Die letzte Ehre von BuchTraumFaenger ================================================================================ Kapitel 8: 8. Die neue Pflegerin -------------------------------- Es war still im Zimmer. Keiner von beiden sagte ein Wort. Xiang lag schweigend auf dem Rücken auf seinem Bett. Liu stand daneben und war dabei sein gelähmtes Bein zu bewegen. Der Pfau sah sie nicht an, sondern starrte nur an die Zimmerdecke. Liu unterließ es ein Gespräch anzufangen und konzentrierte sich darauf das Bein anzuwinkeln und wieder auszustrecken, wie beim Gehen. Sie achtete darauf jedes Gelenk zu beanspruchen, sowohl das Hüftgelenk, das Knie, als auch jeden einzelnen Zeh. Ab und zu rieb sie ihre Flügelhände mit Öl ein, die sie dann aufs Bein massierte, um die Durchblutung besser anzuregen. „Wieso hackt ihr es nicht einfach ab?“, murmelte Xiang nach einer Weile. Die Pfauenhenne seufzte, unterbrach ihre Arbeit aber nicht. „Die Blutzirkulation funktioniert noch einwandfrei“, sagte sie. „Es besteht kein Grund Ihnen das Bein abzunehmen.“ „Aber du hättest weniger Arbeit mit mir“, knurrte der Pfau. „Aber ich mach das gerne.“ „Gerne?“ Xiang richtete sich ruckartig auf und stierte sie böse an. „So, dir gefällt es also, dass ich nicht mehr gescheit laufen kann, ja?!“ „Nein, natürlich nicht!“, beteuerte sie, wobei sie sein Bein losließ. „Ich wollte nur sagen, dass mir die Arbeit nichts ausmacht. Wenn ich etwas daran ändern könnte, dann würde ich es natürlich tun.“ Wieder kroch in ihr die Angst hoch, als Xiang die Augen zusammenkniff. „Du kannst eher froh sein, dass ich nicht beide Beine bewegen kann“, zischte er. „Sonst würde ich dich dafür ins Jenseits jagen! Ach, hau einfach ab!“ „Aber ich bin doch noch gar nicht fertig.“ „Was soll das noch bringen?!“ „Das Bein muss bewegt werden, sonst bildet sich die Muskulatur zurück und die Gelenke werden steif.“ „Ist mir doch egal! Mir reichts für heute!“ Ohne weiter auf ihre Bitte einzugehen, zog er sich die Bettdecke über und drehte sich auf die Seite. Dabei drückte er sich so tief ins Bett, dass nur noch seine Kammfedern hervorlugten. Liu bebten die Hände vor Wut, doch sie schluckte alles hinunter, packte die Behandlungsutensilien weg und verließ enttäuscht den Raum. Kaum hatte sie die Schiebetür zugezogen, lehnte sie sich dagegen und holte ein paar Mal tief Luft. Am liebsten würde sie ihm so richtig ihre Meinung sagen. Nicht nur wegen seiner Rücksichtslosigkeit, sondern auch, dass er sich nicht ständig verhalten sollte als wäre er ein hoffnungsloser Krüppel. Sie war sich sicher, dass er mehr könnte als er sich zutraute. Aber er wollte gar nichts. Nicht mal Handarbeiten oder sonst irgendetwas, worin er sich verbessern könnte. Selbst das Gehtraining hatte er abgelehnt. Sie hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt ihm wenigstens einen Seitenhieb zu verpassen, doch dann hatte sie immer das furchtbare Bild vor Augen, als er noch so schrecklich verletzt gewesen war. Jede freie Minute ihres Schlafes hatte sie geopfert nur um ihn nicht alleine zu lassen. Besonders anfangs war es schlimm mit ihm. Jede Nacht hatte er herumgeschrien. Zuerst hatte sie geglaubt, er habe Schmerzen, doch dann begann er im Schlaf zu reden. Er schrie ständig auf jemanden ein, als würde ihn jemand in seinen Träumen bedrohen. Die meiste Zeit kam sie kaum noch hinterher ihm danach das Gesicht von den Tränen abzutrocknen. Erst als er allmählich wieder vollständig bei Bewusstsein war, hatte er sie nachts aus seinem Zimmer verbannt. Seufzend löste sie sich von der Tür und ging nachdenklich den Korridor entlang. Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie meinte zu spüren, dass Xiang einen besonders großen Hass auf sie hatte. Er hatte zwar schon jeden in der Kurresidenz mal angemeckert, aber an sie ließ er die heftigsten Beleidigungen aus. Er ließ keine Sekunde verstreichen, um sie fertig zu machen. Liu ließ den Kopf hängen. Sie wusste einfach nicht, wie lange sie das noch durchstehen sollte. „Liu, mein liebes Kind!“, klang auf einmal Herr Furus Stimme hinter ihr. „Ich habe gute Neuigkeiten für dich.“ Kaum hatte die Pfauenhenne sich zu ihm umgedreht, schrak sie regelrecht zusammen. Neben dem kleinen alten Pika stand nicht nur jemand anderes, sondern auch noch jemand von gigantischer Größe. Mit weit aufgerissenen Augen starrte die Pfauenhenne auf die große Bärin, die in einem breiten schwarzen Hanfu-Kleid steckte. „W-wer… wer ist… das?“, stammelte sie. „Das, meine Gute“, führte Herr Furu aus, „ist Duona.“ Liu schluckte. Der Name klang nicht gerade harmlos. Und auch das Gesicht der Bärin sah nicht gerade freundlich aus. Dagegen sah ein Griesgram schon fröhlicher aus. Aber diese hier erweckte den Eindruck, als hätte sie noch nie gelacht. Herrn Furu schien ihre Verunsicherung nichts auszumachen und fuhr einfach mit der Bekanntmachung fort. „Du hast doch um einen Patientenwechsel gebeten und jetzt stell dir vor, gerade heute hat sich jemand außerhalb bei uns gemeldet, der bereit ist, diesen Job zu übernehmen.“ Lius Augen weiteten sich noch mehr. „Sie wollen wirklich allen Ernstes die Pflege von Lord Xiang übernehmen?“ „Stört dich etwas daran?“, fragte Herr Furu verwundert. „Nun…“ Die Pfauenhenne rieb nervös die Flügel aneinander. „Xiang ist äußerst schwierig…“ „Dann wird Duona ja perfekt zu ihm passen“, nahm Herr Furu ihr das Wort ab. „Wir sind gerade auf dem Weg zu ihm.“ „Ähm, er wird jetzt nicht reden wollen“, meinte Liu zögernd. „Das wird er schon über sich ergehen lassen müssen“, meinte Herr Furu entschieden und steuerte Xiangs Zimmer an. Der blaue Pfau stieß unter der Bettdecke ein genervtes Knurren aus, als Herr Furu ihn dazu aufforderte sich hinzusetzen. „Kann mich denn heute keiner in Ruhe lassen?“, fauchte Xiang. „Das ist immer noch mein Haus“, unterrichtete ihn Herr Furu im strengen Ton. „Und Sie haben die Verpflichtung sich dementsprechend zu fügen. Ich darf Sie also bitten sich zu erheben, da ich Ihnen jemanden vorstellen möchte.“ Mit einem tiefen Seufzer schlug Xiang die Bettdecke beiseite und lehnte seinen Rücken gegen das Kopfkissen. Die große Bärin neben Herr Furu beachtete er kaum, dafür aber Liu, die es für das Beste gehalten hatte, ebenfalls mitzukommen. Als sich ihre Blicke trafen, stieß der Pfau ein verächtliches Schnauben aus, als wäre sie Abfall. Der Pika ließ sich von Xiangs Abneigung nicht stören und deutete auf die Bärin neben ihm. „Also, das hier ist Duona. Sie wird ab heute Ihre Pflege übernehmen.“ Der Pfau schaute die Gigantin gleichgültig an. Im Gegensatz zu Liu. Die Pfauenhenne wurde nervös. Irgendwie wollte sie die Bärin nicht in Xiangs Nähe lassen. Doch sie hielt den Mund geschlossen. Xiang verschränkte die Arme und starrte gleichgültig auf die Bettdecke. „Ist mir doch egal. Davon wird mein Leben auch nicht besser. Vielleicht war es vor ein paar Minuten sogar schlimmer.“ Er warf Liu einen vernichtenden Blick zu. Diese wich seinem Blick gekränkt aus. Herr Furu schien die Anspannung der beiden Vögel gar nicht zu kapieren und zeigte sich eher zufrieden. „Na dann ist ja alles geregelt. Ich darf Sie allerdings darauf hinweisen, dass sie nicht so nachsichtig ist wie ihre Vorgängerin. Sie hat schon bereits eine Beschwerde gegen Sie eingereicht.“ Liu meinte vor Scham im Boden versinken zu müssen. So alt Herr Furu auch sein mag, besonders weise war er in Sachen Rücksicht jedenfalls nicht. Die Pfauenhenne hielt ihren Blick zwar auf den Boden gerichtet, doch Xiangs wutgeladene Augen durchbohrten sie wie Wurfgeschosse. „Und vergessen Sie nicht, dass Sie nur hier sind, weil König Wang es angeordnet hat“, mahnte der Pika. „Eigentlich sollten Sie ihm für seine Großzügigkeit dankbar sein. Nach alledem was ich aus unserem letzten Gespräch herausgehört habe, würde er sie lieber im Kerker schmoren sehen. Es hat also gar nichts damit zu tun, dass sie ein Lord sind – oder waren.“ Bei diesen letzten Worten bemerkte Liu wie sich die Augenlider des Pfaus leicht verkrampften und wieder machte sich ein mitleidiges Gefühl in ihr breit. Wenigstens kam Herr Furu endlich zum Ende. „Also, jetzt wo wir alles geklärt haben, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Und nun zu Ihnen“, und wandte sich an die Bärin, die er sachte zur Tür schob. „ich werde Ihnen jetzt seinen Zeitplan erläutern…“ Die beiden verließen das Zimmer und Liu blieb mit Xiang alleine zurück. Der Pfauenhenne fiel es schwer was zu sagen und rang sich zu einem kurzen Satz durch. „Tja, also… Dann werde ich mich jetzt von Ihnen verabschieden.“ Obwohl sie um einen Wechsel gebeten hatte, so überfiel sie dennoch ein Hauch von Traurigkeit, was man von Xiang nicht gerade behaupten konnte. „Spar dir dein Gesülze“, schnauzte er sie an. „und hau einfach ab. Das wolltest du doch eh die ganze Zeit!“ Liu rang nach Luft. Sie hatte nie gewollt, ihn direkt zu kränken. „Es… es tut mir leid. Ich war nur… ich hab zu viel gearbeitet an diesem Tag… und da kam es einfach über mich…“ Ihr stockte der Atem. Xiang hatte sich sein Kopfkissen gekrallt und schmiss es auf sie drauf. Liu konnte gerade noch ausweichen. Doch noch mehr erschreckte sie Xiangs Haltung. Er sah aus wie eine tollwütige Katze in einer Art verkrampften Lauerstellung, obwohl er mit seinem lahmen Bein sie nie hätte anfallen können. Doch seine Gegenwart wurde jetzt wie Gift, die alles in der Umgebung hätte töten können. Liu wich ein paar Schritte von ihm weg, vergaß aber nicht sich vorher noch zu verneigen und eilte schnell aus dem Raum. Liu hatte kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Sie war unruhig. Irgendetwas flößte in ihr vor Duona Angst ein. Irgendetwas Erschreckendes. Dieser Gedanke ließ ihr keine Ruhe, weshalb sie jetzt schon eine ganze Weile im Verwaltungsquartier verharrte und darauf wartete, dass Duona Herr Furus Büro verließ, um nochmal mit ihm zu reden. Als die Bärin endlich aus dem Zimmer ging und um die nächste Biegung verschwunden war, rannte sie zur Tür, klopfte hastig an den Türrahmen und trat ohne auf eine Antwort zu warten ein. „Was führt dich denn hierher…?“, begann Herr Furu überrascht, doch Liu ging schnurstracks auf ihn zu und sah ihn eindringlich an. „Herr Furu, wo kommst sie her?“ „Oh, ihre Familie kommt von sehr weit her, ich glaub über die Seebrücke…“ „Das meinte ich doch nicht! Wo hat sie gearbeitet?!“ „Oh, ihr letzter Arbeitsplatz war irgendwo im Shànggào Hospital…“ Liu riss die Augen auf. „Shànggào?! Das Gefängniskrankenhaus?! Das ist nicht Ihr Ernst! Die sind skrupellos! Die kennen keine Rücksicht.“ „Und genau das ist das was – denke ich – ihm guttun wird.“ Liu war kurz davor die Beherrschung zu verlieren. So sehr sie diesen Pfau auch für seine Launen verabscheute, so war ihre Sorge jetzt nur noch größer geworden. „Bei Xiangs Temperament befürchte ich, wird das nur in einer Katastrophe enden. Ich kenne ihn! Besser Sie beauftragen jemand anderen.“ Der Pika legte geruhsam die Handflächen aufeinander. „Mein liebes, gutes Kind, entweder so oder so. Es sei denn, du möchtest doch lieber wieder in die Wäscherei zurück.“ Liu seufzte niedergeschlagen. „Nein.“ Und damit war das Gespräch zwischen ihnen beendet. Liu meinte Steinen im Bauch zu tragen, während sie das Abendessen auf ein Tablett zusammentrug. Nur mit dem Unterschied, dass es diesmal nicht für Xiang bestimmt war. Sie war einer älteren Patientin zugeteilt, die mit einem Bandscheibenvorfall in die Kur kam. Vielleicht wäre sie froh über diese Arbeitserleichterung gewesen, wenn Duona nicht so einen grausigen Eindruck machen würde. Immer wieder wanderte ihr Blick zu ihr rüber und beobachtete wie sie fast schon mechanisch Teller, Tasse und Kanne aufs Tablett stampfte. Die ganze Zeit über hatte die Bärin kein einziges Wort gesprochen. Weder mit dem Koch, noch mit sich selber. Mit Herzklopften beobachtete die Pfauenhenne, wie die Bärin sich mit dem Tablett davon machte. Dann musste auch sie sich auf den Weg machen, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Als Xiang seine neue Pflegekraft mit dem Abendessen hereinkommen sah, hielt er den Mund geschlossen. Er hatte zwar jetzt keine so große Klappe mehr wie vor Liu, aber auch keine Bedenken. Schlimmer als mit einer Pfauenhenne zusammen zu sein konnte er sich nicht vorstellen. Duona stampfte einfach an sein Bett und knallte das Tablett mit Scheppern auf den Nachttisch. Xiang betrachtete den Inhalt mit geringschätzigem Blick. Und das, was er dort sah, behagte ihn gar nicht. Als ob der Koch mit Absicht ein Unheil hervorbeschwören wollte, denn Tofu-Auflauf war nicht gerade sein Lieblingsessen. Am Tofu hatte er immer etwas auszusetzen. „Essen“, grunzte die Bärin mit tiefer rauer Stimme, als hätte sie Rauch verschluckt und verließ den Raum. Der Pfau äußerste keinen Kommentar. Dennoch pickte er nur das Gemüse und den Reis heraus, den Tofu ließ er stehen. Als die Riesin wieder zurückkam und den Tofu im Teller sah, deutete sie eisern darauf. „Aufessen.“ Doch Xiang verschränkte die Arme und drehte den Kopf zur Seite. Die Bärin grunzte erneut. „Aufessen.“ „Nein“, schmetterte der Pfau ihre Forderung ab. „Ich hasse dieses Zeug.“ „Aufessen!“ Jetzt wurde es auch dem Pfau zu viel. „Nein, nimm es wieder mit…“ Das was danach folgte, darauf war nicht mal Xiang gefasst gewesen. Vielleicht würde er es auch gar nicht glauben, wenn er sich im nächsten Moment nicht auf dem Boden statt auf dem Bett befunden hätte. Wie betäubt befühlte er sein Gesicht. Alles hatte er erwartet, selbst die frechste Antwort - aber keine harte Ohrfeige. Zögernd wanderte sein Blick nach oben, wo Duona sich drohend vor ihm aufgebäumt hatte. Plötzlich landete der Teller mit dem Tofu vor ihm auf den Boden. „Aufessen!“, donnerte die Bärin schon wieder. Xiang schluckte schwer. „Ich kann nicht…“ Der Pfau schrie auf, als eine gewaltige Pranke ihn am Hemd packte, ihn hochriss und auf die Bettmatratze drückte. Xiang zappelte wie wild. Die Bärin drückte ihm so feste auf den Brustkorb, dass er Atemnot bekam. Schlimmer war noch, dass sie ihm den Tofu jetzt in den Mund stopfte und ihn solange den Schnabel zuhielt bis er runterschluckte. Keuchend und schwer atmend entließ sie ihn nach dieser Zwangsfütterung. Dann verließ sie schnaubend das Zimmer und ließ den hustenden Pfau einfach auf dem Bett zurück. Zitternd richtete Xiang sich auf. Rund um ihn herum lagen lauter Tofu-Reste. Angeekelt wischte er die Krümmel weg. Allmählich legte sich seine Angst und wandelte sich in schiere Wut. Für diese Untat schwor er Rache. Liu zitterten die Hände und hätte fast den Tee verschüttet, den sie gerade in eine Tasse einschenkte. „Ist etwas?“, erkundigte sich ihre Patientin, eine ältere Häsin, vor ihr. „Nein, nein“, wehrte die Pfauenhenne ab. „Ich hab nur gedacht,… ach nichts.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)