Im Nebel der Vergangenheit von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 26: Es war einmal ------------------------- Unsere Vergangenheit besteht nicht nur aus unserer Vergangenheit. Ernst Ferstl Wie gebannt starrt Emma in die goldenen Augen die sie inzwischen recht gut kennt. Auch die Gesichtszüge, obwohl tierisch, erkennt sie problemlos wieder. Es ist Ludwig; da gibt es keine Zweifel. Allerdings sieht er sie nicht, scheint keinerlei Notiz von ihr zu nehmen. Im Gegensatz zu ihr, die ihn sieht, hört und auch riecht. Der Geruch von Blut steigt ihr in die Nase und das herzzerreißende Winseln sorgt dafür, dass sich alles in ihr zusammenzieht. Ihr kommen die Tränen und sie geht in die Knie. Zittrig streckt sie ihre Hand aus und will ihn berühren, doch ihre Finger gleiten durch ihn hindurch. Erschrocken zieht sie sich zurück. Offenbar ist sie kein Teil von dem was hier passiert. Was auch immer hier passiert … Völlig aus der Situation gelöst hört sie wieder die Melodie. Sie kennt den Song, der da scheinbar läuft, wo auch immer. Die Musik schwebt über Szenerie als würde sie gar nicht dazugehören. Ludwig sieht schlagartig über seine Schulter und knurrt. Er springt auf und läuft weiter, verschwindet zwischen den Bäumen im Nebel und dem stärker werdenden Schneefall. Plötzlich wird die Musik deutlicher und sie erkennt einige Textfetzen. „… Lost in a riddle that Saturday night … He was caught in the middle of a desperate fight …“ Die Studentin verflucht sich kurz selbst. Sie erkennt den Text und auch die Melodie, aber ihr will es einfach nicht einfallen. Aus dem Augenwinkel nimmt sie einen bedrohlichen Schatten war, genau in der Richtung in die der Werwolf eben geschaut hat. Das Ganze wirkt konturlos, wie ein sich bewegender Tintenfleck. Von jetzt auf gleich ist die junge Frau auf einer Straße. Es scheint immer noch die selbe Nacht zu sein, zumindest schneit es ähnlich intensiv. Und auch die Musik ist immer noch da. Weit und breit ist nichts zu sehen außer einem kahlen Wald zu beiden Seiten der schmalen Fahrbahn. Wieder heult es in der Ferne, diesmal ist es aber ein Schmerzensgeheul. Emma zittert und ein schreckliches Gefühl breitet sich in ihr aus wie Gift. Etwas ganz Schreckliches passiert hier gleich, sie weiß das. Es ist keine Ahnung, sondern eine unumstößliche Gewissheit. Ihre Welt wird sich gleich für immer verändern. Die Musik gewinnt an Deutlichkeit … „ …The trees that whisper in the evening … Sing a song of sorrow and grieving …“ Plötzlich erhellen Scheinwerfer die Straße; ein Auto kommt auf die Studentin zu gefahren. Obwohl sie geblendet wird erkennt sie den Wagen. Sie würde ihn unter tausenden wiedererkennen. Das ist das Auto ihrer Eltern! Und nun erkennt sie auch den Song, der da die ganze Zeit im Hintergrund läuft. „… Four A.M. in the morning … Carried away by a moonlight shadow …“ Neben der Studentin bricht ein großes schwarzes Ungetüm aus dem Wald. Nein, kein Ungetüm. Es ist Ludwig auf der Flucht vor etwas, dass mächtig genug ist einem erfahrenen und starken Werwolf wie ihn derart zu zurichten. Emma weiß was jetzt geschieht, die Bilder flackern wieder vor ihr hoch und im nächsten Moment brettert der Wagen durch sie hindurch und erwischt Ludwig, der durch seine Verletzungen nicht schnell genug war. Der Werwolf wird in den Seitengraben geschleudert und das Auto kommt von der Fahrbahn ab, überschlägt sich und landet auf dem Dach. Die junge Frau zuckt zusammen und ein stechender Schmerz blitzt ihr durch den Kopf. Im nächsten Augenblick läuft etwas Warmes von ihrer Schläfe herunter. Vorsichtig tastet sie mit den Fingern ihr Gesicht entlang und begutachtet sie danach. Blut. Bilder zucken wieder vor hoch, doch die Perspektive ist eine andere. Die Bilder kommen aus dem Inneren des Autos. Alles steht Kopf und Mike Oldfield läuft im Radio. Ein Kind weint. Emma hat das Gefühl das sich endlich der Nebel lichtet und alles Stück für Stück zurückkommt. Aber ist das wirklich möglich? Sie weiß zwar aus Sebastians Vorlesung, dass Werwölfe um einiges langsamer altern wie Menschen, aber sie ist eigentlich davon ausgegangen, dass Nicolae Ludwig damals getötet hat. Ihr wird aber bewusst, dass der Vampir das nie gesagt hat, und auch Peter hat dazu nichts verlauten lassen. Sollte dem so sein kann es durchaus möglich sein, dass er zu ihrer Zeit noch lebte … Aber wie kann dann Sebastian, der ja älter wie sie ist, seine Wiedergeburt sein? Irgendetwas stimmt da nicht; nur was? Ein metallisches Geräusch reißt sie aus ihren Gedanken. Die Tür des Wagens geht auf und ein Mann kriecht aus heraus. Ihr Vater … sie erinnert sich mehr, als das sie ihn erkennt. Der Schnee fällt inzwischen wie ein dichter Vorhang zu Boden und begrenzt ihre Sicht erheblich. Ihr Vater richtet sich auf und plötzlich ist da ein Schatten hinter ihm. Ehe der Mann reagieren kann, wird er am Hals gepackt und hochgehoben. Er versucht sich zu wehren, hat aber keine Chance. Ein Kind klettert auf der anderen Seite aus dem Auto. Der Mann ruft ihm zu das es weg laufen soll … Plötzlich ist der Mann still und sein Kopf unnatürlich verdreht. Aus dem Wagen schreit es; Feuer ist zusehen das sich rasend schnell durch den Innenraum frisst. Der Geruch von verbrannten Haaren mischt sich mit dem von Blut und Schnee. Kurz darauf ist auch die Frau still. Das Kind läuft weg … stolpert und fällt. Es rutscht von der Fahrbahn und rollt in den Seitengraben. Emma erinnert sich. Sie erinnert sich, dass sie plötzlich auf etwas pelziges Warmes gefallen ist. Sie erinnert sich, wie sie den Geruch von Holz und Moos wahrgenommen hat und im nächsten Moment zu Tode erschrocken war. Sie erinnert sich an ein paar goldene Augen die sie entschuldigend angesehen haben, und, dass ihr warm ums Herz wurde in dem Moment. Ihre Gedanken kommen zurück zu der Szene die sich vor ihr abspielt. Ludwig kommt aus dem Graben gesprungen, stürzt sich mit seiner verbliebenen Kraft auf den Schatten. Er hat keine Chance, das weiß sie, und er auch. Doch er versucht sein Möglichstes um sie zu beschützen … Der Kampf ist grausam und ungerecht. Blut, Fell und Fleisch verteilen sich auf der Straße, färben den Schnee. Immer wieder wuchtet sich der Werwolf hoch, stellt sich seinem Gegner. Aussichtslos. Irgendwann bleibt er liegen; röchelt und seine Augen verlieren Zusehens den Schimmer des Lebens. Das Gold wird Matt und trüb. Ein Kinderschrei ist zu hören und der Schatten wendet sich um. Die junge Frau sieht wie ein Mädchen aus dem Graben kommt und zu dem sterbenden Tier läuft. Tränen rinnen ihnen beiden über die Wangen bei dem was sie sehen. Emma genauso wie dem Kind. Das ist sie, sie weiß es; sie erinnert sich … Der Schatten nähert sich, scheint irgendetwas in dem Mädchen zu sehen was ihn interessiert. Etwas passiert. Etwas, das sie nicht ansatzweise versteht. Den Werwolf umgibt urplötzlich ein grüner Schimmer der das Kind mit umschließt. Der Schatten weicht fauchend zurück, seine Augen glühen rot und lange spitze Eckzähne blitzen hervor. Ein greller Strahl entweicht im selben Moment dem geisterhaften Schein. Er teilt die Wolken und schießt in den Himmel. Der Schnee hüllt die junge Frau ein, nimmt ihr die Sicht und die Musik setzt wieder ein: „I stay, I pray, See you in Heaven far away… I stay, I pray, See you in Heaven one day. Far away on the other side. Caught in the middle of a hundred and five The night was heavy and the air was alive But she couldn’t find how to push through Carried away by a moonlight shadow Carried away by a moonlight shadow Far away on the other side.“   Allmählich spürt Emma ihren Körper wieder. Eine warme Hand streicht ihr über den Kopf und eine raue Stimme murmelt ihr ins Ohr. „… Bitte … komm schon …“ Flatternd öffnen sich die Lider der jungen Frau. Sie ist desorientiert und weiß nicht wirklich wo sie ist. Doch die Augen die sie besorgt ansehen erkennt sie sofort. „Du“, flüstert sie. Sie fühlt sich grauenvoll; ausgelaugt und erschöpft. Und traurig, so unendlich traurig. Doch die warmen Lippen die sich erleichtert auf ihre Schläfe legen, sorgen zumindest für wenig Wohlbefinden. „Ein Glück“, haucht Sebastian. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, meine Süße.“ Die Studentin nickt langsam, während sie ihre Erinnerungsfetzen zusammenfügt. Sie kann sich das sehr gut vorstellen. Erst findet er sie in der Gasse mit dem fremden Werwolf, dann bricht sie zusammen und ist nicht ansprechbar. Für Minuten? Stunden? „Wie lang …?“, fragt sie heiser und mummelt sich tiefer in die Decke. Sie liegt in Professor Jones Bett, das hat sie inzwischen bemerkt. „Etwas über eine Stunde“, antwortet er. Der Archäologe gibt ihr einen weiteren Kuss, diesmal auf die Stirn. „Ich bin fast gestorben vor Angst um dich“, gibt er offen zu. Behutsam legt er sich zu ihr und zieht sie an seine Brust. „Tut mir leid …“, nuschelt sie und schmiegt sich in seine Umarmung. Still lässt sie ihre Erinnerungen Revue passieren. Zumindest weiß sie jetzt auch, warum sie dieses eigentlich schöne Lied immer so grässlich fand die ganzen Jahre. Und auch den ersten Schnee. „Erzähl es mir“, fordert Sebastian sie auf. „Du bist nicht allein damit, was es auch immer ist.“ Liebevoll streichelt er ihr über den Rücken. Emma pustet kurz durch. Sie muss erst einmal nachdenken, auf welchem Stand Professor Jones eigentlich ist. Da er gestern erst wiedergekommen ist, muss sie wohl ganz am Anfang des Jahres anfangen. Noch etwas zögerlich beginnt sie schließlich. Sie erzählt ihm von Ludwig, und, dass er noch da ist. Von seiner Warnung und dem Schatten. Und, dass er sie in die Zwischenwelt ziehen kann. Immer noch weiß sie nicht wie, aber inzwischen spürt sie es zumindest und kann sich dann darauf einrichten. Sie erzählt ihm von Peter und Nicolae, und wie sich mit ihnen ausgesprochen hat. Nach einigem Zögern berichtet sie von ihren ersten Erinnerungen an Ludwig. Ein wenig beschämt erklärt sie Sebastian, dass der Werwolf ihr unsichtbarer Freund war und sie es vergessen hatte. Wohlwollend küsst er sie auf die Stirn und lässt sich zu einer kurzen Geschichte aus seiner Kindheit hinreißen. Einem Kuscheltier, das ihm besonders wichtig war. Der Vergleich hinkte natürlich etwas, aber die Studentin findet es süß, dass er versucht ihr die Befangenheit zu dem Thema zu nehmen und sich ihr gleichzeitig ein wenig öffnet. Das, was in ihrem Traum in der Hütte im Wald passiert ist, behält sie erst einmal für sich. Sie ist sich unsicher ob sie es wirklich erzählen soll; und sie hat keine Ahnung wie der Professor reagieren wird. Stolz berichtet sie stattdessen von ihren Rechercheerfolgen zum Thema Geister und Medien. Und, wenn auch widerwillig, von Drogo. Sie entschärft die Geschichte knallhart was den sexuellen Teil betrifft, weil sie ernsthaft fürchtet, dass Sebastian sonst aus dem Bett springt um den blonden Vampir ausfindig zu machen und ihn in Stücke zu reißen. Und ihre Angst scheint berechtigt, denn sie spürt wie er sich bis aufs Maximum anspannt. Schnell erklärt sie die Zusammenhänge, bleibt aber recht vage, und erwähnt Mia nicht. Der Archäologe schlägt eine Pause vor, wahrscheinlich auch für sich selbst, denn die Geschichte mit Drogo hat ihn ziemlich aufgewühlt, und, dass sie etwas Essen sollten. So finden sie sich in der Küche wieder, bei einigen Sandwiches und Saft. Während des improvisierten Abendessens erzählt Emma von Viktor. Sie erzählt davon, wie er Einfluss auf Drogo und Lorie ausübt. Sebastian nickt vor sich hin und sagt ihr, dass Nicolae etwas in die Richtung angedeutet hat. Und auch, dass der Älteste der Brüder sagte, dass er nicht so recht wüsste, was das Clanoberhaupt wieder in der Stadt wollen würde. Der Studentin wird flau. Sie erzählt von ihren Erinnerungen, die sie vorhin heimgesucht haben. Von ihren Eltern, dem Unfall und Ludwig. Ihr Kommen wieder die Tränen. Sebastian nimmt sie in den Arm, tröstet sie und lässt ihr alle Zeit der Welt. Nachdem sie sich wieder gefangen hat, spricht sie weiter. So genau wie möglich gibt sie die Geschehnisse wieder. Der grüne Schimmer der Ludwig und sie umhüllt hat und der grelle Lichtstrahl der davon geschossen ist. Schließlich berichtet sie von dem Schatten. Sie erklärt, dass sie das Gefühl hat, dass es sich um denselben Schatten handelt wie in der Zwischenwelt. Und im Haus der Bartholys. Viktor. Stille legt sich über Emma und Sebastian. Er hat seinen Arm um sie gelegt und scheint nachzudenken. Und auch sie grübelt nach, darüber was es nun mit Ludwig und den Professor auf sich hat. Auf Grund der neuen Informationen ist sie sich sicher, dass es sich nicht um eine Reinkarnationsgeschichte handeln kann. Ihr geisterhafter Freund scheint ihr noch nicht alles offenbart zu haben. Er hatte ihr seine Vermutung ja auch nicht bestätigt als sie sie geäußert hatte … „Ich denke, dass du es warst“, sagt Sebastian plötzlich. Er sieht die junge Frau an und scheint nach der richtigen Formulierung zu suchen. „Du bist ein Medium, ein recht starkes sogar. Es könnte sein, dass dein Wunsch Ludwig zu retten ihn an dich gebunden hat.“ Ein kalter Schauer schüttelt die Studentin. Wäre das möglich? Hat ihr kindlicher Wunsch dieses arme, gequälte Wesen zu retten ihn irgendwie an sie gebunden? Das wäre schrecklich, wenn sie so darüber nachdenkt. Sollte dem der Fall sein, wäre das sogar eine Erklärung warum er immer noch bei ihr ist. Er kann womöglich gar nicht aus eigener Kraft hinüber ins Jenseits. „Ich muss mit ihm reden“, sagt sie mehr zu sich und richtet sich auf. „Süße, du solltest dich erst einmal ausruhen“, versucht der Archäologe auf sie einzureden. „Nein“, widerspricht sie sofort. „Ich muss das klären, jetzt, sonst werde ich keine Ruhe haben.“ Emma sieht den Archäologen an. Sie sieht wie er ihr erneut widersprechen will, aber er lässt es dann doch bleiben und nickt wenig überzeugt. Schnell legt sie ihre Lippen auf seine und küsst ihn mit allem, was sie für ihn empfindet. Nachdem sie sich von ihm gelöst hat lässt sie ihren Kopf gegen seine Brust sinken. Sie lauscht seinem Herzschlag, atmet durch und konzentriert dann ihre Gedanken. Ludwig. Ludwig. Immer wieder ruft sie ihn in ihrem Kopf und dann spürt sie das typische ziehen an ihrem Geist. Die Studentin entspannt sich und lässt sich davon tragen … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)