Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 7: VII. Kapitel ----------------------- Irgend etwas piekst ihm in die Wange. Mißmutig verzieht Mao das Gesicht, nicht gewillt, seinen warmen, weichen Kokon zu verlassen. „Papa!“ Erst die helle, drängende Stimme seiner Ziehtochter holt ihn aus seinem angenehmen Dämmerzustand heraus. Er öffnet ein Auge und blinzelt müde. „Papa!“ Abermals piekst Alas ihm mit dem Zeigefinger in die Wange. „Papa!“ wiederholt sie und diesmal klingt es sehr, sehr vorwurfsvoll. Auffordernd drückt sie ihm seine Stiefel ins Gesicht. „Die Nacht ist vorbei. Wir müssen Lucifer suchen gehen!“ „Alas-Ramus!“ Mit wirren Haaren und hastig übergeworfenen Morgenmantel stürmt Emi herein. Doch kaum hat sie das Zimmer betreten, hält sie sich sofort eine Hand vor die Augen, während sie mit der anderen Alas am Arm packt. „Alas, komm da weg. Das ist kein Anblick für dich. Zieh dich gefälligst an, hier leben Damen“, herrscht sie Mao im selben Atemzug an. Er starrt sie nur verdattert an. Er trägt einen stinknormalen Pyjama und versteht ihre Vorwürfe nicht. „Die einzige Dame, die ich hier sehe, ist Alas“, murrt Ashiya auf der anderen Seite des großen King Size Bettes. Er sitzt mit untergeschlagenen Beinen neben seinem König, bis zu den Hüften züchtig von der Decke bedeckt und funkelt die Heldin zornig an. Auch er trägt einen Pyjama. „Verlasse sofort Mao-samas Gemach.“ „Nichts lieber als das!“ faucht sie zurück. „Komm, Alas-Ramus!“ Doch die Kleine entzieht sich geschickt ihrem Griff und springt stattdessen zu ihrem Ziehpapa aufs Bett. „Nein!“ schreit sie dabei ihre Ziehmutter an. „Wir müssen Lucifer suchen. Papa hat es versprochen!“ Mao, der schon auffuhr, als sie das erste mal „Lucifer“ sagte, fängt sie auf und drückt sie an sich. Erstens, weil er sie jedes Mal so drückt, wenn er sie sieht und zweitens, weil eine wütende Emi so früh am Morgen noch beängstigender wirkt als sonst. Sie würde Alas-Ramus niemals schlagen, aber jetzt, in diesem Moment, ist er sich da nicht mehr ganz so sicher. „Du hast recht, Alas“, ernst sieht er ihr in die großen, violetten Augen, deren Farbe ihn noch niemals schmerzhafter an Lucifer erinnerte als jetzt. Er denkt nicht oft darüber nach, aber die beiden teilen dieselbe Essenz des himmlischen Lebensbaums und Alas ist sogar noch viel mächtiger als Gott selbst, doch das verdrängt er immer wieder, weil er sie lieber als sein kleines Mädchen sieht. Dem er etwas versprochen hat. Schuldbewußt wirft er einen Blick aus dem Fenster, durch das sich das Grau der beginnenden Morgendämmerung hereinschummelt. „Ich habe gehofft, er stünde vor der Tür, wenn die Sonne aufgeht“, murmelt er mehr zu sich selbst, während seine Gewissensbisse immer größer werden. Wie konnte er nur so selig schlafen, während Lucifer dort draußen verschollen ist? Nur ganz am Rande seines Bewusstseins nimmt er die heftige Auseinandersetzung wahr, in die sich Emi und Ashiya schnell verwickeln. Er hat gelernt, so etwas geflissentlich zu überhören. Er lässt Alas los, nimmt seine Stiefel aus ihren Händen und schwingt die Beine über die Bettkante. „Dein Papa zieht sich schnell an und dann macht er sich auf den Weg.“ „Yesss“, ruft sie, winkelt den rechten Arm vor dem Körper mit geballter Faust an und zieht ihn dann kraftvoll nach unten – eine solch perfekte Imitation von Lucifer, dass ihm schier der Atem stockt. „Wir suchen Lucifer!“ schreit sie begeistert und stürmt aus dem Raum und poltert lautstark die Treppe hinunter. „Ich hole Chi-chan! Chi-chan!“     Sie wissen nicht wirklich, wo sie anfangen sollen zu suchen, und so beginnen sie mit dem naheliegendsten: sie laufen die Strecke auf der Landstraße zu der Stelle zurück, an der sie ihn zum letzten Mal gesehen haben. Es ist noch sehr früh, die Sonne hat es noch nicht einmal über die Baumwipfel geschafft, so dass alles noch in ein unwirkliches Zwielicht getaucht ist. In einer geradezu ehrfurchtgebietenden Behäbigkeit tanzen die Schneeflocken zu Boden und es herrscht eine fast heilige Stille auf beiden Seiten der schneebedeckten Straße, als sei der gesamte Wald in einen tiefen Schlaf gefallen. Das gleichmäßige Knirschen ihrer Schritte im Schnee wirkt daher fast wie eine schändliche Entweihung. „Vielen Dank, dass du uns hilfst, Sasaki Chiho.“ Ashiya ist wie stets auf gute Manieren bedacht und so fällt sein Dank auch sehr förmlich aus. Er deutet sogar eine kleine Verbeugung an. „Das ist wirklich sehr aufmerksam von dir.“ Die Oberschülerin wird puterrot. „Das ist doch selbstverständlich“, winkt sie hastig ab und wirft dem drei Schritte neben ihr gehenden Mao einen verlegenen Blick zu. „Urushihara ist Mao-samas Freund und seine Freunde sind daher auch meine Freunde.“ Über Maos Miene huscht ein undeutbarer Ausdruck, der sie zögern läßt. „Ihr seid doch Freunde, oder?“ Plötzlich zweifelt sie daran, ob sie die Beziehung zwischen den dreien richtig eingeschätzt hat. Vielleicht ist alles viel komplizierter als sie dachte? Vielleicht betrachten sie Urushihara doch eher nur als Kameraden? Mit diesen leichten Abstufungen hat sie auch in der Schule immer ihre Probleme – für sie selbst gibt es nur drei Kategorien: Freunde, Feinde und Erwachsene. Die einen mag man, die anderen meidet man lieber und zu den Erwachsenen ist man höflich. Unsicher geworden senkt sie den Kopf. Wenn Mao-sama den gefallenen Engel nur als Kameraden betrachtet, ist sie dann gestern vielleicht übers Ziel hinausgeschossen, als sie sagte, dass sie Urushihara mag? Darf sie das denn dann überhaupt? Immerhin ist sie jetzt doch auch einer von Maos Generälen. Vielleicht herrscht innerhalb dieser Ränge nochmal eine ganz andere Hierarchie? Sie ist so tief in ihre Gedanken versunken, dass sie Maos Antwort beinahe überhört hätte. „Ja, Chiho, Lucifer ist unser Freund.“ Lucifer. Nicht Urushihara. Sie bemerkt Maos Lapsus sofort und sieht es nur als Bestätigung seiner Aussage. Ungefähr nach den ersten hundert Metern beginnen sie, ohne große Hoffnung nach dem Vermissten zu rufen. Es ist schließlich offensichtlich, dass er gar nicht in der Nähe sein kann. Doch dann fällt Ashiya etwas Furchtbares ein. „Vielleicht hat ihn ein Wagen angefahren, und er liegt verletzt im Straßengraben?“ Es ist das erste Mal, dass jemand von ihnen diesen Gedanken äußert, und es ist, als hätte Ashiya damit die Büchse der Pandora geöffnet. „Hölle, nein!“ Mao wird kreidebleich und beginnt sofort, seine bisher eher oberflächliche Suche zu intensivieren, indem er jetzt unter jeden Strauch am Wegesrand schaut. „Ist das überhaupt möglich?“ fragt Chiho, auch in dem Bestreben, ihren Schwarm etwas zu beruhigen. „Ja, sicher, er kann verletzt werden, aber seine Wunden heilen schnell und mal angenommen, er wurde gestern Abend wirklich angefahren, sollten selbst schwerste Verletzungen inzwischen fast verheilt sein, oder? Er sollte uns also auf alle Fälle hören und antworten können. Äh, ich meine-“, fügt sie hastig hinzu, weil ihr ihre eigenen Worte plötzlich sehr kaltherzig vorkommen, auch, wenn sie nicht so gemeint sind, „- es wäre natürlich trotzdem furchtbar, wenn er verletzt wäre, aber ist es nicht viel logischer, dass er sich wirklich einfach nur verirrt hat? Wir müssen doch nicht sofort vom Schlimmsten ausgehen. Ich empfinde es eher als eine gewisse Beruhigung, zu wissen, dass er unsterblich ist und ihm daher wenigstens keine Lebensgefahr droht.“ Mao wirft ihr nur einen merkwürdigen Blick zu, fährt sich mit gespreizten Fingern durchs Gesicht und seufzt einmal tief auf. Ashiya erlöst sie aus ihrer Verwirrung. Er tritt zu ihr und legt ihr eine Hand auf die Schulter. Und während Mao weiterhin das Unterholz absucht und wieder Lucifers Namen ruft, erklärt ihr Ashiya freundlich und sehr geduldig: „Leider irrst du dich da, Chiho-san. Lass es mich dir erklären: wie du weißt, ist die Macht der Engel hier auf der Erde genauso beschränkt wie die von uns Dämonen.“ Sie nickt zaghaft. „Und während wir Dämonen unsere Macht, unsere Magie, über die negativen Gefühle der Menschen zurückerhalten können, ist dieser Weg den Engeln verschlossen, weshalb sie immer eine Quelle ihrer Heiligen Energie mit sich führen.“ Wieder nickt sie. Ja, sie erinnert sich sehr gut an Sariels riesiges, weißglühendes Zepter. Sie weiß zwar nicht, welche Machtquelle Gabriel mit sich schleppt, aber niemand sagt, dass sie immer so groß und auffällig wie Sariels sein muß. „Und Lucifer besitzt keine solche Quelle Heiliger Energie, er muss wie wir Dämonen seine Kraft aus den Gefühlen der Menschen ziehen. Und weil...“ Ashiya zögert kurz und wirft einen schnellen Blick zu Mao hinüber, der inzwischen schon ein paar Meter weitergelaufen ist und ihnen den Rücken zuwendet, „... alle negative Energie von euch Erdenbewohnern, die zu Lucifer oder mir fließen könnte, zuerst von unserem König angezogen wird, sind wir quasi von dem abhängig, was Mao-sama uns zugesteht. Was völlig in Ordnung ist“, versichert er hastig, „Mao-sama ist ein fairer König, er enthält uns nichts vor, nur um seines eigenen Vorteils wegen. Aber-“ er seufzt und drückt einmal kurz Chihos Schulter. In seinen Augen schimmern Trauer und Schmerz. „Das bedeutet leider in diesem Falle auch, dass Lucifer noch weniger magische Energie besitzt als Mao-sama oder ich, da er nie die Wohnung verläßt und daher nie auf Menschen trifft, deren Verzweiflung, Kummer oder Angst seinen Magiekern auflädt. Um es kurz zu sagen: Lucifer ist zur Zeit genauso verletzlich wie ihr Menschen. Und was seine Unsterblichkeit betrifft...“ Er nimmt seine Hand fort und zuckt hilflos mit den Schultern, „... die bedeutet eigentlich nur, dass er wie alle Engel ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr altert. Und ohne ausreichend Magie, man könnte hier auch sagen, Lebenskraft, versagen auch seine Regenerationskräfte.“ „Und...“, nachdenklich runzelt sie die Stirn, „wir wissen nicht, ob seine Magie ausreicht, um Verletzungen zu heilen, die in eurer Welt kein Problem wären?“ Ashiya nickt ernst. „Richtig, Chiho-san. Und wir Dämonen besitzen nur die Fähigkeit, uns selbst zu heilen. Wenn Mao-sama und ich ihm Magie geben, könnte diese zusätzliche Energie ihm helfen, sich selbst zu heilen, doch das nutzt ihm erst ab einem bestimmten Level etwas und das erreichen weder Mao-samas noch meine Magie zusammengenommen. Dafür sind wir derzeit einfach zu schwach.“ Sie denkt kurz darüber nach und dann weiten sich ihre Augen unwillkürlich, als sie begreift, was das alles wirklich bedeutet. Oh Gott. Sie ist die ganze Zeit davon ausgegangen, dass sie Lucifer gesund und munter antreffen werden, vielleicht etwas angepisst, weil er sich wie ein kleines Kind im Wald verlaufen hat, aber trotzdem bei bester Gesundheit, und das trotz der Tatsache, dass er die ganze Nacht bei Minusgraden hier draußen verbracht hat. Welch ein furchtbarer Irrtum! Hastig rennt sie nach vorne an Maos Seite, um nach Lucifer zu rufen, während er weiterhin den Straßengraben und die Umgebung nach irgend einer Spur absucht. Ashiya macht dasselbe auf der anderen Straßenseite.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)