Die letzte Ehre von BuchTraumFaenger ================================================================================ Kapitel 12: 12. Wenn die innere Uhr zurückdreht ----------------------------------------------- Zum Glück war es bis zum Dorf der Bergschafe nicht mehr weit. Sie legten am Ufer an, und es dauerte auch nicht lange, als sie nach einigem Suchen ein paar Bergschafe fanden, die ihnen bei der Reparatur behilflich sein konnten. Da es auch langsam Nacht wurde, beschloss die Besatzung die Fahrt erst am nächsten Tag vorzusetzen. Und auch die Bergschafe bestanden darauf, dass die Passagiere sich in ihrem Dorf auszuruhen. Es war für sie kein Problem alte Bekannte bei sich unterzubringen, wovon Shen anfangs nicht so begeistert war. Po hingegen war Feuer und Flamme. Er erkundigten sich sogar danach, ob jemand etwas von Yin-Yu gesehen oder gehört hatte. Doch leider konnte keiner ihnen eine Auskunft darüber geben. Als es dann schließlich Nacht wurde, zog man sich in die Schlafräume der Hütten zurück. Kaum hatte Po sich auf dem Bett niedergelassen, war er auch schon eingeschlafen. Erst ein paar Stunden später weckte ihn ein dumpfes Grollen aus der Ferne. Verschlafen richtete er sich auf und sah aus dem Fenster raus. Am Horizont hatte sich eine Wolkenmasse angesammelt, aus der ab und zu Blitze zuckten. Der Panda rieb sich übers Gesicht. Das Gewitter war noch zu weit entfernt und wahrscheinlich zog es auch nur vorbei. Er wollte sich schon gerade wieder hinlegen, als ihm die weiße Gestalt auf dem Hügel auffiel. Po kniff ein paar Male die Augen zusammen. Doch er träumte nicht. Was machte Shen noch zu so später Stunde da draußen? Kurz entschlossen stand der Panda auf und ging zur Haustür. Als er über die Türschwelle trat überkam ihm auf einmal eine Welle der Vertrautheit. Irgendwoher kannte er dieses Bild. Ja, es war wie damals. Vor vielen Jahren, da stand der weiße Herrscher genau an derselben Stelle, als sie in diesem Dorf waren. Damals hatte Shen den Brief von Yin-Yu erhalten, wo sie ihm ihre Liebe gestanden hatte, wobei dieser Brief aber nie bei ihm angekommen war. Po seufzte schwer. Langsam ging er auf den weißen Herrscher zu. Shen hatte ihm den Rücken zugewandt und starrte in die Ferne. Wie damals. Po räusperte sich. Als eine Reaktion von Seiten des Herrschers ausblieb, versuchte er selber ein Gespräch anzufangen. „Damals lag hier Schnee“, begann Po. „Und es war ganz schön kalt. Jetzt wächst hier überall Gras. Das ist schon irgendwie verrückt, nicht wahr?“ Erneut blieb eine Rückmeldung vom weißen Pfau aus. „Was ist denn los, Shen?“, hakte Po nach. „Machst du dir Sorgen um Yin-Yu?“ Die nächste Schweigephase zwang den Panda dazu selber das Gespräch weiter zu führen. „Oder ist es wegen heute Nachmittag? Okay, das war heute richtig heftig gewesen… Aber glücklicherweise ist ja nichts passiert! Stimmst? Ist doch so? Oder? Nicht? Sag doch mal was.“ Doch alles was blieb war ein Schweigen. „Na schön.“ Enttäuscht machte Po kehrt. „Heute wäre es beinahe passiert.“ Verwundert drehte Po sich wieder um. Die Stimme des Lords war kaum zu hören gewesen, doch klar genug, dass er Panda jedes Wort verstand. „Was wäre heute beinahe passiert?“, erkundigte sich der Panda besorgt. „Ich war da“, fuhr Shen mit leiser Stimme fort. „Aber ich konnte ihr nicht helfen.“ Po schluckte. „Aber Shen, das kann doch jeden mal passieren, dass man einen Move verpatzt. Ich meine, sieh mich an. Mich hat man heute glatt durch die Luft geschleudert. Das kommt sonst sehr selten vor. Na ja, meistens sind es ja dann immer meine Freunde, die mir Rückendeckung geben… apropos Rücken, ich fühl immer noch den blauen Fleck unter meinem Fell…“ Er brach ab. Shen hatte seinen Flügel gehoben, ein klares Zeichen dafür, dass er schweigen sollte. Der Pfau seufzte leise bevor er anfing zu sprechen. „Ich rede nicht gerne über meine Kindheit“, begann er. „Aber ich sehe, dass ich wohl heute dieses Schweigegelübde brechen muss, damit du es verstehst.“ Der Panda hob interessiert den Kopf. „Ich bin ganz Ohr.“ Shen zögerte noch ein paar Sekunden, bevor er sich innerlich dazu aufraffte das zu sagen, was er bis jetzt immer gemieden hatte. „Weißt du, Panda, ich war von Anfang an seit meiner Geburt nicht so überlebensstark wie heute. Ich war ziemlich oft krank. Und ich wurde durch meine ganze Kindheit so vielen Ärzten vorgeführt, dass meine ersten Lebensjahre nur noch von Behandlungen geprägt waren. Ich hatte so ziemlich alles Mögliche. Darunter auch diese Schwächeanfälle.“ Er hob ein wenig die Flügel und sah sie an, als wären sie mit Schmutz behangen. „Doch mit der Zeit bekam ich sie allmählich in den Griff und nach intensiver Arbeit meines Trainings verschwanden sie sogar ganz.“ Er sah den Panda an. Po legte den Kopf schief. „Und jetzt? Jetzt sind sie wieder…?“ Der Pfau seufzte. „Ja, ich spüre, dass meine Kräfte wieder nachlassen. Alles hat vor ein paar Monaten begonnen. Ich hatte gehofft, dass es sich wieder legen würde, doch ich befürchte, dass das diesmal nicht der Fall sein wird. Das heißt für mich dann, dass ich kampfunfähig sein werde – in Zukunft, wenn es sich nicht bessert.“ Po schwieg einen Moment bevor er zögernd den Mund öffnete. „Ist es… ist es denn nicht heilbar?“ Shen verzog die Mundwinkel. „Als Kind musste ich häufig Medikamente einnehmen. Dann ging es. Allerdings hab ich mich geweigert es noch weiter einzunehmen. Also setzte ich die Behandlungen ab und heilte mich selber. Doch allmählich bringt das nichts mehr.“ Po kratze sich am Kopf. „Dann… dann musst du eben wieder zum Arzt…“ „Nein.“ Shen wandte sich ab und ging ein paar Schritte weg. Der Panda sah ihm verwundert nach. „Nein? Wieso das denn nicht? Dafür sind Ärzte doch da…“ „Bei Verletzungen ja, aber nicht im Allgemeinzustand!“ Shen verschränkte entschlossen die Arme. „Ich bin immer noch normal. Ich habe es satt mich von Ärzten behandeln zu lassen wie ein Versuchskaninchen. Einer hatte es sogar gewagt ein Mittel an mir auszuprobieren, dass nicht mal getestet worden war.“ Pos Augen weiteten sich, als er merkte, wie der weiße Pfau leicht zu zittern begann. „Ich werde das alleine machen“, zischte Shen. „So wie ich es damals auch geschafft habe.“ Der Panda hob die Augenbrauen. „Du hast doch gerade gesagt, du packst es nicht alleine…“ „Ich weiß was ich tue!“, unterbrach der Pfau ihn unwirsch. „Und wenn es länger dauert. Ich will nie wieder einen Arzt sehen.“ Po schluckte. „Aber Shen. Jeder sollte zu einem Arzt, wenn es einem nicht gut geht. Ich war auch mal beim Arzt…“ „Weswegen?! Wegen Übergewicht?! Man war sogar der Meinung ich würde nicht mal mein 10. Lebensjahr erreichen! Aber ich habe bewiesen, dass sie sich geirrt haben.“ Zu Pos Verwunderung senkte Shen den Blick und er befürchtete schon, Shen hätte jetzt wieder einen Schwächeanfall. Doch der weiße Pfau hatte nur keine Hemmungen mehr, seine Niedergeschlagenheit zu verbergen. Selbst wenn es sich dabei um seinen Ex-Rivalen handelte. Stattdessen umarmte der weiße Pfau sich selber, als habe er Angst jemand würde nach ihm greifen. „Doch das Alter schwächt meine Widerstandskraft“, fuhr er leise fort. „Als ob es nicht schon schlimm genug war ein reiches Kind zu sein, dass die Palastmauern so gut wie nie verlassen durfte, ich konnte auch im Palast nichts machen, was meiner Gesundheit schaden konnte. Es gab sogar Tage, wo ich kaum Atmen konnte.“ Traurig legte Po die Handflächen aneinander. „Na gut, okay, so krank war ich nie, aber ich weiß wie es sein könnte, als Kind nicht seinen 10 Lebensjahr nie zu sehen. Meine Mutter jedenfalls hat ihn nicht mehr miterlebt.“ Sofort wandte Shen sich von ihm ab. „Du hast geschworen nie wieder davon zu reden!“ Po senkte den Blick. „Tut mir leid, es ist nur… was ich damit sagen will ist… Weiß Yin-Yu denn schon davon?“ Shen schüttelte den Kopf. „Aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn du mit ihr darüber…“ „Misch du dich nicht in meine Familienangelegenheiten ein!“, keifte Shen ihn an. „Es reicht mir schon, dass ein gewisser Meister meine Tochter manipuliert…“ „Okay, okay, dann eben so, aber denk doch mal nach. Was wäre wohl passiert, wenn ich heute nicht da gewesen wäre? Vielleicht würdest du dir dann für den Rest deines Lebens Vorwürfe machen, wenn du vorher keine ärztliche Behandlung akzeptiert hättest – und deiner Tochter was passiert wäre.“ Das brachte Shen erst mal zum Verstummen. Eine Weile starrten sich die beiden hart an. Schließlich wich Po seinem Blick aus. „Die Entscheidung liegt bei dir. Aber bedenke, wenn du das nicht medizinisch abklärst, kannst du im Ernstfall nicht für Shenmis Sicherheit garantieren. Du solltest dir bewusst machen, was dir nun wichtiger ist. Dein Stolz nicht als Schwach angesehen zu werden und dafür keine Hilfe anzunehmen, oder die Sicherheit deiner Familie. Denk mal drüber nach.“ Damit wandte Po sich ab. Shen sah ihm nach und beobachtete wie der Panda in der Hütte verschwand. Dann richtete er den Blick wieder in die Ferne und schaute in Richtung der hohen Berge der hunnischen Grenze, über denen sich dunkle Wolken aufgetürmt hatten und den Sternenhimmel verdeckten. Die Augen des weißen Pfaus verengten sich. Sein Geist war genauso aufgewühlt wie das Unwetter. Und auch Po ging es nicht unbedingt anders. Der Panda zog sich in sein Bett zurück und hatte nicht bemerkt wie ihn die ganze Zeit zwei silberne kleine Augen beobachtet hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)