Im Nebel der Vergangenheit von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 18: Kampfmodus ---------------------- An der Front kämpfen, heißt noch lange nicht, den Krieg zu verstehen. Thomas S. Lutter   Ein Knall lässt Emma aufschrecken. Völlig neben der Spur blinzelt sie und greift sich reflexartig an den Hals. Nichts. Kein Schmerz, kein Blut. Aber …? Ein grausames Zittern schüttelt ihren Körper. Sie spürt noch die Kälte und Drogos Mund an ihrer Schlagader. Alles ist im ersten Augenblick noch real, dann verschwimmt es aber zunehmend. „Es ist schon spät, wir schließen.“ Sie zuckt zusammen durch die Ansprache. Wie ein Schaf sieht das Kindermädchen auf und glotzt die Bibliothekarin an als wäre sie ein Alien. Was geht hier vor? Der Blonde war doch eben hier. Oder? Er war hier und sah so schrecklich traurig aus und dann … Eine kurze, heftige Hitzewelle zieht durch ihren Magen. Bilder flackern auf; Bilder wie sie über einander hergefallen sind wie wilde Tiere. Und dann kriecht die Kälte wieder in ihre Nerven. Er hat sie … gebissen … „Wir schließen“, wiederholt sich die Dame und geht weiter. Was zum Teufel?! Die junge Frau versucht krampfhaft zu verstehen was hier los ist, war. Sie sitzt immer noch an ihrem Tisch, als wäre sie nie aufgestanden um die Bücher wegzuräumen. Ihre Augen huschen kurz durch den Raum; niemand hier. Einen Augenblick zögert sie, doch dann dreht sie doch den Kopf und schnuppert an ihrem Uni-Pullover. Würde das jemand sehen würde er sie für einen Freak halt, so viel steht fest. Nichts. Kein fremder Geruch, nur ihr eigenes leichtes Parfum. Was hat das zu bedeuten? „Wir schließen“, tönt es energisch vom Tresen. Ohne ein Wort zu sagen springt Emma auf und räumt die Bücher weg. Nachdem sie das letzte an seinen Platz gestellt hat überkommt sie eine eigenartige Vorahnung. Ihr Blick schweift über die Reihe der darüber gelegenen Etage. Ihre Augen weiten sich. „Vom Fangen eines Traums“ steht in goldenen Buchstaben auf dem dunkelblauen Buchrücken. Zittrig greift sie danach und dreht es in ihren Händen. Auf dem Deckel ist ein Traumfänger abgebildet, darüber steht der Titel und darunter ein Zusatz: „Die Kunst einen Traum zu manipulieren“ Drogo! Er hat wieder ihren Traum beeinflusst! Wie konnte er nur?! Und sie dumme Kuh hatte auch noch Mitleid mit ihm! Blanke Wut überkommt sie. Sie stellt das Buch zurück, geht zum Tisch und schnappt sich ihre Sachen.   Als sie am Herrenhaus ankommt ist sie immer noch auf 180. Sie stürmt durch die Eingangstür und bleibt abrupt stehen. Es fühlt sich an, als wäre sie in eine Wand gerannt. Die Stimmung im Haus ist eisig und furchteinflößend. Gänsehaut überkommt die junge Frau und sie weicht zurück. „Emma“, wird sie von der Seite angesprochen. Mit den Nerven am Ende schreit sie kurz auf. Tatsächlich steht da einfach nur Nicolae der sie besorgt ansieht. „Was ist hier los?“, fragt sie leise. Das Familienoberhaupt streckt die Hand aus und legt sie auf ihre Schulter. „Es gibt da etwas sehr Wichtiges über das ich mit dir sprechen muss.“ Er führt sie Richtung Wohnzimmer. Angekommen bleibt er stehen und räuspert sich. „Es gibt ein kleines Problem.“ „Kleines?“, faucht das Kindermädchen förmlich. „Drogo war schon wieder in einem meiner Träumen. Er … er hat mich gebissen!“ Die Wut überkommt sie schlagartig wieder und lässt sich kaum zügeln. Die Enttäuschung über sein Verhalten und der Ekel befeuern ihre Emotionen noch zusätzlich. „Ich weiß“, erklärt Nicolae ruhig und sieht der Studentin fest in die Augen. „Er war bei mir und hat es mir gesagt. Emma, er wollte das nicht; er macht sich schreckliche Vorwürfe deswegen …“ „Das ist mir egal!“, fällt die junge Frau ihm ins Wort. „Ich habe die Nase voll! Er kann nicht immer wieder so etwas tun und dann hinterher sagen das es ihm leid tut. Verdammt nochmal!“ Wie kann man so alt sein und sich trotzdem derart unreif benehmen? Es geht ihr einfach nicht in den Kopf. Ehrlicherweise tut es ihr selbst schon fast leid, dass sie sich bemüht hatte die Dinge zwischen ihnen wieder zu richten; sie hätte es einfach lassen sollen! „Das ist nicht so einfach. Er ist noch jung und muss vieles erst noch richtig lernen“, versucht sich der Vampir an einer Erklärung um die Situation zu beruhigen. „Das ist keine Entschuldigung! Nicht mehr!“, poltert Emma ungehalten. „Du kannst doch nicht ständig alles auf sein Alter schieben! Er hat mich getäuscht, mir seine Fähigkeit bewusst vorenthalten und sie dann hinterrücks benutzt! Er hat mir wehgetan; sich an meiner intimsten Privatsphäre vergriffen! Hast du eine Ahnung wie sich das anfühlt?!“ Kaum ausgesprochen bereut sie den Satz. Das sie ihrem Gegenüber damit gerade wirklich wehgetan hat merkt sie direkt an seiner Reaktion. Er wendet den Blick ab und schließt kurz die Augen. Ja, Vampire schlafen. Jeder in seinem eigenen Rhythmus und Länge. Allerdings träumen sie nicht; niemals. Das Kindermädchen erinnert sich daran, wie ihr Peter das einmal erzählt hat, und wie merkwürdig entrück sein Blick dabei war. Sie hatte es am Anfang nicht verstanden, aber mit der Zeit wurde ihr bewusst, wie wichtig Träume sind um manche Dinge besser zu verarbeiten. Vielleicht einer der Gründe, warum sie so soft das Gefühl hat, dass die Bartholys irgendwie in der Zeit festhängen. Noch dazu, hat sie ihrem Gegenüber gerade indirekt auch angegriffen; immerhin kann er Gedankenlesen und hat somit auch jederzeit Zugriff auf die Privatsphäre seines Umfelds. „Ich … tut mir leid, Nicolae. Ich … Ich bin so wütend auf Drogo. Er hat mir sehr wehgetan mit seinem Verhalten. Und vor allem mit dem, was er mich durchleben lassen hat …“, wispert sie gequält. „Schon gut“, beschwichtigt er sie. Das Familienoberhaupt strafft seine Haltung und sieht wieder auf. „Ich bin mir bewusst, dass nur die Wut aus dir spricht.“ Er schenkt ihr ein sanftes Lächeln bevor er weiterspricht und sich seine Miene leicht verfinstert. „Allerdings dürfte es dir deutlich machen, dass im Moment Dinge vor sich gehen auf die wir keinen Einfluss haben. Und denen wir uns nicht entziehen können.“ Eine dunkle Vorahnung überkommt die junge Frau. Hat es etwas mit der eigenartigen Atmosphäre im Haus zu tun? Die ist tatsächlich nicht ganz neu, allerdings inzwischen mehr als deutlich wahrnehmbar. In den letzten Tagen hat sie sich … vermehrt? Wie aufziehender Nebel wird es immer dichter. Nicolae senkt ungewohnterwiese den Blick bevor er weiterspricht. Das was er zu sagen hat scheint ihm enorm schwer zu fallen. „Viktor ist im Land“, sagt er schließlich leise. Seine Aussage verhallt langsam im Raum und gewinnt an schwere. Es wirkt so, als würde diese unheimliche Atmosphäre im Haus auf die Aussage reagieren und sich noch bemerkbarer machen. „Im Land?“ Die Studentin weiß nicht wirklich was sie mit der Information anfangen soll. Sie ist wichtig und bedeutend, aber sie weiß nicht so richtig warum. Im Land? Er könnte also sonst wo sein; warum spielt das für sie hier in Mystery Spell eine Rolle? Fragend sieht sie ihr Gegenüber an und runzelt die Stirn. „Er ist ein Urvampir. Seine Macht und Aura sind enorm. Er strahlt sie aus damit jeder im Umkreis von tausenden Meilen weiß das er da ist. Und dementsprechend macht er seinen Einfluss gelten; auch auf uns“, erklärt das Familienoberhaupt ruhig und gesetzt. Die Anspannung dahinter ist aber kaum zu überhören. Langsam setzen sich die Zahnräder in ihrem Kopf in Bewegung. Lories und Drogos Verhalten sind nur die Vorboten seiner Anwesenheit im Land. Wie würde das erst werden, wenn er hier im Haus wäre? Sie erinnert sich an all die kleinen Dinge die ihr die Brüder im Laufe des letzten Jahres über ihren Vater erzählt hatten. All die Andeutungen, Offenbarungen. Viktor Bartholy ist der Inbegriff des klassischen, alten Vampirs für sie geworden: grausam, böse, mordlüstern. Sie erinnert sich, dass sie froh war ihm nie begegnen zu müssen … „Er kommt hierher?“, fragt sie erschrocken und betet, dass ihre Frage verneint wird. Nicolae legt seine zweite Hand auch auf ihre Schulter. Er sieht sie intensiv an bevor er antwortet. „Wir befürchten es, sind uns aber nicht sicher.“ Eine unerklärliche Angst überkommt die Studentin. Die Brüder haben immer gesagt, dass ihr Schöpfer nie, oder nur extrem selten nach Mystery Spell kommt. Und wenn, dann hat es meistens keine guten Gründe gehabt. „Warum könnte er denn herkommen wollen?“, hakt sie zittrig nach. „Das wissen wir nicht so genau. Er weiht uns nie in seine Machenschaften und Pläne ein; und wir wollen im Normalfall auch nichts davon wissen. Wir alle sind für ihn nur Schachfiguren die er nach Belieben nutzt um an sein Ziel zu kommen.“ Nicolae macht keinen Hehl daraus, wie desillusioniert und auch wütend er deswegen ist. Seine graugrünen Augen verlieren fast völlig ihren Glanz und Ausdrucksstärke. Leer starrt er vor sich hin und scheint von vergangenen Ereignissen heimgesucht zu werden. Das Kindermädchen erinnert sich in dem Moment an etwas Anderes. Das mit Lorie hat sie inzwischen verstanden. Die Kleine ist die einzige die gut auf ihren Schöpfer zu sprechen ist. Viktor ist nicht nur ihr Schöpfer; er ist ihr Vater in ihrer Welt. Ihre Bindung zu ihm ist stark und sehr emotional. Woher das kommt weiß Emma zwar nicht, aber es wird seine Gründe haben. Bei dem Jüngsten der Brüder liegt die Sache aber anders. Er hat auch kein gutes Haar an dem Urvampir gelassen; warum also lässt er diesen negativen Einfluss zu? „Du sagtest, dass er nur Drogos Triebe kontrollieren kann“, sagt sie mehr zu sich selbst. Sie sieht auf und legt die Stirn in Falten. „Warum also ist er mir gegenüber …?“ Ihr bleibt die Frage förmlich im Hals stecken, als sie die Antwort plötzlich erahnt. Das Familienoberhaupt spricht aus, was die Frau sich nicht traut. „Er mag dich, Emma. Er mag dich wirklich sehr.“ Er seufzt und lässt seinen Blick durch den Raum wandern. „Mehr wie er sollte; und das weiß er auch. Er hat versucht sich von dir fernzuhalten, dich von ihm fernzuhalten. Aber jetzt mit Viktors dunkler Aura im Nacken …“ „Hat er Probleme sich zu kontrollieren“, beendet sie seinen Satz. Prompt fällt der Studentin Mia Cooper wieder ein. „Sei vorsichtig. Er hat sich oft nicht unter Kontrolle. Seine Verbindung zu ihm ist sehr groß.“ Sie hat sie versucht zu warnen und sie hat es nicht verstanden. Wie auch? Dieses in rätseln sprechen scheint so eine Geistermacke zu sein; eine unschöne noch dazu. Doch es bleibt offen was das alles nun für sie selbst konkret bedeutet. Drogo und sein schreckliches Verhalten rücken in den Hintergrund; Viktor beherrscht ihre Gedanken. „Was passiert nun?“, fragt sie vorsichtig und bekommt irgendwie Angst vor der Antwort. „Wie du gemerkt hast, ist seine bloße Anwesenheit auf dem Kontinent schon problematisch für Lorie und Drogo. Du gehörst für uns zur Familie; wir haben versprochen dich zu beschützten …“ Nicolae seufzt und wirkt niedergeschlagen. „Aber?“, hakt sie nach, als ihr das Schweigen zu lang dauert. Ihre Nerven flattern und ihre Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Dass er so zimperlich mit seinen Aussagen ist passt so gar nicht zu ihm; und das schürt mehr und mehr Angst in ihr. „Vor Viktor können wir dich nicht beschützen. Er ist viel zu mächtig. Und … auch vor seiner Auswirkung auf uns …“, erklärt das Familienoberhaupt schließlich zu Ende. Emma hört seine Worte, versteht sie auch und trotzdem begreift sie das Gesagte nicht so richtig. Sie fühlt sich geehrt und geschmeichelt, dass sie zur Familie gehört, dass sie sie beschützen. Wahrscheinlich ist sich keiner der Bartholys wirklich bewusst was ihr das bedeutet. Sie hat endlich wieder einen Platz wo sie hingehört; Menschen zu denen sie gehört. All das macht es ihr schwer die nächste Frage zu formulieren. Ihre Stimme zittert, als sie es endlich schafft. „Wie geht es jetzt weiter?“ „Ich suche noch nach einer Lösung. Beziehungsweise habe ich eigentlich eine, aber die hat sich noch nicht entschieden fürchte ich. Bis dahin … Ich würde mich besser fühlen, wenn du diese Nacht bei Peter verbringst. Drogo hat sich zwar ins Nebengebäude zurückgezogen, aber man weiß nie.“ Nicolae fallen seine Worte extrem schwer. Emma gegenüber und auch seinem Bruder gegenüber. Er wirkt betreten, besorgt und gleichzeitig irgendwie hilflos. Die Lösung hat sich noch nicht entschieden? Was meint er nur damit? Doch sie will nicht nachfragen, der jungen Frau tut das Familienoberhaupt leid. Er trägt die ganze Verantwortung für seine Brüder, Lorie und nun auch noch für sie. Als wäre das unter normalen Umständen nicht schon schwer genug, taucht jetzt auch noch Viktor unerwartet auf. „Du gehörst zur Familie“, fallen ihr seine Worte wieder ein. Sie geht einen Schritt auf den Vampir zu und tut etwas, dass sie noch nie getan; zumindest bei ihm. Sie umarmt ihn einfach. Nicolae ist überrascht von ihrem Verhalten und versteift sich kurz. Nach einigen Augenblicken erwidert er die Geste schließlich und entspannt sich. So stehen die beiden eine ganze Weile im Wohnzimmer und spenden sich gegenseitig Trost und familiäre Wärme. Und ein wenig wacklige Zuversicht im Angesicht einer so unklaren Zukunft. „Wir werden nicht zulassen, dass dir etwas passiert“, flüstert das Familienoberhaupt schließlich und löst die Umarmung. „Niemals.“ Er sieht sie lang und intensiv an. Emma ringt sich ein Lächeln ab und nickt. „Ich gehe nach oben.“ Eine schreckliche Melancholie überkommt sie, als sie das Wohnzimmer verlässt und die Treppe in den oberen Stock hochläuft. Was wird nun werden? Muss sie womöglich das Herrenhaus verlassen? Die Stadt? Das Land? Das wäre doch irgendwie übertrieben. Oder? Noch dazu, wo sie nicht wissen ob Viktor überhaupt hierherkommt, oder warum. Schwer seufzend betritt sie ihr Zimmer. Sie kann nicht verhindern, dass sie sich alles ganz genau ansieht; ein wenig so, als wäre es das letzte Mal. Da sie die Nacht bei Peter verbringt, sollte sie wohl ein, zwei Sachen zusammensuchen. Sie will nicht wegen jeder Kleinigkeit ständig hin und her laufen, dass würde ihr innere Unruhe nur noch mehr verstärken. Außerdem läuft sie dann Gefahr, Lorie in die Hände zu fallen. Und das will sie noch weniger wie Drogo zu begegnen. Die junge Frau nimmt ihre Umhängetasche, verstaut das Nötigste darin und verlässt ihr Zimmer wieder. Sie wird das Gefühl nicht los in etwas hineingeraten zu sein, das sie noch nicht in seiner Gänze versteht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)