Ein Wochenende in Hakone von _Delacroix_ ================================================================================ Rei blickte in den Spiegel des Fahrstuhls und ignorierte die elektronisch verzerrte Lautsprecherstimme, die gerade zum Refrain eines bekannten BTS-Songs (2) ansetzte. So hatte sie sich ihren Ausflug nicht vorgestellt. Neben ihr starrte Jedite stumm auf die Fahrstuhlanzeige. Seit er eilig aus dem Flur marschiert war, um seinerseits ein paar Dinge zusammenzupacken, hatte er nichts mehr gesagt und vermutlich war das auch besser so. Vielleicht tat sie ihm unrecht, aber sie vertraute ihm nicht. Ihm nicht und seinem weißhaarigen Freund noch weniger. Zwar hatte es wirklich so ausgesehen, als würden die beiden sich um Mamoru sorgen, aber hätte er ihr jetzt gesagt, dass er hinter den Übergriffen in Hakone steckte, sie hätte auch das sofort geglaubt. Aus den Augenwinkeln musterte sie ihren Chauffeur. Graue Jacke, Stehkragen, eigentlich sah er aus wie früher, nur die Ornamente seiner alten Uniform hatte er scheinbar abgelegt. Noch dazu schleppte er eine große, weiße Tennistasche, die nicht so wirkte, als würde sie wirklich ihm gehören. Das Licht der Fahrstuhlanzeige sprang ein Stockwerk weiter. Vielleicht war es doch noch nicht zu spät, Haruka anzurufen. Aber die hatte am Wochenende ein Motorradrennen und Rei wollte nicht, dass sie wegen eines bloßen Verdachts alles absagte.   Jedite räusperte sich. «Wie soll ich dich eigentlich ansprechen?» fragte er, ohne den Blick von der Anzeige zu nehmen. Rei hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit so einer Frage. Und auch die Antwort war nicht ganz einfach. Sailor Mars hätte sie angemessen gefunden, aber die Vorstellung, dass er diesen Namen im falschen Moment benutzte, war nicht sehr verlockend. Andererseits hätte sie es vorgezogen, dass er überhaupt nicht mit ihr sprach. «Mein Name ist Hino, Rei», erklärte sie und zwang sich stur dazu jedwede Verbeugung schon im Urschleim zu ersticken. Sie würde sich nicht vor diesem Kerl verbeugen und auch alle anderen Höflichkeitsformen konnte er sich getrost in die Haare schmieren. Solange sie nicht wusste, was sie von ihm halten sollte, würde sie gewiss nicht so tun, als wäre sie nett. Jedite dagegen nickte knapp. «Dann also Hino-san», urteilte er, während ein leichter Ruck durch den Fahrstuhl ging. «Mamorus Parkplatz ist in der zweiten Reihe rechts», schob er nach, bevor er aus der Kabine trat.   Rei folgte ihm auf ein schummriges Parkdeck hinaus. In schmalen Reihen drängte sich Auto an Auto. Kleinwagen in allen Farben des Regenbogens, ein paar größere Autos, die vermutlich in erster Linie als Familienkutschen dienten, aber dort, in der zweiten Reihe, erkannte sie tatsächlich das leuchtende Rot von Mamorus Sportwagen. Sie hatte Bunny und Chibiusa oft aus diesem Auto steigen sehen und hätte den Alfa Romeo sicher erkannt, auch ohne Kommentar. Stumm folgte sie Jedite, der gerade auf der rechten Seite des Wagens angekommen war. Kurz zögerte er, dann marschierte er eilig auf die andere Seite, öffnete die Tür und betätigte den Schalter für den Kofferraum. «Ich fürchte viel Platz ist hier nicht», urteilte er, während er seine Tennistasche hineinstellte und dann fordernd die Hand nach ihrer Sporttasche ausstreckte. Rei ignorierte ihn und stopfte ihre Tasche höchst selbst in die verbliebene Lücke. Zumindest im Punkt «Platz» hatte er recht. Mit den beiden Taschen war der Kofferraum so prall gefüllt, dass sie nicht einmal mehr einen Regenschirm daneben hätten packen können. Jedite schloss kommentarlos den Kofferraum und deutete dann nach rechts. Einen Moment lang glaubte sie, er wollte an ihr vorbei, dann verstand sie, dass er erwartete, dass sie diese Richtung einschlug. Skeptisch griff sie nach der Autotür. Hoffentlich war ihm bewusst, dass sie den Wagen nicht fahren – Sie stockte. Der Wagen war wohl ein ausländisches Modell. Auf der linken Seite öffnete sich die Fahrertür. «Ich habe es auch gerade eben erst gemerkt», gestand ihr Fahrer und ließ sich auf dem Platz links von ihr nieder. Rei horchte auf. «Dann sitzt du gerade zum ersten Mal hier?», fragte sie. Ein dumpfes Ziehen machte sich in ihrem Magen breit. Wollte sie wirklich, dass Jedite sie mit einem ihm unbekannten Wagen gegen eine Laterne fuhr? Eilig griff sie nach dem Gurt und schnallte sich an. Wenn sie schon ein tragisches Ende nahm, dann wollte sie es wenigstens nicht in Mamorus Windschutzscheibe tun. Jedite seinerseits drückte auf den Startknopf und setzte den Wagen zurück. «Normalerweise fährt Mamoru selbst», informierte er Rei über das Piepen der Parksensoren hinweg. «Und wenn er nicht mit dem Wagen unterwegs ist, ist es Neflite. Aber keine Sorge, ich kriege das schon hin.» Wahrscheinlich war es tröstlich gemeint, aber der Knoten in Reis Magen wurde gefühlt noch dicker. Inzwischen war der Wagen weit genug nach hinten gerollt und Jedite verlegte sich darauf, ihn auf die schmale Zufahrt zu lenken. Das Piepen der Sensoren verstummte und das Radio sprang an. Eine italienische Ballade schallte ihnen entgegen und veranlasste sie beide dazu nach dem Lautstärkeregler zu greifen. «Entschuldige», murmelte ihr Fahrer und zog eilig seine Hand zurück. «Würdest du bitte auf FM No. 10 umschalten?» Rei nickte und begann nach dem Sender zu suchen. Sie schaltete durch zwei Politikprogramme, drei verschiedene Liebeslieder und eine Wettervorhersage, bevor sie schließlich auf dem richtigen Sender angekommen war. Währenddessen hatte sich Jedite in den fließenden Verkehr eingefädelt. Es war ein wenig ungewohnt, die Straße aus der Sicht des Fahrers zu sehen, aber davon ab, blieb die befürchtete Katastrophe aus. Vielleicht hatte Jedite ja doch recht und er konnte fahren. Skeptisch blickte Rei zur Seite. «Hast du wirklich einen Führerschein?», fragte sie misstrauisch. Jedite setzte den Blinker und wechselte die Spur. «Mein Alias hat einen.» «Dein Alias?», fragte Rei skeptisch und er zuckte mit den Schultern. «Wir konnten Mamoru ja nicht mehr als nötig auf der Tasche liegen und berechtigterweise stellt in Tokio niemand jemanden ein, der nicht einmal über einen Nachnamen verfügt.» «Ihr habt euch also eine zivile Identität gebastelt?» Er nickte. «Das kann man wohl so sagen. Außer Neflite, der hat einfach seine Alte wieder angenommen.» «Dann ist Masato Sanjouin also wieder zurück ...» Rei seufzte. «Weiß Naru davon?» «Hat er mir nicht erzählt», antwortete Jedite knapp. «Aber Neflite ist immer viel unterwegs.» «Was macht er denn?», fragte Rei weiter, bevor sie überraschend abgelenkt wurde. Das Handy in ihrer Tasche hatte vibriert. Neugierig fischte sie es hervor und las die neueste Nachricht. Sie war von Bunny. «Er gibt Tennisstunden», hörte sie Jedite antworten, während sie eine eilige Antwort tippte. «Passt zu ihm», murmelte sie halbherzig, während sie auf ein weiteres Vibrieren wartete. Wenn Bunny sich mit einem knappen ‹Unser Treffen fällt aus › abspeisen ließ, würde sie ihren Besen fressen. Und tatsächlich vibrierte es beinahe sofort noch einmal. ‹Wieso?› hatte ihre Freundin in den Gruppenchannel geschrieben. Rei seufzte. ‹Ich bin auf dem Weg nach Hakone. Überprüfe dort einige Zwischenfälle › tippte sie. «Darfst du mir das überhaupt alles erzählen?» fragte sie laut. «Sicher, warum nicht? Tennis spielen ist ja kein Verbrechen.» Ihr Handy vibrierte noch einmal. «Scheint als wärst du sehr gefragt.» Rei schüttelte den Kopf. «Das ist nur Bu-» Sie biss sich auf die Zunge. Jetzt hätte sie sich fast verquatscht. Jedite warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. «Ich kenne ihren Namen», versicherte er dann, «Eigentlich kenne ich sogar alle ihre Namen, denke ich. Aber gut, was will Tsukino-san?» Rei seufzte noch einmal. «Sie will wissen, warum ich sie nicht mitgenommen habe.» «Und? Warum hast du sie nicht mitgenommen?» Rei drehte sich nach hinten und hob ihr Handy an. «Ach weißt du, das hat vor allem Platzgründe.» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)