Under these Scars von _Scatach_ (Teil Vier der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 17: A sheltering wing ----------------------------- Übelkeit; sie wirbelte in widerlichen kleinen Strudeln durch Shikamarus Eingeweide und entzog ihm jede Farbe, obwohl die Sonne durch das Blätterdach stach und seinen Nacken grillte. Seufzend rieb er sich über das Genick und duckte sich unter einem tief hängenden Lianengewirr hindurch, als das neun Meter lange Boot die Blätterranken passierte. Angetrieben von einem schweren Ruder kreuzte das Schiff in einer beständigen Geschwindigkeit dahin, schnitt sich durch die gurgelnde Strömung und die kleine Bugwelle kräuselte sich mit Pflanzen und Treibgut.    Ein trötender Ruf erscholl über ihm.    Shikamaru hob den Blick und beobachtete eine Gruppe Affen, die sich geschickt über die Brücke aus Ranken über dem schmalen Nebenfluss schwang, den ihr Führer sie entlang navigierte.     Eine Abkürzung zur Kannabi Brücke.   Zu blöd. Shikamaru hätte nichts gegen die weniger zweckmäßige Route gehabt. Scheiße, er hätte diese extra Stunde brauchen können, um seinen Kopf zu sortieren. Fühlte sich, als würden in seinem Schädel wilde Ranken wachsen und Gedanken daran herum schwingen wie die Affen über ihm; nur ohne die Agilität oder den Sinn für eine Richtung.    Was zur Hölle stimmt nicht mit meinem Chakra? Warum ist das passiert? Wie ist das passiert? Und wie zur Hölle kann ich es wieder richten?   Nejis Vorschlag schnitt sich wie eine Machete durch dieses mentale Chaos. ‚Ich schlage vor, dass du vollständig darauf verzichtest, Ninjutsu zu nutzen.‘ Shikamaru verzog das Gesicht, als sich die Klinge dieser Worte direkt bis zu den Wurzeln des Problems grub. Witzig, wie er all die Zeit so sehr darum besorgt gewesen war, seinen Kopf gerade zu halten, dass er gar nicht darüber nachgedacht hatte, dass das Problem viel eher physisch statt psychisch war.    Sollte es nicht eigentlich eine Erleichterung sein, dass es nur mein Chakra ist, das sich aufführt und nicht, dass ich ein bisschen verrückt werde?   Das hatte er sich nun schon wiederholte Male gefragt und die Frage wieder und wieder auf das beunruhigte Gefühl in seinem Innern geworfen.    Okay. Also das ist jetzt wirklich so richtig abgefuckt. Aber zumindest ist es nicht die Art von abgefuckt, wegen der ich so ausgetickt bin.   Wenn schon sonst nichts, dann sollte das die Priorität sein. Solange das Problem nicht in seinem Verstand lag, konnte er diese beschissenen Dinge so nehmen, wie sie waren. Er hatte bereits den größten Teil dieser dämlichen Bootsreise damit verbracht, in grübelnder Stille am Bug zu hocken und den Schlag zu verarzten, den sein Hirn hatte einstecken müssen.    Aber das ist es nicht wirklich, oder? Es ist ein Schlag gegen meine Muskeln…   Ja. Nicht gerade seine Stärke. Er war der Verstand, nicht die Muskeln. Er vertraute seinen Teamkameraden. Wusste, dass sie genug starke Kämpfer im Team hatten, um alles zu kompensieren, was er vielleicht an der Ninjutsu Front beigetragen hätte – was Neji mehrere Male hervorgehoben hatte und in eloquenten Erklärungen alles auf eine einzige, essentielle Tatsache reduziert hatte.    Ich brauche kein Chakra, um mein Hirn zu nutzen.   Solange sein Kopf wie gehabt funktionierte, konnte er sein Ninjutsu auch im Lockdown halten, bis sie wieder in Konoha waren. Es war beschissen, gar keine Frage, aber die Risiken, die eine Weigerung seinerseits herbeiführen würde, waren nicht herauszufordern. Wenn er sich hierbei gegen Neji stellte, dann würde er zu einer Belastung werden. Er würde die Mission in Gefahr bringen. Er würde Ino und Chōji in Gefahr bringen. Er würde sie alle in Gefahr bringen.    Wird nicht passieren.   Eher würde er sich selbst in Gefahr bringen. Nicht, dass Neji das zulassen würde, wenn man seine Agenda bedachte, Shikamaru an die Rückseite des Spielbretts zu bewegen.    Hn. Zumindest hat er dich vorgewarnt…   Was mehr war, als er Neji in Hanegakure gegeben hatte. Kluger Zug, die Trumpfkarte der Schuldgefühle auszuspielen. Shikamaru hatte überhaupt keine Verteidigung dagegen. Und so sehr er es auch hasste, zu der Rolle des ‚Hinter den Linien‘-Strategen delegiert zu werden; es machte einfach Sinn. Vollkommenen Sinn. Die ‚Dämlich Simpel‘ Art von Sinn, die seinen Verstand hätte beruhigen und sich richtig in seinem Innern hätte anfühlen sollen.    Also warum fühle ich mich dann, als würde ich gleich das Frühstück auskotzen, das ich nicht hatte?   Es saß unberührt an seinen Füßen. Eine suppige Schüssel aus Brühe, die er wahrscheinlich so oder so ausgespien hätte; zumindest nach der ziellosen Unterhaltung zu urteilen, die von der anderen Seite des Bootes herüberschwebte, wo sich der Rest des Teams vor der Sonne zurück gezogen hatte und unter dem trockenen Strohdach Schutz suchte.    „Das Zeug schmeckt wie der Fluss, in dem ich fast abgekratzt wäre.“   „So schlimm ist es nicht“, erwiderte Chōji.    „Nicht so schlimm am Arsch. Wenn ich die Scheißerei kriege…“   „Kiba!“, tadelte Ino. „Warum musst du immer so ekelhaft sein?“   „Was denn? Ich habe nicht gesehen, wie du das Zeug isst. Wartest du auf dein Silberlöffelchen, Prinzessin?“   Ein Klatschen von Inos offener Handfläche auf weichem Leder und Shikamaru musste den amüsierten Ausdruck auf Kibas Gesicht nicht sehen, um ihn in seiner Stimme hören zu können. „Mann diese ganze ODA. Ein Kerl könnte da echt auf falsche Ideen kommen.“   „ODA?“, fragte Sai.    Tenten kicherte. „Offene Darstellung von Anzieh-“   „Aggression“, funkte Ino dazwischen. „Weil jede offene Darstellung, die ich jemals mit Kiba zeigen würde, meinen hochhackigen Schuh in seinem Rist beinhaltet.“   Kiba gluckste. „Ich wette, dass ich ein paar Kreise um dich und deine gruseligen Schuhe tänzeln könnte, Trampeltier.“   Ino hustete ein Lachen hervor, das eher aufgeschreckt, statt höhnisch klang. Shikamaru wartete auf ihren schnippischen Konter und seine Brauen hoben sich überrascht über ihr Schweigen. Punkt für Inuzuka, wie es schien.    „Shikamaru?“   Der Nara hob den Kopf und blinzelte gegen das Netzhaut verätzende Licht, das von Narutos Hitai-ate abprallte, als der Jinchūriki durch die Sonnenstrahlen schritt, die durch die Baumkronen fielen. Offenbar suchte er nach einem Fleckchen Schatten. Er lief ein paar Mal im Zickzack, gab dann aber auf und ließ sich gegenüber von Shikamaru auf das Deck fallen, während er das Frühstück des Nara mit einer Grimasse beäugte.    Der Schattenninja hob eine Braue. „Jo, nichtmal mein Vorrat an Gutscheinen wird dich vor diesem Mist retten.“   Naruto warf besagtem Mist einen bösen Blick zu und rutschte nach hinten, bis sein Rücken gegen das Bollbord stieß. Grunzend legte er seine Arme auf der hölzernen Kante ab und begann, einen sinnlosen Rhythmus mit den Handflächen darauf zu trommeln, als er das Gesicht nach oben zu den Baumkronen kippen ließ. „Mann, ich dachte ja, Yamato-taichou wäre schlimm. Aber Neji ist so ein richtiger Geizkragen.“   „Er muss anhand eines Budgets arbeiten, Naruto“, erwiderte Shikamaru. „Es gibt eine Menge unbekannter Ausgaben, die wir vielleicht mit einberechnen müssen. Erinnerst du dich an den Laden, den du in Hanegakure zu Kleinholz gemacht hast, als du mit diesen Vögeln völlig übertrieben hast?“   Bei diesem Vorwurf zuckte Naruto leicht zusammen und warf ihm einen schlitzäugigen Blick zu. „Weißt du, das war deine Idee, Shikamaru.“   „Ablenkung war meine Idee. Nicht Zerstörung von Eigentum. Wir mussten das hinterher bezahlen. Und es war nicht gerade billig.“ Das ließ er erstmal sacken und sah dabei zu, wie sich Narutos Mund zu einer zerknirschten Schnute verzog, bevor er hinzufügte: „Neji muss einige Dinge berücksichtigen und für vieles aufkommen. Komfort und gutes Essen gehören nunmal einfach nicht dazu. Logistisch betrachtet macht er genau das, was jeder gute und vorausdenkende Taichou tun würde. Also sei etwas nachsichtiger mit ihm.“   Missbilligend grummelnd sackte Naruto mit verschränkten Armen zurück, doch sein mürrischer Ausdruck erhellte sich durch das Funkeln in seinen Augen. „Wie kommt es eigentlich, dass du überhaupt so viele von diesen Gutscheinen hast?“   Shikamaru spähte über die Schulter und gestikulierte mit einem Rucken des Kinns zu Chōji. „Dank Chōji. Seine strikte Weigerung einer Diät bringt uns echt verrückte Rabatte ein. Asuma hat die ganzen Gutscheine immer eingesammelt, um sie dann nach den Missionen zu benutzen…“ Seine Worte liefen langsam aus und seine Kehle verschloss sich, als er darum kämpfte, den Satz zu beenden und sich heftig bemühte, ein weiteres Lächeln aufzusetzen und lässig mit den Achseln zu zucken. „Eine der weniger wichtigen Dinge, die er auf mich übertragen hat. Seine Wohnung wäre mir lieber gewesen, aber hey.“   Narutos Augen warfen in einer schwachen Imitation von Belustigung Fältchen und sein Grinsen hing etwas schief, als versuchte, diesen falschen Humor zurück zu geben. „Weißt du, wenn es nicht dank Asuma-sensei gewesen wäre, hätte ich niemals den Windstil gemeistert. Er war ein großartiger Lehrer.“   Die Wärme in Narutos Stimme tröpfelte langsam durch die Trauer, die in diesem düsteren, leeren Winkel von Shikamarus Herz hing und zog seine Aufmerksamkeit auf den Schmerz, der dort lauerte; eingerollt wie ein Kind. Es stahl ihm noch immer den Atem. Brannte noch immer hinter seinen Augen. Machte ihm immer noch eine Todesangst.    Ich kann mich immer noch nicht dorthin begeben…   Und was ebenso weh tat, war, zu wissen, dass Ino und Chōji das von ihm wollten. Sie alle hatten die tapferen Gesichter getragen, die von ihnen erwartet worden waren. Hatten alle die Ansprache der Shinobiveteranen darüber gehört, jemanden zu verlieren. Aber in den stillen Momenten, wenn man selbst die einzigen Menschen war, die es zu überzeugen galt, dann konnte Shikamaru den Schmerz sehen, der durch Chōjis Augen brach. Konnte ihn in Inos Worten beben hören. Konnte ihn schwer und bitter in seiner eigenen Kehle schmecken.   Ich kann nicht…   Shikamaru wich in die Schatten der Vermeidung zurück und strich mit den Händen über seine Schenkel, bevor er sich nach hinten lehnte, um sowohl Narutos Blick, als auch dieser Unterhaltung zu entkommen. Sein Blick wanderte über die Seite des Bootes.    Naruto rutschte seitwärts; unbehaglich oder unsicher – beides. „Bist du okay? Sakura meinte, dass da irgendein Zeug ist, dass dein Netzwerk durcheinander bringt.“   Sowas in der Art…   Dieser Moment verlangte nach einer sofortigen Bestätigung, was bedeutete, dass er Naruto denselben Schwachsinn vorsetzen musste, den Sakura bereits aufgetischt hatte. Seufzend suchte der Schattenninja die langweiligsten und nichtssagendsten Brocken medizinischen Geschwafels heraus, an die er denken konnte. Hoffentlich würde Naruto den Appetit an diesem ganzen Drama verlieren, wenn es bedeutete, an medizinischem Fachjargon nagen zu müssen. Scheiße, Shikamarus Magen drehte sich bereits, wenn er nur daran dachte.    Shit…wie lange war mein Chakra schon so? Die ganze Zeit seit meinem Geburtstag? Schon vorher? Was habe ich verpasst? Wie zur Hölle konnte ich es verpassen? All diese Vorfälle, die ich als Schlafmangel abgetan habe…war das etwas völlig anderes?   Und ein Vorfall ganz im Speziellen schnellte aus seinem Unterbewusstsein herauf, um sich in einem Aufblitzen von Bildern über seinen Verstand zu rollen.    ‚Im Ernst Shikamaru. Versuch es.‘ Warme Finger pressten sich über sein Herz, Temaris Handballen ruhte dort und trug dasselbe Gewicht in sich wie eine Faust, die gegen seine Brust hämmerte. Nein, das war sein Herzschlag. „Trau dich“, sagte sie.    ‚Man kann einen Schatten nicht ins Licht zerren.‘   Sinnliche, petrolfarbene Augen wandten sich ihm zu und zogen sich katzengleich zusammen. ‚Du hast Angst.‘   ‚Wenn du das sagst.‘   Ihre Berührung fiel von seiner Brust und er konnte wieder leichter atmen…bis ihre Worte hervor krochen und ihn packten. ‚Die Hölle ist ein Paradies, wenn man selbst der Teufel ist, Shikamaru. Verweile nicht zu lange in deinen Schatten. Denn ansonsten bekommst du vielleicht einen Geschmack von etwas noch Dunkleren.‘   Seine Lippen teilten sich um ein Schmunzeln. ‚Ich-‘   Und hier begann die Erinnerung zu taumeln wie ein fehlerhaftes Video, ein beschädigtes Band, das die Szene verzerrte und das Geräusch seiner Stimme verdrehte. Es übersprang das, was auch immer zur Hölle er ihr als Antwort gesagt hatte.    Nein. Warte. Was verdammt nochmal habe ich gesagt?   Er konnte sich nicht erinnern, konnte es nicht zurückspulen…konnte nur Temaris Erwiderung lauter drehen; ihre leisen Worte verstärkt von der Leere seiner verlorenen Antwort und sie trugen dieselbe Wachsamkeit – dieselbe Warnung – in sich wie ihre Augen…   ‚Was deine Dunkelheit wahrscheinlich nur noch gefährlicher macht als die von irgendjemandem sonst, solltest du zulassen, dass du fällst.‘   Die Erinnerung brauchte fünf Sekunden, um sich abzuspielen. Aber auf der anderen Seite dieser fünf Sekunden lag ein Schweigen, das dafür sorgte, dass sich Narutos Brauen besorgt zusammenzogen. Nicht, dass Shikamaru das bemerkte, außer mit den periphersten seiner Sinne.    Obwohl er Naruto direkt ansah, starrte er durch den anderen Ninja hindurch, die Augen in einem blanken Stieren eingefroren, als er seinen Verstand nach den fehlenden Bildern in der Filmrolle der Erinnerungen absuchte.    Was zur Hölle habe ich zu ihr gesagt?   Oder noch wichtiger; warum zur Hölle hatte sein Hirn ausgerechnet diese Erinnerung gegen die große, blanke Leinwand in seinem Geist projiziert? Hatte er nicht mit Neji gekämpft, als sein Chakra so aus der Reihe getanzt war?   Naruto lehnte sich nach vorn und berührte ihn am Knie. „Shikamaru?“   Bei der Berührung zuckte der Schattenninja zusammen und begegnete Narutos Blick mit weiten Augen, während er spürte, wie sein Fokus wie ein Gummiband zurückschnappte, um sein Hirn aus dem Stillstand zu katapultieren.    Was hatte Naruto ihn noch gleich gefragt?   Rapide blinzelnd öffnete er die Lippen um zu sprechen, nur um festzustellen, dass sich seine Antwort wie eine Gräte in seiner Kehle verkeilt hatte. Sein Mund war auf einen Schlag ausgetrocknet, seine Handflächen klamm. Stirnrunzelnd bemühte er sich, die Vision von Temaris besorgten Augen zu verdrängen und stattdessen die Worte ‚pyrogenes Toxin‘, ‚Thermoregulationssystem‘ und ‚Hyperthermie‘ in einem kohärenten Satz miteinander zu verbinden.    Ein Schatten rettete ihn.    Er fiel wie eine schützende Schwinge über Shikamaru und zog Narutos Aufmerksamkeit hinauf zu der Gestalt, die sich bewegt hatte, um diesen Schatten über den Nara zu werfen. Durch das Licht in eine Silhouette geschnitten, ragte Neji wie eine Sonnenfinsternis über ihnen auf und seine mondweißen Augen sahen mit einer Schwerkraft nach unten, die Naruto sofort effektiver von Shikamaru fort zerrte als irgendwelche Worte, die er vielleicht gesagt hätte – obwohl er sie trotzdem aussprach.    „Ich brauche einen Moment mit Shikamaru.“   Naruto spähte ihn schief an und seine Mundwinkel sackten bei dem flachen und kompromisslosen Starren des Hyūga nach unten. „Mann, das ist wieder genau wie in Hanegakure“, murrte der Uzumaki, während er sich auf die Füße stemmte. „Ich beide macht das ständig.“   Shikamaru und Neji tauschten einen flüchtigen Blick aus und weiße Augen zuckten genervt, als Belustigung an Shikamarus Lippen zupfte. Scheiße, das hier lustig zu finden war besser, als deswegen auszurasten – nicht, dass es irgendetwas gäbe, wegen dem man ausrasten könnte, da niemand etwas ahnte.    „Was auch immer“, grummelte Naruto und schlurfte mit der mürrischen Miene eines Kindes davon, das gerade aus dem Baumhaus der geheimen Treffen geworfen worden war. An Nejis Schulter hielt er inne und warf Shikamaru einen schlitzäugigen Blick über die Schulter hinweg zu. „Erinnert euch nur daran, wenn ihr euer böses Genie-Aushecken macht, dass ich nicht Köder für irgendwelche Psychovögel spielen werde.“   Die Lippen gegen ein Schmunzeln zusammengepresst tippte sich Shikamaru mit den Fingern in einem spöttischen Salut gegen die Stirn.    Geduldig wartete Neji, bis der Uzumaki außer Hörweite war, bevor er sich in Bewegung setzte, um den freien Platz einzunehmen; die ganze Zeit über hielt er seine Augen auf Shikamaru gerichtet. Für einen Moment strich nur die Brise zwischen ihnen hindurch, warm und summend und erfüllt von den reichen Blätterdüften der verhedderten Baumkronen und blühenden Vegetation des Flussufers.    Schöner anzuschauen, wenn wir uns nicht da durch hacken müssen…   Er sah zu, wie das Sonnenlicht funkelte, in einer Myriade aus Grün die Szenerie erhellte und die hölzernen Wurzelfasern ausbleichte, die wie Quasten über das Wasser hingen und in einem nassen Kratzen über das Boot strichen…wie Krallen und Klauen. Stirnrunzelnd suchte Shikamaru das jungfräuliche Ufer nach versteckten Schnauzen und gelben Augen ab, erspähte aber nur eine Wolke aus Insekten, die sich in einem konzentrierten Tanz um einen Bienenstock bewegten. Bei dem leisen, dröhnenden Summen zuckte er leicht zusammen, da es ihm eine wenig angenehme Erinnerung von höllischen Pfaden durch dieses wimmelnde Unterholz in den Sinn brachte.    Trotz aller Schönheit, war es undurchdringbar und feindselig…   Unberührbar…   Und bei diesem Gedanken schnitt Shikamarus Aufmerksamkeit scharf zu Neji und sein Blick traf flüchtig auf die kühlen, weißen Augen. Bei dem Kontakt beschlugen sie wie Spiegel und vernebelten welche Emotionen auch immer, die sich vielleicht hinter der polierten Oberfläche abspielte. Rauch und Spiegel – war das nicht ihr übliches Spiel? Shikamaru war der Rauch. Neji war der Spiegel.    Ja. Ein Einwegspiegel…ich war mal so verdammt gut darin, ihn zu lesen…   „Hast du darüber nachgedacht, was ich gesagt habe?“, fragte Neji plötzlich und ohne Einleitung.    Seine Traurigkeit maskierend wanderte Shikamarus Blick zu der Mitte des Bootes, wo der Rest des Teams saß. Seine Brauen zogen sich leicht zusammen, als er alle Seiten seiner Entscheidung absuchte und die Risiken abwog, sollte er sie nicht befolgen.    Bedächtig nahm er die Szene in sich auf und ließ seine Augen nacheinander über jeden Einzelnen gleiten.   Sakura saß am Rand der Bank und ihre pinken Strähnen klebten an geröteten Wangen, während sie sich mit einem von Sais Büchern Luft zufächelte. Während der Künstler verloren auf sein beschlagnahmtes Lesematerial stierte, hockte Naruto hinter seiner rosahaarigen Teamkameradin und versuchte, den Kiefer so über ihre Schulter zu schieben, dass er etwas von der Brise einfing.    Er wird sich jeden Moment ihre Faust einfangen…   Tenten schien seine Vorahnung zu teilen, denn ihre Augen funkelten belustigt über die Possen des Uzumaki, während sie ihr Kunai polierte und Shinos Schoß als behelfsmäßigen Tisch für ihren Allzweckgürtel nutzte. Insekten krabbelten spielerisch über die schimmernden Klingen. Der Aburame hingegen hatte sich in die steife Kapuze seines Mantels zurückgezogen und mit nach unten gezogenem Kinn gegen die Rückseite der Bank gelehnt. Er hätte dösen können, aber das animierte Geplapper seines Hundeninja-Kameraden löste immer wieder ein gelegentliches Kopfschütteln oder ein phlegmatisches Grunzen an. Und während Chōji darauf bedacht zu sein schien, die wie auch immer geartete Geschichte zu ermuntern, die Kiba ihnen erzählte, saß Ino einfach nur da und kämmte mit den Fingern ihren langen, seidigen Pferdeschwanz, bevor sie ihn elegant über die Schulter schwingen ließ, um ihn Kiba ins Gesicht zu klatschen und ihm mitten in einer wilden Gestikulierung das Wort abzuschneiden.    Akamaru bellte.    Das Boot schaukelte.    Lachen brach aus, obwohl der hohlwangige Kapitän missbilligenden von achtern schnaubte.    Shikamaru brauchte keinen weiteren Schnappschuss der Szenerie, um das Gesamtbild zu bewahren, von dem er wusste, dass er es im Kopf behalten musste. Mit seiner Aufmerksamkeit auf Ino und Chōji gerichtet nickte er und drehte dann langsam den Kopf, um Nejis Blick zu begegnen.    „Kein Ninjutsu“, sagte er und blies die Backen auf. „Schätze, dass ich damit klar komme.“   Neji erwiderte nichts, sondern beobachtete ihn nur mit diesen steten Opalaugen. Es war schwer zu sagen, ob es Zweifel war, der im Schweigen des Jōnin lag oder etwas vollkommen Deprimierendes.    Shikamaru versuchte sich an einem Lächeln. „Was hast du erwartet? Ein Tantrum? Zweihundert Gründe, warum das eine schlechte Idee ist?“    Nejis Lippen zuckten trocken. „Kannst du mir denn genauso viele Gründe geben, warum es das nicht ist?“   „Nur ein einziger Grund ist von Bedeutung. Die Mission, oder nicht?“   Verdammt. Er hatte es nicht als Herausforderung gemeint, aber hier lag sie zwischen ihnen; eine rostige Klinge, die er bereits vor Monaten in Nejis Rücken gerammt hatte.    Scheiße…   Schuldgefühle hielten stur ihre Stellung auf dem Spielbrett und machten Züge, bevor Shikamaru einschreiten konnte. Vielleicht schwebte Hanegakure noch immer zwischen ihnen wie blutgetränkte Federn im Wind. Neji mochte ihm vergeben haben; aber er hatte nicht vergessen.    Ja…und trotzdem gibt er dir die Vorwarnung, die du ihm nie gegeben hast…   Zumindest nicht direkt. Sicher, er hatte hingewiesen und er hatte angedeutet, aber er hatte es niemals ausgesprochen bis zu diesen letzten, finalen Sekunden. Sekunden, die sich für immer und ewig in Shikamarus Verstand geätzt hatten. Das trutzige Peitschen von Nejis Chakra, das langsame Drehen und Kollabieren, als er in einem Krater zusammenbrach, der sein Grab hätte sein können.    ‚Du hast mich umgebracht…bevor es das schaffen konnte.‘   Mit verkrampftem Kiefer strich sich Shikamaru mit einer Hand über den Mund und rieb hart, bis seine Lippen stachen. Und Neji beobachtete ihn dabei; schien die Worte zu lesen, von denen er sich nicht dazu bringen konnte, sie auszusprechen.    „Du rennst in die falsche Richtung, Shikamaru.“   „Jo, eine Meile in der Minute in die Vergangenheit“, gestand der Schattenninja und machte sich keine Mühe, das zu verbergen. Nejis Augen fixierten ihn lange, bevor er dem Blick ausweichen konnte – ein Blick, der Shikamaru lange genug gefangen hielt, um die Ketten dieses unbrechbaren Bedürfnisses zu spüren, die an seinem Herzen zerrten. Kopfschüttelnd seufzte er. „Fuck. Du killst mich mit dieser Heiß und Kalt Scheiße.“   Neji blinzelte mit einem ehrlichen Ausdruck der Überraschung, der etwas von dem Granit aus seinem Gesicht meißelte; ein winziger Riss zwischen seinen Brauen, bevor seine Miene wieder einfror. „Was?“   In jedem anderen Fall hätte sich Shikamaru vielleicht über diesen Ausrutscher gefreut; über diese Reaktion. Zu blöd nur, dass er sich dabei nur fühlte, als hätte er einen total miserablen Schuss abgegeben, der von Nejis diamantenen Defensiven abgeprallt war und ihn selbst direkt in die Schläfe getroffen hatte.    Super gemacht, Genie.    Jetzt war weder die Zeit noch der Ort für diese Unterhaltung. Um die Wahrheit zu sagen, war er sich überhaupt nicht sicher, ob er sie überhaupt führen wollte. Vermeidung war an allen Fronten sicherer…und dennoch war er hier an der Frontlinie, an der schneidenden Kante der Dummheit, fuchtelte mit den Armen und machte sich selbst zum Ziel. Keine Defensive, kein Spielplan, nur der Pfusch, Silber anzustreben.    Was wird nötig sein, du Volltrottel? Noch eine gar nicht so sanfte Faust, die dich zurück ins Spiel prügelt?   Das Spiel. Die Lüge. Die großartige Täuschung. Aber er konnte mitspielen. Er brauchte nie eine Maske. Nur das richtige Manöver.   Jo. Weil ich gut darin bin…   Shikamaru schob seine Hände über die Schenkel und bewegte sich rasch, um wieder Boden gut zu machen, der nicht unter seinen Füßen nachgeben würde. „Ich brauche kein Ninjutsu, um Strategien auszuarbeiten“, sagte er und versuchte sein Möglichstes, seine Miene gefasst und neutral zu halten wie seine Stimme. „Ich sage es den anderen.“   „Das musst du nic-“   „Doch. Das muss ich. Es wird besser sein, wenn es direkt von mir kommt. Vertrau mir hierbei.“ Er seufzte. „Lass uns dieses Gespräch mit dem Kusa Konzil oder was auch immer führen und dann sehen wir weiter. Klingt das nach einem Plan?“   Eher wie eine Einladung, verflucht noch mal von diesem massiven Krater zurück zu treten, den seine vorherigen Worte zwischen ihnen geöffnet hatten. Neji schwebte am Rand dieses Abgrunds und bedachte ihn ohne zu Blinzeln mit einer Untersuchung, die mit weiterer Stille und einer ganzen Menge Ärger drohte.    Gönn mir `ne Pause, Hyūga…   Nicht, dass er das verdient hätte. So blind zu schießen, vielleicht darauf hoffend, Nejis Groll zu beenden, den er gegen offenbar gegen ihn hegte…oder noch besser, vielleicht einen Nerv zu treffen und die Taubheit aus diesen blassen Augen zu vertreiben…Augen, die inzwischen so verdammt schwer zu lesen waren. Wenn er daran dachte, dass diese Augen ihn nur vor wenigen Tagen mit solch nackten Emotionen angesehen hatten; mit solch einem sehnenden Bedürfnis.    Ja…und das hast du mehr als nur ausgenutzt, oder nicht?   Nicht sein stolzester Augenblick. Aber selbst, als er das alles jetzt im Rückblick betrachtete; er bereute es nicht. Verdammt. Von all den Zügen, die Neji machen konnte, waren diese ‚ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück‘ Manöver die schlimmsten.    Sprichwörtliche Pattsituation…   Eine Pattsituation, das dafür sorgte, dass Shikamaru zwischen viel zu vielen Strategien feststeckte und überhaupt keinen Schimmer hatte, wofür zur Hölle er sich entscheiden sollte. Angriff oder Verteidigung? Denken oder Fühlen? Distanz schließen oder sie erschaffen? Eine konstante Veränderung des Untergrundes, die ihn viel zu sehr erschütterte, als dass er die Bodenhaftung finden könnte, um anzuhalten, nachzudenken und in die sicherste Richtung zu rennen.    Bastard…   Er hasste es. Hasste Neji vielleicht ein bisschen – vielleicht sehr – weil er ihn in so eine verwirrende und beschissene Position gebracht hatte. Schon wieder. Hasste es, dass es ihn sowohl hirntot, als auch defensivlos zurückließ; völlig ungeachtet der Distanz. Schon wieder. Hasste es, dass er sich dadurch in die Ecke gedrängt und zornig fühlte und nur ein Schnappen davon entfernt, in die Offensive zu gehen. Nun, das war neu.   Nicht so wie sonst…   Und es sah ihm so gar nicht ähnlich…aber immer mehr mit jedem Mal, wenn sie zu diesem Ort kamen. Diesem Niemandsland. Eine Sackgassenkonfrontation, die ihn dazu zwang, anzugreifen, denn er konnte nicht länger vermeiden…ganz anders als Neji, dessen Hyūga Schilde sich in einer undurchdringlichen Mauer aus Eis aufrichteten.    Ich konnte das ja schon letzte Woche kaum tun…wie zur Hölle soll ich es jetzt tun?   Er hatte nicht länger die Kraft, diese Mauern einzureißen…   Es brauchte ja schon alles, was er hatte, einfach nur seinen eigenen Stand halten zu können…   Vielleicht bemerkte Neji die Müdigkeit hinter seinen Augen, oder vielleicht hielt das Schicksal ihren harten Schlag zurück, denn der Hyūga wich zurück. Nachsichtig hob Neji das Kinn und umschiffte das massive Loch mit einem langsamen Nicken, um den Schattenninja auf halbem Weg zu treffen. „Na schön, Nara“, antwortete er mit dieser kühlen, obligatorischen Professionalität und lehnte sich geradezu auf das Nara, bevor er die Hände gegen die Schenkel stemmte und begann, sich aufzurichten. „Dann sehen wir weiter.“   Knapp. Abgehackt. Fröstelnd wie eine steife Winterböe. Shikamaru versteifte sich auf seinem Platz, als plötzlich, dämlich, der Gedanke daran, dass Neji noch weiter hinter diese undurchdringliche Mauer der Notwendigkeit und Indifferenz driftete, einen Schauer eiskalter Panik die Muskeln in seinen Schenkel entlang jagte.    Zur Hölle?   Es war nicht so, als hätte er nicht schon vorher zusehen müssen, wie Neji fortlief. Wieder und wieder.   Reiß dich zusammen.   Er versuchte es. Strampelte wie wild, um nicht auf dem Eis auszurutschen, das Neji so vehement zwischen ihnen halten wollte. Fühlte das Stottern seines Herzschlags und wie dieser ruhige, rationale Teil seines Verstandes plötzlich taumelte und zappelte wie ein Hirschkalb auf wackeligen Beinen…nur ein Schwanken von einem Fall entfernt.   Und dann, wie aus dem Nichts – oder zumindest von nirgendwo, wohin er gehen konnte – Asumas Stimme…   ‚Ich werde dich nicht fallen lassen. Ich werde dich nicht damit allein lassen!‘   Das Eis unter Shikamarus Füßen bekam Risse…Gott…vielleicht bekam auch noch etwas anderes Risse…   Er krümmte sich nach vorn, als wäre ihm übel und seine Kehle schnürte sich zu, doch seine Stimme brach sich trotzdem verzweifelt Bahn und geriet heftig in einem Schluckauf ins Stocken. „Neji…“   Schon auf halbem Weg von seinem Platz hielt Neji inne, den Körper leicht geneigt und seine Augen schwangen nach oben, auch wenn Shikamaru niemals den Ausdruck voller Emotionen sah, der auf dem Gesicht des Hyūgas erstarrte. „Shikamaru?“   Da er allem beraubt war, das er hätte sagen können, geschweige denn, dass er irgendeinen Bullshit zu verkaufen hatte, stierte Shikamaru sprachlos auf das sonnengebleichte Deck und hatte die Finger krampfig in einem knochenweißen Griff um die Kante der Bank gekrallt. Nichts wollte funktionieren. Nicht sein Verstand. Nicht sein Mund. Sich selbst aus einer solchen Klemme herauszudenken war noch nie so gottverdammt schwer gewesen. Aber auf der anderen Seite waren Emotionen – wie er immerzu behauptete – niemals eine Kopfsache…was es aber überhaupt nicht einfacher machte, diese Enge in seiner Brust zu fühlen…es nicht einfacher zu richten machte…nicht einfacher zu vergessen machte…   Asuma…   Trauer, so unerwartet wie immer, hatte keinerlei Respekt für Privatsphäre, oder Timing, oder irgendwelchen gesichtswahrenden Mist.    Aber Neji schon.    Ohne irgendeine Unbeholfenheit oder auch nur das geringste Zögern, verwandelte der Hyūga sein Erheben in eine geschmeidige Drehung und setzte sich neben Shikamaru, um den anderen Ninja in seinen schützenden Schatten fallen zu lassen. Er sagte nichts, fragte nichts…was eine verdammte Menge aussagte in einer Sprache, die keine Zungen brauchte.    Nur eine Berührung…   Nejis Finger ruhten in seiner Armbeuge und drückten kurz zärtlich zu.    Gott…   Shikamaru sog einen scharfen Atemzug ein und lehnte sich mit den Ellbogen auf den Knien nach vorn, während er den Kopf in seine Hände drückte. Er spürte, wie sich Neji zusammen mit ihm nach vorn beugte und seine Bewegung spiegelte, um ihn vor den anderen abzuschirmen und die Welt und all ihre Erwartungen in Schach zu halten, während Shikamaru am Rande einer Trauer schwankte, in die er sich immer noch nicht fallen lassen durfte.    Ich kann mich nicht dorthin begeben…bitte lass mich nicht dorthin gehen…   Er musste es nicht sagen…obwohl er sich fragte, ob er es denn getan hatte…genauso wie er sich fragte, wie zur Hölle Neji durch diese Stille bei ihm hatte bleiben können und wie er ihn beruhigte und von diesem Rand zurückholte, ohne ein einziges Wort zu sagen.    ~❃~   Genma sagte ein einziges Wort und wartete darauf, dass sich das Siegel löste.    Doch das tat es nicht.    „Verdammt.“   Während er vor diesen schimmernden Schiebepaneelen hockte, ging er mit den Messingschlüssellöchern auf Augenlevel, die in das dunkle Ulmenholz eingelassen waren. Die lackierte Maserung funkelte im Sonnenlicht und ein Hauch von Zitronenpolitur brannte stark und scharf in Genmas Name.    Polier so viel wie du willst, Mushi…es wird mich nicht davon abhalten, deine schmutzigen kleinen Geheimnisse auszugraben…   Zumindest unter der Voraussetzung, dass Genma überhaupt das Jutsu Siegel brechen konnte, das diese Paneele verschloss. Ein Drehen seines Senbons in diese schicken kleinen Schlüssellöcher klappte auf jeden Fall nicht. Fluchend hob er eine behandschuhte Hand, um sie nahe vor den Paneelen schweben zu lassen und sie über die zarten und leuchtenden Intarsien hin und her wandern zu lassen, die das Holz dekorierten.    Nicht für dekorative Zwecke…   Nein. Diese dünnen Spiralen und Wirbel enthielten Chakra. Eine verschwindend geringe Menge. Gerade genug, um das Siegel halten zu können.    Also warum dann Schloss und Riegel? Extra Vorkehrungen? Ein Vorgaukeln von Normalität?   „Hn. Doktor, Doktor, bist du etwa auch paranoid?“, murmelte er und strich mit einer Fingerspitze um die triezenden kleinen Schlösser, nur um dann innezuhalten und sein Blick erhellte sich angesichts eines dunklen Flecks am Maul des Schlüssellochs.    Genmas Brauen hoben sich ein kleines Stück.    Eine Stelle übersehen.   Er verlagerte das Gewicht und ließ das Licht des Fensters über seine Schulter fallen, um das Messing zu erhellen. Kaum bemerkbar wäre dieser winzige Fleck dem ungeübten Auge vielleicht entgangen. Er schien so unbedeutend zu sein, dass man hätte vermuten können, es wäre nur eine Beschädigung des Messings.    Genmas Lippen bogen sich grimmig.    Vermute niemals.   Er griff in die Tasche an seiner Hüfte, zerrte eine Phiole mit destilliertem Wasser, ein Päckchen Wattestäbchen und eine dünne Box mit Teststreifen aus Papier hervor. Während er sich mit der Präzision und Geduld einer forensischen Arbeit bewegte, zwang er seine Finger dazu, nicht zu zucken und befeuchtete eins der Stäbchen, bevor es gegen diesen suspekten Fleck drückte. Er löste sich rostig gegen die Watte. Die Probe gesammelt, zog er einen Papierstreifen mit gelber Spitze aus der Box und rieb das nasse Wattestäbchen gegen das farbige Ende.    Und dann wartete er.    Innerhalb von Sekunden verwandelte sich der Streifen von Gelb zu Grün.    Blut.   Ein langer Atemzug rauschte aus seiner Nase und nahm dabei die Hälfte seiner gesamten Energie mit sich. Kopfschüttelnd presste Genma die Lider aufeinander und rieb sich mit dem Handrücken über die klamme Stirn. „Klasse.“   Er brauchte Blut, um dieses Siegel durchbrechen zu können.    Mushis Blut.    Nur um die Theorie zu testen, führte er das grüne Ende des Streifens nach oben gegen die Intarsien im Holz. Das leichteste Schimmern in diesen leuchtenden Ley-Linien. Definitiv ein Blutsiegel.    Hurensohn…   Cleverer Hurensohn – ob nun paranoid oder nicht – Nara Shikamarus Akte hinter Schloss und blutigem Riegel zu halten.    Hat er erwartete, dass jemand kommen und herumschnüffeln würde?   Oder war Mushi bei all seinen Patienten so beschützend? Würde auch Genmas Akte dort sein? Hatte Mushi irgendwelche Querverbindungen gezogen? Zusammenhänge hergestellt? All die losen Punkte miteinander verbunden? Wenn ja, was genau hatte er lauernd in diesen psychologischen Mustern gefunden?    Trauma…   Eingesperrt in ein Schließfach. Gott…hatte Mushi versucht, es zu öffnen? Furcht zog sich in einer eiskalten Welle durch Genma und wusch etwas von seiner Gesichtsfarbe fort. Blass und schwitzend fuhr er sich noch einmal mit dem Handgelenk über die Stirn, während er energisch die Vermutungen und schlimmsten Szenarien bekämpfte…   Doch sie schlugen noch härter zurück…   Die Ältesten hätten Shikamaru von dieser Mission abziehen sollen…   Sicher, die Hokage hätte eine fragende Braue gehoben, aber es war nicht so, als hätte das Konzil nicht genügend Bullshit, um das umschiffen zu können. Hyūga Neji mit in diese Gleichung zu werfen, hatte sie nicht ausbalanciert. Er war ein ANBU Anwärter, kein Veteran. Sicher, der Junge war weit besser als der Rest, aber trotzdem…was, wenn irgendetwas an oder in Kusagakure eine Erinnerung in all diese ruinierten Schlüssellöcher in Shikamarus Verstand schob? Was zur Hölle würde aus diesem Schließfach heraus gekrochen kommen? Könnte Hyūga Neji wirklich damit umgehen? Oder würden sie KERN auf den Plan rufen?    Glück kann nicht eine derart abartige Bitch sein…   Oder vielleicht wurde sie mit jeder verstreichenden Minute abartiger und fraß sich satt an diesem Chaos.    Dein Chaos, das Chaos, das du aufräumen musst. Mach deinen Part. Shikamaru war jetzt für zwei Jahre in Ordnung.    Oder zumindest hatte es den Anschein gemacht. Immerhin war Shikamaru seit dem Vorfall auch bei anderen Chūnin Prüfungen dabei gewesen. Er war gegen Chimären und Killer angetreten. Hatte enorme Stresssituationen bewältigt, ohne wirklich in Schweiß auszubrechen. Er hatte sogar das emotionale Trauma des Verlustes seines Senseis durchlitten und trotz dieses Verlustes hatte er nur Stunden später die Mission ausgearbeitet, um diese Akatsuki Bastarde auszuschalten. Auf keinen Fall hätte er das machen können, wenn die Schrauben in seinem Kopf locker waren.    Also warum hat er Mushi dann aufgesucht?   Und wann genau? Vor zwei Jahren? Vor zwei Monaten? Als Asuma angefangen hat, herum zu stochern? All diese Fragen hingen schwer in seinem Verstand und schwangen zwischen Zweifel und Furcht hin und her.    Also sortier diese Scheiße, Shiranui. Komm dahinter. Richte es.    Stirnrunzelnd schob Genma das forensische Päckchen in die Tasche und spähte über die Schulter. Sein Blick wanderte über den Sofatisch, die Couch, die Hufeisenstühle. Hatte Shikamaru wirklich in einem dieser Stühle gesessen? Hatte er sich an etwas erinnert? Fragmente oder Gesichter? Genmas Gesicht? Oder schlimmer als das…   Naokis…   Der Schmerz kam so heftig, so schnell, dass Genma zurück zuckte, als hätte man ihn geschlagen.    ‚Siebenmal fallen, achtmal aufstehen…‘   Nach Luft schnappend fing er sich gerade kurz vor einem Kollaps und rappelte sich auf, wobei er unruhig auf dem ausgeblichenen Läufer auf und ab tigerte. Das komplizierte Seidengewebe hüllte den Boden ein wie ein Wandteppich. Die eingedrehten Paisley Muster wirbelten vor Genmas Augen und schienen mit jeder Drehung und jedem Umkehren eine kaleidoskopartige Qualität anzunehmen.    Er hörte auf zu laufen.    Der Boden bewegte sich weiter und die Welt mit ihm.    Scheiße…   Er legte seine zitternden Handballen auf seine Augen und presste hart gegen die pochenden Höhlen, während er darum kämpfte, sein nach Drogen hungerndes Hirn auf Spur zu halten.    Ich werde mir das Blut bei der heutigen Nachmittagssitzung besorgen.    Was bedeutete, dass er endlich seinen Arsch aus diesem herzzerreißenden Bammel treten musste, sodass er sich fokussieren konnte. Er brauchte Dukkha. Und er brauchte es schnell. Er ließ seine Hände zu den Hüften sinken und stierte angestrengt auf die Paneele, bevor er einen raschen Blick auf die antike Uhr warf.    Der Minutenzeiger tickte auf halb acht.    Er hatte noch genug Zeit, um bei Mizugumo vorbei zu schauen – musste sich nur in Bewegung setzen.    Beweg dich jetzt.   Einen weiteren flüchtigen Schwung durch das Zimmer und sechs elektronische Wanzen später, bewegte sich Genma im Zeitraffer aus dem Fenster und über die Dächer hinweg, als er seiner Wohnung entgegen hetzte. Seine Füße berührten kaum den Boden und ließen sich nur kurz darauf nieder, um ihn weiter in die Luft zu schleudern. Zeiten wie diese kamen dem Fliegen nahe. Aber nicht nahe genug. Nur Pillen gaben ihm diese Art von Flügeln.    Jo, hoff mal lieber darauf, dass du auch das Geld zum Fliegen hast…   Er hatte noch genug Bargeld für vielleicht die Hälfte seines üblichen Schusses. Mizugumo würde keine Fragen stellen, aber sie würde diese ungewollten Perlen der Weisheit oder Worte der Warnung in die Geschenktüte packen. Verschwendete Liebesmüh. Bei der Rate, in der die beiden ihr Geschäft abzogen, fing Genma langsam an zu denken, dass er eigentlich eine Art Treuerabatt bei der verrückten Hexe verdient hatte.    Gerissen, nicht verrückt…   Oder vielleicht eine potente Mischung aus beidem. Diese Frau verstörte ihn, beunruhigte ihn und das auf einer tief atavistischen Ebene. Keine leichte Aufgabe, das zu bewerkstelligen, wenn man das Level an Unruhe bedachte, für das er schon so lange taub geworden war; seine Nerven so kalt wie die Nadel zwischen seinen Zähnen.    Und dann fingen seine Nerven Feuer.    Ein warnendes Kribbeln über seine Wirbelsäule.    Etwas flog über ihn hinweg, Schatten strichen über die Dachziegel unter seinen Füßen.   Genma hörte auf zu rennen und kam ruckartig auf einer geräumigen Dachterrasse zum Stehen, die nur wenige Blocks von seiner Wohnung entfernt war. Kaum hatte er sich aus seiner Hocke aufgerichtet, da fielen schon sechs Shinobi um ihn herum nach unten wie Pfeile aus dem Himmel und schnitten seine Auswege ab.    Alle sechs trugen die grauen Anzüge der Folter und Verhör Abteilung.    Was zum…?   Ein Mann trat nach vorn; jung im Gesicht, aber gebaut wie ein Schläger – ein Schauspiel von Haltung. Seine Knöchel waren vernarbt. Die Nase saß ein wenig schief. Ganz eindeutig ein Typ der praktischen Sorte. „Shiranui Genma, du musst mit uns kommen.“   Energisch widerstand Genma dem Drang, unverschämt zu werden und hob stattdessen eine Braue. „Was soll das?“   Schläger sagte gar nichts, sondern stierte nur auf das Senbon, das auf seinen Kopf gerichtet war.    Genmas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln kalt wie Eis. „Mein Rang ist dicker als deine Eier, Kleiner. Beantworte meine Frage oder verpiss dich.“   Eine Frau hinter ihm ergriff das Wort. „Shiranui-san. Würdest du mit uns kommen, bitte?“   Bitte? Na das war doch mal süß. Genma drehte den Kopf und linste aus dem Augenwinkel zu der Kunoichi, wobei er den Moment nutzte, um auch noch gleich die anderen vier Agenten zu mustern. Alle F&V. Alle angespannt auf den Fußballen stehend – als würden sie erwarten, dass er einen Durchbruch versuchen würde.    Schläger stand nah genug, um gierig zu werden.    Die anderen hingegen hielten Abstand – wachsam, beobachtend, auf einen Angriff wartend.    Genma konnte die Anspannung geradezu schmecken; ein Schnappen und Knistern von Chakra direkt unter der Oberfläche von ruhiger, kühler Professionalität.    Tja, Scheiße…   Weiße Flaggen durchtränkten sich ziemlich schnell mit Rot und Genmas Verstand machte einen Kurztrip von Unbeholfenheit über Genervtheit zu nervenaufreibendem Alarm. Dieses kleine Herbeirufen war keine Einladung. Schläger war bereit dazu, die ganze Situation unter Druck zu setzen und er hatte Unterstützung.    Genmas Augen verengten sich zu Schlitzen.    Es war nicht die Menge an Muskeln, die ihm Sorgen bereitete. Es waren die Mechaniken, die hinter dieser Szenerie am Werk waren. Nur ein einziger Mann konnte das hier initiiert haben. Und da er diesen Mann kannte, hatte der mehr als wahrscheinlich alle möglichen Winkel abgedeckt – genauso wie seinen Hintern.    An jedem anderen Tag wäre Genma vielleicht amüsiert gewesen.    An jedem anderen Tag hätte er Ibiki vielleicht einen harten Kampf geliefert. Aber wie Raidō immer sagte, war Zeit Geld – und das war Genma gerade ausgegangen.    Einen Fehltritt kann ich mir hier nicht leisten…   Er musste bereits ziemlich übel ins Stolpern geraten sein, da sich dieses ganze Drama überhaupt abspielte. Die Frage war nur – wie vorgehen? Genma brauchte nur ein paar Sekunden, um die Szenarien gegeneinander abzuwägen.   Verdammt…   Gewalttätig zu werden, würde ihm nichts bringen. Seinen Rang auszuspielen war für ihn prinzipiell ein No-Go. Die schiere Tatsache, dass das hier überhaupt passierte, ließ darauf schließen, dass Ibikis Team aus zugeknöpften Guerillas einen Grund hatte, um den hässlichen, administrativen Bullshit zu überspringen. Sie mussten sich nicht erklären. Beleidigungen oder Einschüchterungen waren Morinos Spiel. Eine Aussage, kein Vorschlag: sei lieb, Genma, oder ich werde Mami und Papi sagen, dass du ein böser Junge warst.   Und besagte Eltern waren die Ältesten.    Elender Hurensohn…   Genma drückte seine Zunge gegen das Senbon, bis er Blut schmeckte. Zu blöd, dass es Ibiki nur direkt in die Hände spielen würde, sollte er diese Witzfiguren angreifen. Kein Zweifel, dass der Sadist genau darauf pokerte und hoffte, Genma würde ausrasten und sich in dem Bemühen austoben, zu beweisen, wessen Schwanz jetzt eigentlich größer war.    Er schmunzelte grimmig bei diesem Gedanken.    Heute nicht, Morino…   Scheiße, ausgerechnet heute. Gekonnt hielt Genma die Panik und den Zorn aus seinen Augen fern und legte die hölzerne Miene auf, die sein Gesicht bereits seit ANBU Tagen maskierte. Dann nahm er das Senbon von den Lippen und steckte es weg. Schläger entspannte sich und die Starre verließ seinen Körper – eine Annahme, die ihn sehr teuer zu stehen gekommen wäre, wenn Genma wirklich geplant hätte, anzugreifen.    Hn. Richtig dummer Zug, Kleiner.   Doch zum enormen Glück von Schläger und dem restlichen Team, lehnte sich Genma gelassen auf den Fersen zurück und fort von der Kante der Konfrontation. Doch selbst als er das tat, spürte er, wie etwas Kostbares und Dringliches unter seinen Füßen bröckelte.    Zeit.   _________________ Heyho ihr Lieben :) Zu dem Kapitel will ich eigentlich gar nicht so viel sagen, nur das Genma auf jeden Fall immer mehr in der Klemme steckt :/  Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich sehr über ein paar Worte freuen *-* Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)