Requiem von _Scatach_ (Teil Drei der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 9: A burden to carry ---------------------------- Einsam und traurig erscholl das Heulen in einem Klagelied über dem Dorf, hallte von den Dächern wider, durch die Straßen und tief hinein in die Schatten der Trainingsareale.    Shikamaru blieb stehen. „Was zur Hölle?“   Einen Schritt hinter ihm hielt auch Neji inne, halb abgewandt und den Blick himmelwärts gerichtet.    Die Symphonie aus Schreien hob und senkte sich in wechselnden Tonhöhen, nahm an Lautstärke und neuen Stimmen zu, als sich die Echos weiter ausdehnten; ein qualvolles Geheul auf dem Wind, durch das sich Köpfe drehten und Lichter hinter geschlossenen Türen und schlafenden Fenstern aufflackerten.    Shikamaru fühlte, wie ein Frösteln durch ihn jagte und seine Haut straff zog.    Er tauschte einen raschen Blick mit Neji aus und sah dieselbe Unruhe in den Augen des Hyūga. Doch ihm blieb keine Zeit, den Mund aufzumachen, bevor ein markerschütterndes Bellen aus einer der verwinkelten Gassen explodierte. Der Schattenninja wirbelte herum und sah, wie ein massiver rot-weißer Fleck auf sie zu stürzte.    Und dann geschahen drei Dinge direkt hintereinander.    Die ersten beiden Aktionen passierten sogar vollkommen simultan und ohne überhaupt darüber nachzudenken; Shikamaru und Neji setzten sich in Bewegung, um den jeweils anderen zu verteidigen. Und das dritte Ereignis spielte sich nur einen Herzschlag danach ab; und zwar in Form eines Inuzuka Kiba, der Kopf voran über zweihundert Pfund angreifenden Hundes sprang, um in einer Hocke zwischen den Vierbeiner und die aufgeschreckten Ninja zu kommen.    „Akamaru, STOP!“   Moment. Akamaru?   Shikamaru sah noch einmal genauer hin. Die Bestie, die auf sie zuraste, war doppelt so groß wie Akamaru und bestand schier nur aus sich bewegenden Muskeln.    Wohl doch eher vierhundert Pfund angreifender Hund.   Und besagte vierhundert Pfund angreifenden Hundes schienen auch noch ihre Farbe zu wechseln. Das dichte Fell des Vierbeiners kräuselte sich zwischen rot und weiß, als eine Ninjutsu Verwandlung gerade im Entstehen war.    Shit. Das kann echt nichts Gutes bedeuten.    Shikamaru bereitete sich darauf vor, selbst loszuspringen und bemerkte, wie sich Neji neben ihm in seine defensive Stellung schob.    Doch wie es der Zufall wollte, bewegte sich Kiba schneller als sie beide.    Mit einem qualvollen Zischen duckte sich der Hundeninja tief und stürzte nach vorn, um Akamaru in einem Zug um den Hals einzufangen, der einen rennenden erwachsenen Mann von den Füßen gerissen hätte. Der Inuzuka warf sein gesamtes Gewicht in diese Attacke, verschloss die Schultern und seine Muskeln traten hervor, während sich sein Gesicht schmerzerfüllt verzerrte.    Ein ekelerregendes ‚Pop‘ erscholl.    Akamaru kläffte und alle vier Pfoten trugen ihnen ein Schritt nach vorn, als Kiba ein ersticktes Brüllen ausstieß, die Hüfte seitwärts nach vorn schnellen ließ und Akamaru mit einem Würgegriff in den Boden hämmerte.    In einem Krachen gingen sie nieder.    Shikamaru spürte, wie der Aufprall direkt durch seine Füße und hinauf in seine Beine bebte. „Kiba!“   Rasch ließ sich Kiba auf die Knie fallen und packte seine ausgekugelte Schulter, wobei seine Augen vor Schmerz nach oben zuckten. „FUCK!“   Neji bewegte sich auf ihn zu.   Und als er eine Bedrohung – oder vielleicht auch einfach nur einen roten Nebel – wahrnahm, setzte Akamaru über Kibas Kopf hinweg und schien mitten im Flug noch einmal sechzig Zentimeter an Körpergröße zuzunehmen. Sein Fell bebte karmesinrot von Schnauze bis zur Rute und Speichel troff von gelblich verfärbten Fangzähnen, während ein wildes Funkeln tief in den goldenen Augen brannte.    Shikamarus Herz blieb stehen und rauschte schlagartig bis in seine Kniekehlen. „Neji!“   Gerade wollte Neji zurück springen, bevor er abrupt stehen blieb und schlagartig die Taktik änderte, als er sich mit den Füßen zuerst nach vorn rutschen ließ und so unter dem Luftangriff hindurch schlitterte. Akamaru flog direkt über ihn hinweg und der Wind, den der Hund verursachte, zerzauste die langen Mokkasträhnen.   Rasch kam Neji wieder auf die Beine und warf einen Arm nach außen. „Renn, Nara!“   „Nein!“, schrie Kiba. „Nicht rennen!“   Verwirrt erstarrte Shikamaru bei diesen vermischten Anweisungen und sah zu, wie dreieinhalb Meter einer tollwütigen Bestie direkt auf ihn zustürzte. Die Konturen des Hundes waren nicht länger erkennbar; sie waren grotesk verzerrt und karikiert, die Schnauze zu roten Falten geronnen und die Zähne hingen wie Stalaktiten aus einem klaffenden Schlund; entsetzlich, tollwütig…   Vertraut…   Wie ein heftiger Schlag auf seinen Hinterkopf lösten sich Erinnerungen, die schärfer waren als Schädelfragmente, bevor sich ihre Bilder in sein Hirn schnitten.    Kiefer – erstarrt in hässlichen Grimassen, die Zähne gefletscht, schwarzes Zahnfleisch, herab hängende Zungen, verzogene und verdrehte Knochen…   ‚Wir fügen Brodifacoum hinzu. Wringt sie aus, bis sie komplett trocken sind. Aber das hier ist nichts. Du solltest sehen, was wir Schoßtieren wie dir geben.‘   Hände packten seinen Kopf und Finger gruben sich wie Sonden in seine Schläfen.    ‚Renn. Renn jetzt sofort. Renn und sieh nicht zurück.‘   Die Erinnerung brach ab und wie ein heißer Schürhaken sengte sich Pein durch sein Hirn.    Nach Luft schnappend umklammerte er seinen Schädel und taumelte rückwärts.    Akamaru sprang.    „SHIKAMARU!“   Kiba rammte ihn mit einem so brutalen Stoß aus dem Weg, dass der Aufprall die Schulter des Hundenninjas wieder hinein in das Gelenk trieb. Laut aufbrüllend warf Kiba den Kopf bereits zum zweiten Mal in den Nacken. „GOTT, HURENSO-!“, sein Schrei erstarb in einem Zischen, als Akamaru aus nächster Nähe von hinten mit ihm kollidierte und ihn seitwärts in Shikamaru donnerte.    Gemeinsam stürzten sie zu Boden.    Shikamaru keuchte auf, als über fünfhundert Pfund Gewicht auf seinem Körper kollabierten und sämtliche Luft aus ihm pressten. Der Schmerz breitete sich wie eine Schockwelle in ihm aus, doch auch das schaffte es nicht, die grellen Blitze hinter seinen Augen aufzuhalten.    Violette Augen. Tiefe Ringe darunter. Eingebettet in ein schmales, hageres Gesicht. Aschblonde Strähnen, durchzogen von Blut. Die Wangenknochen hoch, der Kiefer hart. Ein vernarbter Mund bewegte sich, Lippen aufgeplatzt und blutig, die Stimme heiser und erstickt und so rau, als käme es vom Schreien. ‚Renn. Renn jetzt sofort. Renn und sieh nicht zurück.‘   Renn…renn…renn…   „Shikamaru!“   Der Ruf seines Namens zerrte ihn zurück.    Neji…?   Nach Luft schnappend rollte Shikamaru seinen Kopf. Glasige Augen suchten – Lungen schrien.    Kann nicht…atmen…!   Eine plötzliche Veränderung des Drucks, als Kiba, der durch den Schmerz hindurch brüllte, seine Hände und Knie zu beiden Seiten des Schattenninjas legte und versuchte, das Gewicht zu verringern. Akamaru kletterte wild über den Rücken des Hundeninjas und sein riesiger monströser Kopf stieß über Kibas Schulter, als seine Zähne nach Shikamarus Kehle schnappten. Dicke Tropfen aus Speichel stürzten herab, trafen auf den Kiefer des Schattenninjas und glitten seinen Hals hinunter wie…   Eine Zunge auf seiner Haut; strich schlangengleich durch die Mulde in seiner Kehle…dunkle Augen…seelenlose Augen…   Neji schrie irgendetwas, doch Shikamaru hörte es nicht; war verloren in den goldenen Augen, die mit roten Fäden durchzogen waren. War verloren in dem trockenen Schnappen von Fangzähnen, dem abgestandenen Keuchen von Atem.   ‚Wir sind alle Tiere, Shika.‘   Finger wie Krallen in seinem Haar, Nägel gruben tief, rissen seinen Kopf nach hinten…   ‚Es ist unsere Natur…zeig mir deine Natur…‘   „SHIKAMARU!“ Nejis Stimme schnitt sich durch seinen Schädel und durchtrennte die Erinnerung. „ATME!“   Die Zeit kam zurück gerauscht, wusch über die Vergangenheit hinweg, ertränkte die Visionen und schickte sie wirbelnd zurück hinunter auf den unterbewussten Meeresboden. Eine heiße Welle aus Adrenalin schoss nach oben. Sie verschlang Shikamaru wie in einem Rausch, stieß ihn wie durch Wasser nach oben; verzweifelt nach der Oberfläche, verzweifelt nach einem Ausweg, verzweifelt nach…   LUFT!   Der Verschluss von Shikamarus Kiefern löste sich und sein Mund flog weit auf, als er einen heftigen bebenden Atemzug nahm und er feststellte, dass sich seine Brust ausdehnen konnte, da sich eine ausreichend große Lücke zwischen ihm und Kiba geöffnet hatte.    Wie?   Er riss seinen Blick von Akamarus wahnsinnigen Augen los und sah, wie sich Nejis Arm in einem Würgegriff um den roten Hals des Hundes legte. Der Hyūga schien von hinten zu ziehen, was es Kiba gestattete, sich nach hinten zu schieben und mehr Raum zu schaffen.    Doch nach und nach verlor Neji dieses Tauziehen. Akamaru warf sich nach vorn und die Sehnen im Unterarm des Hyūga wölbten sich, während Venen Streifen in seine Haut gruben. „Kiba!“, zischte er.    „Sei still!“, knurrte Kiba, doch die Panik in seiner Stimme war unverkennbar. Schweiß tropfte von seiner Stirn auf Shikamarus Brauen. Seine Arme zitterten. „Verdammt nochmal, Hyūga, zieh!“   „Wenn ich noch härter ziehe, Inuzuka, dann brech ich deinem Hund das Genick!“   Kiba presste die Lider aufeinander und zog die Schultern hoch, während er versuchte, die schnappenden Kiefer in Schach zu halten. „Akamaru!“   Nichts; kein Wiedererkennen in diesen wilden Augen. Nur Wahnsinn.    Denk nach…denk nach…   Heftig blinzelnd bekämpfte Shikamaru die Punkte, die in seiner Sicht tanzten und suchte sein Hirn nach einer Strategie ab…und fand klaffende Lücken.   W-Was?   Er konnte sich nicht fokussieren, konnte seine verstreuten Gedanken nicht finden; geschweige denn, sie zusammenfügen.    „Kiba“, rief Neji mit einer angestrengten, aber ruhigen Stimme. „Du hältst dich zurück. Du bist in deiner Biestform viel stärker. Nutze sie. Und mach es jetzt!“   „Fick dich, Hoheit“, fauchte Kiba.    Neji ignorierte ihn und fuhr genauso ruhig fort. „Shikamaru. Stemm deine Hände nach oben und fang an zu schieben.“   Dämlich simpel. Shikamaru verzog über die Offensichtlichkeit dieser Anweisung das Gesicht. Stirnrunzelnd versuchte er, den Freiraum zu finden, sich umzudrehen und dabei nicht zerfleischt zu werden. Während er das Krachen und Schnappen von Zähnen so gut es ging mied, stemmte er die Hände gegen Kibas Brust und schob hart, um den Inuzuka mit Mühe zu stützen.   Mühe? Was zur Hölle? Ich bin stärker als das!   Also warum fühlte er sich dann so schwach? Energielos und mit bebenden Muskeln.    „Jetzt, Shikamaru!“, bellte Neji.    Der Nara zischte. Er musste anhalten, musste nachdenken, musste-   ATME!   Mit hebendem Brustkorb drehte er den Kopf zur Seite und keuchte heftig. Verrückt! Es war, als würden seine Lungen die Luft nicht in sich halten. Zugegeben, es lastete immer noch ein beträchtliches Gewicht auf ihm, aber Kiba hatte genug davon gehoben, dass Shikamaru seine Hände abstützen und Atem holen konnte.    Also warum kann ich nicht…?!   Kalter Schweiß benetzte seine Haut und Nadelstiche explodierten in seinen Händen und Beinen. Er spürte, wie sein Puls raste, sein Kopf schwamm und sein Verstand wankte.   Oh, fuck nein…   Schlagartig identifizierte er die Zeichen einer einsetzenden Panik und erstarrte mit weit aufgerissenen, stierenden Augen.    Jetzt war definitiv nicht die Zeit für diese Scheiße.    Akamarus Fänge schnappten nur wenige Zentimeter von seiner Nase entfernt zu.    Kiba schrie auf und seine Arme drohten langsam nachzugeben.   „SHIKAMARU!“, brüllte Neji.    Shikamaru richtete seinen Blick auf Nejis Arm und konzentrierte sich darauf, Luft durch die Nase zu ziehen und sie zischend in einem dünnen Strom durch die Zähne auszustoßen. Ein-aus. Ein-aus. Erzwungen, aber fokussiert. Langsam. Einfach. Dämlich. Simpel.    Atme. Atme.   Die Panik begann zu verschwinden und wurde von Adrenalin überwältigt. Stück für Stück kehrte Stärke zurück, tröpfelte durch seine Venen und zog seine Muskeln straff. Er richtete seine Hände neu aus, stützte sich feste ab und begann, Kiba nach oben zu schieben und das Gewicht wie beim Bankdrücken nach oben zu stemmen. Langsam – Zentimeter für Zentimeter – begann sich das Gleichgewicht zu verlagern.    Knurrend zappelte Akamaru in Nejis Umklammerung, seine Klauen suchten kratzend nach Halt und rissen Fetzen aus Kibas Jacke, bis seine Krallen über Haut ritzten und Blut vergossen. Der Inuzuka gab keinen Laut von sich; er hatte den Kiefer verschlossen und die Augen in der Anstrengung zusammengezogen, den Hund zurück zu halten.    „Kiba“, drängte Neji ihn. „Jetzt mach endlich, verdammt nochmal!“   „Nein“, grollte der Inuzuka, während Tränen des Frusts in seinen Augen brannten. „Es ist meine Schuld…“   Shikamaru wimmerte. „Kiba…jetzt mach schon…“   „Nein.“   Nejis Stimme donnerte über jedes Knurren und Grollen. „KIBA! Wenn du dieses Vieh nicht ruhig stellst, dann mach ich es!“   Das zeigte Wirkung.    „Shikyaku no Jutsu!“   Shikamaru hörte, wie sich Kibas Krallen zu beiden Seiten seines Kopfes ausdehnten und sah zu, wie die Transformation über das Gesicht des Hundenninjas schoss. Augen verengten sich, Pupillen schrumpften zu glühenden schlangengleichen Schlitzen und Schneidezähne verlängerten und schärften sich. Seine gesamte Muskulatur veränderte sich, Knochen knackten, Haut zog sich straff, ein Körper beugte sich zu einer raubtierhaften Krümmung, rohe Kraft sammelte sich in jeder Gliedmaße.    Und dann entfesselte er es.    Mit einem animalischen Heulen warf Kiba sein gesamtes Gewicht nach hinten und drehte sich, als er herum wirbelte. Die Geschwindigkeit und Wucht, mit der er sich bewegte, schleuderte Akamaru und Neji gute eineinhalb Meter in die Luft. Im Flug löste sich der Hyūga von dem um sich schlagenden Hund, landete anmutig mit einem ausgestrecktem Bein auf den Füßen, um die Balance zu halten.    Shikamaru rollte sich auf die Seite und hustete heftig.    Rasch erholte sich Akamaru von dem überraschenden Angriff, sah den Nara verwundbar auf dem Boden liegen und stürzte schlagartig los.    Doch Kiba war schneller.    Der Inuzuka fing Akamarus Kiefer mit seiner Armbeuge ab und legte dem Hund mit einer eisernen Umklammerung aus Bizeps und Unterarm einen Maulkorb an, während er seinen anderen Arm um den dicken roten Hals legte, um den rasenden Ninken wieder auf den Boden zu zwingen.    Shikamaru krümmte sich vornüber und spürte, wie sein Innerstes nach außen wollte. Energisch schluckte er es hinunter und konzentrierte sich auf seine Atmung. Und dann legten sich Nejis Hände auf ihn, drehten ihn um, während er von Byakugan Augen gemustert wurde, die nach Brüchen oder Wunden suchten. Er schob die Berührung von sich, krallte eine Hand in Nejis Robe und zog sich daran in eine aufrecht sitzende Position.    „Mir geht’s gut…mir geht’s gut…“, keuchte er mit den Augen auf Kiba gerichtet.    Der Inuzuka knurrte noch wilder als Akamaru. Ineinander verhakt wirbelten sie in einem grimmigen Tanz umher, krachend und kratzend und jedes Schlagen und Schnappen befeuert von dem heftigsten aller Impulse; der Art, die Raubtiere dazu trieb, direkt auf die Halsschlagader zu zielen. Direkt aufs Töten.    Was genau das war, was Akamaru tat.    Die Kiefer des Hundes schlossen sich um Kibas Kehle.    Shikamaru erbleichte. „NEIN!“ Ruckartig stürzte er vorwärts, doch Nejis Arm schoss zur Seite und fing ihn an der Brust ab, riss ihn zurück und hielt ihn fest.    „Warte, Nara.“   „Auf WAS?“, fauchte Shikamaru. Unnachgiebig befreite er sich, stolperte zwei Schritte nach vorn und erstarrte.   Akamarus Kiefer war wie eingefroren und die Zähne wie ein Stachelhalsband um Kibas Hals gelegt – doch der Biss hatte sich nicht in die Haut gegraben. Hatte nicht einmal Blut vergossen. Knurrend zwang der Hund Kiba in die Knie; zerrte ihn mit der Drohung aus Zähnen nach unten, hatte aber offenbar keine unmittelbare Absicht, das Töten auch durchzuziehen.    Oh Shit. Oh Shit. Oh Shit.   Shikamaru fühlte das Adrenalin, das in seinen Muskeln bebte und seine Zähne klappern ließ.    Neji trat an seine Seite; still, ruhig und unter vollkommener Kontrolle. „Warte“, sagte er nochmal.    Doch Shikamaru hatte da andere Vorstellungen. „Scheiß drauf.“ Er ließ sich auf ein Knie sinken und vollführte zwei rasche Zeichen; Ratte, Vogel. „Kage Nui no Jutsu!“   Schattenranken explodierten wie ein Nest schwarzer Schlangen nach außen und umschwärmten Akamaru, bevor der Hund überhaupt bemerken konnte, dass sie sich auf ihm befanden.    Ein schrilles Jaulen.    Kiba war frei und schnellte zu Shikamaru herum. Das Weiß seiner Augen hatte ein wässrig rötliches Gelb angenommen. In animalischer Raserei bleckte er die Zähne. „MISCH DICH NICHT EIN!“   Zögernd zuckten Shikamarus Augen zwischen den beiden Inuzuka Biestern hin und her – nicht sicher, welches von beiden die größere Gefahr darstellte. Alles in ihm schrie danach, die Schatten noch fester zu zurren und das Leben gnadenlos aus der größten Bedrohung zu quetschen.   Nein. Stop. Denk nach. Das ist Akamaru…es wird eine Erklärung für alles geben…beruhige dich…denk nach…   Fluchend lockerte er seinen Griff.    Und Kiba sprang los, bevor sich Akamaru erholen konnte. Sie rollten im Schmutz herum, wieder und wieder, bis Flecken aus Weiß zwischen dem rostroten Fell erschienen. Akamaru schien zu schrumpfen, seine Muskeln zitterten und zuckten, während die riesige Masse mit jedem Schlagen und Rollen abnahm, bis es Kiba endlich mit einem heftigen Stoß gelang, den Hund unter sich festzupinnen. Mit gefletschten Zähnen schloss er eine Hand um Akamarus Kehle und seine Fänge blitzten wie Klingen auf, als er tief in die Augen des Hundes stierte.    Kein Vergeltungsschlag. Nur ein tiefes vibrierendes Knurren, das durch den Hundekörper bebte.    Das Geräusch hallte über Shikamarus Nervenenden und rüttelte an dem schreckhaften Drang, die Beine in die Hand zu nehmen und abzuhauen. Mit kalkweißem Gesicht spürte er, wie der vorherige Adrenalinrausch in seinen Venen abkühlte und drohte, ihn mit einem Anfall von Zittern zurück zu lassen. Doch was ihn noch viel mehr verstörte als die Angst, die begann, sich festzukrallen, war, woher diese Angst kam.    Er erschauderte heftig.    Gott, mein Kopf tut weh…   Er grub beide Knie in den Boden und stemmte eine Hand gegen seinen Schenkel, während er enorm schwitzte und hektisch atmete.    Kühle Finger legten sich zärtlich und beruhigend an seinen Nacken, bevor sie ganz sanft drückten. „Es ist vorbei“, murmelte Neji. „Beruhige dich.“   In einem einzigen rauen Atem verließ die Panik Shikamaru, doch die Angst und Anspannung blieben. Sie schlossen sich wie ein Schraubstock um seinen Schädel. Energisch widerstand er dem Drang, nach hinten zu greifen und Nejis Finger zu seinem Kopf zu führen.    „Jo“, raunte er.    Der Hyūga trat noch etwas näher; seine Präsenz war wie eine unerschütterliche Mauer an Shikamarus Rücken. Und es brauchte noch viel mehr Zurückhaltung, sich nicht gegen diese Stütze sinken zu lassen. Seufzend fokussierte der Schattenninja seine Bemühungen wieder auf das Atmen und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Darstellung animalischer Dominanz, die sich in kurzer Distanz von ihnen abspielte.    Der Kampf schien sich zu einigen langen Minuten auszudehnen, bevor Kibas tiefes kehliges Knurren zu einem sanften Grummeln verstummte. „Akamaru…guter Junge…komm schon…ganz ruhig…ruhig…“ Er strich mit der Hand über die bebenden Flanken des Hundes und jedes Streicheln schien dabei das Rot aus dem dichten Fell zu bürsten, als der Pelz zu flauschigem Weiß zurückkehrte. „Du bist okay…du bist okay…“   Beinahe sofort wurden goldene Augen wieder klar und Akamarus Grollen zerfiel zu einer Litanei aus verzweifeltem Winseln und schrillem Wimmern. Der große Kopf hob sich und eine lange rosa Zunge leckte über Kibas Gesicht und seinen Hals.    „Es ist gut“, murmelte Kiba gegen Akamarus zerknitterte Stirn und kraulte den weißen Nacken. „Es ist alles gut.“   „Alles gut?“, würgte Shikamaru hervor, als er sich auf die Füße schob und die Hände in die Hüften stemmte, um seine bebenden Finger zu beruhigen. „Was zur Hölle ist gerade passiert, Kiba?“   Neji schob sich zwischen sie und positionierte sich so, dass er keinem der beiden anderen Ninja den Rücken zuwandte. „Gib ihnen einen Moment, Shikamaru.“   Einen Moment. Klar. Das hätte auch funktioniert, wenn sein Hirn nicht wie ein Spielzeug aufgezogen wäre, das jeden Moment ausflippte.    Idiot. Reiß dich zusammen.   Shikamaru stieß einen langen Atem durch die Nase aus und presste die Lippen aufeinander. Zitternd schloss er die Augen und fing an, durch einen mentalen Katalog dämlich simpler Techniken zu blättern, um seinen Kopf gerade zu rücken. Wenn er das richten konnte, dann würde sein Körper vollkommen automatisch nachziehen. Es war geradezu lächerlich daran zu denken, dass er zwei Akatsuki Killer überlebt hatte, wobei er einen davon ganz allein ausgeschaltet hatte, nur um dann völlig durchzudrehen, wegen…   Wegen was?   Akamaru oder wegen des wiedererweckten Monsters in seinem Kopf?   Konzentrier dich auf Akamaru. Verstehe die Situation. Wenn du die Situation verstehst, dann wirst du dich beruhigen.    Denn der Logik zu folgen und Muster zu sehen würde ihm helfen, die Risse zu kitten und all die Teile zurück an ihren Platz zu zementieren.    Guter Plan.   Der Nara hob die Lider, fühlte sich stärker und stabiler. Langsam richtete er seinen Blick auf Neji, las den Gesichtsausdruck des Hyūga und folgte ihm dorthin, wo Kiba kniete und mit den Händen durch Akamarus Fell streichelte. Als sie sich näherten sah der Hundeninja auf und seine Konturen kehrten nach und nach zu ihrer weniger wilden Form zurück.    „Militärische Nahrungspillen“, sagte Kiba kopfschüttelnd, bevor sie ihn überhaupt fragen konnten. „Neue Charge und frisch aus den Laboren. Dämliche Genin Kackbratzen haben die Lieferung durcheinander gebracht. Dieses Zeug war nicht für unsere Ninken gedacht.“   Shikamarus Brauen schossen nach oben. „Wofür zur Hölle war es gedacht?“   Kiba ruckte mit dem Kopf und gestikulierte so zur rechten Seite des Dorfes. „Trainingsareal Vierundvierzig. Sie lassen die Biester für die Chūnin Prüfungen damit volllaufen. Testen gerade die Nebenwirkungen und alles.“   „Testen sie an was?“, presste Neji weiter.    „Kakashi-sensei, soweit ich gehört habe.“ Kiba erwiderte ihre perplexen Blicke mit einem grimmigen Schmunzeln. „Hey, kommt mir zu Gute. Kotetsu meinte, er hätte gewechselt und wollte den Auftrag solo durchführen.“   Shikamarus Augen wurden rund. „Solo?“ Er tauschte einen raschen Blick mit Neji. „Denkst du…?“   Nachdenklich neigte Neji den Kopf. „Das erklärt auf jeden Fall das Heulen.“   „Jo“, stimmte Kiba zu, als er auf die Füße kam, während er seinen Arm packte und mit der Schulter rollte. „Nachdem ich gehört hatte, wie dieses Blitzgewitter losgegangen ist, dachte ich mir, das mal zu überprüfen.“ Mit dem Kopf nickte er zu Akamaru hinunter. „Dachte mir auch, dass wir dann am besten vorbereitet gehen, also habe ich Akamaru eine Chakrapille gegeben. Ich war der Meinung, wir bräuchten irgendeine Art von Biss, wenn wir es mit Bestien auf Steroiden zu tun bekommen.“   „Irgendeine Art von Biss, klar“, murmelte Shikamaru kopfschüttelnd. „Nur gut, dass du nichts von diesem Mist genommen hast.“   Die Miene des Hundeninjas verfinsterte sich. „Ich glaube, das mach ich einfach. Scheiße, ich bin kurz davor, irgendjemandem den Kopf abzureißen.“   „Du bist nicht in der Verfassung zu kämpfen“, sagte Neji leise mit den Augen auf Kibas Schulter gerichtet, bevor er einen subtilen Blick auf Akamaru warf. „Und du musst Akamaru unter Quarantäne stellen, bis ein Tierarzt versichern kann, dass die Droge seinen Kreislauf verlassen hat und er nicht länger ein Risiko darstellt.“   Kiba wirbelte zu ihm herum. „Verarschst du mich? Hast du verstanden, was ich gera-“   „Ich habe dich ganz hervorragend verstanden, Inuzuka. Und ich schlage vor, dass du dir deine Energie für die Mission aufsparst, für die ich dich einteilen werde, sobald Akamaru überprüft und für den Dienst freigegeben ist.“   Kibas Augen verengten sich zu Schlitzen, doch sein Kopf legte sich interessiert schief. „Mission?“   „Wir brechen nächste Woche auf“, erwiderte Neji ohne sonst noch etwas hinzuzufügen.    Schlechter Zug. Argwöhnisch zogen sich Kibas Brauen zusammen.    In dem Moment schritt Shikamaru ein. „Plus, diese ätzende Zuteilung kommt vielleicht mit ihren ganz eigenen durch Chakra verstärkte Bestien“, fügte er hinzu, während seine Aufmerksamkeit an Kiba vorbei wanderte und sich bis zu dem abgesperrten Trainingsgelände ausstreckte. „Also kannst du dich richtig austoben, wenn wir ankommen.“   Das Versprechen einer lockeren Leine schien von Erfolg gekrönt zu sein. Für einen Moment kaute Kiba auf dieser Information herum und gab dann nach, wobei er auf eine Seite sackte. Mit verzerrtem Gesicht rollte er mit der Schulter. „Was ist mit Kakashi-sensei?“   „Wir überprüfen das“, erwiderte Shikamaru sofort, was ihm einen undeutbaren Seitenblick von Neji einbrachte. Yep, wahrscheinlich hatte er sie gerade als Freiwillige für eine Nacht auf der Krankenstation angemeldet. Nett.    Mit gerümpfter Nase sah Kiba zwischen den beiden hin und her. „Soll ich euch Verstärkung schicken?“   „Nah, wir packen das.“ Shikamaru wartete nicht einmal auf eine Bestätigung vonseiten Nejis. Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt die Straße entlang, während sein Hirn bereits wieder mehrere Schritte voraus sprang und all seine zerstreuten Gedanken aufsammelte.   Zeit, meinen Kopf wieder klar zu bekommen…   Er hatte vorhin die Fassung verloren. Auf übelste Weise verloren. Nicht einmal dieser silberhaarige sadomasochistische und unsterbliche Freak mit einer Vorliebe für Tod und Zerstörung hatte ihn so heftig erschreckt wie das, was gerade mit ihm bei Akamarus Angriff passiert war. Als er es mit Hidan und Kakuzu zu tun gehabt hatte – sogar nach allem, was sie Asuma angetan hatten – hatte er es dennoch geschafft, alles zusammenzuhalten. Er hatte einen klaren Kopf behalten und das durchgezogen, was er trotz der Trauer tun musste; trotz der Schuldgefühle.    Und jetzt drehst du durch wegen einer Hundeattacke?   Mit Sicherheit war es eine tollwütige und unvorhersehbare Situation gewesen, aber auch nichts, was sich normalerweise nicht mit einem ‚kühlen Kopf und agilen Geist‘ händeln lassen würde. Und um die Wahrheit zu sagen; Akamarus Angriff war auch nicht das gewesen, was ihn verängstigt hatte – es war der Kampf gewesen, der in seinem Kopf stattgefunden hatte. Diese Fehlzündung aus Erinnerungen hatte mehr oder weniger ein Loch in sein Hirn gesprengt; ein Schrotschuss aus Angst und Panik, der sein gnadenloses Flakfeuer direkt in seinen Schädel gejagt und seine Fähigkeit verkrüppelt hatte, zu denken, zu strategisieren…zu überleben…   Ich muss das richten.   Deswegen auch sein nächster Zug. Wenn er in diesem nächsten Dilemma wieder den Kopf verlieren würde, dann könnte er sich auch genauso gut aus der nächsten Mission austragen und bei einem verdammten Seelenklempner einchecken.     Dr. Mushi.   Er erinnerte sich daran, dass er diesen Namen vor zwei Jahren überprüft hatte; damals, als er sein Hirn auf eigene Faust neu verkabelt hatte. Der Gedanke daran, seinen Verstand in die Hände von jemand anderem zu legen? Ihm wurde so speiübel dabei, dass er ernsthaft darüber nachdachte, in welcher Gasse er eine Pause machen müsste, um hinein zu kotzen.    „Nara.“   Shikamaru zauberte ein Schmunzeln auf sein Gesicht, hielt die Augen aber geradeaus gerichtet. „Ah und hier kommt die Stimme des Tadels.“   Neji schnaubte auf diese leise eloquente Art und Weise, die die Missbilligung verspottete, die direkt darunter lag. „Würde dir die Stimme der Vernunft besser gefallen?“   „Vernunft geht klar.“   „Möchtest du dich dann vielleicht erklären? Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich von deiner plötzlichen Zurschaustellung von Initiative beeindruckt oder alarmiert sein soll.“   „Initiative, huh?“ Shikamaru spähte zu ihm. „Ich habe unsere Ärsche gerade für eine ordentliche Tracht Prügel angemeldet. Ich denke, Alarm ist angebracht.“   „Ohne Zweifel. Das passt nicht zu dir.“   Shikamaru blieb stehen und spürte, wie Neji direkt neben ihm innehielt. „Weißt du, was nicht zu mir passt? Es zu brauchen, dass Kameraden mir dämlich simple Anweisungen zubrüllen, wenn wir in der Klemme stecken.“ Als der Hyūga Anstalten machte zu sprechen, packte Shikamaru seine Schulter und schnitt ihm mit einem raschen, direkten Blick das Wort ab. „Das darf nicht passieren, Neji. Ich muss wissen, dass ich das in meinem Kopf richtig habe. Hörst du mich?“   „Das ist nicht die Art und Weise, um das zu machen.“   „Das ist die beste Art und Weise, um das zu machen.“   „Du gehst einfach davon aus, dass wir in der Lage sein werden mit allem umzugehen, was auch immer jenseits dieses Zaunes liegt.“   Seufzend spürte Shikamaru Nejis Spannung wie eine Granitplatte unter seiner Hand. Er drückte den verkrampften Muskel und sein Daumen fuhr nach außen, um sanft über ein scharfes Schlüsselbein zu streichen. „Ich nehme mir an dir ein Beispiel. Und zwar an dem ‚gewaltigen Satz‘-Manöver. Nachzusehen, bevor man den Satz macht, nimmt dem Ganzen den Spaß. Hab ich nicht recht?“   Ein Flackern von Belustigung in diesen schillernden Augen, doch das blasse Gesicht behielt die steinerne Kante bei und sie wurde nur von dem leisesten Hauch eines Stirnrunzelns durchbrochen. „Das ändert meine Meinung zu dieser Angelegenheit aber nicht.“   Shikamaru lächelte leicht. „Neji, ich halte dir den Rücken frei. Du mir meinen. Dämlich simpel. Schlimmster Fall? Ich werfe schreiend die Flinte ins Korn und hau ab und du entschwindest im Äther. Auf jeden Fall müssen wir schnell handeln. Also entscheide dich.“   Neji bedachte ihn mit einem langen nachdenklichen Blick. Und nach dem, was wie ein angespannter, gefährlich elektrischer Moment wirkte, gab der Hyūga keine Antwort von sich, außer mit einem Neigen seines Kopfes seine Entscheidung zu signalisieren, bevor er sie eine Abkürzung entlang führte. Sie nahmen einen diagonalen Weg durch die Hauptverkehrsstraßen, vorbei an aufragenden Wohnungen, Läden und Verkaufsständen, bis die Gebäude kurz darauf in den Außenbezirken der Trainingsareale ausliefen.    Shikamarus Gedanken drohten, sich Konohamaru zuzuwenden.    Jetzt nicht.   ‚Jetzt nicht! Jetzt nicht! Immer ‚Jetzt nicht‘, aber jetzt ist es zu spät, Ojisan!‘   „Shikamaru?“ Ein paar Schritte vor ihm hielt Neji inne und wandte sich um. „Was ist los?“   Shikamaru runzelte die Stirn; er hatte nicht einmal bemerkt, dass er aufgehört hatte zu laufen. Rasch tat er so, als würde er über den Zielort nachdenken, der vor ihnen lag. „Noch nichts“, witzelte er.    Doch Neji schmunzelte nicht, sondern musterte ihn nur aufmerksam im Mondlicht. Diese opaleszenten Augen ruhig auf sein Gesicht fixiert, beobachtend, wartend…wortlos Gedanken und Gefühle hervorrufend, die im Hier und Jetzt keinen Platz hatten.    Nicht jetzt…und auch damals nicht…   Nicht, dass es jemals eine rechte Zeit dafür gab. Und nicht, dass er auch nur eine gottverdammte Sache hätte unternehmen können, um es aufzuhalten; damals nicht und auch nicht jetzt. Denn wie er Neji einst gesagt hatte, war Schicksal ein Miststück, das sich nicht zurückhielt…und jetzt im Moment, festgenagelt von Nejis Blick, fühlte er eine bösartige Faust aus Emotionen, die sich in seine Eingeweide rammte und ihm wieder einmal sämtliche Luft aus den Lungen raubte.    Neji schüttelte ganz leicht den Kopf. „Rede mit mir, Shikamaru.“   Seufzend sah Shikamaru zur Seite weg. „Jetzt nicht.“   Was zur Hölle machten sie hier? Kakashi könnte sich in ernsthaften Schwierigkeiten befinden und hier waren sie und tauschten unter dem pudrigen Glühen eines riesigen lunaren Rampenlichts gequälte Blicke aus.    Verrückt.   Er stieß ein selbstironisches Schnauben auf. „Muss am Vollmond liegen.“   „Was?“   „Ach nichts. Lass uns gehen.“ Er beschleunigte ihre Schritte, als sie nordwärts durch den Wald vordrangen und sich dem hohen Zaun näherten. Erinnerungen an die Chūnin Prüfungen kehrten in flüchtigen Bildern zurück und keine davon war besonders angenehm.    Klasse…   Es half auch überhaupt nicht zu wissen, dass was auch immer jenseits dieser Zäune lag, wahrscheinlich eine noch viel größere Nummer in der ‚Kranker Scheiß‘-Abteilung war als das, mit dem sie es vor drei Jahren zu tun gehabt hatten.    „Scheiße“, raunte Shikamaru mit den Händen an den Hüften und sah unter seinen Brauen hinauf zu dem Warnschild, das an dem Zaun angebracht war. „Erinner mich nochmal, warum genau ich uns hierfür angemeldet habe.“   „Ich glaube, du wolltest einen Spaziergang machen, Nara“, sagte Neji gedehnt und in seinen tiefen Tönen schwang Belustigung mit. „Obwohl ein Spaziergang in diesem Wald nicht gerade das ist, wovon ich dachte, dass du es im Kopf hast.“   „Hyūga Humor. Dazu gedacht, einen ins Schwitzen zu bringen.“   „Naja, es hat auf jeden Fall diesen Biss von Ironie, an dem du dich so gerne erfreust.“   „Jo. Wie gut, dass es für einen Überflieger wie dich wirklich nur wie ein netter Spaziergang im Park werden wird.“   „Wenn das dafür sorgt, dass du weniger schwitzt, Nara.“   Shikamaru schmunzelte und sah zu dem Jōnin hinüber. „Du erinnerst dich noch, wie man diesen Ort nennt, oder?“   Neji nestelte bereits an dem Schloss des nächsten Tores. „Ich bin mir sicher, dass wir irgendetwas finden werden, um meine Erinnerung aufzufrischen.“   Bei dieser fröhlichen Note zentrierte sich Shikamarus Verstand wieder auf die Aufgabe, die auf der Hand lag. „Richtig, unser Ziel ist es, Kakashi-sensei zu finden, das Level der Gefahr einzuschätzen und -“   „Nicht zu sterben.“   „Das auch.“   Und mit dem Ziel fest an Ort und Stelle betraten sie den Wald des Todes.   ~❃~   Bereits vor einigen Blocks hatte das Heulen aufgehört und der letzte Ruf lief zu einem Schrei aus, der ebenso schrill war wie das Kreischen einer Eule. Verwirrt und erschrocken wanderten Dorfbewohner durch die Straßen, sahen nach ihren Nachbarn, während Kinder ihre Hälse aus offenen Fenstern streckten und Mütter als Silhouetten im Türrahmen die Hausschwellen bewachten.    Shinobi bewegten sich leichtfüßig und geräuschlos über die Dächer.    Am Ende der Straße auf dem Dach des zweiten Stocks eines Holzhauses, in dem Papierlaternen und Gitterrahmen verkauft wurden, erwachte flackernd ein Lampe hinter den Jalousien. Ein Schlitz aus Licht fiel durch das offene Fenster.    „Shh!“, warnte eine junge Stimme. „Du wirst noch Ärger bekommen!“   „Ich will aber sehen, was da los ist.“   Kleine Finger hakten sich unter den Rahmen der Jalousie und schob ihn leicht nach oben. Ein kleiner zotteliger Kopf schob sich durch den Spalt, bevor der Bub hinaus in die Nacht linste und die Gestalten anblinzelte, die zwischen den Häusern hin und her drifteten.    „Was siehst du?“, fragte das andere Kind; jünger und weiblich.    „Nichts.“ Der Junge schob die Unterlippe vor und wollte sich noch weiter hinaus auf das Ziegeldach schieben, doch ein scharfes Funkeln aus dem Augenwinkel ließ ihn abrupt innehalten. Keuchend spähte er hinüber. „W-wer…?“   Da; zusammengekauert in den Schatten eines Überhangbalkons, drehte eine einsame Gestalt den Kopf. Obwohl kaum erkennbar sandte die bruchstückhafte Bewegung einen grellen Lichtstreifen eine lange dünne Nadel entlang, was ihr die Illusion eines Messers verlieh, das durch die Dunkelheit schnitt.    „Geh zurück ins Bett“, knurrte der Schatten.    Mit weit aufgerissenen Augen und kalkweißem Gesicht zog sich der Bub schlagartig zurück in das Schlafzimmer, knallte das Fenster zu und löschte mit einem verängstigten Quieken das Licht. Von irgendwo weiter unten rief eine aufgeschreckte Mutter und Schritte donnerten von drinnen über die Treppe.   Genma seufzte.    Rasch verließ er seinen Platz und sprang auf das angrenzende Gebäude. Er schwankte ein bisschen, als er die Balance hielt und fluchte leise, bevor er anfing zu rennen, wobei er sich gebückt und außer Sicht hielt. Er hatte bereits einen schwindelerregenden Rundgang um den Hokageturm hinter sich, also nahm er jetzt einen neuen Weg und fand einen anderen Ort um zu warten, zu beobachten und die Reste der Shōchū Flasche hinunter zu kippen, die von seinen Fingerspitzen baumelte.    Der Likör brannte sich seinen üblichen Pfad durch ihn und ließ nichts zurück außer eine betäubende Kälte.    Nutzlos…   Kein warmes Summen, nur ein Kopf voll von Frost…seine Gedanken wirbelten wie Schneeflocken und waren dunkel wie die Nacht.    ‚Was auch immer es gewesen ist, was auch immer zwischen euch vorgefallen ist…am Ende hat es keine Rolle gespielt.‘   Das Ende. Das ist es, was eine Rolle gespielt hat, oder nicht? Das Ende. Nicht der Weg und die Mittel.    Genma verkrampfte den Kiefer; sein Senbon zuckte von oben nach unten, von Seite zu Seite. Verdammt, wie sehr hatte er dieses komplizierte Netz aus Lügen eigentlich sabotiert, indem er Asuma in das Chaos verwickelt hatte? Seine umgekehrte Methode war nach hinten losgegangen. Übel. Er hatte versucht, den Sarutobi mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl zu warnen, nur um dann die Taktik zu ändern und ihm damit eine verdammte Karotte vor der Nase baumeln zu lassen, wobei er gedacht hatte, er hätte Asuma gerade genug Wahrheit gegeben, um ohne Schuld leben zu können, ohne Ketten, ohne…   Diese verfickte Kälte…   ‚Es hat keine Rolle gespielt…verstehst du…das…?‘   Worte, Worte, Worte.   Es gibt keine Worte, sondern nur Taten.   Und genau darin lag die Ironie. Denn es waren nicht Worte gewesen, die ihn verraten hatten, sondern Taten. Dieses verdammte Senbon in diese Karte getrieben zu haben. Was zur Hölle hatte er sich nur dabei gedacht? Was zur Hölle hatte er getan?   Scheiße.   Dieser dämliche Ausrutscher hatte einen verdammten Schneeballeffekt nach sich gezogen. Und die jetzige Frage war, ob das Bergabrollen jetzt bei Kakashi gestoppt hatte. Wie viel wusste Kakashi eigentlich wirklich? Würde er die Sache fallen lassen? Würde er sie ganz privat weiter verfolgen? Würde er ein weiterer Freund werden, den Genma als potentielle Bedrohung behandeln müsste? Ein weiterer Kamerad, den der Shiranui unter Beobachtung halten müsste? Oder noch schlimmer; würde er die höheren Tiere einbeziehen müssen, um den Kopierninja ruhig zu halten?   Tief durchatmend fuhr sich Genma mit der Hand durchs Gesicht.    Streich das. Er würde sich selbst um Kakashi kümmern. Kein Grund, irgendjemand anderen dort mit hinein zu bringen. Und außerdem, was ihn viel mehr beunruhigte als was auch immer Kakashi wusste, war, wie viel Shikamaruwusste. Hatte Asuma mit ihm gesprochen, bevor er starb? Und wenn ja, was hatte das wachgerüttelt?   Geh jetzt noch nicht vom Schlimmsten aus. Der Junge hat einen Akatsuki erledigt…hat eine S-Rang Mission ganz allein zu Ende gebracht. Dazu wäre er nicht in der Lage gewesen, wenn er labil wäre.    Oder doch?    Die Fragen wirbelten durch sein Hirn wie der Shōchū durch die Flasche.    Scheiße. Ich muss dieses abgefuckte Schlamassel wieder ins Lot bringen.    Und er müsste es schnell richten. Die Tasche zu verbrennen war nicht genug. Er musste alles überprüfen. Und das würde Zeit brauchen. Zeit, die er zu zwei Teilen falten und in der Hälfte durchschneiden müsste.    Eine Woche.   Sieben Tage, um zwei Jahre aus Geheimnissen feinsäuberlich durchzukämmen. Sieben Tage, um die Archive von innen nach außen zu kehren, alle Papierspuren aufzuwischen, alle ausgebuddelten Hinweise zu begraben, alle losen Enden zu verknoten und –   Melde dich bei den Gefängniswärtern.   Schnaubend schüttelte Genma den Kopf.    Utatane Koharu und Mitokado Homura.   Die ‚höheren Tiere‘, die ausharrten und wie Geier im Schatten der Hokage lauerten. Die beiden Schlüsselspieler, die so begierig darauf waren, ihn unter dem Darunterliegenden zu halten, um sicher zu gehen, dass er niemals von ANBU frei sein würde, niemals frei sein würde von all den Lagen aus Lügen. Er konnte es immer noch vor sich sehen, wie sie im Licht dieser roten Morgendämmerung vor zwei Jahren dagesessen hatten; ihre Gesichter hängend wie zwei ausgewaschene Papierlaternen, aber glühend mit einem arroganten selbstgerechten Feuer.    „Was in Kusagakure passiert ist, ist bedauerlich. Aber du hast deine Befehle. Wir haben Tsunade-sama bereits den manipulierten Bericht gegeben. Und diese Version ist endgültig. Unanfechtbar. Hast du das verstanden?“   „Ich verstehe, dass ihr mir befehlt, meinen Hokage zu belügen. Ich verstehe, dass ich gerade der Gosse von ANBU zugewiesen wurde.“   „Hüte deine Zunge, Genma. Du hast in der Tat Glück, dass Hiruzen dich vor dem KERN bewahrt hat und dich aus deiner eigenen selbstzerstörerischen Gosse geholt hat, denn ansonsten würde Danzō deine Zunge mit weit drastischeren Maßnahmen versiegeln.“   „Homura. Das reicht. Genma, der Sandaime hat dich zu einem Goei Shōtai gemacht, weil er dir nicht nur mit seinem Leben, sondern auch mit all seinen Geheimnissen vertraut hat. Und während du zwar darin gescheitert bist, Hiruzens Leben zu retten, wirst du dennoch seine Geheimnisse schützen. Das ist deine Mission. Das ist dein Eid als Goei Shōtai.“   „Ich kenne meinen Eid. Ich weiß, dass ich geschworen habe, meinen Hokage zu beschützen.“   „Und Hiruzen-sama war bereits lange vor Tsunade dein Hokage. Denk nicht, dass dein Eid ihm gegenüber durch seinen Tod oder die Nachfolge von Tsunade aufgehoben wurde. Du bist durch Pflicht daran gebunden, seine Geheimnisse über den Nara zu bewahren.“   „Was den Vorfall mit Shikaku Nara angeht, ja. Das geschah auch während seiner Amtszeit und wie er damit umgegangen ist, war allein seine Sache. Aber was ist mit Shikamaru? Als Goei Shōtai, wie kann ich meiner derzeitigen Hokage weiterhin dienen und sie schützen, wenn ich mein Wissen über das, was dem Jungen zugestoßen ist, vorenthalte? Wie kann ich das vor der Godaime geheim halten, wenn es möglicherweise eine massive Bedrohung darstellt?“   „Es gibt keine Bedrohung, vorausgesetzt du hältst den Mund, Shiranui.“   „Homura hat recht. Du gehst auch davon aus, dass wir keine Präventionsmaßnahmen ergriffen haben, sollte sich ein Vorfall wie das, was Nara Shikaku zugestoßen ist, jemals wiederholen. Mit der Unterstützung einiger ausgewählter Personen werden wir sicherstellen, dass das niemals wieder passiert.“   „Einiger ausgewählter Personen?“   „Du bist nicht der Erste, den wir gebeten haben, solch ein Opfer des Gewissens für dieses Dorf zu bringen, um es zu beschützen, Genma.“   „Wer weiß sonst noch über den Nara Clan Bescheid?“   „Das geht dich nichts an. Obwohl du eine dieser Personen in Kusagakure getroffen hast. Hast du den Agenten gekannt?“   „…Ja, Homura-sama. Ich kannte ihn.“   „Dann weißt du, dass du nicht der Einzige bist, der diese Bürde zu tragen hat. Aber tragen musst du sie. Der Sandaime hat uns diese Angelegenheit anvertraut. Und jetzt wurde sie auch dir anvertraut. Das ist deine Bürde. Aber es ist auch deine Pflicht. Und ein Shinobi muss tun, was auch immer notwendig ist, um seine Pflicht auszuüben.“   Was auch immer notwendig ist, was auch immer gebraucht wird, nicht weniger und auch nicht mehr. Und er hatte keinen Hehl daraus gemacht, denn das war es gewesen, was er mit an ANBUs Tisch gebracht hatte und es war auch das, womit er wieder gegangen war: nichts.    Nichts außer die Kälte.   Genma zog scharf einen Atem gegen die Kühle ein und griff in die Tasche, die an seinen Schenkel gebunden war, um eine winzige fuchsiafarbene Pille hervor zu holen, sie sich zwischen die Lippen zu schieben und sie mit einem weiteren Schluck seinen Rachen hinunter zu waschen.    Triff mich schnell heute Nacht.    Während er darauf wartete, dass das Stimulans seine Blutbahn traf, blieb er kauernd im Schatten und beobachtete das langsame Flackern der Lichter auf der Straße; ein systematischer Shutdown, ein Zurückkehren zum Schlaf, eine Rückkehr zur Sicherheit, ein-   BRENNEN! Es schoss durch seinen Körper; ein heißes Pulsieren, als der Blutdruck einen Satz machte und Nervenenden aufflammten. Genma verdrehte seine Augen gen Himmel, als sich seine Pupillen verzogen und sein Kopf nach hinten kippte. Wärme pumpte durch seine Venen, zäh wie Honig und grell wie glühender Bernstein.    Erregung strömte durch ihn und weckte schlummernde Triebe.    Wann war das letzte Mal gewesen, dass er ihnen nachgegeben hatte? Wirklich nachgegeben hatte? Er konnte sich nicht erinnern. War danach viel zu gottverdammt kalt, um sich darum zu kümmern.   Eine Verbindung einzugehen…   Er stürzte den Rest des Shōchū hinunter, ließ die Flasche auf dem Rand des Gebäudes stehen und sah zu, wie das Mondlicht in verstärkten Strahlen vom Glas gebrochen wurde. Alles war verstärkt. Alles außer die Kälte; sie verdampfte in der Wärme.    Falsches Licht, falsches Fühlen…   Er sonnte sich in dieser chemischen Lüge…ließ die Strahlen durch sich scheinen…   Und als sich der Tumult im Dorf endlich beruhigte, beendete er seine träumerische Mahnwache und begab sich schnurstracks nach Hause, wobei er ununterbrochen auf höheren Ebenen blieb, bis er ein halb zusammengebrochenes Bambusgerüst erreichte. Leichtfüßig wie eine Katze sprang er hinüber, packte einer der gelblichen Sprossen, schwang sich ungeschickt um ihre Achse und warf sich selbst nach oben und über die Balkonbalustrade des baufälligen vierstöckigen Wohnhauses. Taumelnd kam er auf und klopfte sich den Staub von den Händen, während er sich die Schuhe von den Füßen trat und seine spartanische Wohnung durch die Schiebeglastüren betrat.    Keine zwei Schritte in den beschatteten Tatamiraum und er wusste, dass er nicht allein war.    Verstärkte Sinne summten.    Mit umherzuckenden Augen schnupperte er und seine Umgebung strich wie verschmierte Farbe in seiner Sicht vorbei.    Jenseits der zerrissenen und verzogenen Fusama Paneele flackerte ein Licht. Die Lampen bei der Küchenzeile waren an. Sie waren niemals an. Er hatte sie immer noch nicht repariert. Ein Geräusch erklang, als eine Schranktür geschlossen wurde und es wurde von dem Summen in seinem Kopf und dem Brüllen in seinem Blut noch verstärkt. Auf dem dünnen Papiershōji, der diesen Platz von dem Wohnzimmer trennte, spielte ein Schatten.   Das Senbon in Position schob Genma den Shōji mit weit mehr Kraft zurück als er vorgehabt hatte.    Das scharfe Zischen der Tür zerschnitt die Stille wie eine Klinge.    Eine Gestalt hielt im Türrahmen der kleinen Küche inne und wurde von den Neonstrahlen einer billigen Beleuchtung illuminiert. Das vernarbte Gesicht spannte sich in einem Stirnrunzeln an. „Du hast immer noch nicht das Licht repariert.“   Genma hob eine Braue. „Hallo, Mutter.“   Raidō ignorierte den bissigen Kommentar und wandte sich wieder der Kochnische zu, wo sich zum Summen der Neonröhren bald das dumpfe Röhren der Dunstabzugshaube gesellte. Genma erhaschte den Geruch von Kürbissuppe, Duftreis und Zigarettenrauch, der zu stur war, um von dem Abzug aufgesogen zu werden. Doch es war Raidōs Anwesenheit, die das Apartment ausfüllte; so spürbar wie jeder Geruch. Genmas Nasenflügel bebten; ein Raubtier, das Wind von einem Eindringling bekam. Tief in seiner Kehle fauchte er und durchmaß das Wohnzimmer in langen unkoordinierten Schritten, wobei er leicht schwankte.    Ihm wurden all die Dinge bewusst, die bewegt worden waren, zur Seite geschoben, geordnet oder aufgeräumt. Um die sich gekümmert worden war.   Kümmern…   Mit finsterer Miene entriegelte er die Schiebetüren, die auf den Balkon führten und ließ einen eisigen scharfen Windstoß in die Wohnung. Er spürte ihn wie eine Hitzewelle und als seine Haut kribbelte, lag das nicht an der Kälte.    Er wandte sich um und begegnete dem Blick, der ein Loch in seinen Rücken bohrte.    Raidō lehnte mit verschränkten Armen am Herd und seine Augen erschienen im flackernden Licht liquide und intensiv. Eine kurzhaarige grau gestromerte Katze wand sich um seine Knöchel und verlangte nach Aufmerksamkeit. „Du hast dir eine Katze zugelegt?“   Genma stierte hinunter zu dem Tier, das er Waif getauft hatte und blinzelte, um den beweglichen Streifen kreisenden Graus in den Fokus zu bekommen.    „Ich habe Mäuse“, erklärte er knapp.    Waif hörte beim Klang seiner Stimme mit dem Zirkeln auf und trottete mit erhobenem krummem Schwanz herüber, wobei er eine lange miauende Beschwerde ausstieß.    Grunzend stieg Genma über den jammernden Stubentiger hinweg und hielt eine Hand gegen die braune Gipswand gestützt. Unter seiner Berührung gab trockener Puder nach. Waif sah fasziniert und mit zuckendem Schwanz zu, wie er nach unten schwebte. Auch Genma studierte den Gipsstaub mit derselben animalischen Neugierde. Er klebte in den Falten seiner Handfläche…wie Asche in seiner Hand.    Raidō seufzte. „Was zur Hölle hast du genommen?“   Bei dem beschuldigenden Tonfall wurde Genma regungslos und seine Augen schwangen mit Pupillen wie Nadeln nach oben.    Raidōs Brauen zogen sich zusammen, löste die Verschränkung seiner Arme und wollte nach vorn treten.   Genma spuckte. Ein Lichtstrahl schoss durch den Raum.    Ein lautes gläsernes Platzen und die Neonröhre zerbarst hinter Raidō und ließ einen Regen zersplitterter Scherben in der Kochnische niedergehen. Waif fauchte, schnellte herum und jagte davon in den Tatamiraum.    Raidō versteifte sich und hob eine Hand, um mit der Rückseite seiner Knöchel über seine vernarbte Wange zu streichen, als er das Stechen fühlte, wo das Senbon ihn gestreift hatte. Kopfschüttelnd sah er zu Genma. „Bist du verfickt nochmal bescheuert?“, sagte er mit solcher Neutralität, dass er Genma genauso gut hätte fragen können, wie spät es war.    Keine schlechte Vermutung. Denn Zeit war Geld soweit es Raidō betraf. Warum er sie allerdings hier verschwendete…   Ah.   Ein langsames Schmunzeln kroch über Genmas Lippen. Er beschrieb eine gemächliche, mäandernde Route über den rauen Dielenboden, wobei seine nackten Füße Nägel und Spreißel und Kami weiß was sonst noch riskierten. Die ganze Zeit über beobachtete Raidō sein Näherkommen wie ein Habicht vielleicht eine Schlange im Auge behielt; den Kopf leicht zur Seite gelegt und mit scharfem Blick, während er jede einzelne Bewegung im Mondlicht musterte.    Langsam und bedächtig legte Genma eine Hand auf den Tresen neben Raidōs Hüfte und hob die andere, um sich über dem Kopf seines Partners abzustützen und ihn zwischen seinem Körper und dem Herd einzupferchen. Er hielt die Augen auf Raidōs Gesicht fixiert und lehnte sich nach vorn, bis ihre Lippen nur knapp einen Zentimeter übereinander schwebten.    „Mir Essen bringen und meine Scheiße wegräumen“, schnurrte Genma finster. „Was bin ich? Dein verficktes Schoßtier?“   Raidō erwiderte nichts und hielt seine Arme mit verengten Augen und verschlossenem Kiefer wie Eisenstäbe über seiner Brust verschränkt. Genma kannte diesen Ausdruck, denn er war mehr als einmal der Empfänger davon gewesen. Aber nicht in letzter Zeit. In letzter Zeit war er distanziert genug gewesen, dass Gesichter ebenso undeutlich blieben wie verwischte Farbe. Doch aus dieser Nähe gab es kein Entkommen vor den vielen Schichten hinter Raidōs Blick. Genau wie bei dem Narbengewebe, das in Falten und Quaddeln zerklüftet war, stand sehr vieles in der dunklen Linie geschrieben, die sich zwischen die Brauen des Namiashi grub. Diese Miene schrie geradezu. Lärm, viel zu viel Lärm.    Über ihnen surrte der Lüfter laut und ruppig.    Genmas Hirn pulsierte unter dem Druck; es pochte in seinem Schädel und drückte gegen die Rückseiten seiner Augen.    Krampfartig schloss er sie und sah, wie Farben erblühten und wirbelten.    „Du stinkst nach Schnaps“, raunte Raidō gegen seinen Mund. „Und du bist drauf.“   „Jo…“ Genma lehnte sich weiter nach vorn, legte seine Lippen gegen Raidōs Ohr und zischte: „Ich fliege.“   Er donnerte die Abzugshaube mit solcher Gewalt und so plötzlich aus, dass Raidōs Handflächen vollkommen aus Reflex nach oben schossen und ihn heftig zurück stießen.    Halb aus der Kochnische hängend fing sich Genma ab und seine Finger krümmten sich um den Türknauf; ein Bein in der Luft und das andere feste auf dem Boden. Düster kichernd schwang er sich mit einem Rucken des Kopfes das Haar aus dem Gesicht. Als er aufsah bemerkte er, dass Raidōs Augen auf seine Hände fixiert waren und auf die offenen Schnitte stierten, die Kurenai von seinen Knöcheln bis über seinen Unterarm gekratzt hatte.    Doch Raidō fragte nicht; er schüttelte nur den Kopf. „Du hattest einen Termin bei Dr. Mushi.“   Stirnrunzelnd zerrte sich Genma in die Aufrichtung und hielt abrupt inne. Dr. Mushi. Die Mantis. Ah, das stimmte. Er hatte seine zweiwöchige Sezierung verpasst. War viel zu beschäftigt gewesen, Beweise zu verbrennen und Brotkrumenspuren zu verwischen.    „Genma, hast du mich verstanden?“   Er sah auf und fand Raidōs dunkle rosinenfarbene Augen vor, die auf sein Gesicht gerichtet waren; sah, wie sie sich verwandelten und zu Dimensionen weiteten, die mehr käferähnlich waren, bis sich Raidōs gesamte Züge wie Spachtelmasse in Genmas Verstand neu formten, sich nach außen ausbreiteten und die flachen, herzförmigen Konturen einer Gottesanbeterin annahmen. Dünne Strähnen weißen Haares, das zu einem hohen schilfartigen Pferdeschwanz zusammengefasst war und wie eine Antenne abstand. Er konnte Dr. Mushis funkelnde Augen sehen, die hinter riesigen randlosen Linsen vergrößert wurden und in einem Röntgenblick fixiert waren, der Genma wahrnahm, sondierte, psychoanalysierte und anpisste wie nichts sonst.    „Ich frage mich, ob du glaubst, dass du in Stille leiden musst, Genma.“   „Wer sagt, dass ich leide?“   „Würdest du sagen, dass du leidest? Vielleicht kannst du mir ja ein Beispiel geben, was Leiden für dich bedeutet.“   „Zählen diese Sitzungen?“   „Du fühlst dich unwohl dabei, hier zu sein?“   „Ich fühle überhaupt nichts.“   „Was einer der Gründe ist, warum du hier bist. Wie wäre es, wenn du mir erzählst, was du nicht über diese Sitzungen fühlst, was du aber vielleicht gerne fühlen würdest?“   „Nichts.“   „Nichts? Nicht einmal Vertrauen? Möchtest du dich nicht verstanden fühlen? Akzeptiert? Erleichtert? Du hast nichts, was du fühlen willst?“   „Ich habe nichts, was ich sagen will.“   „Und das, Genma, sagt dennoch etwas.“   Zu dumm nur, dass der Doktor trotzdem immer noch gar nichts wusste. Immer noch nichts verstand. Und mit Sicherheit nicht, dass er das Insekt war, das seziert wurde. Denn immer, wenn Genma in diesem Stuhl saß und in diese leuchtenden Käferaugen stierte, ahnte Dr. Mushi kein einziges Mal, dass er derjenige war, der beobachtet wurde, der sich unter dem Messer befand, unter wachsamen Augen.   Befehl ist Befehl.   Und das war alles, was es war. Denn Nara Shikakus Psychiater zu überwachen und Wanzen in diesem vertraulichen Bienenstock aus Büros zu platzieren, der vor Geheimnissen und Verschwörungen brummte, war nur eine weitere Mission, die zu einer Vergangenheit gehörte, die er nicht loslassen konnte. Oder zumindest einer Vergangenheit, die ihn nicht loslassen wollte.    Weil wir uns nicht alle aus dem Staub machen können.    „Genma“, knurrte Raidō. „Warum bist du nicht hingegangen?“   Die Hände in den Türrahmen gekrallt, schwankte Genma nach vorn und hing halb in die Kochnische. „Ich hab es nicht nötig, von diesem Insekt seziert zu werden.“   „Ich glaube nicht, dass du das zu entscheiden hast.“   Nein. Die einzige Sache, die er zu entscheiden hatte, war, wie er mit der Kälte umging, die er nicht abtöten konnte; nicht mit Alkohol und nicht mit Drogen, zumindest nicht dauerhaft. Und jetzt im Moment war Raidōs Anwesenheit wie eine Scherbe aus Eis, die sich durch künstliches Glühen und simulierte Wärme schnitt.   Chemische Lügen…   Er versuchte, sich an diesen falschen Gefühlen festzuhalten, versuchte sie zu jagen, sie zu fangen, sie zu halten, während sein glasiger Blick über den Boden glitt und fort reiste, wie er immer hatte reisen wollen…kletternd über zersprungene Fließen und Holzsplitter, wo Linien wie Flüsse strömten und Löcher wie weite offene Täler gähnten, während Scherben zerbrochenen Glases glitzerten wie gezackte Seen und kleine Teiche.    Er sah es alles; ein Habicht, der über der Welt schwebte.    Ja, er flog…flog zu nah am Boden.    Und hoch über ihm schwebten Raidōs Augen wie dunkle Wolken und seine Stimme war wie ein kalter Wind. „Du konstruierst dein eigenes Elend, ist dir das klar?“   „Muss“, murmelte Genma, als er sich das Konzil in sanguinischen Licht vorstellte. „Ich habe mein Gewissen in die Hände von Insekten gelegt, die weit kälter sind als ich.“   „Wovon redest du? Da ist doch nur dieser eine.“   „Da ist niemals nur dieser eine.“   Seufzend rieb sich Raidō über die Stirn. „Diese paranoide Vorstellung, dass sich dein eigener Therapeut gegen dich verschworen hat, ist genau der Grund, warum du immer noch jede zweite Woche in diesem gottverdammten Stuhl festsitzt, Genma. Wenn du Dr. Mushi nur etwas geben würdest, mit dem er arbeiten kann, eine Halbwahrheit, eine ausgewachsene Lüge, irgendwas, dann musst du das nicht noch länger durchmachen.“   Doch, das muss ich…   Was dazu führte, dass er stattdessen Raidō belog, wie er Asuma belogen hatte; und Kakashi…jeden belog, bei dem es sein musste – wie es notwendig war – er zog Halbwahrheiten und Ablenkungsmanöver hervor und führte alle richtigen Personen alle falschen Pfade entlang.    ‚Vielleicht bin ich einfach nur ein grausamer, grausamer Bastard, der es mag, den Leuten ans Bein zu pissen.‘   ‚Nein, das bist du nicht.‘   Aber es wäre so viel einfacher, wenn er das wäre. Wie schwer konnte es schon sein, zumindest so zu tun? Den Part zu spielen.    Seufzend senkte Genma den Kopf und dunkle Strähnen verhüllten wie ein Vorhang sein Gesicht. „Geh nach Hause, Raidō.“   „Oder vielleicht genießt du dieses Elend ja tatsächlich. Ist es das?“   Genma versteifte sich und seine Schulterblätter hoben sich. Jetzt ließ das Summen definitiv nach. Er hob den Blick und starrte seinem Partner direkt in die Augen. „Geh nach Hause.“   Raidō begegnete seinem Blick und hielt ihn. Aber wie jedes Mal hielt diese Konfrontation nicht lange an. Raidō hatte einfach nicht die Geduld dazu. Der Namiashi machte Anstalten, als wollte er etwas sagen, fuhr sich dann aber nur kopfschüttelnd mit der Zunge über die Lippen. Er trat von dem Tresen fort, vermied dabei das Glitzern winziger Scherben auf dem Boden und hielt vor Genma inne, wobei sich seine Brauen erwartend hoben.    „Nun?“   Genma brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass er den Ausgang blockierte. Er ließ die Hände fallen, drehte sich zur Seite und lehnte seinen Rücken gegen den Rahmen, während er seinen Partner mit einem Schwung seines Armes weiter gestikulierte. Aus dem Augenwinkel bemerkte er Raidōs Enttäuschung; ein schwaches Kopfschütteln.    „Wir waren so lange befreundet, Genma…“ Raidō ließ diese Aussage in der Luft hängen und ihre Ambivalenz war ebenso ernst wie seine Augen.    Es war eine Einladung, eine offene Hand, eine Geste des Vertrauens, eine Brücke zwischen Freundschaft und Entfremdung. Es würde nur einen Blick, ein Wort, eine Handlung für Genma brauchen, um ihm auf halbem Weg zu begegnen.    Doch auch nur einer dieser Schritte wäre ein Schritt zu weit.    Genma spürte bereits, wie sich die Ketten um seine Seele schlagartig straff zogen.    Er hielt das Gesicht abgewandt und stierte auf die Behälter, die auf einer Seite der Küchenzeile standen; ordentlich sortierte Kartons, abgeplatzte Keramik und lackierte Essstäbchen. Für alles gesorgt.    Er spürte Raidōs Blick auf seinem Gesicht; suchend…hoffend…   Genma schluckte schwer und zwang sich zu einem abweisenden Schnauben. „Schreib es auf meinen Deckel.“   Gekränkt spannte sich Raidōs Stirn an und kummervoller Schmerz flammte flüchtig in seinen Augen auf. „Iss es einfach“, knurrte er, bevor er an dem Shiranui vorbei in das Wohnzimmer und den Gang hinunter fegte.    Genma hörte, wie er in dem Genkan rumorte und dann, wie sich die Tür zu seiner Wohnung klickend schloss, um nichts außer Stille und Schatten zurück zulassen…und den Geruch von Kürbissuppe.   _______________________ Oh oh oh, ja, so langsam nimmt alles etwas Fahrt auf ^^ Es kommen immer mehr Puzzleteile dazu und immer mehr Teile des großen Rätsels ;)  Hier wird etwas mehr zu Genmas Rolle in diesem Netz aus Lügen verraten und, wer da natürlich noch so seine Finger im Spiel hat - die Ältesten von Konoha ;)  Und auch in Shikamarus Vergangenheit gab es wieder einen kleinen Einblick... Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat! :) So langsam wird es richtig spannend - also finde ich zumindest ^^ Ich hoffe, es geht da nicht nur mir so :D  Vielen Dank auf jeden Fall wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)