehmende Ratlosigkeit. Worauf wollte Suzuno bitteschön hinaus? „Aus der Sicht der Tiere ward ihr die Unterdrücker, die Bösen, die Dämonen.“ „Was hat das damit zu tun, dass Lucifer mein Dorf vernichtet und meinen Vater getötet hat?" „Alles“, lächelte Suzuno und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. „Vielleicht auch nichts."   Es waren diese und ähnliche Gespräche, die langsam aber sicher ein Umdenken in Emi bewirkten. Und es gibt nicht viel, was sie mehr hasst als das. Früher war die Welt nur schwarz und weiß, es lebte sich gut darin, sie wusste, wo ihr Platz ist, aber jetzt wird alles Grau und sie kommt mit dieser Veränderung einfach nicht gut zurecht. Sie wird weich gegenüber Mao und den anderen und das hasst sie. Und weil sie nicht darüber nachdenken will, wechselt sie das Thema. „Schon seltsam, dass du ihn plötzlich so verteidigst", meint sie betont gelassen und wirft ihm einen lauernden Blick zu. „Und was soll dieses Gekuschel und Geknutsche ? Ist er jetzt dein Liebling oder was?" Ihr höhnischer Tonfall erweckt in Mao den brennenden Wunsch, sie zu verprügeln, doch er lässt es sich nicht anmerken, und so grinst er nur herausfordernd. „Wer weiß?" „Untersteh dich mit ihm unter den Augen meiner Tochter herumzumachen", zischt sie scharf. „Sonst was?" erkundigt er sich langsam und herausfordernd. In seinen Augen erwacht ein düsteres Glimmen, das sie so noch nie bei ihm gesehen hat und das ihr nun einen eisigen Schauder über den Rücken jagt. Und zum allerersten Mal hat sie wirklich Angst vor ihm. Nur für einen Moment und nur ein ganz kleines bißchen und natürlich lässt sie es sich nicht anmerken. „Das wirst du dann schon sehen!“ zischt sie. „Na, da freu ich mich aber drauf", kommt es schnippisch zurück. Sie öffnet den Mund, um etwas Gesalzenes zu erwidern, doch in diesem Moment dreht sich Alas- Ramus lachend und winkend zu ihnen um. „Papa! Komm endlich!" „Bin schon unterwegs, Alas-chan!" winkt Mao zurück und rennt dann mit einem übermütigen Grinsen die restlichen Meter zur Hügelkuppe zu ihr hinauf, wo er sie erst einmal hochhebt und sie dann im Kreis herumwirbelt, bevor er seine jauchzende und lachende Ziehtochter auf den Schlitten setzt und sich dahinter. Das ist der Moment, wo Emi ebenfalls zu rennen beginnt, doch sie kommt zu spät. Als sie oben auf dem Hügel bei Chiho ankommt, saust der Schlitten schon den Hang hinab Grimmig sieht ihm Emi nach und wirft Chiho neben sich dann einen kurzen Blick zu. Die Teenagerin steht etwas verloren und auch durchgefroren im Schnee und ihre enttäuschte Miene verrät ihr, dass Chiho nur zu gerne ebenfalls bei Mao auf dem Schlitten sitzen würde - genug Platz für sie alle drei bietet er. „Vergiss ihn, Chiho." Die Oberschülerin lächelt schief. „Ja, ich weiß. Das ist jetzt Papa- Tochter- Zeit. Und das ist auch völlig in Ordnung." Emi unterdrückt ein gequältes Augenrollen, sagt aber nichts, auch wenn ihr eine ganze Menge auf der Zunge liegt. Sie sollte es wirklich endlich aufgeben, Chiho ihre Schwärmerei für diesen burgerbratenden Dämonenkönig auszureden. Dass Mao kein romantisches Interesse an ihr hat, ist etwas, was sie selber begreifen muss.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)