Ein Wochenende in Hakone von _Delacroix_ ================================================================================ Reis Finger schwebte über dem «Buchen»-Button, aber sie konnte sich einfach nicht dazu durchringen, darauf zu tippen. Die Angaben lasen sich super, aber genauso super war auch der Preis. Wenn sie das jetzt buchte und sich Jedites Kreditkarte als Lüge entpuppte, würde sie auf einem hohen fünfstelligen Betrag festsitzen, den sie nicht einfach mal eben nachzahlen konnte. Sie würde ihren Großvater anrufen und sich das Geld von ihm oder - noch schlimmer - von ihrem Vater leihen müssen. Damit war der Druck auf diesen Button nicht nur eine simple Bestätigung der Reservierung, er war gleichzeitig eine Bestätigung ihres Vertrauens und Vertrauen hatte sie nicht sonderlich viel. Skeptisch schielte sie nach links, wo ihr Fahrer so tat, als hätte er ihr Zögern nicht bemerkt. Vielleicht hatte er das auch nicht, denn der Verkehr verlangte – natürlich – ebenfalls nach Aufmerksamkeit. «Darf ich dich etwas fragen?», platzte sie heraus. «Streng genommen tust du das gerade», entgegnete er. Rei schürzte die Lippen, vielleicht hatte sie die Spitze verdient, aber das hieß noch lange nicht, dass sie sie auch mochte. «Erzähl mir von euren Tarnidentitäten», forderte sie. Jedite warf ihr einen fragenden Blick von der Seite zu. «Das habe ich doch bereits getan», entgegnete er. «Du hast mir von Neflites Tarnidentität erzählt, aber er ist nur ein Viertel eurer Gruppe. Was ist mit euch Anderen? Oder kannst du es mir doch nicht sagen?» Das letzte Wort war ihr kaum über die Zunge gerollt, da stieß ihr Sitznachbar bereits einen resignierten Seufzer aus. «Wir tun nichts Illegales», betonte er noch einmal. «Aber gut, wenn du unbedingt mehr Informationen willst, was soll ich dir denn erzählen?» Rei überlegte. Es gab einige interessante Fragen auf die sie nur zu gerne eine Antwort gehabt hätte. Zum Beispiel wie lange Mamoru schon den Gastgeber für die vier spielte, ohne ihnen etwas davon zu erzählen. Aber wenn sie das fragte, machte ihr Opfer mit Pech dicht. Ihm schien ja an Mamoru und seiner Integrität gelegen zu sein. «Wohnt ihr wirklich alle bei Mamoru?», beschloss sie deshalb das Thema etwas zu umschiffen. Vielleicht ließ sich aus den Details ja eine Antwort auf ihre eigentliche Frage ableiten. Jedite griff das Lenkrad etwas fester. «Es ist schwer, eine Wohnung in Tokio zu finden», erklärte er ihr, «Vor allem, wenn man kein Geld für die Kaution hat, keinen Bürgen und sich nicht zu weit von Mamoru entfernen will. Aber wir haben das geklärt. Zoisite schläft zurzeit im Arbeitszimmer, Kunzite und Neflite teilen sich den Wohnraum und ich habe für gewöhnlich Nachtschicht und bekomme von dem dazugehörigen Drama nichts mit.» «Und Mamoru?», fragte Rei. «Der überlegt seine Schlafzimmertür verstärken zu lassen.» Unwillkürlich hoben sich Reis Mundwinkel. Der Witz mochte schlecht sein – möglicherweise war es nicht einmal ein Witz – aber die Vorstellung war doch irgendwie amüsant. Armer Mamoru. «Und jetzt sucht ihr alle nach einem Job?», fragte sie prompt weiter. «Wir suchen nicht. Wir haben einen Job, oder so etwas Ähnliches.» Rei schaute skeptisch. «So etwas Ähnliches?», wiederholte sie. Jedite seufzte noch einmal. «Warst du in letzter Zeit mal bei Instagram?», fragte er. Rei schüttelte den Kopf. Natürlich schaute sie sich gelegentlich die neuesten Fotos ihrer Mitschülerinnen an, aber über der Lernerei für die Uni-Aufnahmetests, ihrem Job als Miko und ihren Aufgaben als Sailor Mars hatte sie die App in letzter Zeit etwas vernachlässigt. «Meist schaue ich nur in unseren LINE(6)-Gruppenchat», gestand sie. «Sein Nutzername ist ZClothes», informierte Jedite sie, «Und er hat erschreckend viele Follower. Also, wenn dir irgendwann der Sinn nach sehr viel Zoisite und noch mehr Eindrücken aus Mamorus Küche ist ...» Rei unterdrückte mühsam ein Kichern. «Er macht Instagrambilder in eurer Küche?», fragte sie amüsiert. «Ich bin mir sicher unter #Frühstück findest du ein Bild von meiner Teetasse», murrte Jedite, «Und was noch schlimmer ist, irgendwo unter #Mitbewohner gibt es ein ganz furchtbares Bild von mir und Mamorus Futon.» Einen Moment lang kämpfte sie noch mit sich selbst, dann begann sie zu lachen. Diesen Instagram-Account musste sie sich bei Gelegenheit ansehen. «Und damit kann man Geld verdienen?», fragte sie glucksend. Jedite zuckte mit den Schultern. «Ich sagte doch, es ist so etwas ähnliches wie ein Job. Ich habe keine Ahnung, wie gut oder schlecht das vergütet wird. Und ehrlich gesagt: Ich will es auch gar nicht wissen. Das ist ganz alleine Zoisites Problem.» Rei kicherte noch etwas, dann zwang sie sich zu einem betont ruhigen Nicken. «Ich verstehe, denke ich.» So wie es aussah, hatte Jedite Neflite vorgeschoben, weil sein Lebenswandel der Normalste der Truppe war. Was würde sie wohl noch erwarten?   «Kunzite arbeitet als Bodyguard», erklärte Jedite pflichtbewusst weiter, «Das ist vielleicht nicht sonderlich originell, aber scheinbar ganz profitabel.» «Und ich wette er hat noch nie für einen Kunden ein Bild von deiner Teetasse gemacht», witzelte Rei. Jedite lächelte düster. «Das glaube ich auch.» «Aber wenn du normalerweise Spätschicht hast, halte ich dich dann gerade von der Arbeit ab?» «Nicht wirklich», antwortete er ihr. «Als wir feststellten, dass Mamoru krank ist, habe ich meine Schicht mit Aya-chan getauscht. Ich dachte, ich kann mich vielleicht irgendwie nützlich machen.» «Aya-chan?» Jedite deutete mit der Hand auf das Autoradio. «Aya-chan», wiederholte er. Einen Augenblick lang überlegte Rei, ob das Autoradio womöglich einen Namen hatte, dann dämmerte ihr, dass er nicht die Technik meinte, sondern die Stimme, die gerade in einem freundlichen Ton das aktuelle Wetter beschrieb. «Hab im Gegenzug von ihr die Talkrunde am Mittwoch bekommen. Heißt, ich habe noch drei Tage um mir eine Meinung zum Thema ‹Akechi, Kudo, Hattori - Segen oder Fluch von Schülerdetektiven › zu bilden. Du hast nicht zufällig eine Meinung dazu, oder?» Rei schüttelte eilig den Kopf. «Nichts für ungut, aber von Menschen, die gerne Geheimnisse aufdecken, halte ich mich naturgemäß lieber fern.» Hätte ihr schließlich noch gefehlt, dass einer dieser jungen Detektive ihrer geheimen Identität auf die Schliche kam. Jedite dagegen nickte knapp. «Kann ich irgendwie nachvollziehen», stimmte er ihr zu. «Na so schlimm wird es nicht werden. Aya-chan hat gesagt, sie habe einen Herrn Megure eingeladen, von der Kriminalpolizei. Vielleicht habe ich Glück und er übernimmt das Reden für mich. Entweder er, oder die Zuhörer. Ehrlich gesagt hatte ich eh den Eindruck, das Aya-chan Angst davor hatte, am Ende mit x wütenden Jung-Detektiven am Telefon dazusitzen.» «Und dir macht das nichts aus?», fragte Rei misstrauisch. Jedite zuckte mit den Schultern. «Es ist ein Telefon», entgegnete er trocken, «wenn ich keine Lust mehr habe der anderen Seite zuzuhören, lege ich einfach auf.» Zugegeben, da war was dran und apropos Telefon ... Nachdenklich wischte sie über den Bildschirm ihres Handys. Schien als wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo sie sich entscheiden musste. Entweder sie drückte jetzt auf diesen Button und glaubte ihm und damit auch Mamoru, oder sie tat es nicht und würde die Nacht vermutlich hellwach in diesem Auto verbringen. Unsicher musterte sie das Display. Sie war wirklich nicht gut in diesen Dingen. Aber konnte man sich so eine Geschichte einfach ausdenken? Sie könnte die Buchungsseite zur Seite schieben und ihre neuen Quellen überprüfen. Sie könnte Instagram öffnen oder auf LINE nach dem Account von FM No. 10 suchen. Es wäre dumm, derart offensichtlich zu lügen. Und was hätte er schon davon? Eigentlich wirkte er nicht sonderlich gefährlich, sondern eher, als wäre er vielleicht ... 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