Im Nebel der Vergangenheit von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 12: Überfallkommando ---------------------------- Ich kenn einen Jäger, man heißt ihn "Tod" Theodor Fontane   Nichts tut sich hinter der Tür. Das Kindermädchen klopft noch einmal überaus energisch und ruft den Namen des Blonden; doch nichts rührt sich. Zumindest nicht an dieser Tür. Weiter hinten im Flur öffnet sich hingegen ein Zimmer und Lorie taucht mit einem merkwürdig entrückten Gesichtsausdruck auf. „Er ist nicht da“, erklärt die Kleine und grinst dann plötzlich. „Wir sind alleine, du und ich.“ Emma bemüht sich das Schaudern zu verbergen. Irgendetwas stimmt gerade ganz und gar nicht mit dem Kind. Also nicht, das sie sonst dem Idealstandard entspricht, aber jetzt ist sie noch spezieller wie ohnehin schon. „Gut, dann kläre ich das später mit ihm“, bringt das Kindermädchen hervor und will zurück in ihr Zimmer. Doch dazu muss sie an Lorie vorbei und alles, wirklich alles, in ihr sträubt sich dagegen. Es ist nicht so, dass sie unbedingt Angst spürt, aber etwas an der Kleinen beunruhigt sie zu tiefst. Aber eben auch nicht immer. Als würde sich manchmal ein Schatten über das Kind legen und das Gute in ihr verblassen. Das, was dann übrig bleibt ist nicht sehr … schön. „Lass mich bitte durch, Lorie“, flüstert die junge Frau. Nicolae hat ihr mehrfach gesagt, dass sie lieber keine Schwäche oder Angst dem Kind gegenüber zeigen soll, aber sie kann gerade nicht anders. Und es scheint auch nicht wirklich Lorie zu sein, die ihr Angst macht. Es ist eher etwas Böses das um sie herum ist … Das Vampirkind grinst breit und seine braunen Rehaugen werden rot. „Komm doch her … wir können noch ein bisschen spielen.“ Die kleinen spitzen Eckzähne blitzen gefährlich und sie macht einen Schritt auf Emma zu. „Bleib wo du bist!“, ruft das Kindermädchen panisch. Sie hebt die Hände zur Abwehr, wissend, dass das nicht viel bringen würde sollte sich die Kleine auf sie stürzen. Warum haben sie sie nur mit ihrer Schwester allein gelassen?! Die Brüder wissen doch genau wie unberechenbar das kleine Gör sein kann! „Ich warne dich Lorie“, droht sie, obwohl sie weiß, dass das lächerlich ist – was sie direkt bestätigt bekommt. Lorie beginnt zu lachen; aber nicht das herzliche und unschuldige Kinderlachen, dass sie mitunter hat. Dieses Lachen jetzt ist kalt, herablassend und beängstigend. Ihre Augen glühen wie heiße Kohlen und sie macht einen weiteren Schritt auf das Kindermädchen zu. „Ich kenn einen Jäger, man heißt ihn „Tod“: Seine Wang ist blass, sein Speer ist rot“, zischt sie bedrohlich, ihre Stimme klingt merkwürdig verfremdet dabei. „Sein Forst ist die Welt, er zieht auf die Pirsch, Und jaget Elenn und Edelhirsch.“ Emma stutzt. Sie kennt das irgendwo her, kann es aber nicht zu ordnen. Außerdem nimmt ihre Angst mehr und mehr überhand. Unbewusst geht sie mit jedem Schritt den das Kind auf sie zumacht einen rückwärts. Immer weiter. Die roten Pupillen nehmen sie gefangen und entführen sie in eine grässliche Welt voller Blut und Leid … „Im Völkerkrieg, auf blutigem Feld, Ist's, wo er sein Kesseltreiben hält; Hass, Ehrsucht und Geizen nach Ruhmesschall, sind Treiber im Dienste des Jägers all’ “, zitiert die Kleine ungerührt weiter. Die junge Frau hat das Gefühl völlig aus der Welt gesaugt zu werden. Diese roten Augen und dieses Gedicht entführen sie in eine andere Epoche, eine andere Zeit. Bilder flitzen vor ihr vorbei; Bilder eines Krankenhauses; Bilder von weißen Räumen mit Betten. Alles wirkt altertümlich und nicht sehr einladend. Die Stimmung ist drückend und einschüchternd. Die Fliesen werden rot, der Geruch von Strom liegt in der Luft. Plötzlich löst sich alles in Flammen auf … „Nicht fürcht ich ihn selber, wie nah er auch droht, Doch wohl seine Rüden: Gram, Krankheit und Not, Die Meute, die stückweis das Leben zerfetzt.“ Lorie bleibt kurz stehen und grinst bedrohlich. „Und zögernd uns in die Grube hetzt*“, schließt sie ab und macht noch einen Schritt auf Emma zu. Leere, absolute leere. Als das Kindermädchen es endlich begreift, ist es zu spät. Das kleine Biest hat sie rücklings zur Kellertür gedrängt, die auch noch offensteht obwohl sie sonst immer verschlossen ist. Der ominöse Keller, den sie nie, niemals, unter gar keinen Umständen, betreten soll. Obwohl sie sonst jemand ist dem Verbote mitunter egal sind, hat sie das nie in Frage gestellt. Etwas Kaltes und Gruseliges ging immer von dieser Tür aus. Etwas Bedrohliches, was sie davon abhielt sich ihr zu nähern, oder noch weitere Fragen zu stellen. Sie ist einfach zu langsam; ihr Kopf, bis er es begreift und auch ihre Reflexe, bis sie endlich reagieren … Ihr Körper kippt nach hinten und der Sturz ist nicht mehr zu verhindern. Mit ein wenig Glück wird sie sich das Genick brechen. Auch wenn es natürlich makaber ist in diesem Zusammenhang von Glück zu denken; aber womöglich droht ihr etwas Grausames dort unten. Wer weiß was dort ist. Die Brüder haben sie bestimmt nicht grundlos vor dem Keller gewarnt. Zu gern würde die Studentin schreien, aber ihr schnürt es die Kehle zu. Eisige Klauen scheinen aus den Untiefen hervorzuschießen und ihren Körper mit aller Gewalt gefangen zu nehmen. Todesangst kriecht ihr in die Knochen, in die Seele. Es macht den Eindruck, als würde sich die Dunkelheit der Welt aus dem Keller erheben um sie zu verschlingen. Schlagartig endet ihr Sturz; einfach so, mitten in der Luft. Emma begreift sekundenlang nicht warum, dann spürt sie die Hand die sich um ihren Unterarm geschlossen hat. Verwirrt sieht sie in die Richtung und blickt in Drogos Gesicht. Seine beinahe ängstlich wirkende Mimik beunruhigt sie noch mehr, wie das ganze Szenario mit Lorie eben. Mit einem kräftigen Ruck wird sie nach oben gezogen und die Kellertür fliegt hinter ihr wie von Geisterhand mit einem lauten Knall zu. Der Blonde zieht die junge Frau zu sich und nimmt sie schützend in die Arme, während sein Kopf sich zu seiner kleinen Schwester dreht. „Was sollte das?!“, donnert er außer sich vor Wut. Die Studentin zittert vor Angst. Der Schrecken steckt noch tief in ihr und wird wohl nicht so einfach verschwinden. Unsicher sieht sie über die Schulter des Mannes zu dem kleinen Mädchen. Lorie steht da, ihre Miene wirkt abwesend für einige Augenblicke, als wäre hätte jemand die Pausetaste gedrückt. Die dunkle Aura die sie umgeben hat verschwindet – zurück bleibt ein überwältigtes Kind. Tränen bilden sich in den Rehaugen und deutlich zeichnet sich Verzweiflung ab. Ohne ein Wort zu sagen beginnt sie zu weinen und flüchtet sich in ihr Zimmer. „Scheiße!“, flucht Drogo und scheint mehr als überfordert mit der Situation. „Was war los mit ihr?“, fragt Emma zittrig. Natürlich ist die Kleine manchmal echt eigenartig und manchmal auch völlig fernab der Realität, aber das hier … Wollte sie sie wirklich gerade töten? Angerdroht hat sie es ihr zwar schon einige dutzend male, aber niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass sie das in die Tat umsetzt. Doch jetzt ist sie sich sicher; vor allem wegen dem Verhalten des Blonden. Sie spürt förmlich seine Sorge und Panik; und dass will schon was heißen. Nur leider nichts Gutes … „Ich … ich weiß nicht“, antwortet der Jüngste der Brüder und seufzt. Er lässt das Kindermädchen los und schiebt sie etwas zurück. Er sieht ihr in die Augen und wirkt so ernst wie noch nie. „Ich muss dringend mit Nicolae deswegen sprechen. Du gehst in dein Zimmer und verlässt es nicht bis ich zurück bin.“ Ist das sein verdammter Ernst?! Er kann sie doch nicht mit dem Kind allein lassen nachdem was hier gerade passiert ist! Fassungslos starrt sie den Vampir an und öffnet den Mund, aber kein Wort kommt ihr über die Lippen. Ehe sie sich versieht wird sie den Gang entlang in ihr Zimmer bugsiert. „Schließ ab und öffne nicht bevor wir zurück sind“, mahnt sie Drogo nochmal eindringlich. Er sieht sie entschuldigend und ein beunruhigt an. Fast schon zärtlich streicht er ihr über die Wange bevor er blitzschnell verschwindet. Völlig abwesend schließt sie die Tür und dreht den Schlüssel. Die Studentin spürt wie ihre Beine nachgeben und sie lässt sich zittrig auf dem Boden nieder bevor noch ein Unglück passiert. Ihr Kopf dreht sich und sie fühlt eine unfassbare Leere in sich. Und Kälte. Und Angst. Angst, dass wieder irgendwelche Dinge geschehen, auf die sie keinen Einfluss hat; Dinge, die ihr die Brüder vorenthalten um sie zu schützen und sie damit nur noch mehr ins Schlammassel stürzen. Lories Schluchzen holt sie aus ihren sich überstürzenden Gedanken. Inzwischen kennt sie jede Art des Weinens der Kleinen. Meistens handelt es sich um das typische Erpresser-Weinen, das sie an den Tag legt um zu bekommen was sie will. Manchmal ist es Wut-Weinen, weil sie nicht bekommt was sie will. Hin und wieder ist es das Manipulier-Weinen, um ihre Brüder um den Finger zu wickeln. Und selten, sehr selten, ist es echtes Weinen aus Verzweiflung oder Trauer. Das, was Emma hier durch die Wand hört, sind echte Tränen. Tränen der Verzweiflung und irgendwie auch Angst. Auch wenn sie sich dagegen sträubt, geht ihr das Geräusch an die Nieren. Minuten verstreichen doch das Weinen wird nicht weniger. Das Kindermädchen kann nicht mehr, inzwischen kommen ihr selbst die Tränen. Da ist so viel Schmerz und Verzweiflung in dem Schluchzen, dass sich ihr fast der Magen umdreht. Als würde das Leid der Jahrhunderte aus dem Kind sprudeln und sich über das Hier und Jetzt ergießen. Irgendetwas war da vorhin, was Lorie beeinflusst hat; etwas, das dafür gesorgt hat das sie nicht sie selbst war. Eine böse Macht vielleicht …? Die junge Frau schüttelt den Kopf. Versucht sie sich gerade den Mordanschlag schön zu reden? Wirklich?! Doch sie kann sich dem nicht wehren. Das Mädchen im Nachbarzimmer tut ihr leid und sie sucht eine Rechtfertigung das denkbar dümmste überhaupt zu tun. Sich einzureden, dass sie nicht sie selbst war und es nicht so gemeint hat, sorgt dafür, dass sie noch mehr Mitleid mit dem Kind hat. „Ich bin ein Idiot“, schimpft sie leise mit sich selbst und steht auf. Sie atmet durch und dreht den Schlüssel. Vorsichtig öffnet die Studentin die Tür und geht in den Flur hinaus. Sie hat Angst, das kann sie nicht leugnen, aber gleichzeitig kann sie nicht weiter zu hören wie Lorie leidet. Das Kind hat wer-weiß-was in den ganzen Jahrzenten durchgemacht und erduldet … Tatsächlich ist sie die einzige, die nie irgendetwas von sich preisgeben hat in den der ganzen Zeit. Nur ab und an hat sie etwas durchblicken lassen; nur vage und nicht wirklich verständlich. Aber es war immer zutiefst verstörend, oder noch schlimmer … Schritt um Schritt nähert sich die junge Frau der Tür zum Kinderzimmer und bleibt schließlich davorstehen. Drogo hat ihr gesagt, sie soll bleiben wo sie ist. Drogo! Herrgott noch eins, wenn er das schon sagt, wird es triftige Gründe haben. Und trotzdem steht sie hier … Es ist jetzt offiziell: sie ist verrückt! Andererseits würde die schnöde Holztür den Mini-Vampir nicht wirklich aufgehalten im Zweifelsfall. Dahingehend war die Anweisung des Blonde eigentlich auch für die Katz. Mit einer unfassbaren Ruhe, von der sie nicht weiß woher sie sie so plötzlich hat, drückt sie die Klinke runter und betritt langsam den Raum. Da liegt das kleine Mädchen, zusammengerollt auf einem viel zu großen Bett. Ein Häufchen Elend; zerbrochen und zerstört. Ihr Kopf geht vorsichtig hoch und ihre sonst so strahlenden braunen Augen sind trüb, unendlicher Schmerz ist in ihnen zu sehen. Ohne Vorwarnung springt sie auf, wirft sich ihrem Kindermädchen in die Arme und weint noch mehr wie eben schon. Emma weiß gar nicht wie ihr geschieht. Plötzlich ist das Kind in ihren Armen und drückt sich an sie, als wäre sie ihre Rettung. Sie ist unschlüssig, ob es so gut ist die Kleine so nah an ihren Hals zu lassen, aber so aufgelöst wie sie ist, will sie Lorie auch nicht wegstoßen. Zögerlich schließt sie ihre Arme um das Mädchen und streicht ihr tröstend über das Haar. „Es tut mir leid“, schluchzt die kleine Vampirin und drückt sich noch fester an die junge Frau. „Es tut mir leid, ich wollte das nicht.“ „Schon gut“, versucht die Studentin sie zu beruhigen. Langsam geht sie Richtung Bett und setzt sich hin. Das ist hier ist eine Premiere auf die sie gern verzichtet hätte. Sie musste das Kind noch nie trösten, geschweige denn im Arm halten. Eine dezente Überforderung macht sich in ihr breit. Lorie hockt auf ihrem Schoß, die Arme um ihren Nacken gelegt und ihr Puppengesicht an ihrer Halsbeuge vergraben. „Ich will doch, dass du bleibst“, weint sie und zittert wie Espenlaub. Emma atmet tief durch, versucht sich selbst und dadurch die Kleine zu beruhigen. Nicolae hat ihr schon öfters gesagt, dass ihr eigener Gemütszustand sehr starken Einfluss auf die Kleine hat. Langsam scheint ihr Plan aufzugehen; das Schluchzen wird zumindest weniger. Unbemerkt von der jungen Frau kippt die Stimmung im Raum. Kälte kriecht aus den Ecken und schleicht um das Bett. Es scheint immer dunkler im Zimmer zu werden. Etwas Konturloses breitet sich aus und verschlingt die Wände, den Boden und die Decke. Ein eisiger Strudel bildet sich um das Bett herum … „Ich will doch, dass du bleibst“, wiederholt das Kind mit einem eigenartigen Unterton. „Für immer“, fügt sie kaum hörbar und krächzend noch an. Das Kindermädchen merkt, wie sich der Griff der Kleinen um ihren Nacken verstärkt. Ein stechender Schmerz lähmt ihren Körper und alles wird schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)