Memento defuncti - Ein Requiem zu früh von Dollface-Quinn ================================================================================ Kapitel 2: Lucifers Höllenfahrt ------------------------------- Der unbarmherzige Druck von Olbas weiß glühender Hand auf seinem Herzen holte Lucifer aus dem magischen Todesschlaf zurück. Kopf und Schultern schnellten ein Stück weit in die Höhe. Geräuschvoll keuchend schnappte der Engel mit aller Gewalt nach Luft. Sein Bewusstsein kehrte wieder. Dann fiel er mit schmerzverzerrtem Gesicht in seine liegende Position zurück. Kein Wimmern oder Winseln kam über seine Lippen, aber sein angestrengt kontrolliertes Atmen verriet, dass er litt. Der geschundene, kleine Körper war fast vollständig entblößt worden. Nur um die Lenden lag ein Tuch, das entfernt an das Unterteil einer kurzen Tunika erinnerte, die Lucifer allerdings zu groß gewesen wäre. Der Geflügelte zitterte, obwohl er die Kälte kaum spürte. Er hatte Fieber von all den offenen Wunden und Brüchen, die seinen Leib entzündeten, sodass die Kälte und seine Nacktheit ihm wahrscheinlich das Leben retteten. Olba begrüßte ihn wenig freundlich: „Ich hatte noch nicht die Zeit alle deine Knochenbrüche zu richten. Es war schon mühselig genug die Blutungen zu stoppen. Emilia hat ausgezeichnete Arbeit an dir geleistet. Ich bin direkt stolz auf sie.“, meinte er ohne einen Funken Empathie. Lucifers Mund war wie ausgetrocknet. Wegen des hohen Blutverlusts löste jede Bewegung Schweißausbrüche und Schwindel aus. Er fühlte sich unheimlich schwach. Olba hatte seine gröbsten Wunden zwar geschlossen, aber die Spuren von Better-Half waren noch allzu deutlich zu erkennen. Seine Flügel waren offensichtlich noch gebrochen, ebenso wie einige Rippen, die Hüfte und ein Oberschenkel. Aber zumindest das Rückgrat schien wieder intakt zu sein, denn die Schmerzen waren unerträglich. Die bereits gerichteten Brüche waren zwar gerade und sauber bandagiert, aber nicht geschient, sodass jede Regung grausame Schmerzen verursachte. „Verdammter Alter! Willst du mich etwa so liegen lassen?“, begehrte Lucifer mühsam und hinter zusammengebissenen Zähnen hervor auf. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie oft dieser alte, glatzköpfige Kauz ihn bisher angefasst hatte und wo er ihn überall berührt haben mochte, um ihn auszuziehen! Dem Engel wurde schlecht bei der Vorstellung und ein latentes Gefühl von Panik ergriff von ihm Besitz. Dieser scheinheilige Widerling konnte doch mit ihm machen, was er wollte, solange sich Lucifers Knochen noch in der Heilung befanden. Olba, der bisher neben der steinernen Platte, auf der Lucifer lag, irgendetwas genestelt hatte, drehte sich nun zu seinem Patienten um. Seine Miene war streng und Hass erfüllte die alten, grauen Augen. „Erwartest du etwa, nach all dem Leid, dass du uns Menschen zugefügt hast, dass ich dich mit Samthandschuhen anfasse?!“, knurrte er gefährlich. Lucifers Blick tastete alarmiert über Olbas Züge. Würde er ihm absichtlich weh tun? Hatte er ihn gerade jetzt ins Bewusstsein zurückgeholt, damit er die Qualen der restliche Behandlung auch ja spürte? „Ich habe keine Angst vor dir!“, log er tapfer, aber der Schweiß stand ihm auf der Stirn und die Panik in den Augen geschrieben. Olba lachte kurz und freudlos auf. Er glaubte ihm kein Wort. Aber er hatte eine Vorstellung davon, was den Engel im Moment so aufregte. Gelassen wischte er sich die Hände an einem großen Leintuch ab. „Ich habe dich aufgeweckt, weil dein Kreislauf für die Heilung arbeiten muss. Sonst repariere ich hier nur eine Puppe, bei der nichts zusammenwächst.“, erklärte er gnädigerweise, aber auf seine Lippen schlich sich nun auch ein kleines, grausames Lächeln. „Allerdings gebe ich zu, ich missgönne dir die Schmerzen nicht.“ Olbas offensichtliches Vergnügen an seinem Leid, machte Lucifer wütend. Nur ein magischer Schuss und diese Fleischmütze wäre Geschichte gewesen. Stattdessen musste er sich dessen Spott gefallen lassen! Nein, das musste er nicht!, entschied er. „Was du dir hier gönnst, ist doch nur der Anblick eines halbnackten Engels, du perverser Greis! Ich will gar nicht wissen, wie oft du dir schon vor solchen Wandgemälden die dreckige Seele aus deinem scheinheiligen Leib gewichst hast! Genügen dir die Chorknaben etwa nicht mehr, euer Hochwürden? Sag an! Wie oft hast du unter dieses Röckchen gegeiert, bevor du angefangen hast, meine Wunden zu versorgen? Hast du dich ordentlich an mir aufgegeilt?!“ Eigentlich kostete es ihn viel zu viel Kraft Olba all diese Frechheiten um die Ohren zu hauen, aber es erleichterte ihn ungemein. Der Kopf des Erzbischofs war während dieser Rede dunkelrot angelaufen und er schäumte vor Wut. „Pass auf, was du sagst! Elendes, verdorbenes Schandmaul! Du bist jetzt nicht mehr bei deinem Hurenkönig, mach dir das ein für alle Mal klar! Bei ihm würde es mich nicht wundern, wenn er weiß Gott was mit dir angestellt hätte, aber ich verstehe davon nichts! Also spare dir deine Verleumdungen.“, schimpfte er. Damit waren die Fronten geklärt. Lucifer presste die Lippen aufeinander und versuchte sich von seinen Schmerzen abzulenken, indem er sich so weit es ging im Raum umsah, ohne sich groß zu bewegen. Es war dunkel und feucht und roch nach Moder. Über ihm wölbte sich eine dunkelbraune, steinerne Decke. Sämtliches Licht stammte von Kerzenhaltern, Laternen und einer Fackel, die in einer Halterung an der Wand steckte, dort wo sich wohl der einzige Ausgang befand. „Was ist das hier? Ein Mausoleum? Traust du deinen eigenen Fähigkeiten so wenig, dass du mich schon begraben hast?“, fragte Lucifer mühsam. Sein Herz pochte ihm in der Kehle. Niemand wusste, dass er noch lebte und hier würde ihn auch niemand mehr finden. „Keine Angst. Ich halte mein Wort. Aber ich werde mir deinetwegen nicht mehr Umstände machen als unbedingt notwendig. Und hier wird man dich weder hören, noch versehentlich über dich stolpern.“, versprach der Alte. Man merkte ihm deutlich an, dass er sich einiges an Beschimpfungen Lucifer gegenüber verkniff. Aber er war nicht der einzige, der wütend war. Olba hatte in der kurzen Zeit seit ihrer Übereinkunft so viele denunzierende Dinge über Maou gesagt, dass es in Lucifer zunehmend kochte. Natürlich fühlte er sich von Maou und Alsiel im Stich gelassen, aber so ein respektloses Gerede über den Dämonenkönig stand einem drittklassigen Geistlichen, wie dieser alten Fleischmütze einfach nicht zu! Olba fuhr fort in dem, was auch immer er da tat und lächelte bitter vor sich hin. Als Lucifer das bemerkte, drangen dessen letzte Worte erst richtig zu dem Liegenden durch. „Hören?“, fragte der Gefallene irritiert, „Warum sollte man mich -“, doch weiter kam er nicht. Lucifer brach mitten im Satz abrupt ab und schrie so gellend auf, dass seine Stimme von den Wänden widerhallte. Olba hatte einen seiner geborstenen Flügelknochen wieder gerade gezogen und die Bruchstellen grob zusammengesetzt. „Du verblödeter, alter, seniler ...“, fluchte Lucifer drauf los, sobald er wieder genug Luft dazu hatte. Aber Olba ließ ihn nicht ausreden. Unbarmherzig richtete er den gesamten Flügel, Bruch für Bruch hintereinander weg, ohne Lucifers gequälten Schreien die geringste Beachtung zu schenken. Im Gegenteil, er genoss es, den verdammten Satansbraten leiden zu lassen für alles, was er getan und vor Kurzem gesagt hatte. Letztlich verlor der Engel das Bewusstsein und Stille kehrte in die vergessene Krypta ein. Der Geistliche ließ von seinem Delinquenten ab. Er atmete schwer und Schweiß stand ihm auf der kahlen Stirn. Das Ganze war doch etwas zu aufregend für sein Alter. Einen Moment lang setzte sich Olba erst einmal auf einen steinernen Vorsprung und wartete, bis er das Rauschen seines Blutes und den Klang von Lucifers Schreien nicht mehr in den Ohren hatte. Mit dem Leintuch trocknete er sich die Glatze und den faltigen Hals. Lucifers dreiste Behauptungen hatten ihn an die Worte des Vikars erinnert, bei dem er auf der Rückreise zur Hauptstadt mit seinen Truppen eingekehrt war. Wann hat man schon mal einen Engel in den Händen? Nachdenklich stand Olba wieder auf, trat an die Steinplatte, auf welcher der Bewusstlose lag und strich ihm nun mit gänzlich neuem Interesse über die seidigen Federn. Als er Lucifers Leib aus der abartigen Kleidung, welche er getragen hatte, herausgeschnitten, ihm den Schmutz und das Blut abgewaschen, sowie seine Wunden gesäubert hatte, da dachte er eigentlich nur über seinen bevorstehenden Aufstieg bei der Kirche nach, wenn Emilia erst einmal beseitigt wäre und ihr Andenken ihm als ihrem Lehrmeister zugute kommen würde, so wie es eigentlich sein sollte! Im Moment stahl sie ihm die gesamte Anerkennung! Außerdem war sie zu mächtig, zu gefährlich und zu beliebt! Am Ende würde sie noch anfangen sich in die Politik der Kirche einzumischen. Sie! Das dumme Werkzeug, das ER geschmiedet hatte, damit es diesen Krieg beendete! Das Volk würde ihr folgen und schon bald wäre sie die spirituelle Führerin und Machthaberin, was Olba selbst höchstens noch in die Position des lieben Väterchens erheben würde, wenn er sich gut anstellte. Niemals würde er sich damit zufrieden geben! Sie zur Märtyrerin zu machen, würde ihren gesamten Ruhm wieder ihm, ihrem überlebenden Ausbilder, zufließen lassen. Lucifer war dafür der perfekte Sündenbock. Sie hatte ihn besiegt. Wenn er wieder auftauchte und sie aus dem Hinterhalt ermordete, würde es für jeden ganz klar nach einem Racheakt aussehen. Und wer würde schon den dann herzzerreißend trauernden Olba verdächtigen, der Lucifer doch sogar verbrannt hatte, um sicherzustellen, dass er nicht wiederkehren können. Nur darüber hatte er nachgedacht, während er Lucifer mit dem Tuch bedeckte und zu arbeiten anfing. Jetzt allerdings war Dank der blumigen Worte des Engels seine Neugier geweckt. Vorsichtig rollte er den Körper ein Stück weit auf die Seite und betrachtete lange die Stellen, an denen die Flügel mit dem Rücken verwachsen waren. Er betrachtete die einzelnen Glieder und Sehnen genau. Dann spickte er tatsächlich ganz kurz unter das Tuch, das Lucifers Lenden bedeckte. Wenn er auch klein war und ungewöhnlich makellos, so sah der Körper des Engels doch wie der jedes anderen jungen, männlichen Menschen auf Ente Isla aus. Zumindest, wenn man sich die Flügel und die Farbe seiner Augen und Haare weg dachte. Außerdem war Lucifers Magiebegabung sehr stark ausgeprägt. Der Leib des boshaften Dämonengenerals fing an, Olba zu faszinieren. Aber mehr als diese oberflächlichen Betrachtungen konnte er nicht mit ihm anstellen, denn ihn zu obduzieren wäre für seine Pläne leider kontraproduktiv. Olba seufzte. Ein Fläschchen Riechsalz brachte Lucifer wieder zur Besinnung. Jede Faser seines Körpers schmerzte auf die mannigfaltigste Weise. Er konnte nicht anders, als leise vor sich hin zu stöhnen. So wie er sich jetzt fühlte, wünschte er sich fast, tot zu sein. Olba hob ungnädig seinen Kopf an und flößte ihm eine dünne Brühe ein, die irgendwie heilig schmeckte. Glücklicherweise schadete es dem Engel nicht und er trank gierig die Schale leer. Anschließend ließ Olba seinen Kopf zurück auf den Stein sinken, legte die Hände auf den eingefallenen Bauch des Langhaarigen und massierte ihn. „Ey, Pfoten weg von mir!“, rebellierte der Gefallene. Doch Olba machte einfach weiter, tastete jeden Zentimeter des Abdomen ab. „Ich habe Fragen an dich, Lucifer.“, begann der Erzbischof ohne Umschweife und ohne mit seinem Tun aufzuhören. „Und ich hab die Schnauze voll davon, angetatscht zu werden!“, gab der Engel zurück, „Lass deine pädophilen Neigungen gefälligst an den Jungs im Tenor aus!“ „Was passiert mit der Nahrung, die du zu dir nimmst? Engel essen nicht.“, fuhr Olba unbeeindruckt in seiner Befragung fort. Er hatte beschlossen mit etwas eher unwichtigem anzufangen, um die Bereitschaft des Generals, auf Fragen zu antworten, abzustecken. Lucifer schwieg und versuchte sich gegen Olbas Hände zu wehren so gut es ihm möglich war, ohne Erfolg. „Du zeigt dich besser kooperativ, wenn deine Genesung einwandfrei verlaufen soll. Ich erfülle meinen Teil des Handels nämlich auch, wenn ich dir beispielsweise einen Flügel abnehmen muss. Unser Deal beinhaltet lediglich dein Überleben.“ In den Augen des Geistlichen funkelte die Drohung. Lucifer wurde steif wie ein Brett. Dann verdüsterte sich der violette Blick mörderisch. „Krümm mir ein Haar und du bist totes Fleisch, sobald meine Magie wieder fließt!“, drohte er zurück. Der Erzbischof zog gelangweilt die Augenbrauen hoch. Seine Finger fanden Lucifers gebrochene Rippen und übten gerade so viel Druck aus, dass sie ihm ins Fleisch stachen, ohne den Schaden zu verschlimmern. Der Engel bäumte sich kraftlos auf der harten Steinplatte auf, stöhnte hinter zusammengebissenen Zähnen vor Schmerz und kniff die tränenden Augen zusammen. Olbas Hände begannen zu leuchten, woraufhin sich im Brustkorb des Leidenden die Rippen ordentlich aneinanderfügten, so wie es sein sollte. Lucifer keuchte und jeder Atemzug stach wie Emilias Klinge. Es dauerte eine Weile, bis er wieder sprechen konnte. „Du bist nicht der Einzige mit Fragen, du Folterknecht. Was ist da draußen los? Wie steht der Krieg?“, fragte der Geflügelte leise und mühsam gegen den allgegenwärtigen Schmerz ankämpfend. „Das braucht dich nicht zu kümmern.“, war die abweisende Antwort. Rebellisch versuchte er sich aufzustützen, doch schon bald stöhnte er gequält auf und musste einsehen, dass er es nicht konnte. „Wage es nicht, Alter! Wage es nicht, mich hier wie einen Gefangenen zu halten! Argh- Antworte mir!“, verlangte er ächzend und ein angestrengtes Keuchen unterdrückend. Olba lachte ihn aus. „Du beantwortest meine Fragen doch auch nicht. Also was willst du schon tun, kleiner Teufel? Zu mehr als einem tapferen Mundwerk bist du nicht fähig.“ Grimmig versuchte Lucifer Magie in seinen Handflächen zu sammeln, aber der Fluss in seinem Körper war nach wie vor unterbrochen. Olba hatte recht. Er war völlig wehrlos. Wütend schrie er auf und fluchte die gesamte Hölle über Olba und die Kirche zusammen. Es half nichts. Letztendlich musste er keuchend um Atem ringen und der Schmerz trieb ihm die Tränen über die Wangen. „Ein Vorschlag Lucifer. Wenn wir Partner sein wollen für den kurzen Zweck dieser Übereinkunft, warum beginnen wir dann nicht damit, uns gegenseitig unsere Fragen zu beantworten?“, lenkte Olba ein, gerade so als habe er genau das nicht von Anfang an geplant. Hinter Lucifers violetten Augen rasten die Gedanken. Dann entspannte er vorsichtig seinen Körper und holte Luft. „Engel können Nahrung aufnehmen und verwerten. Aber weil wir es nicht müssen, tun wir es nicht.“, beantwortete er Olbas Frage von vorhin, „Jetzt du!“, forderte er mit einem scharfen Seitenblick auf den Geistlichen. „Der Westen ist inzwischen von deinen Truppen gesäubert und Emilia erobert gerade den Osten zurück.“, antwortete jener. „Was macht Maou? Wie schlägt sich Alsiel? Gibt es Anzeichen, dass sich die Truppen neu sammeln, um die verlorenen Gebiete wieder einzunehmen?“, wollte Lucifer wissen. „Das sage ich dir, nachdem du drei meiner Fragen beantwortet hast.“, bestimmte Olba, „Ich schlage vor, wir wechseln uns ab.“ Lucifer stöhnte und es war schwer zu sagen, ob er es tat, weil der Erzbischof ihn nervte, oder weil er Schmerzen hatte. „Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Truppen deines bemitleidenswerten Königs sich neu sammeln. Alles scheint auf seine Niederlage hinauszulaufen.“ „Sprich nicht so abwertend von ihm!“, verlangte Lucifer aufgebracht. Olba lächelte sanft. „Oh, entschuldige. Ich dachte, wo er dich doch schon vergessen hat, wäre deine Loyalität zu ihm ebenfalls geschrumpft. Aber wenn ihr zwei so ein gutes Verhältnis hattet, dann kannst du mir sicher von seinen Plänen erzählen.“, erwiderte der Glatzköpfige und verschränkte die Arme vor der Brust, während er weiterhin auf Lucifer hinunter sah. Als loyaler General des Dämonenkönigs war diese Frage die Letzte, die er beantworten sollte. Es wäre quasi Hochverrat. Aber Lucifer konnte sich aus diesem Spiel nicht zurückziehen, wenn er selbst Antworten haben wollte. Mühsam brachte er die knirschenden Kiefer auseinander, um zu sprechen. „Ich respektiere ihn. Er ist mächtig und klug und er weiß was er tut. Das heißt aber nicht, dass er seine Pläne mit seinen Generälen teilt. Wir haben immer nur unsere Befehle erhalten. Ich sollte den Westen einnehmen, weil er meinte, ich würde mit der Kirche am besten fertig werden.“, erklärte er, „Wir gingen beide von einen Sieg aus, darum habe ich keine weiterführenden Befehle bekommen.“ Das klang leider viel zu wahrscheinlich, als dass Olba es als Lüge abtun konnte. Er selbst arbeitete schließlich genauso. „Alsiel schlägt sich zugegeben ganz gut. Er ist nicht so durchtrieben wie du, aber auch nicht so risikofreudig. Er beweist sich als kluger Taktiker. Emilia hat es schwer, aber sie gewinnt kontinuierlich an Boden. Es kann nicht mehr lange dauern.“ Lucifer grinste. „Das dachte ich auch, bevor sie mich erwischt hat.“, gab er zu bedenken, „Also, was willst du noch wissen. Mach hinne, ich bin scheißmüde und ich will noch wissen, was mit Maou ist!“, drängelte er. „Wie ist es im Himmel?“, fragte Olba und etwas Sehnsüchtiges trat in seine Züge. Lucifer schwieg erst eine Weile ob all der Erinnerungen, die ihm nun vor Augen standen. Er hätte sich denken können, dass diese Frage kommen würde. „Langweilig.“, fasste er zusammen. „Das reicht mir als Antwort nicht, du Lump! Ich will nicht wissen, wie es für dich ist! Ich will wissen, wie es ist! Wie sieht es dort aus? Wie leben die Engel? Was machen sie? Worüber unterhalten sie sich? Haben sie Pläne für Ente Isla? Sehen sie auf uns Menschen herab? Wachen sie über uns?!“, Olba redete sich geradezu in Ekstase. Lucifer grinste in sich hinein. Wenn dieser blöde Idiot nur wüsste, wie es dort war, dann würde er einsehen, dass das Wort „langweilig“ die Sache perfekt beschrieb. „Das sind enorm viele Fragen in einer.“, merkte er an. Olba gab einen unwilligen Laut von sich. „Fang einfach an!“, befahl er. Lucifer schwieg wieder ein Moment lang, dann öffnete er die Lippen und fing an zu erzählen. „Es ist ruhig. Friedlich. Es gibt keinen Streit, keinen Hass, keine Kämpfe, keine Bedürfnisse. Es fehlt einem an nichts. Man existiert ohne negative Einflüsse, ohne Wünsche und ohne Sehnsüchte.“ Er vergaß absichtlich zu erwähnen, dass es dort nicht nur an negativen Einflüssen mangelte, sondern auch an positiven. Für Lucifer bedeutete die Existenz im Himmel so viel, wie lebendig tot zu sein. Keine Leidenschaft, kein Glück, kein Adrenalin, keine Kreativität. Man war einfach und das genügte dem Rebellen nicht. „Das klingt wunderschön.“, säuselte Olba mit verzücktem Gesichtsausdruck, „Ein perfektes Paradies. Du willst sicher gern wieder hin?“, nahm er an. Aber Lucifer antwortete ihm nicht darauf. „Sag mir endlich was mit Maou ist, damit ich schlafen kann!“, forderte er. „Ich weiß es nicht.“ „Was?!“ „Ich weiß nicht was dein träger König macht. Niemand weiß es. Wir nehmen an, er sitzt in seiner Festung und sieht zu, wie einer seiner Generäle nach dem anderen von der legendären Heldin ermordet wird. Vielleicht ist er des Lebens überdrüssig und wartet, bis sie ihn holen kommt.“ „Du arschgesichtiger, lügender Faltenkobold! Warum sagst du nicht gleich, dass du nichts weißt? Dann hätte ich die Frage für was anderes benutzt! Und hör auf, so abfällig über ihn zu reden. Du weißt gar nichts über ihn!“, begehrte Lucifer wütend auf. Olba blieb gelassen und sonnte sich in seiner Überlegenheit. „Du weißt aber offenbar auch nicht sehr viel über deinen König. Kennst seine Pläne nicht. Bist ihm nicht wichtig genug, damit er nach dir sucht oder dich rächt. Nicht einmal Alsiel kommt er zu Hilfe.“, sinnierte der Geistliche. Lucifer wandte fluchend den Blick ab, um Olbas Überlegenheit demonstrierende Fratze nicht länger ertragen zu müssen. Der Erzbischof hingegen wandte sich nun den zertrennten Sehnen an Lucifers Flügel zu. Weil er sich dazu tief über den Verletzten beugte, kam der Glatzköpfige dem hübschen Jungengesicht des Engels so nah, dass jener Olbas Atem riechen konnte. „Wir stellen uns wohl alle die Frage, was er gerade macht.“, streute er weiter sein Gift in Lucifers gekränktes Herz aus. Der Langhaarige rümpfte daraufhin angewidert die zierliche Stupsnase. „Komm mir gefälligst nicht immer so nah, du stinkender Hund. Maou riecht aus dem Maul wenigstens nicht nach billigem Messwein und den Schlüpfern Minderjähriger!“, gab er bissig zurück. Während sein verletzter Flügel hilflos herabhing, raschelte der andere bedrohlich bei seinen Worten. Allerdings bot der Totgeglaubte trotz der bereits erfolgten Reparaturen und seinen tapferen Aussprüchen immer noch ein recht jämmerliches Bild. Die langen Haare hingen ihm kraftlos und fettig vom Kopf herab. Seine Wangen wirkten hohl, das Gesichtchen erschien blass mit tiefen Schatten unter den gereizten Augen und aufgesprungenen Lippen. Er war mager und energielos. Dennoch glühte sein violetter Blick vor Rebellion. Bei näherem Hinsehen wirkte aber auch der Erzbischof übermüdet und gereizt. Lucifers Gegenwart, die mentalen Kämpfe mit ihm und die Tatsache, dass er ihn heimlich versteckt hielt, um mit ihm gemeinsame Sache zu machen, zehrte offensichtlich alles an seinen Nerven. „Du undankbarer, kleiner Rotzlöffel!“, knurrte Olba wutentbrannt, beugte sich zurück und holte mit der Hand zum Schlag aus. Er hatte sich für heute genug Frechheiten von dem Lümmel anhören müssen. Lucifer analysierte sofort, dass er keine Chance hatte, der drohenden Züchtigung zu entgehen, aber er machte auch keine Anstalten ängstlich die Augen zuzukneifen oder das Gesicht vor dem Schlag abzuwenden. Er sah Olba hart und herausfordernd entgegen, als würde er nur darauf warten. Doch der Ältere besann sich und erwiderte den Blick der unbeugsamen Augen, die zu ihm empor funkelten. Nach einer Weile wandte er sich dann wortlos ab und verließ die Krypta. Lucifer blieb allein in der feuchten Finsternis zurück, unfähig sich zu rühren, den Schmerz ignorierend und nurmehr fähig, dumpf vor sich hin zu starren. Obwohl er wirklich erschöpft war, fand sein Geist keine Ruhe. Er brütete darüber nach, was Maou vor hatte. Wo mochten seine Pläne nun hinlaufen? Suchte er wirklich nicht nach ihm? Hatte er ihn gleich nach der Kunde über seine Niederlage gegen Emilia einfach abgehakt? Je länger er darüber in der einsamen Finsternis nachdachte und ihm dabei jede Faser im Leib Schmerzen bereitete, desto größer wurde erst seine Wut und schließlich sein Hass. Er schwor sich, diese Höllenfahrt durchzustehen, um sich an ihnen allen zu rächen: Emilia, Maou und Olba! Olba kehrte so lange nicht wieder, dass Lucifer glaubte, der Glatzkopf wollte ihn hier unten verrecken lassen. Der Engel hatte in dem unterirdischen Mausoleum kein Zeitgefühl, aber er schätzte anhand der Intervalle, in denen Olba sich um ihn kümmerte, dass jener nur bei Nacht zu ihm kam und tagsüber abwesend blieb. Diesmal schätzte er, dass ungefähr zwei Nächte vergangen sein mussten, in denen Olba nicht kam. Endlich aber hörte er doch wieder Schritte auf den steinernen Stufen und sah das unstete Licht einer Fackel die Dunkelheit durchdringen. Die Bewegungen des Alten wirkten heute ungewohnt hektisch. Lucifer lag reglos auf seiner Steinplatte, zu schwach um zu sprechen. Unter schweren Lidern beobachtete er den Erzbischof, wie er die Lichter im Gewölbe entzündete und dann rasch zu ihm herüber kam. Die grauen Augen musterten ihn eindringlich. Dann legte er die Hände auf Lucifers gebrochenen Oberschenkel und brachte den Knochen mit Gewalt in die richtige Stellung zurück. Lucifer war zu schwach, um zu schreien, lediglich ein tief verletztes Wimmern sickerte über seine Lippen und vereinzelte Tränen fielen aus seinen Wimpern. Olba beachtete die Qual seines Patienten nicht, sondern legte seine gealterten Hände sacht auf den Bruch. Ein weißes Licht ging von ihnen aus und plötzlich war der pochende Schmerz in Lucifers Bein verschwunden. Kaum war das getan, nahm Olba die Hände wieder weg und griff stattdessen unter Lucifers mageren Körper, um ihn in eine sitzende Position zu heben. Der Engel konnte sich aber nicht selbständig halten, also lag er widerwillig im Arm des alten Mannes, während dieser ihm mit der freien Hand Wasser aus einem Trinkschlauch einflößte. Der Geflügelte schluckte gierig bis die Flasche leer und sein Magen voll war. Dann legte ihm Olba ein weiteres, aber wesentlich kleineres Fläschchen an den Mund. Lucifer schluckte auch dessen Inhalt bedenkenlos. Sofort breitete sich ein derbes Brennen in seiner rauen Kehle aus und brachte ihn zum Husten. „Was zum Geier!“, fluchte er mit halb erstickter, kratziger Stimme. Doch dann wurde ihm plötzlich ganz warm in der Brust und er spürte, wie das Leben in seine erstarrten Glieder zurückfloss. Olba ließ ihn los und machte sich diesmal mit Magie an dem kaputten Flügel zu schaffen. „Du warst lange weg. Woher der Sinneswandel?“, fragte der Gefallene tonlos, während nach und nach das Gefühl in seinen Flügel zurückkehrte, „Ist was passiert?“ Olba schwieg und arbeitete einfach weiter. Nach einer halben Stunde konnte Lucifer den Flügel bewegen, ließ es aber gleich wieder bleiben, weil es höllisch weh tat. Olba band den Flügel mit langen, robusten Leinenstreifen an Lucifers Leib, damit er die Schwinge still hielt. Dann trat er vor Lucifer hin und sah ihn eindringlich an, als müsse er einen drastischen Schritt überlegen. Der heilige Mann wischte sich mit einem Tuch über die Stirn, faltete es anschließend ordentlich zusammen und steckte es wieder ein. Dann öffnete er den strengen Mund und sprach. Seine Worte kamen ruhig und sachlich heraus. „Mit meiner Pflege wird alles, was ich bisher repariert habe, in ein paar Tagen so weit geheilt sein, dass du laufen kannst. Das Einzige, das noch fehlt ist deine gebrochene Hüfte.“, er hielt an dieser Stelle kurz inne, damit Lucifer sich seiner Situation zur Gänze bewusst werden konnte. Jener aber ließ seiner frechen Zunge freien Lauf. „Ja und? Willst du erst einen geblasen kriegen, damit du den Job zu Ende bringst, oder wird das bald mal was?“ Olba schloss mühsam um Selbstbeherrschung ringend die Augen und atmete tief durch, bis die Wut in ihm nachließ. „Lucifer, du ahnst nicht, wie sehr ich dich hasse!“, seufzte der Geistliche auf, „Sei‘s drum. Es ist ja nicht für lange.“ Er öffnete die Augen wieder und sah Lucifer mit eiserner Miene an. „Als ich dir mein Angebot zum ersten Mal unterbreitete, konntest du mir nicht antworten, darum frage ich dich noch einmal: Wirst du dich an unseren Deal halten? Ich sorge für dein Überleben und du tötest Emilia, sobald ich es dir sage!“, wiederholte er ernst. Düster blickte der Langhaarige dem Erzbischof aus den Augenwinkeln heraus in das alte Gesicht. „Ja.“, knurrte er entschieden, „Inzwischen ist es mein eigener Wunsch Emilia meine Qualen heimzuzahlen!“ Und anschließend erledige ich dich, du sadistischer Haufen Heuchlerscheiße!, dachte er grimmig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)