Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 17: XVII. Kapitel -------------------------     Brrr. Kalt. Stirnrunzelnd haucht sich Ashiya in die hohlen Hände, um sie ein wenig aufzuwärmen. Wenn ihm schon nach anderthalb Stunden derart die Finger schmerzen – wieso hat er sich nur für diese Halbfingerhandschuhe entschieden? Nur, weil er dachte, er könne den Schlitten damit besser ziehen? - will er gar nicht erst wissen, wie es Urushihara in diesen sechzehn Stunden dort draußen in Schnee und Kälte erging. Nachdenklich legt er den Kopf in den Nacken und starrt auf das Bettelarmband über sich am Dachbalken, das sich im leichten Wind dreht und dabei ein sanftes, feines Klingeln von sich gibt. Sie haben vergessen, es Alas-Ramus zurück zu geben, aber – er lauscht kurz auf die schwachen Freudenjauchzer, die aus der Ferne zu ihm heranwehen – in Anbetracht der Tatsache, wie wild die Kleine im Schnee herumtobt, ist das vielleicht auch besser so. Sie wäre untröstlich, würde sie das Schmuckstück verlieren. Er streckt sich und reißt das Armband mit einem kräftigen Ruck von der Nylonschnur und schließt die Faust darum. Dann betritt er die Hütte, zieht Mantel, Schal, Mütze und Stiefel aus und geht dann zum Eßtisch hinüber. Ashiya legt das Schmucktisch gut sichtbar mitten auf den Tisch und betrachtet es einen Moment versonnen. Er erinnert sich noch gut daran, wie sein König es für Alas-Ramus im Vergnügungspark kaufte - und es war die einzige Ausgabe, die Ashiya an diesem Tag bereitwillig tolerierte. Fünf dieser kleinen Anhänger sind sogar von ihm - wann immer er etwas Hübsches entdeckt, kann er nicht widerstehen. Wenn das Kind vor Freude übers ganze Gesicht strahlt, geht auch für ihn die Sonne auf. Sie ist wirklich etwas ganz Besonderes. Und der Gedanke, dass sie davon überzeugt war, dass Mao-sama und er Lucifer nicht mögen, schmerzt sehr. Wie offensichtlich grausam müssen sie sich benommen haben, wenn solch einem kleinen unschuldigen Kind, das bisher nur Liebe von ihnen erfahren hat, so etwas auffällt? Er schämt sich wirklich zutiefst. Entschlossen nimmt er das Thermometer, das noch immer mitten auf dem Tisch liegt und steigt die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, das er sich mit Mao-sama und Lucifer teilt. Er klopft einmal höflich an die Tür, bevor er sie öffnet und eintritt. Mao hat bis eben auf dem Bett gesessen und dreht sich bei seiner Ankunft zu ihm um. „Mylord“, begrüßt Ashiya ihn, bevor er etwas sagen kann, „Alas-Ramus möchte jetzt lieber mit Euch rodeln. Es ist noch eine Stunde hell, Ihr solltet die Zeit nutzen. Ich bleibe hier." Mao wirft einen unsicheren Blick auf den im Bett liegenden Urushihara. Seine Hand ruht immer noch leicht auf dessen Schulter. Er zögert merklich. „Geh schon“, brummt Urushihara und macht eine matte, wedelnde Handbewegung. Und dann dreht er sich auf die Seite und wendet ihm so den Rücken zu, gibt ihm damit unmißverständlich zu verstehen, daß er gehen soll. „Verdirb der Kleinen nicht ihren Spaß. Mir geht's gut." Mao beißt sich kurz auf die Lippen, innerlich hin- und hergerissen, schließlich war es genau diese laissez-faire-Haltung, die zu all dem hier geführt hat. Letztendlich gibt Ashiya den Ausschlag, denn er nickt ihm noch einmal auffordernd zu und setzt sich dann an Urushiharas anderer Seite aufs Bett. Er schüttelt sich sogar ein Kissen auf und lehnt sich dann bequem ans Betthaupt, während er nach dem Buch auf den Nachttisch angelt. Und so murmelt Mao einen leisen Abschiedsgruß und verlässt das Zimmer. Aber nicht, ohne vorher noch ein letztes Mal zurück zu schauen. Aber der Anblick, der sich ihm bietet, ist so entspannt und friedlich, dass er leichten Herzens von dannen zieht. „Ich brauche keinen Babysitter“, murmelt Urushihara, kaum dass die Tür mit einem leisen Klicken ins Schloß geschnappt ist und dreht sich wieder auf die andere Seite. „Ich war eben anderthalb Stunden mit Alas-Ramus rodeln. Ich brauche etwas Erholung“, gibt Ashiya völlig unbeeindruckt zurück. „Und da kommst du ausgerechnet zu mir?“ In Anbetracht ihrer wenig herzlichen Beziehung zueinander ist diese Frage mehr als berechtigt, aber sie verursacht Ashiya trotzdem einen Kloß im Hals, den er schnell hinunterschluckt. „Ja“, erwidert er kurz und bündig und tippt ihm dann leicht auf die Schulter. „Ich habe das Thermometer mitgebracht. Möchtest du deine Temperatur selbst messen oder soll ich das machen?“ fragt er ihn höflich und als Urushihara nur auffordernd die Hand öffnet, legt er das kleine Gerät vorsichtig hinein. Er macht sich nicht einmal die Mühe, sich aus seiner liegenden Position zu erheben, als er sich das Thermometer ins Ohr hält. Ashiya beobachtet das mit hochgezogenen Augenbrauen und hofft nur, dass dies Urushiharas üblicher Faulheit geschuldet ist und nicht etwas Ernsterem. „Und um deine Frage noch etwas detaillierter zu beantworten“, greift er das vorherige Thema betont forsch noch einmal auf – Hauptsächlich, um seine eigene, uncharakteristische Unsicherheit zu überspielen, „ich brauche etwas Erholung bei einem guten Buch und dies hier ist der ruhigste Raum.“ Urushihara lauscht auf das leise Rascheln, mit dem eine Seite umgeblättert wird und lächelt dann schmal: „Lass mich raten: der neueste Ratgeber für Sparfüchse?“ Seine Stimme klingt rauh und er hustet einmal kurz, das Thermometer piepst und er reicht es an Ashiya weiter. „Genau siebenunddreißig“, liest dieser ab und seiner Stimme ist seine Erleichterung deutlich anzuhören. „Das ist gut.“ Urushihara brummt nur etwas Unverständliches vor sich hin. „Tu mir einen Gefallen, ja?“ fordert Ashiya streng. „Wenn es dir nicht gut geht, jetzt oder in Zukunft, sag es entweder Mao-sama oder mir oder auch uns beiden, ganz egal, aber sag es.“ Urushihara neben ihm verspannt sich für einen kurzen Moment, beschließt dann aber, doch lieber alles herunterzuschlucken, was ihm auf der Zunge liegt. Das meiste wäre sehr unhöflich gewesen und für einen Streit ist er einfach zu groggy. Ashiya tun seine harten Worte schnell wieder leid, doch er weiß nicht, wie er sich dafür entschuldigen sollte. Er hat sich noch nie bei Urushihara entschuldigt. Und so konzentriert er sich auf das Buch in seinen Händen. Doch schon nach dem ersten Absatz hält er wieder inne und stellt erstaunt fest, dass nicht ein einziges der Worte, das er gelesen hat, ihm im Gedächtnis hängengeblieben ist. Frustriert klappt er das Buch wieder zu und legt es beiseite. Er lehnt den Hinterkopf an das hölzerne Betthaupt hinter sich und starrt für ein paar Sekunden einfach nur blicklos vor sich in die Luft, dann wirft er einen zögernden Blick auf die zusammengerollte Gestalt neben sich. Und plötzlich überkommt ihn ein in Bezug auf Urushihara ungewohntes Gefühl: Furcht. Aber nicht irgendeine Art der Furcht, sondern dieselbe, die ihn immer überfällt, wenn sich sein König in allzu gewagte Abenteuer stürzt: die Angst, ihn zu verlieren. Unwillkürlich zuckt seine Hand nach vorne, wo sie sich schwer auf Urushiharas Schulter senkt. Der zuckt bei dieser unerwarteten Berührung erschrocken zusammen, weicht aber nicht zurück. „Unser König hat sich so große Sorgen um dich gemacht, dass er die ganze Nacht aufgeblieben wäre und auf dich gewartet hätte“, sprudelt es aus Ashiya heraus. „Das konnte ich nicht zulassen. Also habe ich ihm ein Glas Wein aufgedrängt.“ Er fühlt sich verpflichtet, das klar zu stellen. „Wie du weißt, ist Wein für unseren König die beste Einschlafhilfe.“ Urushihara gibt wieder nur ein unbestimmtes Brummen von sich. Davon ermutigt, fährt Ashiya eifrig fort: „Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er dich gesucht. Im Dunkeln. Bei Schneefall. Aber dann hätte er sich auch verirrt. Damit wäre niemandem geholfen gewesen.“ Urushihara schweigt, aber Ashiya sieht, wie er seine Hände zu Fäusten ballt und er kann spüren, wie sich Urushiharas Muskeln unter seiner Hand dabei anspannen. Sanft, aber nachdrücklich, drückt er seine Schulter. „Es fiel mir nicht leicht“, gibt er zu. „Ich habe mir auch Sorgen um dich gemacht, aber ich musste das Wohl unseres Königs im Auge behalten. Und niemand von uns ging wirklich davon aus, dass dir etwas Ernstes zugestoßen sein könnte. Wie auch?“ Er lacht einmal humorlos auf. „Wir hatten ja keine Ahnung davon, dass du nichts mehr sehen kannst.“ Wusste er anfangs nicht, was er sagen sollte, sprudeln die Worte jetzt nur so aus ihm heraus. „Wir hatten über einen Monat Zeit, um etwas zu bemerken. Ich bin derjenige, der die meiste Zeit mit dir verbringt und ich habe nichts bemerkt. Ich bin ein furchtbarer Freund. Es tut mir leid.“ Er denkt nicht darüber nach, als er sich zu Urushihara hinüberbeugt und sein Gesicht in dessen dunklen Haarschopf presst. „Es tut mir leid.“ In seiner Stimme zittern Tränen, als er seinen Arm um Urushihara legt. Plötzlich weiß er gar nicht mehr, wieso ihm das immer so schwer fiel. Je häufiger er es sagt, desto leichter wird es ihm ums Herz. „Es tut mir leid.“ Erschrocken zuckt Urushihara zusammen, als er Ashiyas großen Körper plötzlich so nahe bei sich spürt. Solche spontanen Gefühlsausbrüche sind bei Ashiya nicht ungewöhnlich, aber bisher konzentrierte er sich dabei immer auf Mao - gegenüber Urushihara bewahrte er immer eine gewisse kühle Distanz, und dass er jetzt plötzlich so auf Tuchfühlung geht, ist mehr als irritierend. Vor allem, als Ashiya wieder ein kummervolles „es tut mir leid“ in seinen Nacken haucht. „Schon gut, Ashiya“, brummt er peinlich berührt und tätschelt beruhigend seine Hand. „Nun mach mal kein Drama daraus. Ich verzeihe dir.“ „Aber ich mir nicht!“ erwidert Ashiya heftig. Wie üblich geht er sehr hart mit sich ins Gericht, aber normalerweise gilt das nicht, wenn Urushihara beteiligt ist. Das ist falsch, wispert daher auch sofort eine zarte Stimme in Urushiharas Innerem. Das ist nicht echt. Er ist geneigt, ihr zu glauben, aber dann rückt Ashiya wieder von ihm ab und die Matratze knarrt beschwerend, als er sich gerade aufsetzt. „Ich habe meine Pflichten als Hausmann verletzt und bin es nicht würdig, unserem König zu dienen. Daher werde ich alles in meiner Macht stehende unternehmen, um sein und dein Vertrauen zurück zu gewinnen“, schwört er voller Inbrunst. Urushihara kann es förmlich vor seinem inneren Auge sehen, wie er sich theatralisch mit der Faust auf die Brust schlägt und hält sich hastig die Hand vor den Mund, um sein Grinsen zu verstecken. Ein von Schuldgefühlen gegenüber ihm geplagter Ashiya ist etwas völlig Neues und egal, ob das hier echt ist oder nicht, er hofft, dass dies lange anhält, denn wer weiß, vielleicht kann er daraus ein paar Vorteile für sich ziehen – mehr von diesem leckeren Kakao, eine Extraportion Fleisch oder vielleicht sogar einfach nur ein paar Tage, wo Ashiya nicht an ihm herumnörgelt?     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)