Under these Scars von _Scatach_ (Teil Vier der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 16: Forgive and forget ------------------------------ ‚Weil ich dein Schatten bin. Ich werde beobachten, aber du wirst mich nicht sehen. Ich werde zuhören, auch wenn du mich nicht hörst.‘   Die Drohung dieser Worte hing tief über der Regungslosigkeit in Nejis Verstand und verharrte mit einem Frösteln, das so unheimlich und unklar war wie der Nebel der Morgendämmerung, der über dem Kai waberte. Gemustert von den Laternenlichtern, die die Anlegestelle umgaben, geisterte der hauchdünne, weiße Dunst in einem einsamen Driften über die braunen Wasser, sammelte sich in fadenscheinigen Flecken, um über die schmalen Bäuche der am Flussufer liegenden Boote zu schweben.    Ich frage mich, ob er mich jetzt gerade beobachtet?   Anspannung kitzelte in einem Kräuseln unterhalb der Oberfläche durch ihn. Selbst mit seinem Byakugan wusste Neji, dass sein ANBU Führer die Fähigkeit besaß, sein Chakra ebenso effektiv zu maskieren wie seine Bewegungen. Die Tatsache, dass Tsuno wahrscheinlich auch noch Mitglied des Nara Clans war, ließ darauf schließen, dass er gerissen war und einen scharfen Verstand besaß; und das alles sorgte dafür, dass sich Neji fühlte, als würde ein Hai ununterbrochen die winzige Insel steinharter Kontrolle umkreisen, auf der er sein Herz ausgesetzt hatte. Und dort lag es jetzt; immer noch schlagend und ausgehungert.   Emotionen waren Blut im Wasser.    Und Tsuno würde es ohne Umschweife wittern, wenn er zuließ, dass er abrutschte.    Er war bereits mehrere Male kurz davor gewesen.    Der erste Ausrutscher besteht darin, Fragen zu stellen…oder Befehle infrage zu stellen…   Fragen und Emotionen waren die gefährliche See, in der Tsuno schwamm und darauf wartete, dass Neji seine Finger in dieses Wasser tauchte, um nach Antworten zu suchen und den Gefühlen nachzugeben, die er nicht haben durfte. Das war nicht seine Zielvorgabe. Das war nicht seine Rolle. Und dennoch warf das Wasser um ihn herum Wellen; Fragen und Gefühle in Bezug auf Shikamaru schossen darin hin und her, drängten ihn dazu, eine Hand auszustrecken, zu reagieren, zu erwidern…und Kami bewahre, zu retten…   Genug.   Neji packte seine Unterarme noch fester und sog einen langen Atem ein, bevor er sich auf den Fersen nach hinten lehnte, als würde er vor einem Abgrund zurück schwanken. Es war nicht so, als hätte er nicht schon einmal an diesem Punkt gestanden. Es war nicht so, als wüsste er nicht, wie man sich zurückhielt; gefasst hielt. Sich an der einzigen Sache festhielt, die von Bedeutung war.    Alles hat zu dieser Prüfung geführt, diesem Test…du wusstest, dass es schwierig werden würde…   Schwierig? Ja. Unerträglich? Nein. Testeten sie seine größte Schwäche gegen seine größte Stärke? Spielten sie seine Gefühle für Shikamaru gegen seine Gefühle in Bezug auf seine Freiheit aus? Noch eine weitere Frage, die er gar nicht hätte denken sollen; geschweige denn, über die er irgendetwas hätte fühlen sollen.    Hier ist kein Platz für Emotionen. Das ist der Preis. Du wusstest, dass du ihn zahlen musst.   Das einzige Problem war nur, dass er gedacht hatte, er hätte ihn längst bezahlt.    Doch trotz all des emotionalen Fortreißens, das er über die letzten Wochen betrieben hatte, war da immer noch dieses sture Körnchen aus Gefühlen, das tief in seiner Brust saß. Das letzte, was er noch zu verlieren hatte. Dieses letzte Gefühl, das es noch auszuschachten galt…   Und diese Mission ist die perfekte Gelegenheit, um es an den Wurzeln rauszureißen…   Hatte es Ibiki so geplant? Götter, hatte es Shikaku so geplant?    Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seinem Sohn das antun würde…   Nicht, dass ihm diese steinharte Gewissheit in irgendeiner Weise helfen würde. Es brachte Neji nur direkt wieder zurück zu dieser gefährlichen Kante und ließ ihn damit zurück, hinaus über ein Meer wachsender Zweifel zu starren…und die endlosen Gezeiten davon krachten gegen die Ufer seiner Kontrolle.    Ich werde nicht nachlassen. Das ist mein letztes Gefecht…wenn ich hier falle…dann scheitere ich…   Und Freiheit wäre dann für immer außerhalb seiner Reichweite.   Es gibt nur Scheitern oder Freiheit. Entscheide dich.    Da gab es keine andere Wahl. Notwendigkeit würde, wie immer, sein Kompass sein, seine Führung, sein Anker. Neji ließ den Kopf nach hinten kippen, schloss die Augen und lauschte dem Wasser, das gegen die Boote schwappte, während er seinen Verstand in der Wahl verfestigte, die er getroffen hatte; der Wahl, die er immer treffen würde.   Freiheit.   Als er spürte, wie dieses Wort den mentalen Boden unter seinen Füßen stabilisierte, nahm er einen weiteren Atemzug und stieß ihn in einem abgezählten Countdown aus. Er wiederholte den Vorgang wieder und wieder und konzentrierte sich auf Ebbe und Flut seiner Atmung…übergab seinen Verstand der Regungslosigkeit, der Stille…und dem sich leise nähernden Schatten.    Zumindest bemerke ich ihn jetzt wieder…   Dennoch kitzelte der Wunsch danach, sein Byakugan zu aktivieren, an seiner Haut wie die Statik des näherkommenden Chakras. Es machte ihn auf Shikamarus Anwesenheit aufmerksam, lange bevor diese rauchige Stimme über die Luft strich und die bittere Asche von Sarkasmus mit sich trug.    „Ein pyrogenes Toxin, huh? Erwartest du ernsthaft von mir, das abzukaufen? Oder hast du es dir zu einer Mission gemacht, diese Mission zu einer Art Feuerprobe für mich zu machen?“   Neji stählte seine Miene, hob die Wimpern und sah direkt hinüber in die dunkle Glut von Shikamarus Augen; sah die Verletztheit, den Zorn, den schwarzen Scheiterhaufen von Emotionen…sah diese Emotionen brennen wie von einem weit entfernten Ufer…Rauchsignale, die aufstiegen und auf einer kalten, wolkenlosen Brise zwischen ihnen schwebten…   „Nein“, erwiderte Neji letztendlich. „Ich habe nicht erwartet, dass du das glaubst. Aber es ist zu deinem eigenen Vorteil, wenn die anderen das glauben.“   Ein schwaches Schnauben und Shikamaru lehnte sich mit verschränkten Armen zurück gegen das Geländer, während sich seine Lippen zu einer grimmigen Linie zusammenpressten. „Du willst also über Vorteile und Glauben reden? Wie wäre es dann, wenn ich dir den Vorteil des Zweifels gebe und du gibst mir etwas, das ich glauben kann, das nicht vollkommener Schwachsinn ist. Wenn du mich anlügst, dann weiß ich das.“   Für einen langen Moment erstarrte Neji; wusste, dass Shikamaru nicht auf seinen Bluff herein fiel, wusste auch, dass ein Spiel der Lügen nicht die Vorgehensweise war, die er nutzen wollte. Er hatte genug Karten auf der Hand, die er während der restlichen Mission für sich behalten musste…vor allem eine schmale Mappe mit Shikamarus Foto und Details. Von all den grausamen Händen, die ihm das Schicksal hätte austeilen können…   Warum das…?   Er hätte lachen können. Götter, da war sie schon wieder. Diese vollkommen müßige Frage. Warum sie überhaupt stellen?   Bei seinem Schweigen hoben sich Shikamarus Brauen. „Wenn es deine Strategie ist, mir gegenüber zu mauern, dann kannst du mich genauso gut wieder auf meinen Hintern befördern. Das scheint in letzter Zeit ja deine bevorzugte Methode der Konfliktlösung zu sein.“   Hn. Wenn das in diesem Fall nur eine praktikable Option wäre, Shikamaru…   Neji presste die Lippen aufeinander, um sich ein grimmiges Schmunzeln zu verkneifen. Für ein paar weitere Herzschläge ließ er die Stille hängen – und dann sagte er die Wahrheit. „Es war kein Fieber, Shikamaru. Es war eine Hyperthermie, die von einem rapiden Schwanken im Metabolismus deines Chakras ausgelöst wurde.“ Er machte eine Pause und sah zu, wie Shikamarus Brauen aus ihrem verärgerten Bogen zu einem verwirrten Stirnrunzeln zusammenfielen. Neji wartete gar nicht auf eine weitere Aufforderung, sondern fuhr einfach fort: „Das letzte Mal, dass ich gesehen habe, dass es sich auf diese Weise benimmt, war, als wir in der Nacht deines Geburtstages in diesem Ryokan gekämpft haben. Obwohl es damals nicht halb so aggressiv in deinem System war, wie diesmal. Statt dass es sich einfach nur verstoffwechselt hat, hat es sich regelrecht manifestiert.“ Noch einmal hielt er inne und ließ das Gewicht seiner Worte sacken, bevor er hinzufügte: „Kannst du mir irgendetwas davon erklären?“   Ein benommenes Blinzeln und Shikamaru sackte mit den Händen am Geländer nach hinten. Er sah aus, als würde er seitwärts taumeln, sollte er es wagen, loszulassen. Es war eine nachvollziehbare Reaktion, wenn man die Informationen bedachte, mit der Neji ihn gerade getroffen hatte.    Zumindest ist es die Wahrheit…   Was besser war als eine Faust aus Lügen.   Ist das so?   Neji hielt sich zurück und gab Shikamaru den Raum und die Ruhe, um alles verarbeiten zu können, während er aufmerksam Notiz von den Emotionen machte, die über das Gesicht des anderen Ninjas flackerten. In solch ungeschütztem und geschocktem Zustand war Shikamaru einfach genug zu lesen; die Verwirrung, der Zweifel…die Furcht…   ‚Ich stürze mich nicht in kalte Wasser, Neji.‘   Die Erinnerung an diese Worte plagte ihn, als er dabei zusah, wie Shikamaru blicklos hinunter auf das Dock starrte und seine Augen vor und zurück zuckten, während er diese Informationen verdaute und durch die Fakten wühlte. Zu verstehen versuchte, sich an Sinnhaftigkeit und Logik zu klammern versuchte, als er alle Arsenale seiner mentalen Waffen durchforstete…nur um mit leeren Händen zurückzukehren.    „Nein“, krächzte Shikamaru plötzlich und schob sich von dem Geländer fort, um über den Holzsteg zu schreiten. Die alten Bretter knarzten laut unter seinen Füßen. „Ich kann es nicht erklären.“ Er wanderte ein kurzes Stück, bevor er kehrt machte und dort stehen blieb, wo er losgegangen war; gegenüber von Neji. „Aber das heißt nicht, dass es keine Erklärung gibt.“ Er zögerte und seine dunklen Augen schwangen nach oben. „Richtig?“   Der zerrissene Ausdruck in diesen Augen zerrte heftig an Neji. Verzweifelt verkrampfte er jeden Muskel in seinen Beinen und lehnte sich nach hinten in die Stütze des Geländers – fort von dem Abgrund, fort von der Kante. „Erinnerst du dich daran, was für ein Jutsu du benutzt hast, um die Alligatoren zu töten?“   Verwirrt blinzelte Shikamaru ihn an. „Ich hab sie nicht getötet.“   Das fror den Moment ein.    Wortlos starrte Neji ihn an, suchte nach Lügen, von denen er bereits wusste, dass er sie nicht finden würde; alles, um sich davon abzuhalten, sich auf dieses sinkende Gefühl in seiner Magengegend zu konzentrieren. Sehr langsam und sehr gefasst holte er Luft. „Doch das hast du. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.“   Unbestreitbar. Sein Byakugan hatte diesen Augenblick dokumentiert und in der ANBU Sektion seines Hirns für weitere Analysen abgeordnet. Objektivanalyse. Eine Aufgabe, die so viel einfacher zu erledigen war, wenn das Ziel seiner Observation ihn nicht ansah wie ein in einer Falle gefangenes Tier. Verwundet und in die Ecke gedrängt ohne irgendeinen Ausweg.    ‚Lass ihn nicht wegrennen.‘   Asumas Stimme. Ein distanziertes Rumpeln in seinem Verstand. Donner, der zu einem mentalen Sturm gehörte, in den er während einer seiner Meditationssitzungen mit Ino verwickelt worden war. Und genau wie er es schon zuvor getan hatte, zertrümmerte Neji diesen Gedanken und fokussierte sich auf die Aufgabe, die auf der Hand lag.    „Du hast Kage Nui benutzt“, sagte er und lieferte mehr Fakten in der Hoffnung, es würde irgendetwas anderes auslösen als diesen verlorenen Blick, mit dem Shikamaru ihn ansah. „Du hast diese Alligatoren zerbrochen wie trockene Zweige. Du hast keine Erinnerung daran?“   Shikamaru zuckte zurück und blinzelte, als könnte er vielleicht so die Erinnerung in den Fokus bringen. „Nein. Ich erinnere mich nur, mich gefühlt zu haben, als hätte man mir hart auf den Schädel geschlagen.“ Aus Reflex hob er eine Hand und strich mit den Fingern über den Kopf bis zur Wurzel seines Pferdeschwanzes, bevor er sie zu seinem Nacken sinken ließ. „Eine Gehirnerschütterung kann das Erinnerungsvermögen durcheinander bringen, aber-“   „Du hattest keine Gehirnerschütterung.“   Ein Pfeil zwischen die Augen dieser Argumentation. Und damit starb sie einen langsamen, winselnden Tod, wand sich um all die Fragen, all die Zweifel. Vollkommen ratlos rieb sich Shikamaru mit den Händen über sein Gesicht, taumelte einen weiteren Schritt nach hinten und hockte sich abrupt mit den Ellbogen auf den Schenkeln auf das Dock, während er einen zitternden Atem ausstieß.    Und dann legte er seine Finger in dieser kreisförmigen Geste aneinander.    Neji erspähte diese Haltung und schwieg. Er kannte diese strategische Pose, aber der Ausdruck von Ruhe, der normalerweise damit einherging, fehlte diesmal komplett. Shikamaru hatte nicht einmal die Augen geschlossen, sondern stierte geradeaus in die Nebel über dem Fluss; die dunklen Augen bewölkt mit Zweifel.    Sekunden verstrichen…   Dann Minuten…   Neji verlagerte das Gewicht auf die Fersen und wirkte nach außen hin gelassen, obwohl er seinen Rücken so hart gegen das Geländer presste, dass sich Spreißel in seine Haut bissen. „Rede mit mir, Nara.“   Ein sprödes, erschüttertes und raues Lachen. „Mit dir reden?“, murmelte Shikamaru und seine Fingerspitzen drückten sich so heftig aneinander, dass seine Haut kreidebleich wurde. „Und dir was genau erzählen? Dass ich keinen blassen Schimmer habe, wie ich ein Jutsu wirken kann, ohne Fingerzeichen zu machen oder Chakra auszurichten? Dass ich nicht der Sache zweihundert Schritte voraus renne, was auch immer zur Hölle das hier ist? Ist es das, was du hören willst?“   Neji zog den Kopf zurück; zusammen mit allen scharfen Worten. Es würde überhaupt nichts bringen, jetzt die Hörner zu verhaken, oder verbale Schläge deswegen auszuteilen. Ein bekräftigendes Bemühen war ihre beste Chance. Eine feindliche Herangehensweise würde ihn bei Shikamaru überhaupt nicht weiter bringen – zumindest nicht in diesem Fall.    Beruhigend holte Neji Luft, wich ein paar mentale Schritte zurück und begann von vorn. „Du hast erwähnt, du hättest dich gefühlt, als hätte man dir auf den Schädel geschlagen.“   Shikamarus Kopf hob sich ein Stück und seine Augen verschärften sich auf diese Tatsache. „Ja. Und zwar übel.“ Er stemmte sich auf die Füße und war nun etwas stabiler, da er sich auf etwas konzentrieren konnte. „Hat Sakura oder Ino mein Hirn auf zerebrale Aneurysmen oder Chakragerinnsel untersucht? Ino hat was von konzentriertem Chakra in meinem Schädel erwähnt.“   Und einfach so, war Shikamaru wieder zurück im Spiel. Drehte Optionen statt Räder und steckte nicht länger im Matsch von welcher Unsicherheit auch immer, die ihn noch vor wenigen Moment gepackt hatte.    Neji atmete ein mentales Seufzen der Erleichterung aus und spürte, wie sich der Boden zwischen ihnen zu einem vertrauteren Gebiet verwandelte. „Alles untersucht und abgeklärt“, sagte er. „Was auch immer das Chakra dazu gebracht, sich so zu benehmen; es war nicht physiologisch. Oder zumindest nicht soweit, als dass wir es hätten ausfindig machen können.“   „Biochemisch?“, schlug Shikamaru vor.    „Das ist eine Möglichkeit, aber Sakura ist nicht fortgeschritten genug, um das neuroendokrine System zu navigieren. Sie müsste Blutuntersuchungen durchführen…vorausgesetzt, dass das überhaupt das Problem ist.“   Shikamarus Brauen hoben sich bei der letzten Aussage. „Was zur Hölle soll das heißen?“ Und dann; mit einem beinahe schon bitteren Schmunzeln: „Was? Glaubst du, dass sich die Kabel in meinem Kopf lösen, Hyūga?“   Neji warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Das habe ich nicht gesagt.“ Aber es war nicht allzu weit von dem entfernt, was er dachte. Die ganze Zeit, seit er beauftragt worden war…   Nein…schon lange davor…   Ausgehend von den Ereignissen, die sich nach Hanegakure entfaltet hatten. Nämlich genau diese Nacht, in der er Shikamaru im eigenen Zuhause des Nara angegriffen hatte. In einem kalten Wirbeln aus Erinnerung kam diese Nacht zu Neji zurück; die zornigen Worte, die Andeutung einer Vergangenheit, die ebenso undurchsichtig und dunkel war wie die Schatten.    ‚Es macht dir Spaß, meine Wunden aufzureißen, oder, Nara? Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, ein paar von deinen aufzureißen.‘   Und dann nochmal, Wochen später, in der Nacht von Shikamarus Geburtstag.   ‚Ich habe es vor zwei Jahren immer wieder getan…es ist psychosomatisch…wenn man es schafft, sich durch die Panik zu treiben, durch die Angst…dann kann man manchmal etwas finden.‘   ‚Und was genau findest du?‘   ‚Es findet mich.‘   Und dann, erst letzte Woche.   ‚Weißt du, was nicht zu mir passt? Es zu brauchen, dass Kameraden mir dämlich simple Anweisungen zubrüllen, wenn wir in der Klemme stecken. Das darf nicht nochmal passieren, Neji. Ich muss wissen, dass ich das in meinem Kopf richtig habe. Hörst du mich?‘   Laut und deutlich. Naja, zumindest laut. Deutlichkeit hingegen war Mangelware, obwohl die Erinnerungen Hinweise anboten. Hinweise, die er unter den Teppich von Abgrenzung und Distanz gekehrt hatte. Es war einfach genug, sich davon abzuhalten, über Shikamarus Vergangenheit und Probleme nachzudenken, wenn er so beschäftigt mit seiner eigenen gewesen war; so verzweifelt danach, seine Zukunft zu sichern.    Und jetzt?   Schon wieder diese Fragen. Und schon wieder ohne Antworten. Nur seine Befehle. Schwarze und weiße Anweisungen, die wenig dazu beitrugen, um von den Grauschattierungen dieser Situation abzulenken. Nicht einmal das Byakugan, das doch so an die monochromen Farben der Welt angepasst war, konnte ihm einen Einblick verschaffen. Keine sofortige Lösung.    „Du machst dieses Distanzding, Hyūga.“   Blinzelnd konzentrierte sich Neji wieder auf die dunklen Augen, die über sein Gesicht wanderten und nach Rissen im Eis suchten. Energisch hielt er seine Miene ebenso neutral wie seine Stimme. „Ich bin meine letzten Begegnungen mit dieser Veränderung in deinem Chakra durchgegangen.“   „Achja? Willst du deine Weisheit teilen, bevor der Rest der Klasse hier auftaucht?“   Guter Punkt. Neji spähte zurück zu dem Gasthaus und dann himmelwärts, wo die Morgendämmerung die Wolken rosa einfärbte. Der Nebel begann bereits, dünner zu werden. Das bedeutete, dass ihnen nicht genug Zeit blieb, das hier wirklich durch und durch zu diskutieren, aber Shikamaru brauchte auch nur ein paar Teile, um das Puzzle zusammenzusetzen.   „Alle Vorfälle, an die ich mich erinnern kann, sind entweder passiert, als du unter irgendeiner Form emotionalen Drucks standest, oder als du dich in einer Kampf oder Flucht Situation befunden hast“, erwiderte Neji. „Biochemie erscheint plausibel.“   Shikamaru runzelte die Stirn. „Aber wenn es eine biochemische Reaktion war, die von Stress getriggert wurde, warum ist dann nichts passiert, als ich gegen die Chimären gekämpft habe? Oder gegen Akatsuki? Als Asuma…“ Hier geriet er ins Stolpern – so wie immer. Doch diesmal erholte er sich schneller und deutlich unauffälliger. „Als Asuma gegen Hidan gekämpft hat. Ich habe niemals sonst eine solche Panik verspürt. Und da wurde ich nicht komplett hirntot. Nicht, dass es mich irgendwie gestört hätte, wenn das bedeutet hätte, defensives Chakra zu entfesseln. Scheiße. Wenn es jemals eine Situation gab, bei der das hätte passieren sollen, warum zur Hölle ist es dann nicht passiert, als ich es am meisten…“ Gebraucht hätte. Die Worte blieben unausgesprochen, doch Neji hörte so überdeutlich, als wären sie heraus geschrien worden.   Die Augen des Hyūga zuckten leicht. „Shikamaru…“   Shikamaru winkte ab, bevor er sich mit einer Hand über den Mund strich und rasch blinzelte. „Es macht keinen Sinn. Logisch gesehen, macht das alles überhaupt keinen Sinn. Es muss irgendeine andere Erklärung geben.“   Ohne Zweifel.    Immerhin ist das meine Mission.   An Nejis Kiefer pulsierte ein heftiger Tic. Langsam zog er die Schultern nach hinten, um zu versuchen, die Anspannung in seiner Brust zu lösen. Er spürte, dass Shikamaru auf seine Antwort wartete und rasch verschleierte er sein Unbehagen, indem er ein paar Schritte über das Dock lief. „Auf jeden Fall, Shikamaru, Spekulationen bringen uns kein Stück näher an eine Lösung.“ Hier blieb Neji stehen, wandte sich um und machte eine bedeutungsvolle Pause, während die Wahrheit bereits in seinem Ärmel wartete. Es war Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. „Zumindest keine Lösung, von der ich glaube, dass du ihr zustimmen wirst. Sakura mochte den Vorschlag auf jeden Fall überhaupt nicht.“   Eine von Shikamarus Brauen wanderte nach oben und er ließ die Hüfte gegen das Geländer einknicken. „Sag es mir einfach direkt, Neji.“   „Du wirst es auch nicht mögen.“   „Ja? Tja. Zumindest warnst du mich vor. So viel weiß ich zu schätzen.“ Shikamaru zuckte mit einer Schulter und ein träges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Eine Vorwarnung, bevor du mir eine Hyūga Kopfnuss verpasst.“   Nejis Lippen verkrampften sich gegen ein Lächeln, als er seine Schritte zurück lenkte und seine blassen Augen glitten über das Dock, um Kontakt zu vermeiden. „So schnell dabei, zu vergeben, Nara.“   „So schnell dabei, zu vergessen, Hyūga.“   Beinahe hätte Neji bei diesen Worten inne gehalten, schaffte es aber, das Zögern in seinem Schritt zu glätten, indem er sich auf dem Absatz umdrehte. Seinen Rücken stützte er gegen das Geländer und verschränkte locker die Arme…als wollte er die Gefühle einsperren, die hinter seinen Rippen pochten. Mehr Kräuseln, mehr Wellen. Er ließ seinen Blick über Shikamarus Schulter wandern und richtete ihn auf eine der Taschen an der Flakjacke des Schattenninjas. „Du sollst wissen, dass ich dir in dieser Angelegenheit keine Wahl lassen wollte.“   Eine kurze Pause und Shikamaru verlagerte das Gewicht, doch anstatt defensiv die Arme zu verschränken, lehnte er einfach nur seine Ellbogen gegen das Geländer; eine Geste der Ruhe, des Vertrauens. Neji runzelte leicht die Stirn. Das hatte er nicht erwartet. Nicht nach all der Feindseligkeit, die er noch vor wenigen Stunden zwischen sich und den Schattenninja geschoben hatte.    „Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?“, fragte der Schattenninja.    „Erfahrung“, antwortete Neji, seine Töne ebenso gefasst war wie seine Miene. „Ich weiß sehr gut, wie es ist, wenn einem die Wahl genommen wird. Noch dazu von Kameraden.“   Anspannung verstopfte die Stille und das stete Tropfen der Vergangenheit füllte das Schweigen, bevor Shikamaru mit einer Stimme sprach, die leise und weich vor tiefer Reue war. „Schätze, dass du wohl doch überhaupt nicht vergisst.“   „Aber ich vergebe“, sagte Neji und seine Augen drifteten ein Stück weiter nach links, als die Erinnerungen wirbelnd in dem Abfluss seines Verstandes verschwanden. „Ich verstehe, warum du es getan hast. Jetzt bitte ich um dasselbe Verständnis von dir in Bezug auf das, was ich vorschlagen werde. Kannst du das tun?“   Für eine lange Zeit antwortete Shikamaru nicht.    Neji gewährte ihm die Privatsphäre, darüber nachzudenken und ließ seinen Blick hinaus über die Wasser gleiten, während er spürte, wie diese Worte schwer zwischen ihnen hingen; dazu gedacht, den Schlag abzufedern. Es gab keine Möglichkeit, den Hieb zurückzuhalten. Aber je weniger Lügen es zwischen ihnen gab, desto besser…   Hn. Für wen?   Neji spähte zu ihm. Weiße Augen berührten braune; der Blickkontakt so elektrisierend wie eine Liebkosung. Eine gefährliche Statik bewegte sich zwischen ihnen und drohte damit, sie in einem Augenblick festzuhalten, der zu aufgeladen war und einen Augenblick zu lange andauerte.    „In Ordnung“, sagte Shikamaru letztendlich und seine Stimme war dabei leicht heiser. „Sag mir einfach, was du im Sinn hast.“   ~❃~   Die Zeit verkündete ihre Stunde flüstersanft in seinem Verstand.    Sechs Uhr morgens.   Genmas Augen öffneten sich flackernd, als ihn seine innere Uhr innerhalb von Sekunden vom Schlaf zu Wachsamkeit katapultierte. Sekunden…Dank des Shōchū und der kleinen pinken Pillen brauchte er ein paar Sekunden mehr, um sich orientieren zu können und seine Augen kniffen sich in einem Versuch, sich zu fokussieren, zusammen.    Spinnweben aus Schatten hingen über dem Raum und das malvengraue Licht fiel über ihm durch einen Spalt in den Vorhängen. Das leichte, dunkle Glühen küsste sich über die Laken, streichelte die blasse, straffe Haut eines Unterarms und wanderte hinauf zu den schlanken Graten von Muskeln, bestäubte Bizeps und Schulter mit einer weichen Patina, bevor sich das pudrige Licht in einem Chaos silbergrauer Strähnen zerstreute und sie an den Rändern in weißes Feuer tauchte.    Kein Künstler – außer einem – hätte diesen Augenblick einfangen können.    Langsam blinzelnd senkten sich Genmas Wimpern auf Halbmast, als sein Blick über die freigelegten Konturen eines Gesichtes glitten, das von Laken und Schatten maskiert war. Als würde er die Begutachtung durch einen Schleier des Traumes spüren, drehte sich Kakashis Kopf gegen das Kissen und seine Brauen zogen sich leicht zusammen. Eine winzige Falte, die sich beinahe sofort wieder glättete, als sein Atem in einem langen, langsamen Rauschen entwich.    Wie eine warme Brise glitt dieser Klang durch Genma.    Hitze flackerte direkt danach auf und fächerte sich über Nervenenden, die immer noch mit dem sättigenden Glühen der Lust der letzten Nacht summten…mit dem Schmerz der letzten Nacht…   Verdammt…   Für einen langen Moment lag Genma einfach nur da und wartete darauf, dass sich die Kälte zusammen mit der Morgendämmerung heran stahl. Doch das tat sie nicht. Sekunden krochen vorbei, aber kein Frösteln folgte. Es wäre vielleicht ein fremdartiges Gefühl gewesen, wenn es nicht das dumpfe Weh von etwas Vertrautem mit sich tragen würde…etwas viel zu Schmerzhaftes, um zu riskieren, es noch einmal zu fühlen.   Und dazu auch noch mit Kakashi…   Einem Mann ohne Bindungen, ohne Abhängigkeiten…ohne den vernichtenden Drang, in Flammen aufzugehen.    Nicht so wie ich.   Das Bild von Tanzaku erschien in den hintersten Winkeln von Genmas Verstand; lebendig mit Höllenfeuer und dem Heulen eines wild gewordenen Dämons, der durchgegangen war…zu weit gegangen war. Genma verzog bei der Erinnerung daran, dass er das alles überhaupt erwähnt hatte, das Gesicht. Nachdem er Raidōs Wohnung verlassen hatte, hatte er das Feuer von damals neu entfacht, sein Apartment verwüstet, Shōchū in die Flammen der Erinnerung gekippt…und diese Nacht noch einmal durchlebt, die zu einem Gestern gehörte, das so dunkel und verzweifelt hoffnungslos war, dass der Gedanke an Morgen nichts weiter in sich hielt als Asche…Staub und Ruin…   Ja. Also bin ich hierher gekommen…   Zu Kakashi. Zu dem einen Mann, der ihn vor all diesen Jahren aus diesem Wrack gezerrt hatte…der ihn tretend und schreiend aus den Kiefern einer selbst konstruierten Falle gezogen hatte. Scheiße. Vielleicht war das der Grund, aus dem er hierher gekommen war…darauf hoffend, dass Kakashi es wieder tun würde…   Genma presste die Lider aufeinander.    Dämlicher Hurensohn…   Er hatte sein Bett bereits gemacht. Und in dem eines anderen zu liegen, würde die traurige, erbärmliche Tatsache nicht ändern, dass er alleine besser dran war.    Alleine besser dran…   Als er sich auf den Rücken rollte, trieb er diese Worte wieder und wieder in sein Herz, bis er fühlte, wie die Kälte die Wunden in einem langsamen Kriechen füllte…kaltes Blut…bitteres Blut…böse gewordenes Blut…   ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Kakashis Worte zogen sich durch die Wunde, Fingerspitzen hinterließen blutige Abdrücke auf unberührten Bereichen von ihm. Nein. Unberührbar. Befleckt. Falsch. Verdreht.   ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Während er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr, stierte Genma hinauf an die Decke; angewidert von dem nassen Stechen hinter seinen Augen, während er spürte, wie die Bestien aus Lust, Abscheu und Einsamkeit an seiner Halsschlagader rissen und seine Atmung zerfetzten.    Neben ihm grunzte Kakashi leise und regte sich leicht.    Genma sah zu ihm hinüber und sah dabei zu, wie sich Kakashis Kopf ein Stück nach hinten neigte, um die scharfe, ungebrochene Linie seines Kiefers und den schlanken Bogen seiner Kehle zu offenbaren, während sehnige Muskeln in seinem Hals arbeiteten, als er schluckte. Und das löste einen Durst in Genma aus; einen Durst danach, das Feuer zu löschen, das in seiner eigenen Kehle brannte.    Bei jeder anderen Gelegenheit hätte er nach Shōchū gegriffen.    Doch so wie es war, war Kakashi näher.    Genma lehnte sich auf den linken Ellbogen und neigte sich nach unten, um seine Lippen über Kakashis bloßgelegten Hals wandern zu lassen. Beim ersten Kontakt zuckte Kakashi leicht zusammen und sein Körper spannte sich für eine Attacke an, bevor er zurück in eine Regungslosigkeit gegen die Laken schmolz und seine Finger schwach an Genmas Hüfte zuckten.    Zu müde, um zu sprechen und zu wund, um sich zu bewegen.    Genau so, wie Genma gehofft hatte, dass er sein würde. Nicht, dass er Kakashi viel Zeit gegeben hätte, um sich zu erholen. Viermal hatte er den Kopierninja während der vergangenen Nacht geweckt. Brauchend. Wollend. Küsse stehlend. Wieder und wieder in Kakashi versinkend. Sich nehmend, was zur Hölle ihm möglich gewesen war und den langsamen, sengenden Sex genießend.    Das war nicht einfach nur Sex…   Genma wusste das. Fühlte, wie es auf Ebenen schwankte, die viel zu zerbrochen waren, um das Gewicht dessen stützen zu können, was vielleicht hätte sein können, wenn er stark genug gewesen wäre, um es zu halten. Es zu besitzen. Doch die Chancen, dass sich Kakashi jemals wieder einer solchen Intimität hingab standen in etwa so hoch wie dass ihre gemeinsame Zeit über diese Nacht hinaus Bestand hatte.    Die Nacht ist vorbei…und das hier auch…   Viel zu schnell vergangen. Die Geschichte seines Lebens. Naja…war sowieso ein wiederkehrendes Thema. Und er würde das Buch zu dieser Erinnerung schließen. Oder vielleicht würde er sie komplett heraus reißen. Noch mehr Zündstoff für den immerwährend brennenden Scheiterhaufen seiner Vergangenheit.    Tz. Heul doch. Steh auf und mach weiter.   Das würde er…in ein paar Sekunden. Das war alles, was er jemals brauchte, um Kakashi auszunutzen, wenn die Wachsamkeit des anderen Ninjas gesenkt war.    Sekunden…   Ob Kämpfen oder Ficken. Sekunden machten immer den Unterschied.    Ja…und sie könnten auch den Unterschied machen, ob du in und aus Mushis Fenster schlüpfst oder nicht…   Ein funkelndes, neues Fenster der Gelegenheit, das mit jeder verstreichenden Minute kleiner und kleiner wurde. Obwohl er das drängende Tick-Tack der Zeit spürte, zwang Genma die Uhr dazu, langsamer zu laufen und ließ diese kostbaren Sekunden in Küssen über Kakashis Hals fallen, um der Dehnung von warmer, salziger Haut bis zur empfindlichen Unterseite des Kiefers zu folgen, wo Zähne zaghaft daran kratzten.    Kakashi grummelte eine halbherzige Beschwerde. Ein Klang, der bereits auf halbem Weg seine Kritik verlor, bevor seine Stimme leise und schläfrig heiser hervor krächzte. „Nein…“   „Das hast du das letzte Mal auch gesagt“, wisperte Genma und zog Kakashis Unterlippe zwischen die Zähne. „Und dann wieder, als ich aufgehört habe. Du bringst deine Botschaften durcheinander, Kakashi.“   Silberne Brauen zogen sich leicht zusammen. „Genma…“   Der Mund des Shiranui bog sich ein wenig. Er forderte sein Glück heraus…was nicht gerade etwas war, das er im Überfluss besaß – wenn überhaupt. Ein Abschiedskuss auf Kakashis verfärbten Mund und Genma zog den Kopf zurück, während er die Zunge über seine Lippen streichen ließ. Er sah hinunter auf das attraktive Gesicht, das sich gegen das Kissen neigte und ließ seine Augen über die weichen Neigungen und granitenen Linien gleiten, die das Geheimnis dessen herausgearbeitet hatten, was versteckt unter dieser Maske lag.    Ein verdammt gutaussehender Bastard…   So simpel. Es gab keine besseren Worte dafür. Genma war weder in seinem Denken, noch in seinen Worten besonders lyrisch. Er hatte das nur ein einziges Mal getan, als Liebe seine Sicht in satte und wunderschöne Farben getaucht hatte, bevor sie ihn in bodenlose Schatten gestürzt hatte. Seitdem hatten sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt…aber er war nicht so blind, so weit fort, dass er nicht das Licht wahrnahm, das Hatake Kakashi war und an den Rändern seiner Sicht schwebte.    Die Lichter in meinem Leben sind schon vor Jahren erloschen…   Und dennoch war er hier und sonnte sich in dem Nachglühen der Gefühle, die letzte Nacht brennend aus der Asche empor gestiegen waren. Aus reinem Instinkt versteifte er sich gegen die Wärme. Er wusste es besser, als ihr zu vertrauen. Kannte nur eine Art von Wärme, auf die er sich verlassen konnte – das chemische Brennen von Dukkha. Zumindest könnte er eine weitere Pille einschmeißen, wenn das Feuer erlosch. Er hatte nicht den süchtig machenden Luxus, wenn es darum ging, Leute zu benutzen.    Kakashi zu benutzen…   Er wusste das. Hatte sich nur keinen Dreck darum geschert. Denn das war die Art Mensch, die er war.    ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Genma verkrampfte sich gegen diese Worte, gegen den wiederkehrenden Ansturm der Hoffnungslosigkeit und des Selbsthasses. Es legte sich erneut über ihn; ein kaltes, schwarzes Überbleibsel, der Fleck davon dunkel wie Schmutz. Es ließ ihn sich mit jedem Bisschen wie der Flegel, der Zyniker, der Verbrecher fühlen, der sich Untaten schuldig gemacht hatte, die zu lang waren, um sie aufzulisten und zu jämmerlich, um sie zu benennen.    Steh auf. Verschwinde. Mach verfickt nochmal mit dem weiter, was du tun musst.   Die kalten Anweisungen schlugen sofort Wurzeln und begannen zu keimen, um die Pläne zu detaillieren, die er am Tag zuvor gesät hatte; Shikamarus Akte finden und mitnehmen, elektronische Gerätschaften einsammeln, ein paar Aufzeichnungen überprüfen, seine Nachmittagssitzung mit dem Seelenklempner durchleiden, bevor er sich für die nächtliche Observierung von Mushis Haus bereit machte.    Leg los.   Als er sich aufsetzte, verzog Genma über die Zittrigkeit das Gesicht, die ihn packte und seine Muskeln zuckten, während er aus dem Bett kletterte und versuchte, die Matratze nicht zu sehr zu bewegen. Es war ein Bemühen, das leicht von den Nachwirkungen des Dukkha-Shōchū Coktails beeinträchtigt war, der noch immer durch seinen Körper schwappte.    Shit…wie viel habe ich eigentlich genommen?   Offensichtlich nicht genug, um die Erinnerung an vergangene Nacht auszulöschen. Während er so am Ende des Bettes stand, griff er nach seiner Hose, hielt seine Augen aber die ganze Zeit auf Kakashi gerichtet. Er erwartete nicht, dass der andere Mann aufwachte. Die Atmung des Kopierninjas hatte sich wieder beruhigt, sein Körper war schlaff und die Miene bar jeder Anspannung.    Tiefer Schlaf.   Die gute Art. Die erholsame Art. Die Art, die Genma in zwei Jahren kaum erlebt hatte, da sein Hirn seit Kusagakure ununterbrochen im ANBU Modus verkabelt war. Immer seit…   ‚Hey...du weißt, wie das läuft…wir können uns nicht alle aus dem Staub machen…‘   Eine Klinge hätte weniger Blut vergossen. Genma presste die Lider aufeinander und krallte seine Hände an die Schenkel, als er sich wegen des kummervollen Schmerzes nach vorn krümmte, der um diese offene Wunde herum aufstieg.    Fuck. Bitte…   Er biss die Zähne zusammen, seine Arme bebten und die Muskeln seiner Schenkel zuckten heftig. Er brauchte einen Schuss. Musste so hart getroffen werden, dass er vollständig betäubt werden würde, die Chemikalien sein System durchlöcherten und dieses süße Brennen die Wunde verödeten.   Du schwächlicher Hurensohn…steh verfickt nochmal auf…   Er hatte keine Zeit hierfür, hörte bereits das tick-tick-tick dieser gottverdammten Uhr in seinem Verstand. Energisch schob er sich in die Aufrichtung, klopfte seine Taschen mit zitternden Händen ab, zerrte den kleinen Beutel heraus und fischte eine kleine grüne Pille daraus hervor, die er mit den Backenzähnen zertrümmerte und hinunter würgte. Das Rūpa würde dafür sorgen, dass er wachsam blieb und funktionierte. Aber was er wirklich brauchte, war eine stärkere Dosis Dukkha. Das würde den Schmerz betäuben und ihn hoch fliegen lassen für die nächsten paar Stunden, Tage, Wochen…verdammt, aber er hatte vergangene Nacht eine harte Bruchlandung hingelegt und war auf seinen Knien direkt in Kakashi geschlittert.    Das darf nicht nochmal passieren.   Es war nicht auszudenken, in wen oder was er das nächste Mal krachen würde.   Es wird kein nächstes Mal geben.   Ja, vorausgesetzt, dass er seinen Hintern zu Mizugumo schwang, direkt nachdem er sich um Mushi gekümmert hatte. Er hatte es zu lange gelassen. Hatte dieses irritierende kleine Ding unterschätzt, das sich ‚Toleranz‘ nannte und wie sehr es sich in seinem Netzwerk aufgebaut hatte. Inzwischen brauchte er drei Schüsse Dukkha, um denselben Rausch zu erreichen, den für gewöhnlich eine einzige kleine pinke Pille herbei geführt hatte.    Klasse…und da verabschiedet sich mein Gehalt…   Mizugumo hatte ihn gewarnt. Tat sie das nicht immer? Ihre kleinen, chemischen Cocktails waren nicht billig – was ihn daran erinnerte, dass er sich immer noch nicht sein Geld von Raidō abgeholt hatte. Stattdessen hatte er einmal quer über ihre Partnerschaft gepisst und sie angezündet.    Super Zug, Arschloch…   Ein weiteres Stück seines Lebens, das auf den Scheiterhaufen geworfen wurde. Energisch zwang er das Bild von Raidōs gebrochener Miene aus seinem Geist und sah stattdessen auf das Chaos auf dem Boden. Offensichtlich hatte er zu irgendeinem Zeitpunkt die Flasche durch das Zimmer geschmissen. Er wickelte sich seine Weste um die Faust und bewegte sich rasch, um die zerstreuten Teile der Shōchū Flasche zu einem glitzernden Haufen zusammenzuschieben, während er mit seiner eingehüllten Hand und einem grimmigen Schmunzeln über den Boden wischte.    Mushi würde das lieben…   Scheiße, der Seelenklempner würde aus dem Mund schäumen, wenn er sehen würde, wie Genma zerbrochenen Scheiß auf dem kalten harten Holz aufkehrte. All die Analogien, die dieses Insektenhirn ziehen und wie es sich an der psychologischen Poesie erfreuen würde, die aus einem gebrochenen Mann bestand, der versuchte, Ordnung in all diese zersplitterten Teile zu bringen…   Vielleicht nutze ich das in der heutigen Sitzung…   Er könnte Mushi etwas geben, auf dem er herum kauen konnte. Etwas, mit er arbeiten und die Zeit totschlagen konnte.    ‚Ich habe eine Flasche zerbrochen. Habe das Durcheinander aufgeräumt. Hat sich gut angefühlt.‘   Buddhas Eier. Allein das Wort ‚fühlen‘ zu nutzen, würde ausreichen. Mushi würde seinem unbeholfenen Stolpern über die Paranoia hinaus applaudieren und denken, dass Genma seine ersten Babyschritte hin zu einem Durchbruch gemacht hatte.    Bisschen spät dafür…   Schnaubend ließ Genma seine Weste auf den Glashaufen fallen und schnappte sich Kakashis ANBU Shirt aus dem Gewirr am Fenstersims. Flüchtig zuckten seine Augen zu dem Foto von Obito und Rin, bevor sie sich auf den jungen, silberhaarigen Jōnin richteten. Während er dieses Bild des jungen Hatake in seinem Verstand hielt, zerrte sich Genma die Weste über den Kopf, schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht und warf einen Blick auf den schlafenden Mann – seine Miene wurde weich.    Der Tod der beiden hat dich verändert…das verstehe ich…   Er verstand es nicht einfach nur. Er besaß das. Fühlte sich übel vor Schuld, wusste, dass er vergangene Nacht verrottete Klumpen dieses Schmerzes eingetauscht hatte, nur um irgendetwas mehr zu fühlen als die Agonie all seiner Fehler, all seiner Reue…   ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Wenn er daran dachte, dass er das beinahe geglaubt hatte.    Genma sah durch Wimpern hinab auf den Kopierninja, beugte sich nach unten und atmete tief den Geruch des anderen Ninja ein, bevor er mit den Lippen zärtlich über die silbernen Strähnen nahe an Kakashis Ohr strich und seine Stimme hauchte: „Ich wünschte, du wärst eine Pille, Hatake.“    ____________________ Glossar: Rūpa: Eine Droge, die ihren Namen von dem buddhistischen Konzept materieller Form hat, was den Körper und auch externe Materie einschließt.  Hey ihr Lieben, das war hier tatsächlich das erste Mal in UtS, dass Shikamaru und Neji nur zu zweit sind. Bin schon sehr gespannt, wie ihr diese Szene zwischen den beiden fandet ;)  Wirklich viel passiert in diesem Kapitel tatsächlich nicht so sehr, aber ein ruhiges zwischendurch ist auch nicht verkehrt, oder?  Ich hoffe natürlich sehr, dass es euch trotzdem gefallen hat :)  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)