Die letzte Ehre von BuchTraumFaenger ================================================================================ Kapitel 35: 35. Zurück im Leben ------------------------------- Ein paar Wochen später… Er fror, obwohl es eigentlich nicht kalt war. Aber allein schon der Anblick genügte, um ihn zum Zittern zu bringen. Mit bebenden Flügeln lehnte sich Xiang an den Türrahmen seines ehemaligen Kinderzimmers. Die Erinnerung an damals werde er zwar nie löschen können, dennoch war es eine innere Erleichterung für ihn, dass die, die ihm als letzte nach dem Leben getrachtet hatte, für immer beseitigt war. Wenn auch mit einer bitteren Wehmut, dass es seine eigene Familie gewesen war, die ihn so gehasst hatte. Sein Fingerfedern gruben sich ins Holz. „Hey, alles in Ordnung mit Ihnen?“ Sie Stimme von Liu ließ ihn zusammenfahren. „Was willst du denn hier?!“, fauchte er sie an. Die Pfauenhenne neigte verlegen den Kopf. „Ich… ich hab mich nur gefragt, wo Sie sind und da dachte ich, Sie wären hier…“ Sie zog den Kopf ein, als Xiang sie so streng ansah. Doch dann seufzte er und wandte sich ab. „Ach übrigens“, beeilte sich Liu zu sagen, „danke für das Zimmer.“ Xiang hielt kurz inne. „Gewöhn dich nur nicht daran“, bemerkte er spitz. Er stützte sich an der Wand ab und versuchte humpelnd vorwärts zu kommen mit einem Bein. Doch dann stolperte er aus Versehen und landete ungewollt auf dem Boden. Schnell eilte Liu zu ihm hin. „Kommen Sie. Ich helfe Ihnen.“ Sachte schob sie ihre Flügel unter seine Achseln. Sie hielt kurz inne, als Xiang unter ihrer Berührung zusammenzuckte. Sie schluckte, behielt aber ihre Ruhe. „Keine Sorge. Ich helf Ihnen hoch.“ Etwas mühsam schaffte sie es, Xiangs Flügel auf ihre Schultern zu legen. Als sich ihre Flügel berührten, verweilte die Pfauenhenne einen Moment. Irgendwie war alles anders als in der Zeit in der Residenz. „Bist du eingeschlafen?“, bemerkte Xiang sarkastisch. „Oh, nein, natürlich nicht.“ Schnell erhob sie sich, sodass beide wieder aufrecht standen. Sie spürte seine Anspannung, die sich aber allmählich wieder legte und gemeinsam verließen sie den Raum. Während sie ihres Weges gingen, musste Liu immer darüber nachdenken, was wohl am nächsten Tag sein würde. Und es machte ihr manchmal Angst, doch vielleicht gab es ja doch Hoffnung für sie beide. Nur vielleicht. Zumindest hoffte sie das. Sogar sehr. Er fühlte sich frei. Nie würde er zugeben, dass er sich seit dem Arztbesuch in Gongmen wieder wie neu geboren fühlte. Er hatte zwar gehofft für den Rest seines Lebens ohne diese Medikamente auskommen zu müssen, aber wenigstens musste er sie nicht jeden Tag einnehmen, doch die alte Ziege mahnte ihn, dass er genau drauf achten sollte. Der weiße Pfau sah zum sichelförmigen Mond auf. Er war froh wieder in seiner eigenen Stadt Yin Yan zu sein, wo er nicht mehr den Blicken der Kung-Fu-Meister ausgesetzt war. Hier konnte er unter sich sein und so leben wie er es wollte. Er hatte sich in den späten Abendstunden in eine einsame Ecke des Hofes begeben und spielte mit seinem Schatten, den der schwache Mond auf die Erde warf. Der weiße Pfau schwang sein Lanzenschwert. Es durchschnitt fast lautlos die Luft. Er vollführte Drehungen wie in einem Tanz. Es war ein Tanz in dem er sich sicher fühlen konnte. Früher hatte er Angst gehabt, er könnte sich verletzen, doch seine Bewegungen waren jetzt so eingefleischt in seinem Geist, dass er jede Bewegung und Balance im Schlaf vollführen könnte. Plötzlich wurde die Harmonie durch ein Geräusch unterbrochen. Der weiße Pfau reagierte blitzschnell, hielt dann aber sofort inne, als die Schwertspitze nur ein paar Millimeter vor Yin-Yus Schnabelspitze zum Stillstand kam. „Meine Güte, hast du mich erschreckt“, hauchte sie fassungslos. Shen zog sein Schwert zurück. „Tut mir leid. Ich hatte gedacht…“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern drehte sein Lanzenschwert im Flügel. Yin-Yu lächelte. „Du siehst gut aus. Die Behandlung scheint dir gut getan zu haben.“ Shen wollte nicht darauf eingehen und vollführte wieder seine Bewegungsübungen. „Warum bist du hier?“, wollte Yin-Yu wissen. „Ich wollte nur kurz alleine sein“, antwortete Shen bedächtig. „Oh, okay. Hab ich dich bei irgendetwas gestört?“ „Nein, ich wollte mich nur etwas bewegen.“ Die Pfauenhenne schmunzelte. „Das hab ich gesehen.“ Beide warfen sich neckische Blicke zu. Shen ließ sich von ihrer Anwesenheit nicht stören und vollführte eine erneute Drehung mit dem scharfen Instrument. „Bring es mir bitte bei.“ Shen hielt inne und sah Yin-Yu überrascht an. Diese stand felsenfest vor ihm und sah ihn bittend an. Der weiße Pfau runzelte die Stirn und fragte sich, ob sie es wirklich ernst gemeint hatte. Sie wollte seine Techniken lernen? Sie hatte sich stets davor gescheut Kriegswaffen in die Flügel zu nehmen. Sie hatte es immer wieder aufgeschoben und jetzt tauchte sie wie aus heiterem Himmel auf und bat um Unterricht bei ihm? Eine Weile sahen sie sich schweigend an, dann schwang er das Schwert kurz durch die Luft, fing es wieder mit den Flügeln auf und schob die Schwertspitze vor ihr Gesicht. Yin-Yu hielt ganz still, doch sie hatte keine Angst. Sie wusste, er würde sie nicht verletzten wollen. Anschließend senkte Shen das Lanzenschwert und überreichte es ihr mit beiden Flügeln. Zögernd nahm sie es ihm ab. „Vorsicht“, mahnte er. „Scharf.“ Behutsam umfasste sie den langen Schwertgriff. Es war schwerer als sie gedacht hatte, aber es war gut zu halten. Sachte bewegte sie es, schließlich traute sie sich es mit nur einem Flügel zu halten und schwang es langsam und vorsichtig hin und her, auf und ab. Über Shens Schnabelwinkel huschte ein Lächeln während er sie dabei beobachtete. Irgendwie hatte er sich zwar schon eine Frau gewünscht, die genauso ein Kämpfer war wie er, doch so wie sie war sollte sie bleiben. Yin-Yu bemühte sich das Lanzenschwert etwas kräftiger kreisen zu lassen. Doch dann kippte sie zur Seite. Shen fing sie noch schnell auf. „Du wirst noch lernen die Balance zu halten“, flüsterte er ihr aufmunternd zu. Nachdenklich betrachtete Yin-Yu das Lanzenschwert in ihren Flügeln. „Bei dir sieht das so leicht aus.“ Sie drehte sich zu ihm um, und er sah sie warmherzig an. „Du wirst dich daran gewöhnen.“ Er legte seine Flügel auf ihre, die immer noch den langen Schwertgriff umklammert hielten. „Traust du mir das wirklich zu?“, fragte sie unsicher. Er lächelte. „Ich weiß es.“ Ihre Schnäbel näherten sich bis sie sich berührten. „Ich wusste doch, dass die wieder knutschen.“ Fantao verzog den Schnabel. Zedong konnte sich ihm da nur anschließen, als sein Vater und seine Mutter sich noch intensiver küssten. „Ja, igitt.“ Jian hingegen konnte nur den Kopf schütteln und strich über seine neue Pipa. „Pssst!“, zischte seine Brüder ihm zu. „Die hören uns noch.“ „Papa und Mama sehen aber glücklich aus“, bemerkte Shenmi. Sie wusste zwar nicht was dieses Schnabeldrücken sollte, aber ihre Eltern schienen es regelrecht zu genießen. „Was macht ihr denn hier?“, fragte Xia, die gerade des Weges vorbeikam, als sie nach ihren kleinen Geschwistern gesucht hatte. „Mom und Dad knutschen wieder rum“, bemerkte Zedong. Xia blieb kurz der Schnabel offen, als sie ihre Eltern küssend in einem einsamen Eck im Hof stehen sah. Das Lanzenschwert hielten sie dabei immer noch umklammert. „Ab ins Bett mit euch!“, befahl sie und schob die Kleinen zur Seite. „Oh, jetzt wo es gerade interessant wird“, beschwerte sich Fantao. „Für sowas habt ihr immer noch Zeit, wenn ihr erwachsen seid“, belehrte seine ältere Schwester ihn. Zedong drehte sich zu ihr um. „Ach, und wann hast du mal jemanden abgeknutscht?“ Er grinste während Xia verdattert dastand. „Äh… natürlich noch nie einen. Also los mit euch ins Bett!“ „Dann wird es aber Zeit, bevor du zu alt wirst“, neckte Zedong weiter und rannte schnell weg, bevor seine Schwester ihn noch einen Schubs verpasste. Shen und Yin-Yu hatten von der heimlichen Observation gar nichts mitbekommen. Sie waren zu sehr damit beschäftigt sich mit ihren Schnäbeln zu liebkosen. Dabei drehte sich das Lanzenschwert ein wenig, sodass das Mondlicht reflektiert wurde. Shen reagierte auf den Lichtreiz und schaute sofort zur Lichtquelle. Yin-Yu sah ihn überrascht an, weil er so plötzlich den Kuss unterbrochen hatte. Shen sah sich angespannt um. Beruhigend streichelte die Pfauenhenne seine Flügel. „Shen, es war nur der Mond.“ „Mag sein“, flüsterte Shen misstrauisch. „Ich hatte nur gedacht…“ Yin-Yu seufzte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Xiang uns wieder etwas Schlimmes antun wird.“ Sie erschrak kurz bei Shens düsteren Gesichtsausdruck. Shen wollte sich den Abend nicht vermiesen lassen und schaute zum Mond auf, der sichelförmig über der Stadt leuchtete. Shen kniff die Augen zusammen. „Was hast du?“, fragte Yin-Yu besorgt. Shen schüttelte den Kopf. „Mm, es ist nichts… es ist nur…“ Der weiße Pfau wusste nicht wieso, aber manchmal, wenn er zum Mond hochschaue, kam es ihm so vor, als würde noch jemand anderes mitschauen. Shen verscheuchte diesen Gedanken sofort wieder und gab eine andere Erklärung ab. „Es kling vielleicht kindisch, aber manchmal erinnert mich diese Sichelform an eine gebogene weiße Feder.“ Er lächelte ihr zu und Yin-Yu lächelte erleichtert mit. „Das hab ich auch oft gemacht“, bemerkte sie heiter. „Der Mond ist das Einzige, was abends neutral ist. Er hat keine Farben.“ Sie schmiegte sich an ihn. „Er ist weiß wie du.“ Shen schmunzelte. „Oder weiß wie Schnee.“ Die Pfauenhenne kicherte bei dieser Bemerkung und ihre Schnäbel näherten sich erneut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)