Under these Scars von _Scatach_ (Teil Vier der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 37: A place long lost to dust and time ---------------------------------------------- Ibiki stand im Zentrum des winzigen Krankenzimmers und war erstaunt darüber, wie ein so kleiner Raum so ein riesiges Desaster einnehmen konnte. Sechs uniformierte F&V Chūnin lagen ausgestreckt auf dem Boden…ausgeknockt und schlafend wie gottverdammte Babys. Was die Liege anging? Leer. Kein Zeichen von Kakashi – der eigentlich die einzige Person hätte sein sollen, der ein paar Schäfchen zählte.    Das passiert, wenn man einen Wolf einsperrt…   Und wenn man unterbesetzt und einem das Glück ausgegangen war. Ibiki schüttelte den Kopf. Wie viele Dellen würde das Schicksal denn noch in das dicke Fell seines beschissenen Tages schlagen?   „Bei Buddhas blutigen Eiern“, raunte Ibiki, während er rückwärts aus dem Raum lief.    Die drei Chūnin, die an seinen Fersen gewartet hatten, wichen zurück, um eine Kollision zu vermeiden und tauschten nervöse Blicke aus. Grünschnäbel. So viele gottverdammte Grünschnäbel in diesem Gebäude. Ibiki konnte Grünschnäbel in etwa so gut brauchen wie einen Tritt in die Eier – obwohl er sich fühlte, als hätte er bereits zwei Schläge unterhalb der Gürtellinie eingesteckt; der erste war, als er von Inoichi von Naoki erfahren hatte; und er zweite, als er Shikamarus Akte in die Finger bekommen hatte.    Geh zu den Ältesten, drängte sein Hirn erneut. Geh jetzt.   Adrenalin pumpte, der Cortisolspiegel schoss in die Höhe und Ibiki hielt seinen Atem für ein paar Sekunden an. Er handelte niemals aus Impuls. Ungeduld war nicht zu akzeptieren. Sie ebnete den Weg für Fehler.    Wie diesen hier.   Kakashi. Gott. Er hätte sich selbst um den Kopierninja kümmern sollen, statt diese Sache den stümperhaften Händen der neuen F&V Rekruten zu überlassen. Eine weitere losgelassene Kanone. Eine weitere Fehlzündung, die nur darauf wartete, einzutreten. Dieses nicht tolerierbare Empfinden von Dringlichkeit kam wieder und kratzte hart gegen die Zahnräder in seinem System.    Diese Scheiße ist nicht wieder auszubügeln…   Oder vielleicht doch. Wenn sie Kakashi rechtzeitig schnappten, dann könnte es vielleicht einen Weg geben, die katastrophalen Szenarien zu vermeiden, die durch Ibikis Verstand rollten.    Zumindest haben wir immer noch Genma.   Ibiki hörte, wie die Grünschnäbel hinter ihm von einem Fuß auf den anderen traten, auf Befehle und Anweisungen warteten und Zeit verschwendeten. Ibiki vollführte eine Vierteldrehung zu ihnen, seine Stimme gefährlich leise. „Statt hier mit euren Schwänzen in der Hand rumzustehen, wie wäre es, wenn ihr euch der Suche anschließt, um Hatake Kakashi zu überwältigen und festzuneh-?“   Eine Reihe aus scharfem Bellen explodierte den Korridor entlang.    Als er den Kopf drehte, fing Ibiki das Aufblitzen grauweißen Fells auf, das einen der gegenüberliegenden Gänge hinab raste und verschwand wie eine silberne Kugel, der eine Gruppe aus Chūnin direkt auf den Fersen war.    Kakashis Ninken?   Sirenen begannen zu schrillen.    Sprinkleranlagen aktivierten sich und benebelten die Korridore mit einem feinen Regen, während Notfalllampen ansprangen und in einem wilden, scharlachroten Pulsieren flackerten; der Feueralarm war in vollem Gange. Leute begannen, aus den Räumen zu strömen und verstopften die Gänge, was die Suchbemühungen erheblich verlangsamte.    Ah, Kakashi. Du cleverer Hurensohn.    Kein Feuer, nur heiße Luft und Rauch. Eine Zerstreuung. Eine Ablenkung. Eine weitere Delle im brennenden Hintern von Ibikis wirklich beschissenem Tag. Aber das Universum war noch nicht am Ende, ihn fertig zu machen. Denn in der Sekunde, als ihm die Richtung bewusst wurde, aus der Kakashis Hund gekommen war, setzte Panik sein Netzwerk in Brand.    Ostflügel des Gebäudes…   Iibikis Augen flogen weit auf.    Genma.   Oh FUCK.   Fluchend stürzte sich Ibiki in einen Spurt und mähte jeden nieder, der töricht genug war, sich nicht sofort zur Seite zu bewegen. „RIEGELT DIESES VERFICKTE GEBÄUDE AB!“, brüllte er, indem er seine Stimme über die ohrenzerfetzenden Sirenen hob. „UND STELLT DIESES GOTTVERDAMMTE ALARMSYSTEM AB!“   Finster stierte er über seine Schulter, während Wasser die wilden Konturen seines Gesichtes hinab rann und er mit einem Finger zu den drei Grünschnäbeln stach. „Ihr drei, kommt mit mir mit, JETZT!“   Er wartete nicht darauf, zu sehen, ob sie ihm folgten. Mit der Schulter rammte er F&V Personal, Angestellte, Mediziner und noch mehr gottverdammte Grünschnäbel aus dem Weg, verbrannte die Sekunden in einem Sturmlauf. Wie eine schwarze Kanonenkugel schoss er die Gänge entlang, bewegte sich gegen den Strom, mied Feuertreppen, wo sich verwirrte F&V Mitarbeiter sammelten.   Er hat nur einen Ausgang.   Ibiki rannte schnurstracks darauf zu und hielt gerade lange genug inne, um die Tür zu Genmas Zimmer auf zu werfen. Leeres Bett. Wie befürchtet. Ibiki bewegte sich schon wieder, als die F&V Grünschnäbel endlich zu ihm aufholten. Wasser lief seinen Mantel hinab und erfüllte die Luft mit einem silbrigen Sprühregen, als er eine weitere Ecke umrundete und auf dem glitschigen Boden zu einem abrupten Halt schlitterte.    „KAKASHI!“   Weit vor ihm, auf dem Weg zu der Sicherheitstür am anderen Ende des Ganges, erstarrte Kakashi.    Ibiki blinzelte durch den Dunst der Sprinkler und beobachtete, wie das Wasser in einem nebelhaften Schein von Kakashis Haar und Schultern abprallte. Der Kopierninja sah zu ihm zurück, die Augen zu Schlitzen zusammengezogen und das Sharingan glühte dabei roter als die Notfalllichter, die über seinem silbernen Kopf zwinkerten. Er neigte sich schwer auf eine Seite und lehnte sich stützend gegen die Mauer. Von Genma gab es keine Spur.    Die Sirenen verstummten. Die Sprinkler erstarben.    Aber die roten Lichter leuchteten weiter.    Und Kakashi starrte weiter, seine Brust bebend, während sich sein Körper mehr und mehr gegen die Wand lehnte.    „Kakashi“, rief Ibiki erneut und seine Stimme echote laut und tief in der akuten Stille. Er hielt seine Hand nach hinten und außen, um die Grünschnäbel davon abzuhalten, ebenfalls um die Ecke zu kommen. „Du brauchst medizinische Hilfe.“   Kakashis Brauen hoben sich trocken. „Ach, was du nicht sagst.“   Ibiki schnaubte und sie tauschten einen grimmigen Blick von Belustigung aus. Ah, morbider Humor. Etwas, das Kakashi mit Genma gemeinsam hatte. Es musste ein höllischer Lacher für sie gewesen sein, zu versuchen, aus dieser Scheißegrube einer Situation rauszukommen…und Ibiki hatte sich das für keinen der beiden gewünscht.    Und genau aus dem Grund, wird man nicht persönlich mit Kollegen.    Er hätte sich schlecht gefühlt. Aber das setzte Emotionen und Empathie voraus – und das war ihm beides ausgegangen. Das war schon seit Jahren so…und dennoch…dieses Geschwür aus Gefühlen brodelte noch immer in seiner Magengegend.    Kakashis silberne Brauen wanderten noch etwas höher. „Ich verblute einfach auf dem Boden, wie wär’s?“   Ibiki schaffte es, entschuldigend dreinzublicken und näherte sich ein paar Schritte, während er die Hände in einer Geste des Friedens ausbreitete, die von dem Kopierninja weder anerkannt, noch erwidert wurde. „Kakashi. Nichts was ich sage, könnte dafür sorgen, dass du verstehst.“   Ein winziges Stück hob Kakashi das Kinn in müder Zustimmung. „Ich weiß“, keuchte er. „Und es kümmert mich auch einen Dreck.“   „Es kümmert dich“, erwiderte Ibiki mit schmatzenden Stiefeln auf dem nassen Beton. „Viel zu sehr. Selbst als du noch bei ANBU warst, konntest du diesem Kunai nie vollständig ausweichen. Genauso wenig wie Genma. Das kam ihm teuer zu stehen. Und es wird dir teuer zu stehen kommen, wenn du ihn mir nicht übergibst.“   Summend flatterten Kakashis Wimpern und er rutschte ein bisschen weiter die Wand hinab, bis ein Knie auf dem nassen Boden aufschlug und eine Hand darauf klatschte, um sich abzustützen. „Ich hätte ahnen müssen, dass man mit dir nicht feilschen kann, Ibiki.“   „Diesmal nicht.“   „Nein“, stimmte der Kopierninja leise zu. „Diesmal nicht.“   Ibiki versteifte sich und seine Füße erstarrten mitten in einem Schritt. Etwas in Kakashis Stimme alarmierte ihn und machte ihn auf die Gefahr aufmerksam. Und das nur Bruchteile von Sekunden vor der haarsträubenden Statik. Seine Augen zuckten von dem klatschnassen Boden zu den Blitzen, die an Kakashis Fingerspitzen knisterten. SHIT.   Ibiki stieß ein fassungsloses, schnaubendes Lachen hervor. „Du Hurensoh-!“   „RAITON!“   Ibiki machte einen seitlichen Satz – es war nicht geplant und es war nicht schön, aber es rettete ihn vor diesem bösartigen Stromschlag. Er spürte das brutale Knacken und Platzen der Elektrizität, die an seinen nassen Stiefeln leckte ebenso wie die Statik, die seinen Hechtsprung befeuerte, als hätte man ihn physisch durch die Gegend katapultiert. Seitwärts krachte er durch eine Schranktür und donnerte in einen Stapel Hausmeistergerätschaften.    Besen zerbrachen und Kisten explodierten.    Die Welt wurde schwarz und zerbarst mit Sternen.    Aber Ibiki blieb nicht unten.    Vorwärts schwankend packte er den Türgriff und zerrte sich auf die Füße, während er seinen Körper aus dem Chaos hievte. Auf den Fußballen fing er sich im Türrahmen ab, ließ seinen Kopf ruckartig um die Ecke zucken; und sein Atem verließ ihn in einem langsamen, zornig überschäumenden Zischen.    Die Sicherheitstür baumelte in ihren Angeln.    Kakashi war fort…und Genma mit ihm.    ~❃~   Jemand wühlte in seinem Kopf herum. Oder vielleicht auch nur außerhalb davon…wollte Einlass…wollte Antworten. Und das auch noch hartnäckig. Und aggressiv. Zerrte an den Kanthölzern, die all die zerbrochenen Fenster in Genmas Verstand verrammelten. Fragen verkeilten sich wie Brechstangen, rissen, zerrten, ruckten an all den Nägeln, die er in die Erinnerungen gehämmert hatte, in die Vergangenheit.    „Sag mir, was ihm zugestoßen ist. Was dir zugestoßen ist. Zeig mir, was passiert ist.“   Inoichi. War es denn nicht schon schlimm genug, dass der Yamanaka in seinem Kopf war, jetzt wollte er auch noch die Falltür aufreißen, die zu Genmas Herz führte?   Nein.   Genma hatte angefangen, sich die Wände entlang zu tasten, hatte nach Rissen und Brüchen gesucht. Ihm entschlüpften Erinnerungen, entschlüpften Geheimnisse…er musste den Spalt verstopfen, der sich in seinem Kopf öffnete. Die Vergangenheit drängte sich durch die Hintertür; gierig nach den Skeletten, die in all den Schränken rasselten. Er konnte sie nicht rauslassen. Konnte sie nicht einlassen. Konnte nicht-   „Lass los, Genma. Lass los. Lass dich selbst diesen Ort verlassen.“   Kakashi. Wie zur Hölle konnte es sein, dass Kakashi in seinem Kopf war? War das ein Trick? Er presste sein Gewicht gegen die Tür, fühlte, wie sie nachgab und zuckte, als die Vergangenheit um Einlass kämpfte – oder vielleicht um einen Ausgang? Es war alles von innen nach außen gekehrt…von innen nach außen…wie so viel Müll…wie so viel Zeit…aber er konnte es nicht weggeben…wegwerfen…er hatte zu hart gearbeitet, um diese Geheimnisse zu bewahren, diese Versprechen.    Er konnte diesen Ort nicht verlassen. Konnte nicht gehen. Konnte nicht loslassen.    „Nein“, zischte er. „Nein.“   Keine Chance. Er musste diese Tür vernageln…fing an, die Dielenbretter heraus zu reißen und nutzte sie, um die Türschwelle zu verbarrikadieren und die Vergangenheit draußen zu halten. Senbons waren seine Nägel, Fäuste waren seine Hämmer. Der stumpfe Schlag seiner Knöchel rammte sich in Stahl. Spreißel, aufgerissenes Fleisch, abgeplatzte Knochen - BANG, BANG, BANG - und die Tür barst nach innen. So plötzlich, so schnell, dass Genma seine Hände nicht um die Kehle der Vergangenheit legen konnte, bevor sie ihn am Herzen packte und ihn direkt durch den Boden rammte, direkt durch die Falltür, direkt ins –   „Kein Problem im Paradies, Bruder, überhaupt kein Problem.“   Genma versteifte sich angesichts dieses zwielichtigen Schnurrens. Seine Augen wanderten zu den schiefen, gelben Zähnen, die in geschwärztem Zahnfleisch steckten. Dieses Speichellecker Feixen. Zumindest an dieses Grinsen erinnerte er sich. Dieses widerliche Strecken aufgeplatzter Lippen über abgeplatztem Zahnschmelz.    Kein Problem im Paradies…   Paradies. Tanzaku Viertel. Eine Hölle mit einem anderen Namen. Es war nur denen als Paradies bekannt, die ihre Flügel behalten hatten und wussten, wie man mit der ein oder anderen Droge hoch hinaus flog. Genma hatte sich diese Flügel im wahrsten Sinne des Wortes von seinem Rücken gerissen…aber scheinbar schwebten noch immer ein paar Federn seines früheren Lebens auf dem Wind.    Ja, und wie Yamori ihn kannte. Und Genma konnte sich sehr gut vorstellen, dass wenn er nur lange genug in diesem alten, ausgebrannten Winkel seines Verstandes herumwühlen würde, er das Gesicht dieses Bastards in der Asche begraben finden würde. Ein loses Ende aus einer verlorenen Vergangenheit. Ein Stück Müll, das der Feuersbrunst entgangen war, die Genma vor Jahren ins Rollen gebracht hatte.    Hn. Der Davongekommene…   Zeit, die Sauerei aufzuwischen. Nur konnte er das nicht tun, solange Shikamaru bei ihm war.    Ohne dem Nara Jungen auch nur einen Blick zuzuwerfen, riss Genma die Tickets aus Yamoris Fingern und drehte marginal den Kopf. „Shikamaru. Ich bin direkt hinter dir.“   Er musste es nicht als Befehl formulieren; Shikamaru war clever genug, um zu wissen, was Sache war. Der Schattenninja zögerte nur für einen kurzen Moment, bevor er voraus in das Tekisha Seizon ging, den Schwanz sprichwörtlich eingezogen. Gut. Denn ein Akt des Ungehorsams war gerade so viel, wie Genma tolerieren würde. Er brauchte es wirklich nicht, das Junior Nara Genie noch mehr Fragen über seine Vergangenheit stellte…oder Zeuge irgendwelcher Spuren davon wurde.    Yamoris Grinsen schnitt sich etwas tiefer. „Privatfete, Bruder?“   Genma erwiderte überhaupt nichts, sein Gehör auf das leise Schlurfen von Shikamarus leiser werdenden Schritten gerichtet. Fünf. Vier. Frei. Zwei. Ein-    Yamori bewegte sich. So verdammt schnell, dass er Genma beinahe erwischt hätte.    Beinahe.    Als Genma den Kopf zurückriss, erhaschte er nur eine halbe Sekunde, bevor er Yamoris Handgelenk mit seinem abfing, das Funkeln eines Klappmessers. Er drehte die gefangene Hand gegen den Uhrzeigersinn, bis das Gelenk nur ein Zucken von einem Brechen entfernt war.    Die Klinge fiel klappernd zu Boden.   Knurrend kickte Genma das Ding beiseite und rammte Yamori mit dem Gesicht voran in die unnachgiebige Backsteinmauer, hörte das befriedigende Knacken von Knorpel, als die knochige Nase unter dem Aufprall nachgab. Zur Anerkennung dieses schmutzigen Wiesels, gab Yamori nicht den geringsten Laut von sich. Kein Schrei. Kein Grunzen. Nicht einmal ein Gurgeln.   Genmas Augen verengten sich deswegen zu Schlitzen, aber er verschwendete auch nicht nur eine Sekunde, um sich darüber zu wundern. „Scheinbar erinnerst du dich nicht allzu gut an mich, Bruder“, murmelte er und riss dabei Yamoris Arm hinter seinem Rücken nach oben, nur kurz davor, ihn auszurenken. „Sonst wüsstest du es besser, als mit etwas Scharfem und Spitzem auf mich loszugehen."   Yamori drehte seinen Kopf gegen die Mauer und spuckte einen Klumpen schaumiges Blut aus, während er ein nasales Lachen ausstieß. „Wirst du mich abfackeln, wie du‘s mit Paradies gemacht hast? Lauter Feuer und Schwefel und im Kopf durchgeschmort. Nah, Mann. Die Scheiße, die du abgezogen hast? Dafür muss man schon ganz besonders irre sein.“   „Halt’s Maul“, knurrte Genma, während die Erinnerungen an diese Zeit in heißen Ausbrüchen aus Feuer und Rauch vor seinen Augen aufblitzten. Er konnte das schrille Schreien seines eigenen Lachens hören, seines eigenen Wahnsinns, wie er in seinem Kopf pulsierte.    „Ich erinner mich an diese Nacht, Bruder“, gackerte Yamori. „Der Engel der Hölle mit diesem Teufelsgrinsen? Wette, du holst dir nachts einen runter, wenn du daran denkst.“   Genma biss die Zähne aufeinander und nahm einen scharfen Atemzug durch die Nase. Er könnte diesem Kerl das Genick brechen; ein sauberes Schnappen. Niemand würde einen zwielichtigen Dealer aus einer schmuddeligen Seitengasse vermissen. Es würde niemanden kümmern. Die Frage war nur, wo die Leiche begraben? Einer der Gründe, weswegen er sich entschlossen hatte, den alten Drogenumschlagspunkt vor Jahren in die Luft zu jagen, war nicht einfach nur, weil er verrückt gewesen war, sondern weil der Gedanke einer Kremation für dieses Höllenhaus irgendwie passend erschienen war. Asche und Staub. Nichts mehr übrig, das noch brennen könnte. Nichts mehr übrig, das noch begraben werden könnte.    Ich hätte es alles verbrennen sollen…das ganze verdammte Viertel…   Irre Gedanken. Gefährliche Gedanken.    Yamori hustete einen weiteren Klumpen blutigen Speichels herauf. „Das war verfickt psycho, Mann. Ich wusst ja, dass du krank warst. Wusste, dass du krank warst, bevor du geflogen bist.“   „Halt verfickt nochmal die Fresse“, fauchte Genma und drückte Yamoris Gesicht noch fester gegen die Backsteine, während er den Arm so hoch presste, dass es einen gellenden Schrei aus jedem gerissen hätte, der Schmerzrezeptoren besaß.    Doch das kleine Wiesel lachte nur. „Komm schon, Mann“, triezte er, streckte den Hals und versuchte, über seine Schulter zu sehen, um Genmas Blick aus dem Augenwinkel aufzufangen. „Wirste mich nicht abfackeln? Ein Streichholz an meinem Arsch anzünden und zugucken, wie ich brenne? Haste es dir in dieser Nacht angeguckt? Yeah. Ich möcht wetten, dass du dir das angeguckt hast.“   Genma schluckte schwer. Es angesehen? Er hatte es gewollt. Er hatte in Flammen und Rauch aufgehen wollen. Er hatte seinen eigenen Suizid inszeniert, sein eigenes ruhmreiches Ende. Nur hatte Kakashi ihn das nicht tun lassen. Kakashi hatte ihn da raus gezerrt. Manchmal träumte Genma immer noch davon…fragte sich, was für eine höllische Art des Wahnsinns in seinem Verstand gelebt hatte, um in der Lage zu sein, sich mit der Unterwelt anzufreunden und sie in Brand zu setzen.    „Haste dir nur zu gut angeschaut, stimmt’s?“, lachte Yamori. „Macht dich ganz heiß und wuschig, daran zu denken, ne?“   „Noch ein Wort“, warnte Genma und verstärkte seinen Griff an Yamoris Arm.    „Yeah, möcht wetten, dass du jede Sekunde davon geliebt hat, du bekloppter, kranker, Psycho-Hurensohn.“   Genmas Geduldsfaden riss; genau wie Yamoris Arm. Nur passierte es nicht wirklich so, wie es der Shiranui erwartet hatte. Ein brutales Rucken und der Arm brach aus seinem Griff. Wortwörtlich. Brach ab. In seinen Händen. Löste sich von Yamoris Körper wie eine gerissene Prothese.    Was verfickt nochmal!?   Geschockt zuckte Genma zurück, ließ den abgetrennten Arm fallen und sah zu, wie er zerknitterte wie eine getrocknete Pflaume. Die Haut kräuselte sich und schrumpelte, sie blätterte schuppenartig ab…echsengleich. Sein Hirn hielt an, als es versuchte, Sinn aus all dem zu machen, selbst, als seine Augen schon wieder nach oben schwangen und den Anblick in sich aufnahmen, wie Yamori den Stumpf an seiner Schulter umklammerte. Ein Plasmagerinnsel hatte sich bereits gelartig über die Wunde gelegt und epidermale Hautzellen überschorften sie in glatten, glitzernden Schuppen. Gesundend. Wiederherstellend.    Orochimaru…   Der Gedanke kam unmittelbar. Fest verdrahtet im Verstand eines jeden Konoha-Shinobi, der das Pech hatte, diesen psychotischen Senin mitten während einer reptilhaften Transformation gesehen zu haben.    Genma erstarrte und sein Atem geriet heftig ins Stocken.    Bilder des Sandaime kamen auf ihn zurück gekracht, schlugen Wände ein, die er um das Leid und die Reue herum errichtet hatte. Die Invasion von Konoha, der Kampf auf den Dächern. Das Scheitern der Jōnin. Das Scheitern von ANBU. Nein, sein Scheitern. Er war Goei Shotai. Er hätte den Sandaime beschützen müssen. Stattdessen war er in dieser verdammten Chūnin Arena festgesteckt und hatte Sasuke beschützt…nur um den Jungen dann doch wieder an die vier Oto-Nins zu verlieren.    Moment…   Bei dieser Erinnerung hob er ruckartig den Kopf. Die vier Oto-Nins.   Fluchmal.   Er hätte auf Yamoris Körper nach einem solchen gesucht, aber seine Augen klebten schon fast auf dem hässlichen Stumpf. Dieses verdammte Ding hatte angefangen, zu wachsen; es stellte Gewebe, Muskeln und Knochen in einer nassen, schuppigen Masse wieder her und arbeitete die Anfänge einer neuen Gliedmaße heraus. Es bewegte sich in einer regenerativen Geschwindigkeit, die nur durch Chakra derart verschärft werden konnte.    Shit.   Er musste das laut gesagt haben, denn Yamori lachte auf und das raue, nasale Gackern klang dabei eher wie ein Reptilienkrächzen. „Scheinbar erinnerst du dich auch nicht allzu gut an mich, Bruder.“ Eine schwarze Zunge schlängelte sich in einem zischenden Gleiten über seine zerbrochenen Zähne. „Hab mir ein paar nette Eigenschaften vom neuen Boss besorgt.“   Boss? Jo, vermutlich hätte er diesem Faden folgen sollen, aber dafür blieb keine Zeit.    Scheiß drauf.   Genma wich einen weiteren Schritt zurück und griff nach seinen Senbons.    Und Yamori schoss so schnell auf ihn zu, dass dieser dürre Eidechsenkörper vor seinen Augen zu verschwimmen schien. Fluchend schwang Genma eine Faust voller Nadeln und zerschnittener Luft herum. Verdammt, war dieser Kerl schnell. Zu schnell. Unmenschlich schnell. Genma hätte vielleicht eine Chance gehabt, wenn er mehr Platz für Bewegung gehabt hätte, aber die Gasse war eng, die Wände keilten ihn ein und vereitelten Ninjutsu-Luftangriffe.    Aber nicht Taijutsu.   Grunzend wirbelte er herum, stieß sich von der Backsteinmauer ab und riss dabei sein Knie nach oben, mit dem er Yamori am Kinn erwischte – ein schönes lautes Krack erscholl. Zu blöd nur, dass der Schlag nur dafür sorgte, dass sich der Bastard in einen geschmeidigen Rückwärtssalto warf – eine Bewegung, die umso verstörender war wegen der Tatsache, dass Yamori wie eine kauernde Echse auf der gegenüberliegenden Mauer landete. Hände und Füße klebten an den Backsteinen, als hätte er einen Klettverschluss an den Fingerspitzen und Fußballen. Diese seltsame Psoriasis auf seine Haut, war in eine Reihe aus Schuppen ausgebrochen und seine Gliedmaßen wanden und drehten sich mit irrer Agilität.    Genma hielt nicht inne, um zu gaffen.    Er war über das ‚Was zur Hölle‘ hinaus und befand sich bereits mitten auf ‚bring es einfach nur um‘ Territorium. Er zog mehr Senbons hervor und ließ diese funkelnden Babys in Schnellfeuerschüssen fliegen. Auf allen Vieren raste Yamori über die Wände und schoss davon wie ein schwarzer Leguan, während Funken auf den Steinen tanzten und die Nadeln tiefe Rillen gruben.    Schlüpfriger, hinterhältiger Hurensohn!   Lachend spähte Yamori zurück über die Schulter und ließ seine schwarze Zunge nach außen schnellen. „Yo! Verleiht ‚Scheiße von sich geben‘ ne ganz neue Bedeutung, nicht?“   Genmas Lippen zuckten in einem Grinsen und Chakra knisterte dabei an über seine Knöchel.    Er war fertig mit dem Rumgeficke.   Und Yamori musste das bemerkt haben, denn er hörte ziemlich schnell zu lachen auf und suchte vertikal in Richtung der Dächer das Weite. Genma setzte ihm nach, Chakra floss in seine Füße und katapultierte ihn himmelwärts, als er sich von den Backsteinen abstieß und zu der gleitend krabbelnden Gestalt aufschloss. Er war zwei Schüsse davon entfernt, Yamoris Arsch an die Wand zu nageln, als der Bastard über den Dachgiebel verschwand.    „Shit“, knurrte Genma, als er über die Dachkante hinweg setzte, ohne auch nur langsamer zu werden.    In einer wahnsinnigen Zickzack-Jagd führte Yamori ihn immer tiefer und tiefer in ein Ghetto; flitzte bröckelnde Seitengassen und heruntergekommene Fassaden entlang, schnitt Ecken, die von schäbigen Bars und windigen Tavernen gesäumt waren und zerrte Genma damit immer tiefer in die Fänge einer Gosse, die so feucht und schmutzig war wie die abgetakelte Drogenkneipe im Tanzaku Viertel. Das hier war die absolut unterste Seite der Gesellschaft, ein öffentliches Elendsviertel, wo es das Sonnenlicht kaum schaffte, die mit Brettern vernagelten Dächer und hoch aufragenden Baracken zu durchdringen, was die Welt in dichte, suppige Schatten tauchte.    Nicht gut.   Kein bisschen. Instinkt sagte ihm, sich zurückzuziehen, die Verfolgung aufzugeben und schleunigst aus dieser potentiellen Todesfalle zu verschwinden. Wäre es irgendeine andere Mission gewesen, dann hätte er das getan. Er hätte der Sache ein Ende gemacht und einfach den Rückzug angetreten.    Aber das hier war keine Mission, die er fallen lassen konnte…   Oder ein Feind, den er entwischen lassen konnte…   Das hier war eine Vendetta gegen seinen ganz eigenen, persönlichen Dämon und sein unangreifbares Bedürfnis, ihn zu zerstören. Solange Yamori lebte und atmete, tat es auch Genmas Vergangenheit. Dieser Echsenfreak war eine Brücke zu einer Zeit und einem Ort, die er verbrennen und begraben musste. Um nichts auf der Welt konnte er einfach davon laufen und das auf sich beruhen lassen; das leben lassen. Es musste verschwinden. Es musste sterben. Er war zu weit gekommen und hatte zu viel erreicht, um zu riskieren, dass irgendwelche losen Enden ihn zurück und wieder nach unten zerrten.    Niemals wieder.   Yamori gab unterdessen die Dächer auf, sprang eine Gasse nach unten und schoss in einen engen Durchgang, um mit einem rasselnden Kichern in den Schatten zu verschwinden. Das Geräusch echote in spöttischer Einladung die Wände entlang zurück, alles verstärkt von der Akustik, die mit denselben kindischen Untertönen von ‚Fang mich, wenn du kannst‘ trällerte.    Genma war nicht auf Fangen aus.    Er war auf Töten aus.    Am Rand des Daches ließ er sich in eine Hocke nieder und lauschte nach mehr Geräuschen, während ein Senbon in seinem Mund hin und her tickte. Das Tippeln von Füßen erscholl schwach aber vernehmbar, zusammen mit dem blechernen Rollen einer Mülltonne, deren Deckel klapperte wie ein Beckenschlag.    Hn. Subtil.   Er kanalisierte weiterhin Chakra in seine Füße, spähte hinunter in die Gasse und erwartete fast schon, dick und fett das Wort ‚FALLE‘ auf eine der Mauern geschmiert vorzufinden.    Nicht das erste Mal, dass ich etwas Unbedachtes tue…   Ziemlich verrückt, wie leichtfertig diese Unbedachtheit jetzt zu ihm zurückkehrte. Schon allein, an einem Ort wie diesem zu sein, schien diese alten, gefährlichen Impulse wiederzuerwecken.    Was genau der Grund ist, warum ich diesem Kerl den Kopf abschneiden werde…   Und zur Hölle nochmal hoffen würde, dass ihm nicht ein zweiter nachwachsen würde. Schuppen. Regeneration. Chakrasteigerung. Das war A bis S-Rang Territorium – seine liebste Art; damals, als Vergnügen ein Wechselspiel zwischen Essen, Kämpfen und Ficken gewesen war.    Hör auf, in Erinnerungen zu schwelgen…   Kopfschüttelnd saugte Genma an dem schlanken Metall zwischen seinen Lippen, dachte über Optionen nach und reflektierte vergangene Methoden und Waffen des Krieges. Wenn Yamori Körperteile regenerieren konnte, dann erschienen Feuer und Rauch auf einmal gar nicht mehr als so schlechte Idee. Sicher, es war ein verstörendes Zurückwerfen zu Tanzaku, aber gemessen an der Situation, mutete dem Tod durch Feuer auch eine Art poetischer Klang an.    Zu viel Gelaber, Shiranui. Es gibt keine Worte, nur Taten.   Zeit, sich endlich in Bewegung zu setzen. Energisch schüttelte er den Schatten einer vergangenen Zeit ab und sprang hinunter in die Dunkelheit der Gasse, landete in einer katzengleichen Hocke, während sich seine bronzenen Augen zusammenzogen und die Umgebung scannten. Warme, abgestandene Luft bewegte sich durch den Durchgang wie ein letztes Seufzen, das aus einer Welt glitt, die nach Fäulnis und Verfall stank.    Bring das schnell hinter dich.   Als er sich die Senbons zwischen die Knöchel schob, drückte sich Genma gegen die Mauer und rückte mit wachsam geneigtem Körper vor, seine Schritte leise und präzise. Er konnte ein komisches, knarzendes Geräusch hören, als würde eine Tür in den Angeln schwingen. Der Geruch von Abfall und Pisse hing in der Luft, befleckt von dem grasigen Gestank irgendeines exotischen Krauts, irgendeiner ‚Einrollen und Rauchen‘-Droge.    Erinnerungsspur…   Sie führte ihn tiefer…   Während er über eine umgestürzte Mülltonne stieg, folgten seine Augen dem verstreuten Pfad aus Kartons und Kisten, eine Spur, die sich auf das Gebiet dahinter ergoss – in einen heruntergekommenen Hof.    Genma hielt sich dicht bei der Wand und warf einen Blick um die Ecke, um sich die Einzelheiten einzuprägen.    Das Gelände war groß und leer, ein Kinderspielplatz war in einen Schrottplatz verwandelt worden. Ein hoher Maschendrahtzaun umgab dieses kleine Erholungsgebiet und das diamantförmige Gewebe davon wurde in düstere Lichtstrahlen getaucht, die durch die löchrigen Dächer fielen. Eine Kinderschaukel stand schief und ohne Sitzflächen da, nur die Längen rostiger Ketten hingen noch herab wie Seile an einem Galgen. Direkt in der Mitte drehte ein verlassenes Karussell sinnlose Kreise, als würde es von Gespenstern angeschoben und die Scharniere ächzten dabei laut. Eine umgeworfene Rutsche leistete einer zerbrochenen Wippe und drei zerstörten Federwipptieren Gesellschaft.    Und dort, kopfüber von den Streben eines oxidierten Klettergerüsts hängend, war Yamori. Sein Echsengesicht spaltete sich in einem schleimigen Feixen voller abgeplatzter Zähne. „Komm schon raus zum Arsch von Nirgendwo, Bruder. Und schau dich gut um, denn du wirst ihn nicht wieder verlassen.“   Diese Drohung war keine leere. Genma hörte das Rascheln von weiteren zwei Körpern, die sich über ihm die Gassenwand entlang bewegten, ihn einkreisten und darauf abzielten, ihn hinaus auf den Spielplatz zu drängen.    Nicht genug Platz, um sich zu bewegen.    Nicht genug Zeit, um sich zurückzuziehen.    Nichts zu tun, außer sich seinem inneren Killer hinzugeben und auf das Beste zu hoffen. Wahnsinniges Denken? Zweifelsohne. Aber zumindest hatte er den Vorteil eines klaren Kopfes. Etwas, das er damals während seiner Drogentage nie gehabt hatte.   Geh das richtig an und die Vergangenheit kommt endlich zur Ruhe…gleich hier, gleich jetzt.   Statt auf den Gossenabschaum zu warten, trat Genma hinaus auf den Hof und ließ seinen Blick über die Umgebung wandern. „Ein Kinderspielplatz? Na das ist doch mal ein hart erkämpftes Revier.“   „Fresse, Schlampe“, fauchte eine Stimme aus der Seitengasse. „Oder ich schädelfick dich in `n Arsch.“   Die Brauen erhoben spähte Genma über die Schulter. „Hat dein Gangsterspielplatz auch eine Schule? Klingt nämlich, als könntest du eine Lehrstunde über menschliche Anatomie brauchen.“   Heulen und bellendes Gelächter echote um den Hof herum und manches davon klang entfernt tierisch. Genma zählte fünf Gestalten, die sich um die Peripherie des Maschendrahtzaunes bewegten, sich in den Schatten hielten und ihn im Dunkeln ließen. Der Typ, den er beleidigt hatte, sprang aus der Gasse. Er bestand nur aus schlaksigen Gliedmaßen und schwang sich herum wie ein Affe, während er eine gezackte Klinge über seine Knöchel wirbeln ließ.    Genma schielte auf die Waffe. „Hn, glitzrig.“   „Und scharf“, lachte Yamori, während sich sein Grinsen noch weiter aufspaltete. „Wie alle Spielzeuge auf der Schule der harten Tour, Mann. Mein Junge Kozaru hier, hat mit Bravur bestanden.“   Erneut ließ Kozaru die Klinge herum wirbeln, saugte an seinen Hasenzähnen und tänzelte ein paar Schritte zur Genmas Rechten. Die Agilität seiner Bewegungen war ebenso überraschend wie der lange, Makaken-ähnliche Schwanz, der sich von der Wurzel seiner Wirbelsäule aufwärts krümmte, hin und her schwang wie ein Kabel und seine Affenschritte ausbalancierte. Sein Gesicht hatte die neandertalähnliche Form eines Primaten und seine langgliedrigen Arme und Beine waren von einem dichten, flauschigen Fell bedeckt.    Genmas Kiefer zuckte heftig.    Ach du Scheiße.   Echsengesicht und Affenmensch. Was kam als nächstes? Hundejunge und Katzenlady? Es war nicht allzu weit hergeholt anzunehmen, dass er im Moment von noch mehr von der Leine gelassenen Freaks umgeben war. Scheiß auf Spielplatz, er fühlte sich, als wäre er gerade in einen Zoo marschiert.    Besorg dir Informationen.   Genma hielt seine Stellung und sein Blick wandte sich wieder Yamori zu. „Ziemliche Freakshow, die du hier am Laufen hast. Sieht aus, dass du heutzutage mit mehr als nur Drogen dealst.“   Während Yamori die Hände ausbreitete, krümmten sich seine Nägel zu kräftigen, gelblich grauen Krallen. „Tja, was soll ich sagen, Mann? Ich bring nur extra krossen Speck für meine Jungs und Mädels nach Hause.“   Ein leises, spöttisches Schnauben von hinten.    Sehr langsam drehte sich Genma um und sah, wie zwei bullige Gestalten seinen Ausgang in die Gasse versperrten. Noch mehr Formen und Schatten zogen die Schlinge um den Spielplatz enger. Sie bewegten sich, als hätten sie das einstudiert. Jedes Mitglied dieser Freakshow war gleichmäßig verteilt und bewegte sich in direkter Koordination; und jedes mit deutlichen Unterschieden in Haltung und Gang.    Acht…neun…zehn…die Quote gefällt mir überhaupt nicht…   Oder die Verpackung, in der sie eingewickelt waren. Genma erhaschte flüchtige Blicke auf die Gestalten, als sie das diffuse Sonnenlicht passierten, das über die Überhangdächer floss; bunte Stachelfrisuren und ein paar rasierte Köpfe; gepierctes Fleisch und tätowierte Gliedmaßen; enges Leder, weite Hosen und glitzernde Accessoires, nur dicke Ketten und scharfe Spielzeuge.    Wirklich originell…   Das Team Klischee hätte ja vielleicht ein Trost sein können, aber hier hörte die Vorhersehbarkeit auch schon auf. Denn in dieses Modedesaster waren vollkommen unmenschliche Elemente geschmissen worden; schlüpfrige Zungen und unnatürliche Körperhaltungen; pelzige Glieder und schuppige Anhängsel; glühende Augen und rasiermesserscharfe Fänge.    Gossen-Punktruppe traf auf Horrorshow-Monster.   Die Art vollkommen kitschigen Flimmerkistenschrotts, den Genma mit einer guten alten Kürbislaterne und einer Schüssel Kürbissuppe begrüßte. Seine Lippen zuckten trocken bei diesem Gedanken. „Halloween ist ziemlich früh dieses Jahr.“   Fauchend wollte sich Kozaru auf ihn stürzen.   „Warte, Ko!“, befahl Yamori, während er sich aus seinem Kopfüber-Hängen in eine Hocke fallen ließ. Langsam richtete er sich auf und drehte seinen neuen Arm, krümmte seine klauenbewährten Finger und hielt sie nach oben, sodass Genma sie sehen konnte. „Solltest nicht respektlos gegenüber etwas sein, was du nicht kennst, Bruder. Sicher, ist nicht alles besonders hübsch, aber `s Leben ist `ne hässliche Gossenhure, nicht?“   „Deine Mum sollte es wissen.“   Das sorgte für einen guten Lacher unter der Freakshow und selbst Yamori schien der Humor zu gefallen, auch wenn sein Grinsen inzwischen grenzwertig dämonisch wurde. „Nett. Du warst schon immer ein Witzbold, Kaika.“   Der alte Deckname kratzte über sein Hirn wie Krallen auf Stahl, Funken des Unbehagens flackerten hinter seinen Augen auf. Energisch wischte Genma die Anspannung aus seinem Gesicht und zuckte träge mit den Achseln, spielte auf Zeit und versuchte einzuschätzen, wie verflucht nochmal er das hier angehen sollte. „Du erinnerst dich an meinem Namen. Das ist süß.“   „Schwer zu vergessen“, erwiderte Yamori und lümmelte sich gegen das Klettergerüst. „Du warst der Liebling vom Boss. Gab nix, was der Irre Kaika nicht machen würde. Konkurrenz kalt machen, Junkies Blut aushusten lassen statt all das Geld, das sie geschuldet haben. Yeah, du hast den Part gespielt. Hast uns alle ausgespielt, Mann. Direkt bis zum fetten Knall.“ Er stieß einen lauten Atem aus und klatschte seine schuppigen Handflächen aneinander. „Nix mehr übrig, außer kross geröstetes Ungeziefer. Hast ein verfickt fettes Loch in meine Welt gesprengt, Bruder. Und dann nichtmal Reue.“   Genmas Brauen zuckten. „Jo. Ungefähr in der Art. Schätze, dass du mir etwas Rache schuldest.“   „Rache?“ Yamori lachte auf und seine Augen weiteten sich bei diesem Wort, als wäre er ehrlich überrascht. „Nah, nah, du verstehst das total falsch, Kaika. Ich schulde dir `ne ganze Welt voller Dank.“   Das brachte Genmas Hirn zum Stillstand. Mit langsam blank liegenden Nerven hob er eine Augenbraue. „Achja?“   „Ja.“ Yamori lachte erneut und seine Echsenzunge schlängelte sich dabei über seine feixenden Lippen. Gemächlich zündete er sich einen Joint an und nahm einen langen, genießenden Zug davon, bevor er mit einem zufriedenen Stöhnen durch die Nase ausatmete und den Faden ihrer Unterhaltung wieder aufnahm. „Hab dir eine großartige Zeit zu verdanken. Hast mich auf einem Fluss aus Blut aus der Scheiße geholt, in der ich bis zum Hals gesteckt habe. Keine Schulden mehr, keine Revierkämpfe mehr, kein Arschkriechen mehr beim Boss oder Kratzbuckeln bei Drogenbaronen, während man mit Dukkha und Rūpa und dem ganzen anderen süßen, seelenverkaufenden Scheiß hausieren geht.“ Er schob sich seinen Dübel hinter ein Ohr und rieb seine schuppigen Hände in einer Zurschaustellung aneinander, bei der er sich von figurativem Schmutz befreite, bevor er verdeutlichend mit den Fingern wedelte. „Weiße Weste für mich und die meinen. Wir haben viel an dieses Feuer verloren, aber das is nichts im Vergleich, was wir hier in Kusa am Laufen haben.“   Amüsiert sah sich Genma betont langsam um. „Jo, du führst so ein richtiges Schlemmerleben. Vom Tellerwäscher bis zum Millionär, ich seh schon.“   „Yo, fick dich!“, spie Kozaru mit ruckendem Kopf und schwingenden Armen aus – es war eine Mischung aus jugendlichem Wutanfall und dem Dominanzgehabe eines Affen. „Du weißt nen feuchten Scheiß, Fotzkopf, wir haben die Welt an den Eiern. Der Souverän hat uns alles gegeben, wa-“   „Halt deine verfickte Schnauze!“, schnappte Yamori und schlug Kozaru hart genug, dass der Affenkopf auf dem dürren Hals nach hinten gerissen wurde. „Verschissener Vollidiot.“   Der Souverän?   Das konnte nicht mehr zurückgenommen werden.    Und sie alle wussten das.    Die Stimmung kippte; subtil, aber absolut. Genma traf Yamoris Blick und setzte ein schmales Schmunzeln auf. „Schätze, das lässt sich nicht mehr retten“, murmelte der Shiranui und spürte bereits, wie der Rest der Freakshow näher kam.    Leise lachend drehte Yamori seine knochigen Schultern und griff nach seinem Joint, um das grasige Zeug tief in seine Lungen zu ziehen. Mit einem Seufzen atmete er aus und seine Lippen zuckten dabei in falschem Bedauern. „Nah, muss dich jetzt verschwenden. Verdammte Schande, Kaika. Ich hätte dir gerne gezeigt, wo’s langgeht. Aber niemand mag einen Shinobi Spitzel, verstehst mich?“   „Jo.“ Genma neigte seine Handgelenke, fühlte das kühle, geschmeidige Gleiten der Senbons, die sich zwischen seine Finger schoben. „Ich versteh dich.“   Offenbar wollte Kozaru an diesem heiklen Gespräch teilnehmen, denn er ruckte vor und zurück wie ein Affe an einer strammen Leine. „Yo, Yamori, lass mich dem Kerl den Arsch aufreißen“, flehte er fast schon, während sich seine Lippen in einer Grimasse qualvoller Zurückhaltung über seinen Pferdezähnen zurückschälten. „Lass mich dieses Stück Scheiße fertig machen.“   „Lass ihn mir, Yamori!“ rief eine Frau fauchend wie ein Puma. „Ich werd ihn so richtig schön zerfetzen.“   „Ich werd gar nix zerreißen“, schaltete sich Freak Nummer Vier mit einer guttural rumpelnden Stimme ein. „Ich werd ihn zerstampfen, aufrollen und in der Pfeife rauchen.“   Das ließ Genma sogar schmunzeln. Punkte für Kreativität. Er hörte noch ein paar weitere, lebensbedrohende Vorschläge, die aus den Schatten geschossen kamen, als die Freakshow begann, Beschimpfungen zu heulen und über Todesstrafen zu streiten.    Ah, immer wieder eine Freude, das Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein.    „Na schau sich das einer an; bist du nicht beliebt?“, gluckste Yamori, sog an seinem dünnen Joint und seine Knopfaugen funkelten amüsiert. „Der Reihe nach, der Reihe nach, Leute! Ich denke, meine Junge Kozaru sollte den ersten Versuch mit unserem kleinen Fisch in der Badewanne haben.“   Kozaru bebte geradezu vor Vorfreude, das dicke Fell auf seinen Armen hob sich in einem Schauern. „Ah, Mann, das wird so gu-“   Genma griff an wie eine Viper. Sein mit Chakra aufgeladenes Senbon traf Kozaru direkt durchs Auge und explodierte aus der Rückseite des Schädels.    Er schnaubte herablassend. „Schädelficke das, Arschloch!“   Kozaru sackte zu Boden.    Jeder versteinerte in einer Szene des Schocks. Es brauchte vier lange Sekunden, bevor sie in Aktion explodierten. Ein voller Zirkus des Chaos in drei Manegen. Der erste Gegner, der sich auf ihn stürzte, war eine Frau, die sich schlangenähnlich auf dem Bauch über den Boden bewegte und das mit einer Geschwindigkeit, die sowohl atemberaubend, als auch surreal war.    Genma schwang herum.    Die Senbons streiften sie, schafften es aber nicht, tief einzudringen, da sie von Schuppen abprallten.    Mit einem Rückwärtssprung hechtete Genma auf das Klettergerüst, stieß sich von dem verbogenen Metall ab und ging in einen Luftangriff über, während er Chakra in seine Knöchel zerrte und den Tod als Stahlspitzen herab regnen ließ. Wenn er genug Abstand zwischen sich und dieser Freakshow herstellen könnte, dann könnte er vielleicht versuchen, sein Kanashibari Jutsu zu nutzen.    Das könnte nach hinten losgehen…   Aber es war auch nicht so, als hätte er wirklich eine Wahl. Er befand sich neun zu eins in der Unterzahl.    Dieser ganze Ärger und das nur wegen so eines ätzenden Stücks Scheiße.   Er suchte den Hof nach Yamori ab und versuchte, sein vorrangiges Ziel ins Visier zu nehmen. Etwas rammte sich mit der Wucht einer Kanonenkugel in ihn. Sein Flakjacke fing zwar ein Bisschen von dem Aufprall ab, aber der Hieb zerschellte seinen Angriff und raubte ihm den Atem. Keuchend drehte er sich mitten im Sturz und trieb seine Knöchel aufwärts in den Bauch des gorillagroßen Schlägers, der über seinen Kopf segelte.    Der Gorillakerl stieß ein unmenschliches Heulen aus und trat mit beiden Füßen nach unten.    Rasch verschränkte Genma die Arme und fing den Schlag damit ab, spürte aber, wie seine Knochen erzitterten. Krachend landete er in einem ruinierten Sandkasten, verspritzte schmutzige Körner und zerborstenes Glas in einem feinen Regen in alle Richtungen. Er rollte in dem Momentum mit und rappelte sich wieder auf die Füße.    Ein katzenhaftes Fauchen ließ seinen Kopf nach oben zucken.    Katzenlady stürzte sich auf ihn, um ihn mit einem Knirschen zurück gegen den Sand zu rammen. Sein Kopf schlug gegen die Einfassung des Sandloches und Funken zerplatzten vor seinen Augen. Mit dem geschmeidigen, verführerischen Schwung einer Liebhaberin setzte sie sich rittlings auf ihn, bevor sie ihre Fangzähne entblößte, die goldenen Augen zu Schlitzen verzogen und brennend vor Hass.    Und dann ging sie ihm an die Kehle.    Knurrend hämmerte Genma seinen linken Unterarm gegen ihr Kinn, hielt diese feinen, spitzen Fänge von sich fern, als nur sie Zentimeter von seiner Luftröhre entfernt zuschnappten. Vampirzeug. Und zwar nicht die erotische Phantasieart von Vampirzeug. Sie wand sich auf seinem Schoß und kämpfte darum, über seinen Arm hinweg zu setzen, während sie ihre Nägel über seine Flanken kratzen ließ und tiefe Rillen in seine Flakjacke riss.    Shit!   Wenn diese Klauen noch etwas tiefer kamen, dann würde er lebendig gehäutet werden. Über das Donnern seines eigenen Herzschlages und dem porzellanhaften Klacken und Schnappen der Kiefer der Frau, konnte er Lachen hören, das über den Spielplatz wogte zusammen mit Schreien und ermutigenden Jubelrufen. Offensichtlich war der ‚Kehle rausreißen‘-Trick der Katzenlady ein Publikumsliebling.    Und dann veränderten sich die Geräusche der jubelnden Menge.    Ein plötzliches Brüllen erscholl; viel zu hoch, um ein Rufen zu sein – mehr wie ein Schrei.    „KIBAKU HANA!“   Eine Explosion folgte, ein plötzliches BOOM, das die Welt weißwusch und Genmas Ohren schrillen ließ. Geblendet presste er die Lider aufeinander, lenkte Chakra in seine rechte Hand und ließ sie nach oben schwingen. Mit einem soliden, chakrageladenen Schlag traf er Katzenladys klingelndes Ohr. Die ohrenbetäubende Wucht zerfetzte ihr Trommelfell. Sie stieß ein schrilles Kreischen aus und taumelte zurück. Genma folgte seinem Schlag mit einem bösartigen Schnappen seines Ellbogen, der sich in die Unterseite ihres Kinns hämmerte und ihren Kiefer bersten ließ.    Seitwärts ging sie zu Boden.    Rasch rollte sich Genma unter ihr heraus und hustete in seine Armbeuge, während er durch den Rauch blinzelte, der in dichten, lilanen Wolken über den Spielplatz wogte.    Gift…   Während er einen Atem verschluckte, wich Genma außer Reichweite des Rauches zurück, hörte das würgende Husten und Bellen der Bande, als sie sich abmühten, dem lilanen Leichentuch zu entkommen.    Kibaku Hana…?   Blumenbombe. Das war ein Konoha Explosiv. Eine Yamanaka Spezialität. War ihm eins der Chūnin Kids gefolgt?    Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzugrübeln.    Eine verhüllte Gestalt brach aus dem lilanen Wirbel. Sie trug eine gruselige Onyrō-Maske und wirkte wie ein Dämon aus der Hölle, das scharlachrot lackierte Gesicht dominiert von einem grotesk anzüglichen Grinsen, das den feixenden Mund von Ohr zu Ohr spaltete.    Kein Mitglied der Freakshow, aber auch nicht weniger ein potentieller Feind.    Kampf, oder es herausfinden?   Scheiß drauf.   Während er zurück tänzelte, riss Genma zwei weitere Senbons heraus und ließ sie fliegen.    Flink zog die maskierte Gestalt ein kurzes Tantō, um die Nadeln mit zwei scharfen Bewegungen des Handgelenks abzuwehren. Nutzlos schlitterten sie über den Boden. Köderschüsse. Sie vermittelten Genma einen Eindruck von der Geschwindigkeit dieses Kerls. Und verdammt ja, er war schnell.    Aber ein bisschen zu ungeduldig.   Der maskierte Mann hatte seinen Spurt nicht verlangsamt und brachte sich selbst in direkte Reichweite. Tödlicher Fehler. Genma schmunzelte, visierte die Vitalpunkte seines Ziels an, feuerte drei chakrageladene Schüsse ab – und verfehlte.    VERFEHLT?   Genmas Augen flogen weit auf. Auf keinen Fall hätte er bei dieser geringen Entfernung verfehlen können. Aber es war auch nicht Geschwindigkeit, die den maskierten Mann gerettet hatte, es war Intuition. Der Typ bewegte sich, als wüsste er exakt, was Genma tun würde; vom Winkel der Schüsse, über die Geschwindigkeit des Wurfes bis hin zu den Nerven, auf die er zielte.    Einfach alles.   So geschockt er auch war, Genma verschwendete keine Zeit, mit offenem Mund zu glotzen. Stattdessen stürzte er sich in eine Taijutsu-Offensive – mit genau demselben verdammten Effekt. Dieser Kerl schien seine Bewegungen völlig intuitiv zu verstehen und passte sich ihnen mit einer Nahtlosigkeit an, die einem Beobachter vielleicht als ästhetisch schön erschienen wäre; doch sie diente im Moment nur dazu, dass es Genma eine gottverfickte Angst einjagte. Völlig ungeachtet der Ernsthaftigkeit oder Heimlichkeit seiner Schläge, sie wurden mit einer Leichtigkeit und Anmut abgeblockt und pariert, die seinen Taijutsu Ansturm auf eine spielerische Trainingseinheit reduzierte. Ein Hieb-und-Stich-Spiel zwischen zwei Kämpfern, die ganz genau wussten, wie der jeweils andere kämpfte.    Nur kannte Genma diesen Mann nicht.    Aber ohne Zweifel kannte dieser Mann ihn – oder zumindest seine Bewegungen.    Was zur Hölle ist das hier? Eine Art spiegelndes Jutsu?   Er bemerkte keine erhöhten Chakrawerte und während der andere Kerl zwar Anzeichen von Anstrengung zeigte, zog er dennoch nichts spektakulär Auffälliges oder Ernsthaftes ab. Tatsächlich schien er das alles ziemlich locker zu nehmen, was Genma die Frage aufdrängte, ob er von seinem dämonengesichtigen Tanzpartner gerade zum Narren gehalten wurde.    Zorn flackerte hinter seinen Augen auf und sein Stolz fing Feuer.    „Hurensohn“, knurrte Genma.   Schon seit Jahren hatte er keinen Mann-gegen-Mann Kampf mehr verloren. Und auf keinen Fall würde er zulassen, dass diese Siegesserie abriss. Eher würde er das Bein dieses Arschlochs brechen – was auch genau das war, worauf er abzielte. Nah am Boden schwang er herum und rammte seinen Fuß in Richtung des Knies des Maskenmannes, um es brechen zu lassen wie einen Zweig. Der Kerl lenkte den Kick mit dem Fuß ab und schob sich dazwischen – genau wie Genma gehofft hatte.    Da!   Rasch zog der Shiranui ein Kunai in seine Handfläche und warf sich nach vorn, um der Attacke zu begegnen. Abgemessen in Herzschlägen, brauchte seine Hand nur einen halben Schlag, um sich zu bewegen und es brauchte auch nur einen halben Schlag für den Typ, sich wegzudrehen.    Einen vollen Herzschlag später und Blut spritzte in einem feinen Regen in die Luft.    Hab ich dich!   Die Enormität dieses kleinen Sieges schwappte wie eine Welle durch Genma. Doch es war ein sehr kurzlebiger Triumph. Er hörte das Reißen von Gewebe, aber nicht das Quetschen von Muskeln. Er hatte fast nur Stoff und Haut aufgeschnitten, hatte sich sauber durch den Mantel gerissen, um einen festen, blassen Bizeps bloßzulegen, die Muskeln straff gezogen und ein dünner Strom aus Blut lief über das Fleisch, um einen klaren, roten Streifen durch ein spiralförmiges Tattoo zu ziehen, das -   Genmas Herz fror ein und ruckartig kam sein gesamter Körper zum Stehen.    ANBU.   Das charakteristische Tattoo.    Sein Zögern kostete ihn seine Waffe.    Sofort nutzte der maskierte Mann seine Ablenkung und trat Genmas Hand mit solcher Kraft beiseite, dass das Kunai wirbelnd aus seinen Fingern flog. Er bekam überhaupt nicht die Gelegenheit, es sich wieder zu holen. Maskenmann trat in seine Deckung, setzte die Spitze seiner Tantō-Klinge gegen die Mulde an Genmas Kehle und trieb ihn so zurück, bis seine Wirbelsäule gegen den Maschendrahtzaun stieß.    Für eine lange, komplizierte Sekunde, bewegte sich keiner der Männer.    Im Hintergrund schwebte violetter Nebel davon und offenbarte die im Dreck liegende Freakshow, immer noch atmend, aber ausgeknockt – was vermutlich ein nicht zu unterschätzender Segen für Katzenlady war, wenn man bedachte, dass sie tot wohl besser dran wäre, so wie ihr Kiefer halb abgerissen von ihrem Gesicht hing.    Stirnrunzelnd wanderten Genmas Augen zurück zu der maskierten Gestalt, bevor er seine Hände in einer Geste des Friedens nach oben hielt und schwer atmete. „Du bist ANBU.“   Der verhüllte Kopf neigte sich marginal, wobei die stilisierte Dämonenmaske funkelte. „Halte dich fern von hier“, sagte der Mann.    Genma versteifte sich. Es war nicht wegen der Warnung in dieser Stimme, sondern wegen der Textur davon. Vertrautheit traf ihn wie ein Hammer auf einen Gong. Sie rang laut und lang in den Kammern seines Verstandes, hallte in einem dunklen, leeren Ort in seinem Inneren wider…einem Ort, der lange an Staub und Zeit verloren gegangen war. Es war eine vertraute Stimme, aber eine unmögliche.    Unmöglich.   Blinzelnd schüttelte Genma das Gefühl ab und fand seine Stimme wieder. „Wieso?“   Das maskierte Gesichte tickte warnend zur Seite, oder vielleicht musterte der Kerl auch einfach nur Genmas Gesicht, denn für eine sehr lange Zeit antwortete er nicht. Und als er wieder sprach, schien seine Stimme leiser, heiserer und kaum mehr als ein Murmeln zu sein. Ein Verfälschungstrick. „Du mischst dich ein.“   Genma hob eine Braue. „Das kann ich zurückgeben. Ich habe mit einem von diesen Bastarden noch eine Angelegenheit zu erledigen.“   „Das ist zu dumm.“   „Wird es für dich sein, wenn du mir in die Quere kommst.“   Darüber hob Maskenmann leicht das Kinn. Amüsiert? Genervt? Wer wusste das schon. Diese Maske sah durch und durch angepisst aus. Genma sagte nichts weiter und sein Herz hämmerte heftig in seiner Brust. Die Spitze der Klinge ruhte noch immer an der Mulde seiner Kehle, kletterte jetzt aber etwas höher und strich über seine Haut. Vielleicht war das alles nur in seinem Kopf, vielleicht war es auch in seinem taumelnden Herzen, aber er hätte schwören können, dass etwas Intimes in dem kühlen Kuss des Stahls an seinem Kiefer lag.    „Meine Mission macht deine unerledigte Angelegenheit überflüssig“, sagte der Mann.    „Wie lautet dein Deckname?“, forderte Genma ihn heraus, da er nicht willens war, ein ANBU Tattoo für bare Münze zu nehmen, das vielleicht gefälscht war; wäre nicht das erste Mal, dass das passierte.    Maskenmann schüttelte den Kopf. „Ich antworte, wie ich muss.“   Genma versteifte sich und zog überrascht den Kopf zurück, während Abscheu seinen Mund verdrehte. „KERN, huh? Hätte ahnen müssen, dass Danzō mit einem Fuß in Kusas Gosse und mit dem anderen in meinen Arsch stecken würde. Ich verhandle nicht mit dem Ursprung.“   „In diesem Fall wirst du das.“   „Achja? Wieso das?“   Die Klinge an seinem Hals drehte sich, verdeutlichte den Punkt, die Macht und den größeren Penis. Ein warmer Tropfen aus Blut schlängelte sich Genmas Haut hinab. Während er eine Braue hob, schielte er mit einem rasiermesserscharfen Grinsen auf die Klinge. „Meine Güte. Du bist entzückend.“   „Und du bist großspurig.“   „Wie der Pik-König, mein Freund.“   „Zeit, auszusteigen.“   „Du musst wohl ein paar Karten zu wenig im Deck haben. Beim Eins-gegen-Eins Poker steige ich niemals aus.“ „Du hast deine Hand doch schon sehen lassen.“   Mit falscher Unschuld blinzelnd, wurde Genmas Schmunzeln noch breiter. „Was denn? Mit der Freakshow vorhin? Nah, ich spar mir mein Ass im Ärmelloch für dich auf.“ Hier machte er eine Pause und schnitt eine Grimasse. „Soll keine sexuelle Anspielung sein, nur so am Rande.“   Der KERN-Mann stieß ein seltsames Geräusch aus. Es hätte ein Lachen sein können…nur lachten Leute von KERN nicht. „Du willst, dass ich bei deinem Bluff mitgehe?“   „Nur zu. Du kommst mir nicht wie ein Falschspieler vor.“   „Muss an meinem Pokergesicht liegen.“   Genma biss sich auf die Zunge, um nicht zu lachen, aber seine Augen warfen warme Fältchen. „Du bist ziemlich witzig für jemanden von KERN.“   „Und du bist töricht für einen Ex-ANBU.“   Sofort erstarb die Belustigung in Genmas Augen und ließ nur kühle Leere zurück. „Sollte ich mich geschmeichelt fühlen, dass du mich scheinbar kennst?“   KERN-Mann erwiderte nichts.    Genmas Blick wurde schärfer und suchte dieses maskierte Gesicht nach sichtbaren Rissen ab. Die Augenlöcher waren zu dunkel, zu tief, um irgendein Zeichen der Augen preiszugeben, die ihn ansahen. Und trotzdem spürte er, wie dieses unsichtbare Starren durch ihn kroch wie ein fröstelnder Wind…ein kaltes Wissen, das er nicht einordnen konnte…   Verwirrt blinzelte er und seine Stimme wurde rau. „Kenne ich dich, Agent?“   Die behandschuhten Finger zuckten kaum wahrnehmbar um den Griff des Tantō. „Nein.“   Nein.   Nein.   NEIN.   NICHT MEHR!   Die Erinnerung ließ zur selben Zeit los wie Genmas Verstand.    Abrupt.    Und mit Brutalität. Und mit Verzweiflung. Zur Seite geworfen taumelte er ein paar Schritte in den zerbrochenen Raum innerhalb seines Geistes; der zerbrochene Raum mit all seinen zerbrochenen Wänden und all seinen zerbrochenen Zahnrädern. Er rammte die Falltür zu der Vergangenheit zu und hörte, wie sie unter den Dielenbretter rasselte, nach Rissen, nach Löchern, nach Schwachstellen suchte. Er warf sein gesamtes Gewicht dagegen, hielt sie unten, hielt sie drinnen.    „Nicht mehr“, skandierte er, schrie er. „Nein. Nein. Nein.“   ~❃~   „Nein.“   Das schwache Krächzen des Wortes gegen Kakashis Hals ließ ihn mitten im Korridor innehalten und taumeln. Schmerz riss sich aufwärts durch seinen zerfetzten Schenkel und beinahe wäre er eingeknickt. Keuchend drehte er sich gerade noch rechtzeitig, um die kostbare Fracht in seinen Armen zu schützen. Stattdessen krachte sein Rücken gegen die Wand und erschütterte Genmas bewusstlosen Körper.    Fall nicht hin…fall nicht hin…   Für ein paar donnernde Herzschläge machte er Rast und sein Atem stieß grob gegen seine Maske. Es war eine Schwerstaufgabe, einfach nur zu atmen. Das Blut pochte in seinem Kopf und selbst, wenn er nicht von den Sprinklern bei F&V abgespritzt worden wäre, wäre er inzwischen dennoch durchnässt gewesen, denn sein Körper war schweißüberströmt, seine Muskeln bebten vor Erschöpfung und er war nur ein paar Zuckungen von einem Kollaps entfernt.    Nein…konzentrier dich…konzentrier dich…   Schmerz pulsierte unerbittlich und blendend hinter seinem linken Auge.    Gott…fast da…nur noch ein bisschen weiter…   Er blinzelte gegen den Schmerz an und ein Spalt einer glühend roten Iris spähte unter seinen Wimpern hervor, als er den Kopf gegen die Wand drehte und sich um Fokus bemühte. Seine Sicht verwandelte sich rapide in einen Tunnel und wanderte weit fort, brachte Tiefe und Dimension mit herankriechender Dunkelheit durcheinander. Völlig egal, wie energisch er blinzelte, der dämmrig beleuchtete Korridor schien sich meilenweit vor ihm zu erstrecken und die Tür am entfernten Ende verschwamm zu einem verzerrten Rechteck.   Komm schon…komm schon…   Wenn er Genma jetzt fallen ließ, dann würde er es niemals schaffen, ihn wieder hochzuheben.    Ich werde dich nicht loslassen…   Dieses Versprechen schlug einen ersterbenden Funken in seinem Netzwerk, befeuerte eine Glut der Stärke für den letzten Zug, die letzte Anstrengung. Keuchend stolperte er näher, sein Sichtfeld wurde dunkler, seine Atmung tiefer, bis er blindlings und atemlos in das solide Holz der Tür taumelte und es gerade noch schaffte, seinen Körper dabei seitwärts zu drehen, um Genma vor dem Aufprall zu schützen.    Bellen erscholl…entfernt…dann nah…direkt jenseits der Tür…   Kakashi versuchte, zu rufen, sackte aber gegen den Türknauf zusammen, sein Körper begann abzurutschen. Er spürte, wie er in Zeitlupe glitt, mit Genma beschützend gegen seine Brust gedrückt nach unten sank. Seine Knie schlugen auf dem Boden auf, als die Tür aufflog und Licht seine versagende Sicht in einem blendenden Rechteck ausfüllte.    Eine Silhouette trat nach vorn, umrahmt wie von einem Heiligenschein…das Licht floss überall um sie herum wie Flügel…   Sie sah immer noch wie ein Engel aus…   „Kakashi“, hauchte Kurenai.   Kakashi lächelte in das Licht…und dann glitt er in die Schwärze.         __________________ Glossar: Onyrō Noh Maske: Eine Maske die beim traditionell japanischen Noh-Theater benutzt wird und rachsüchtigen Geist repräsentiert Hey meine Lieben :)  Ein ganzes Kapitel nur zu Genma und Kakashi...naja und ein bisschen zu Ibiki :D Hier erfahrt ihr die Vergangenheit zum ersten Mal aus Genmas Perspektive und ich bin schon sehr gespannt, was ihr dazu sagen werdet, denn er trifft in seiner Erinnerung hier ja auf eine sehr wichtige Person ;)   Ich hoffe natürlich sehr, dass es euch gefallen hat! *-* Vielen vielen Dank wie immer an all meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!!   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)