But sometimes love hurts von Bara-sama ================================================================================ Kapitel 14: ~14~ ---------------- Der Sommer war nun endlich in Yokohama eingekehrt. Die Tage wurden inzwischen länger, die Temperaturen stiegen stetig und blieben auch über Nacht relativ hoch, dass es einem langsam aber sicher wieder schwerfiel, bei der Wärme einzuschlafen. Aber man machte eben das Beste draus. Blieb einem ja immerhin auch nichts anderes übrig. Wobei ich mich nicht beschweren konnte, ich besaß immerhin eine Klimaanlage, haha! Seit dem Vorfall in der Wohnung unserer Freunde waren inzwischen schon drei ganze Wochen vergangen. Wir hatten uns, nachdem Reita und ich uns in Ruhe ausgesprochen hatten, später alle noch einmal im Wohnzimmer zusammengesetzt und stundenlang miteinander diskutiert. Jeder hatte seine eigene Meinung und Theorie zu dem Vorfall an jenem Abend geäußert. Es wurde spekuliert und überlegt, was uns am Ende aber wie erwartet zu nichts geführt hatte. Reita hatte mir an dem Tag dennoch Sorgen bereitet. Er hatte nach unserem klärenden Gespräch in der Küche den gesamten Tag über bedrückt gewirkt, als würde ihn das Thema unaufhörlich beschäftigen. Zugegeben, mir ging es genauso. Und ich konnte seine Gefühle immerhin auch nachvollziehen. Auch wenn mir seine versucht ruhigen Worte an dem Tag trotzdem Sorgen bereitet hatten. „Beim nächsten Mal wird er mir definitiv nicht so einfach davonkommen“, hatte er mir leise an die Lippen gewispert, ehe unsere Freunde erneut in die Küche gestürmt waren, um die Lage im Raum zu checken. Ich hoffte inständig, dass es kein nächstes Mal gab. Meiner Mutter hatte ich nichts von alledem erzählt, und die Jungs und ich hatten uns auch gemeinsam darauf geeinigt, dass es so wahrscheinlich besser war. Meine Freunde hatten mir angeordnet, von nun an noch ein wenig genauer draufzuschauen, wenn Keisuke dabei war, einfach nur um sicher zu gehen und ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Natürlich bedrückte mich der Gedanke, wenn man bedachte, dass er der neue Partner meiner Mutter und somit unweigerlich auch ein neuer Teil meines Lebens war. Dass ich in seiner Anwesenheit von nun an mit Bedacht agieren musste, setzte mich enorm unter Druck, und ich war ziemlich froh darüber, dass ich ihn nicht so oft sehen musste. Meine Mutter traf sich selbstverständlich noch immer regelmäßig mit ihm, übernachtete jetzt auch öfter in seinem Penthouse, von dem sie mir manchmal beeindruckt berichtete, woraufhin mir innerlich immer nur das Kotzen kam, und schien auch sonst völlig unbeschwert und glücklich. Ich freute mich für sie, hatte aber dennoch meine eigene Meinung, was die Gesamtsituation betraf. Hatten sie sich über den Vorfall noch einmal miteinander unterhalten, dann verschwieg meine Mutter mir diese Information gekonnt. Es war nicht einmal mit auch nur einer Silbe gefallen. Ich wusste nicht, ob sie sich noch mal darüber unterhalten hatten, ob sie Sui erneut zur Rede gestellt hatten oder ob sie das Thema einfach unter den Tisch hatten fallen lassen. Irgendwie enttäuschte mich das fehlende Ergebnis, aber ich konnte, was das Thema anbelangte, eh nicht viel ausrichten. Also ließ ich es schweren Herzens in der Vergangenheit zurück und konzentrierte mich auf das Hier und Jetzt. Das Hier und Jetzt war in diesem Fall eine völlig aus dem Häuschen scheinende Hotaru, die mir von ihrer neuen Bekanntschaft erzählte, die sie neulich kennengelernt hatte, während wir beide unser Frühstück im Pausenraum zu uns nahmen. Ich verschluckte mich an meinem Essen, als sie mir ihr Handy aufgeregt vor die Nase hielt und mir ein Foto von einem überaus gutaussehenden Exemplar von Mann zeigte, den sie, wie sie beschämt zugegeben hatte, über Tinder kennengelernt hatte, wie sie mir vorher beichtete. „Und ihr wart aus?“, fragte ich noch einmal mit prüfendem Blick, um wirklich sicherzugehen, und sie nickte, seufzte entzückt und erklärte mir dann, dass er während ihres Dates überaus höflich zu ihr gewesen war, sich aber seitdem noch nicht zurückgemeldet hatte. Und das war jetzt wohl schon drei Tage her. „Hey Ogawa..“ „Nenn mich nicht so!“ „Schon gut, patz‘ doch nicht gleich so herum, Hotaru! Also sorry, dass ich deine kleine Wunschblase jetzt zerstören muss, aber der Typ ist mit hundert prozentiger Sicherheit schwul. Der ist niemals auf eine Partnerschaft mit dir aus. Schau ihn dir doch mal genauer an“, machte ich ihr ihren Traum zunichte und warf mir eine kleine Tomate in den Mund, um diese sogleich genießend zu kauen. Ich hatte ein Auge für sowas. Immerhin war ich selber schwul! „Erzähl doch nicht so einen Schwachsinn!“, entrüstete sich meine Arbeitskollegin jetzt, sah aber kurz verunsichert zurück auf ihr Display, wie um sicherzugehen, und fixierte mich dann mit einem wütenden Gesichtsausdruck. „Nicht mal das Schwarze unter den Fingernägeln gönnst du mir, du Wanst!“, meckerte sie und versuchte wütend mit ihren Stäbchen in meine Wangen zu pieken, während ich sie schadenfreudig lachend davon abzuhalten versuchte. Wir rangelten kurz miteinander, und zum ersten Mal, seit ich angefangen hatte, hier zu arbeiten, war ich wirklich froh, dass ich sie als Arbeitskollegin an meiner Seite hatte. All die anderen Kollegen hier waren natürlich auch sehr umgänglich und freundlich, jedoch nicht ansatzweise so nervig und trotzdem herzlich, wie Hotaru es war. Natürlich provozierte und ärgerte sie mich gerne, aber das tat sie nur, weil sie mich mochte, nahm ich jedenfalls an. Und ich musste zugeben, ich mochte sie inzwischen auch sehr. Nur würde ich es ihr niemals sagen, weil sie mir das sonst ewig mit ihrer selbstgefälligen Art vorhalten würde. Wir stritten uns noch immer schmatzend und gedämpft über die sexuelle Orientierung ihres vermeintlich neuen Mackers und ihre eigene Unfähigkeit, schwule Männer zu identifizieren, sodass sie ihnen stattdessen immer wieder verfiel, als die Tür zum Pausenraum aufging und Ono-san plötzlich in der Tür stand, um uns beide beinahe tadelnd zu mustern. Sofort erstarben unsere Stimmen, als unsere Chefin zu sprechen anfing. „Freut mich, dass Sie beide so viel Spaß haben. Ich würde auch nicht stören, wenn es nicht dringend wäre. Takashima-san, ich weiß, Sie haben noch ungefähr zehn Minuten Pause, aber wir haben soeben einen Patienten reinbekommen, der dringend Ihre Kenntnisse nötig hat. Bitte haben Sie aufgrund der aktuellen Situation Nachsicht, ja? Ich würde Ihnen die Minuten selbstredend gutschreiben“, wandte sich meine Chefin an mich, und ich sprang unverzüglich von meinem Stuhl auf und schüttelte entwaffnend den Kopf. „Selbstverständlich, Ono-san. Das ist doch nicht der Rede wert!“, stammelte ich beschämt und folgte ihr sogleich aus dem Raum, warf jedoch noch einen kurzen Blick hinter meine Schulter und schnitt eine Grimasse, die Hotaru nur allzu gekonnt erwiderte. Frecherweise präsentierte sie mir dazu noch den Mittelfinger und grinste dann so geheimnistuerisch, doch ich ließ mich nicht dazu verführen, die nette Geste zu erwidern, da unsere Flure hier verspiegelt und gut beleuchtet waren und Ono-san mich somit vielleicht durch diese sehen könnte. Das würde mir ja noch fehlen, dass meine Chefin mich bei so etwas erwischte! Na, immerhin konnte ich mich jetzt weiter mit Arbeit ablenken. Während ich also der zierlichen, strengen Frau vor mir, die mir manchmal doch schon dezent Angst einjagte, folgte, erzählte sie mir kurz etwas zu den Beschwerden des Patienten, teilte mir einen freien Behandlungsraum zu und drückte mir dann das Rezept des Patienten in die Hand. Wie vorprogrammiert wanderte mein Blick sofort zum Befund, und ich ging in Gedanken die einzelnen Schritte zu dieser Therapie schon einmal durch, folgte ihr zum Empfang und war so in Gedanken, dass ich weder aufsah, noch mir den Namen auf dem Zettel durchlas. „Takada-san, begeben Sie sich doch bitte schon einmal in den Raum Nummer drei. Takashima-san wird in Kürze bei Ihnen sein! Die Unterschrift können Sie nach der Behandlung leisten!“, redete die Frau im höflichen Ton und mir wiederum fiel sämtliche Emotion aus dem Gesicht. Moment mal.. Mein Kopf schoss ruckartig in die Höhe und ich sah augenblicks in Keisukes Gesicht. Mir wäre beinahe die Kinnlade aufgeklappt. Was zum Teufel wollte der denn hier?! Stalkte er mich jetzt auch noch am Arbeitsplatz? Keisuke verbeugte sich knapp ob der Worte meiner Chefin und schritt an mir vorbei, jedoch nicht, ohne mich vorher belustigt aus dem Augenwinkel zu mustern, und verschwand sogleich im Behandlungsraum. Ich wiederum hyperventilierte innerlich beinahe. Wieso zum Geier passierte immer nur mir so etwas? War ich denn verflucht?! Ich wollte nicht mit diesem Mann alleine in einem Zimmer sein! Ich hatte seit drei Wochen nichts mehr von ihm gehört, geschweige denn, ihn gesehen. Und das war so auch gut gewesen! Was sollte ich denn jetzt sagen und wie sollte ich mich verhalten? Ach, was dachte ich hier? Das war der Partner meiner Mutter! Ich musste mich jetzt definitiv zusammenreißen. In dieser Situation war höchste Professionalität gefragt, und die würde er schon noch bekommen. Ono-san hatte von meiner Gemütsänderung nichts mitbekommen, redete sie immerhin noch immer stoisch auf mich ein und ließ mich mit dem Papierkram dann vorerst allein. „Vergessen Sie nicht, den Patienten unterschreiben zu lassen, ja?“, mahnte sie lächelnd, nickte knapp und drehte sich herum, um im Aufenthaltsraum zu verschwinden, in denen wir sämtliche Akten aufbewahrten. Ich wiederum holte so tief Luft, dass sich meine Brust beinahe schmerzhaft spannte, legte das Rezept auf den Schreibtisch und ließ nervös die Finger knacken, während ich langsam Richtung des Behandlungszimmers ging. Ich kam mir vor wie eine armselige Kuh auf dem Weg zur Schlachtbank. Himmel, ich wollte hier so schnell wie möglich weg. Wem machte ich hier denn etwas vor? Auf diese Situation war ich nicht einmal ansatzweise vorbereitet gewesen. Beim Gehen schaute ich noch einmal neben mich in den Spiegel, der sich über den gesamten Flur erstreckte, und nahm hastig und fluchend die vielen kleinen, pinken Haarspangen aus meinem Haar, die Hotaru mir vorhin noch im Pausenraum zum Spaß eingeklipst hatte, damit mir mein Pony beim Essen nicht ins Gesicht fiel, und stopfte sie wütend in meine Hosentasche. „Süß siehst du aus!“, hatte sie mich gehänselt. Verdammt, jetzt hatte er mich so gesehen! Argh! Ich blieb unschlüssig vor der Tür stehen, die Hand zögernd auf der Klinke und der Herzschlag bis zum Hals. Ich verdrängte die Bilder von Keisuke aus meinem Kopf, war ich es immerhin leid, sie jedes Mal sehen zu müssen. Bestimmend schüttelte ich den Kopf, klopfte mit der freien Hand an die Tür und drückte dann die Klinke runter, als von innen ein tiefes, „Herein!“, zu hören war. Auf in den Kampf! Keisuke saß mit dem bekleideten Rücken zu mir auf dem Massagetisch, wodurch mir der erste Blick in sein Gesicht zum Glück verwehrt wurde. „Hallo!“, sagte ich äußerst trocken und von ihm kam ein ebenfalls ziemlich monotones, „Hallo.“, ohne, dass er sich zu mir herumdrehte. So ein.. „Was kann ich für dich tun?“, fragte ich gefasst, obwohl ich auch ohne seine Hilfe wusste, was los war, hatte ich mir immerhin den Befund durchgelesen. Auf die Frage hin drehte er sich endlich herum und sah mich undefinierbar an. Sein langes Haar war heute leicht zurückgewuschelt, sodass es ihm nicht so ins Gesicht hing, und ich verfluchte mich im Inneren selbst, da ich diesen Kerl trotz allem verdammt attraktiv fand und nicht umhinkonnte, ihn neugierig zu mustern. Meine Augen verirrten sich kurz zu dem Bereich, an dem man die freigelegte, helle Brust sehen konnte, da sein Hemd halb aufgeknöpft war, und ich riss mich zusammen und sah ihm wieder in die dunklen Augen, wodurch mir nicht entging, dass er amüsiert mit dem Mundwinkel zuckte. „Wo sind die Spangen hin? Ich fand sie recht schick. Steht dir auf jeden Fall“ Drei, zwei, eins, ich gehe dem gleich an den Hals! Ich musste mich wirklich endlich beherrschen! Ich wollte nicht, dass er sich auch noch auf meine Kosten amüsierte. Ich räusperte mich also und schnarrte, ohne auf das Gesagte einzugehen, mit einer gehobenen Augenbraue, „Und?“ Keisuke lachte dunkel und drehte sich wieder von mir weg, straffte dabei die breiten Schultern, wodurch ich die Muskelkontraktionen unter seinem engen Hemd von hier aus genauestens nachverfolgen konnte, und sagte dann, „Ich habe seit ein paar Tagen höllische Schmerzen in der rechten Schulter. Ich habe Nami davon erzählt und sie hat mir direkt empfohlen, zu dir zu kommen. Also keine Sorge, ich stalke dich nicht! Ich wollte ihr nur nicht widersprechen, weil sie mir sonst die Hölle heiß gemacht hätte! Du kennst ja deine Mutter“ Und schon wieder gab mir dieser Kerl das Gefühl, dass er Gedanken lesen konnte. Ich hasste es einfach nur. Konnte er nicht mal damit aufhören?! Und so war das also, meine eigene Mutter, ja? Jetzt trieben sich die Verräter auch noch in den eigenen Kreisen der Familie herum! Ok, Überreaktion, wie immer. Meine Mutter konnte ja nichts von alledem ahnen, da ich ihr immerhin nichts erzählt hatte. Und in jeder anderen Situation wäre ich sicher stolz gewesen, da sie meiner Arbeit anscheinend so sehr vertraute, dass sie Empfehlungen für mich aussprach. Wie dem auch sei, ich musste hier meinen Job machen, also würde ich das auch tun. „Irgendwelche außergewöhnlichen Bewegungen, die du gemacht hast, die den Schmerz ausgelöst haben könnten?“, fragte ich im professionellen Ton und ging kurzerhand mit trockenem Hals auf ihn zu, umrundete den Massagetisch und griff einfach ohne Vorwarnung nach seiner rechten Hand, um sie mit meiner zu fixieren. Die andere Hand griff geübt nach seinem Ellenbogen, und gemeinsam mit meiner Führung und meinem vorgegebenen Tempo hob ich seinen Arm mit Vorsicht vor seine Brust und bis zu seinem Kinn hoch, ehe er vor Schmerz laut aufjaulte und wegzuckte, nur um mich ebenfalls damit zu verschrecken. „Verzeihung“, murmelte ich beschämt und nickte knapp, als er mit der linken Hand abwinkte und auf meine Frage schmerzverzerrt mit, „Nein, eigentlich nicht. Ich bin eines Morgens aufgewacht und der Schmerz war plötzlich da. Ich dachte erst, dass der Arm nur taub ist und dass das Gefühl wieder vergeht, aber seitdem sind jetzt schon Tage vergangen!“, antwortete. „Bist du Seitenschläfer?“, wollte ich erneut im knappen Ton wissen und verwunderte ihn anscheinend mit der Frage, denn er sah mich kurz verwirrt an und sagte nickend, „Ja, wieso?“, ehe er sich sichtbar wieder zusammennahm. Ich wiederum machte nur einen überlegenden Laut, griff noch einmal mit der rechten Hand nach seinem Arm und hielt diesen zu mir hin, ehe ich mit der linken wissend an seinen Oberarm griff, um diesen vorsichtig, aber dennoch mit Nachdruck abzutasten. Meine Fresse, hatte der Typ breite Oberarme. Ob er viel Sport trieb? Mann, konzentrier dich, Uruha, verdammt! „Schläfst du nur auf der Seite oder wechselst du auch mal die Schlafposition?“, fragte ich weiter, ohne dabei auf seine Frage von eben einzugehen, und verwirrte ihn damit anscheinend noch mehr. Endlich saß ich mal am längeren Hebel. Dass ich seine Fragen ignorierte, gefiel ihm anscheinend nicht. „Ich schlafe generell nur auf der Seite, sei es jetzt links oder rechts. Auf dem Rücken schlafen fällt mir eher schwer, weshalb ich schon seit ich denken kann auf der Seite liege. Wieso fragst du?“, patzte er jetzt schon fast, und ich verkniff mir ein Grinsen und sagte gespielt höflich mit einer ausladenden Geste, „Dort hinten ist die Umkleidekabine. Mach bitte einmal den Oberkörper frei, zieh deine Schuhe aus und komm zu mir zurück!“, ehe ich mich einfach ohne weiteren Kommentar von ihm wegdrehte und ans Waschbecken ging, um mir demonstrativ die Hände zu waschen. Keisuke tat mir nicht den Gefallen, etwas von sich zu geben. Stattdessen stand er wortlos auf und verließ kurz den Raum, nur um dann sich räuspernd wieder einzutreten. Und wieder war leider ich derjenige, der kurz davor war, eine unpassende Reaktion von sich zu geben. Heilige Scheiße.. Dieser durchtrainierte Oberkörper.. Und das Tattoo! Der hatte tatsächlich ein Tattoo! Jetzt gab sich meine Mutter schon mit Delinquenten ab, nicht zu fassen. Ich konnte einfach nicht anders, mir fiel es schwer, den Blick abzuwenden. Das detaillierte Tattoo wanderte von der äußeren Hälfte seiner rechten Brust aus hoch und entlang seiner rechten Schulter, um dann an seinem rechten Oberarm hinunterzufließen. Das Motiv reichte knapp bis über seine Ellenbeuge, was anscheinend auch der Grund dafür war, weshalb mir nie aufgefallen war, dass er solchen Körperschmuck besaß, obwohl er meist seine Hemdärmel hochgekrempelt trug. Gut durchdacht, würde ich meinen. Ob er auch noch an anderen Stellen seines Körpers irg- Ok, Schluss! „Ist alles in Ordnung?“, fragte er selbstgefällig und ich konnte ein Zucken seines rechten Brustmuskels ausmachen, als hätte er diesen absichtlich angespannt. Ich wollte ihm die Genugtuung nicht geben, also antwortete ich, nachdem ich mich wieder gesammelt hatte, knapp, „Ja, auch wenn es mich schon ein wenig entsetzt, dass meine Mutter jetzt anscheinend in Verbrecherkreisen verkehrt“, und verkniff mir ein sarkastisches Schnauben, als er, „Ach komm schon, so schlimm ist das jetzt auch wieder nicht“, säuselte und sich auf meinen Fingerzeig hin auf den Massagetisch legte. Ich steckte ihm zur Entlastung der Wirbelsäule ein Kissen unter die Knie und knackte laut mit den Fingern, bevor ich mich ihm zuwandte. Doch ehe ich mit der eigentlichen Behandlung anfangen konnte, nuschelte er ob meiner Aktion, „Muss ich jetzt Angst haben?“ Ich blieb stoisch, als ich, „Kommt drauf an, wie sehr du mich provozierst“, sagte, mich im nächsten Moment jedoch dafür verfluchte. „Hmm“, machte Keisuke nur mit einem überlegenden Laut und dem undurchschaubaren Blick auf mich gerichtet, doch jaulte er im nächsten Moment erneut laut auf, da ich seinen Arm gepackt und etwas zu grob zur Seite weggedrückt hatte. „Verdammt, ich habe doch noch gar nichts gemacht!“, jaulte er beleidigt und versetzte mich somit beinahe in eine Starre, aus der ich mich fast nicht hätte lösen können. Noch gar nichts gemacht, wollte der mich eigentlich verarschen? „Also, ob du willst oder nicht, du musst dir angewöhnen, auf dem Rücken oder dem Bauch zu schlafen. Idealerweise Rücken. Du hast dir wahrscheinlich über die Jahre hinweg durch die einseitige Belastung auf Dauer die Schulter kaputt gemacht!“, redete ich mit einem unüberhörbar wütenden Unterton, was ihm anscheinend jedoch völlig entging. Ich musste zugeben, die Art, wie ich mich ihm gegenüber verhielt, war vielleicht ein wenig unfair und auch verwirrend für ihn. So war ich aber nun mal. Ich hatte so viel angestaute Ungewissheit und Unzufriedenheit in mir, dass ich mir nicht anders helfen konnte. „Und was habe ich für Optionen, wenn ich das nicht kann, Kouyou?“, fragte er mich und ich konnte genauestens die Stichelei aus seiner Tonlage heraushören. „Deine erste Option ist genau diese hier“, ich deutete mit einer ausladenden Geste durch den Raum, ehe ich erneut nach seinem Arm griff und anfing, leichte Übungen mit ihm durchzuführen. „Locker lassen!“, befahl ich barsch, da ich merkte, dass er den Arm verspannte. Wenn Ono-san mich so hören würde, würde sie mir definitiv die Hölle heiß machen. Gut, dass ich aus der Phase raus war, in der sie manchmal während der Behandlungen mit im Raum gesessen hatte, um sich zu Schulungszwecken Notizen zu meinen Behandlungstechniken zu machen. „Es bieten sich unterschiedliche Schmerzmittel und Physiotherapien an, gegebenenfalls sogar Übungen, die du alleine zu Hause durchführen kannst, um die Schulter mit Bewegung zu stärken. Aber nicht zu viel, denn zu sehr über den Schmerz hinweg zu trainieren kann dauerhafte Schäden auslösen. Womit wir bei der zweiten und auch letzten Option für dich wären!“, ratterte ich beinahe wie auswendig gelernt runter und forderte ihn zwischendurch erneut auf, den gesamten Arm locker zu lassen, da ich gemerkt hatte, dass er seine Hand fest um meinen Handrücken geklammert hatte, dass seine Fingernägel schon beinahe weiß schimmerten, während ich seine Hand der Übung wegen festhalten musste. Ich hob schnippisch eine Augenbraue und erwiderte seinen konzentrierten Blick knapp. „Ich versuch’s ja, aber du tust mir weh. Ich mache das nicht mit Absicht, weißt du?“, beschwerte er sich gespielt wehleidig und störte sich offensichtlich daran, dass ich nicht auf seine kindische Aussage reagierte. Er presste kurz die Lippen fest aufeinander und entspannte seine Gesichtszüge danach direkt wieder. Ich besah mir derweil das Tattoo genauer, während ich durch bestimmte Massagegriffe seine Sehnen im Oberarm zu verschieben versuchte, ehe ich weiterredete. Auch da jammerte er leise wegen des Schmerzes. Fünf rosa schimmernde, große Wasserrosen zierten seine Brust, seine Schulter und seinen Arm. Die Haut war an vielen Stellen komplett ausgeschwärzt und ließ schnörkelige Wolken erahnen, die in Spiralform von seiner Brust aus nach außen zogen. Über seine Brust hinweg wand sich außerdem ein großer Koi-Karpfen, in unserer Kultur das Symbol für Ausdauer und Stärke. Ob er sich dieses Motiv selbst ausgesucht hatte? Hatte das etwas zu bedeuten? Die Wasserrosen und auch der Koi-Karpfen waren mit Farben ausgearbeitet, hoben sich somit von dem vielen Schwarz auf seiner Haut ab. Ich hätte nie erwartet, dass ein Snob wie er sich tätowieren lassen würde. Und durften Models eigentlich Tattoos haben? Er war doch damals eins gewesen, hatte er doch selber erzählt, oder nicht? Ok, genug gestarrt und gegrübelt. Ich fuhr in meinem Monolog fort. „Kausale Therapie folgt für gewöhnlich nach der konservativen Therapie, wenn zweitere nicht anschlägt. Wir werden aber möglichst versuchen, die kausale Therapie zu umgehen. Glaub mir, du willst nicht an der Schulter operiert werden. Immerhin hast du danach eine extrem lange Heilungszeit vor dir und es ist nicht immer garantiert, dass nach der Operation alles wieder einwandfrei fun-“ „Hey, ist ja gut, ich habe verstanden! Können wir bitte endlich das Thema wechseln?“, schnarrte Keisuke, der mich mit dieser absurden Frage tatsächlich in meinem Monolog unterbrochen hatte. Was bildete dieser Typ sich hier eigentlich ein? Ohne von ihm abzulassen, fragte ich wirr, „Willst du mich denn völlig veräppeln? Du bist hier, weil du behandelt werden musst. Worüber soll ich sonst mit dir reden? Ich muss dich aufklären, das ist mein Job!“, und er schnalzte daraufhin abfällig mit der Zunge, was mich beinahe dazu gebracht hätte, seinen Arm mitten in der Bewegung sauer loszulassen. „Kouyou, hör mir bitte zu..“, nuschelte er jetzt und sah im Liegen aus halb geöffneten Augen zu mir auf. Seine Hand klammerte sich erneut fester um meinen Handrücken, was bei mir langsam aber sicher an meiner Geduld zu nagen begann. Ich stierte ihn mit vor unterdrückter Wut bebenden Nasenlöchern an, ignorierte dabei die Art, wie seine schwarzen Haare beinahe wie ein dunkler Heiligenschein um seinen Kopf herum lagen, seine vollen Lippen, die sich leicht teilten, ehe eine vorwitzige Zunge hastig über eben diese leckte, um sie nervös zu befeuchten, dass sie mir beinahe verführerisch entgegenglänzten. Gott, waren das lange 25 Minuten. Was waren das nur wieder für schreckliche Gedanken, die mir durch den Kopf sausten?! Wieso erwischte ich mich jedes Mal dabei, wie ich ihn viel zu interessiert musterte? Am liebsten würde ich ihn jetzt einfach aus dem Raum werfen. Aber ich wusste leider auch, dass ich ihn weitere sechs Male auf diese Art und Weise ertragen musste, da Ono-san es vorzog, dass wir unsere Patienten, mit denen wir die erste Therapiesession durchführten, auch bis zum Ende des verschriebenen Rezeptes durch die Therapie begleiteten. „Wir hatten noch nicht die Gelegenheit, in Ruhe und unter vier Augen über diesen Vorfall zu reden“, sprach er jetzt und löste in mir Panik aus. Nein, ich wollte das jetzt definitiv nicht! „Keisuke, im Ernst, das geht alles von deiner Behandlungszeit ab. Wir müssen dafür sorgen, dass-“ „So kann das mit uns beiden doch nicht weitergehen, Kouyou. Wir machen einen Schritt vor, nur um drei zurückzugehen. Ich merke, dass noch immer irgendetwas zwischen uns steht!“, sprach er völlig scheinheilig und ließ endlich von meiner Hand ab, ich wiederum fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Das irgendwas zwischen uns steht, wirklich? Ich schnappte wütend nach Luft und wirbelte herum, da ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte, hörte, wie er sich aufsetzte und mir anscheinend folgen wollte, doch ich drehte mich direkt wieder zu ihm zurück und herrschte ihn unüberlegt an, dass er gefälligst sitzenbleiben sollte. „Pass ja auf, wie du mit mir redest, verstanden?“, drohte er mir jetzt beinahe und ich riss fassungslos die Augen weiter auf und legte den Kopf schief, während er sich mit beiden Händen in die Kante der Liege krallte, dass ich die Verkrampfung seiner Finger förmlich sehen konnte. „Bitte, was?“, zischte ich ebenso gefährlich und ging einen Schritt auf ihn zu, hatte dabei nicht bemerkt, dass ich meine rechte Hand vor Wut zu einer Faust geballt hatte, dass die Venen an meinem Handrücken nur so hervortraten und pulsierten. Er wiederum hatte diesen Zustand wahrgenommen. Tatsächlich stand Keisuke plötzlich auf, sodass er jetzt direkt vor mir stand und mich mit seiner Körpergröße bei weitem übertürmte, weil er sich durch meine abwehrende Haltung anscheinend provoziert fühlte. In was für eine Situation hatte ich mich jetzt schon wieder reingeritten? Das hatte ich doch gar nicht gewollt. Wie sollte ich mich aus der Sache wieder rausreden? Meine Mutter wäre so traurig und enttäuscht, wenn sie von der Sache hier irgendetwas mitkriegen würde. Mit einer gehobenen Braue sah er überheblich von oben auf mich herab, ich wiederum konnte förmlich nicht vor dem herben Duft seines Parfüms flüchten, welcher von seiner nackten Haut ausging und mein Gehirn unfreiwillig zu einem wabbeligen Haufen Matsch verschrumpeln ließ. Ich hatte seine nackte Brust regelrecht direkt vor der Nase. Er war mir tatsächlich viel näher, als mir gerade lieb war. Ich wagte es nicht, zu ihm aufzusehen, da mir diese devote Haltung ihm gegenüber nicht schmeckte, also sah ich verbissen zur Seite, doch versagten mir heute zum unzähligen Mal die Gesichtsmuskeln, als ich plötzlich seine große Hand unter meinem Kinn spüren konnte. Er zwang mich mit seinem festen, fordernden Griff und einer ruckartigen Bewegung seiner Hand dazu, zu ihm aufzusehen. Auch bemerkte ich, wie er in einer kurzen, fahrigen Bewegung mit seinem Daumen meine Kieferkontur entlang strich und auf meine Lippen zu starren schien. Es war nur ganz knapp gewesen, aber mir war es sicher nicht entgangen. Meine Hände, die links und rechts von meinem Körper waren, bebten vor angestauter Wut. Und meine Lippen, da war ich mir sehr sicher, waren inzwischen zu zwei schmalen, blutleeren Strichen verzogen. „Haben wir uns endlich wieder beruhigt?“, fragte er langsam und geduldig, als wäre ich ein bockiges Kleinkind, das gerade einen Tobsuchtsanfall hinter sich hatte, und legte dabei den Kopf leicht schief, wodurch ihm einige lange Strähnen ins Gesicht fielen. Die Dreistigkeit und der herabwürdigende Ton Keisukes legten in mir einen gefährlichen Schalter um, ließen mich nur noch schwarzsehen. Ohne wirklich darüber nachzudenken, schlug ich seine Hand grob von mir weg, hob drohend den Zeigefinger vor sein Gesicht und zischte leise, damit er das leichte, nervöse Zittern in meiner Stimme nicht hörte, „Glaub ja nicht, dass ich mich weiter so von dir behandeln lasse, nur weil meine Mutter mit dir zusammen ist und ich sie glücklich sehen will. Ich bin kein kleiner Junge, dem man einfach so Befehle erteilen kann. Zumal du sowieso nicht das Recht dazu hast, überhaupt etwas von mir zu verlangen. Ich kenne meine Grenzen, also kenne du auch deine!“ Um meine Worte zu untermalen, piekte ich ihm mit meinem Zeigefinger hart in die Brust und schob ihn dann mit der flachen Hand von mir weg, weil ich Angst hatte, dass ich ihn sonst aus Wut noch ohrfeigte. Keisuke stolperte zwei Schritte zurück und wollte mir gerade aufgebracht etwas entgegnen, als ein leichtes Klopfen an der Tür uns beide erschrocken und ertappt herumfahren ließ. „Entschuldigung für die Störung, Kouyou. Ich bräuchte-“ Hotaru war es, die mit einem perplexen Blick in der Tür stand und uns beide fragend anglotzte, die Hand noch immer um die Türklinke geschlungen und mit einem Fuß im Raum stehend. Keisuke stand mir derweil noch immer gegenüber, der Gesichtsausdruck erst verwirrt, dann jedoch riss er sich schnell zusammen und nahm die Haltung eines erfahrenen Geschäftsmannes ein, der sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen ließ. Er wischte sich einige lange Strähnen mit einer fahrigen Bewegung aus der Stirn und lächelte nur charmant, als Hotaru ihn überaus interessiert musterte und sofort mit hochroten Wangen den Blick sinken ließ, nur um dann beschämt lächelnd, „I-ich müsste mir mal eben deine Faszienrolle ausleihen. Meine ist unauffindbar und meine Patientin ist gleich hier“, zu stammeln. In mir herrschte wiederum ein tosender Wirbelsturm, der sich aus mir heraus zu kämpfen versuchte. Ich könnte mich gerade vor Wut übergeben. Noch immer waren meine Hände zu Fäusten geballt, und ich merkte, dass auch sie es sah, weshalb ich mich sofort zu entspannen versuchte. Versucht unauffällig schüttelte ich meine Hand aus. Gott sei Dank war sie es, die hereingekommen war. Hotaru konnte ich definitiv leichter aus dem Weg gehen, was die Situation hier betraf. Schwieriger wäre es mit Ono-san gewesen. „Klar, einen Moment!“, löste ich mich aus meiner Starre und griff gezielt an Keisuke vorbei, zur Ablage unter dem Massagetisch, und hielt ihr den besagten Gegenstand dann mit einem überschwänglichen, „Hier, bitte!“, hin. Sie bedankte sich knapp bei mir, entschuldigte sich bei uns beiden dann noch einmal für die Störung, indem sie eine übertrieben tiefe Verneigung vollzog, und ließ die Tür dann leise hinter sich ins Schloss fallen. „Das tut mir leid, wirklich!“ Keisuke war es, der die schlagartig eingetretene Stille zwischen uns direkt durchbrach. Ich griff mir nur müde ins Gesicht, fühlte mich extrem ausgelaugt, und rieb verzweifelt darüber, versteckte es halb in meiner Hand und sah auch nicht auf, als er weiterredete. „Soweit wollte ich es nicht treiben. Ich habe die blöde Angewohnheit, zu provozieren, wenn ich verunsichert bin und nicht weiterweiß. Zugegeben, das ist verdammt kindisch von mir und ich gelobe Besserung. Ich habe das alles nicht so gemeint, Kouyou“, sprach er jetzt viel sanfter und ließ es sich nicht nehmen, erneut nach meiner Hand zu greifen, um mir diese dominant aus dem Gesicht zu ziehen, damit er mich ansehen konnte. Ehe er aber wieder nach meinem Kinn greifen konnte, schüttelte ich seine Hand bestimmend mit einer wegwischenden Bewegung ab und sagte nur, „Bitte, fass mich einfach nicht an, ja? Ich brauche gerade Abstand“ Wieso musste der mich überhaupt andauernd anpacken?! Der Größere seufzte, fuhr sich, für ihn völlig untypisch, nervös durchs Haar und fragte, „Wird sie dir Probleme machen deswegen?“ „Wer?“, wollte ich irritiert wissen, sah ihn mit vor der Brust verschränkten Armen an und winkte dann seufzend ab, als er auf Hotaru anspielte. „Alles gut. Sie wird mich zwar mit Fragen löchern, aber nichts, womit ich nicht klarkomme“, versicherte ich ihm monoton und drehte mich halbwegs von ihm weg, um mein noch immer schnell klopfendes Herz zu beruhigen, da mir durch den ganzen Stress schon leicht schwindelig zu werden schien. Er nahm wiederum erneut auf der Liege Platz und sah betreten zu Boden. Wieder herrschte Stille im Raum, die ich als sehr unangenehm empfand. Die gesamte Situation schien mir einfach nur absurd, beinahe wie ein schlechter Film. Meine Gedanken sprudelten unüberlegt aus mir heraus. „Ich habe es definitiv so gemeint“, gab ich trocken von mir, versuchte mein rasendes Herz zu ignorieren, was mir nach meinen eigenen Worten förmlich aus der Brust springen wollte. Mir war klar, dass das hier gerade wieder in eine sehr riskante Richtung einschlagen könnte. Keisuke sah nur betroffen zu mir hoch und fragte, „Wie meinst du das?“, und sah auch gleich wieder geknickt zu Boden, als ich es ihm erklärte. „Ich mache das alles hier nur meiner Mutter zuliebe mit. Wenn sie nicht wäre, dann.. Du musst dich in gewissen Situationen einfach zurücknehmen, wenn du wirklich willst, dass wir miteinander auskommen, sonst sehe ich für uns beide schwarz. Ich bin kein kleines Kind, Keisuke. Ich bin ein erwachsener Mann. Und ja, ich weiß, du bist viel älter als ich. Das versetzt dich aber trotzdem nicht in eine überlegenere Position als mich. Du stehst nicht über mir. Behandle mich auf Augenhöhe. Mehr will ich gar nicht“, sprach ich ruhig und merkte, wie ich mich auf einen steinigen Pfad begab, den ich vielleicht nicht zurückgehen konnte. Aber mir reichte es einfach nur. Ich wollte nicht mehr mit diesen beklemmenden Gedanken leben müssen, nur um es anderen um mich herum recht zu machen. Ich hatte auch Bedürfnisse. „Es.. Es mag im Augenblick vielleicht zu viel verlangt sein, aber ich würde mir wünschen, dass wir beide uns noch einmal in Ruhe zusammensetzen und über alles reden, Kouyou. Ich respektiere deinen Wunsch, aber ich möchte ebenso mit Respekt behandelt werden. Lass uns reden, lass uns Grenzen aufstellen und dann versuchen, wirklich miteinander auszukommen. Für Nami“, trug er ruhig vor, dabei kontinuierlich seine Hände aneinanderreibend, und ich schaute ihn an, nickte knapp und atmete laut aus, ehe ich, „Abgemacht“, sagte, damit er mich endlich in Ruhe ließ. Kurz herrschte erneut Stille im Raum und nur das leise Ticken der Wanduhr war zu hören. Ich schaute auf die Uhr und merkte, dass er noch knappe zehn Minuten Anspruch auf Therapie hatte, was mich unbemerkt mit den Zähnen knirschen ließ. Ich wollte, dass er endlich verschwand! Und für dieses Theater war meine Frühstückspause zu kurz gekommen. Herrlich. Ich machte mit einem verzerrten Laut auf mich aufmerksam, was dafür sorgte, dass Keisuke den Blick leicht hob, den Kopf dabei aber immer noch gesenkt hielt, und mich somit aus leicht verengten Augen ansah. Der Anblick provozierte mich erneut unnötig, doch ich atmete diese Empfindung einfach weg und fragte im versucht höflichen Ton, „Wir haben noch zehn Minuten. Möchtest du weitermachen?“, woraufhin er nur dankbar nickte und sich so hinsetzte, wie ich es von ihm verlangte. Keisuke und ich waren so verblieben, dass wir uns zusammensetzen würden, wenn sich die Gelegenheit bot. Ich hatte Hotaru an diesem Arbeitstag nur schwer abwimmeln können. Sie hatte wissen wollen, was in meinem Behandlungsraum vorgefallen und wer der “schöne Mann“ gewesen war, doch ich hatte ihr kurzerhand meine Hand ins Gesicht gedrückt und grob von mir weggeschoben, was sie erbost zum Jammern gebracht hatte. „Muss los, hab noch was vor!“, hatte ich gelogen und war pünktlich zum Feierabend aus der Praxis und rüber zu meinem Wagen gestürmt, weil ich heute keine weiteren Konfrontationen durchstehen konnte und auch besseres zu tun hatte, ihr den Vorfall zu erklären. Ich brauchte für ein paar Stunden meine Ruhe. Nein, am besten für ein paar Tage. In diesem Moment befand ich mich in meinem Zimmer, hatte mich entkräftet auf mein rundes Bett geworfen, es nicht einmal geschafft, mich aus meinen Alltagsklamotten zu pellen, und hielt die Augen entspannt geschlossen, während ich in die Stille im Haus hineinhorchte. Meine Mutter war nicht da. Sie war nach der Arbeit mit Keisuke ausgegangen, hatte sie mir geschrieben. Umso besser für mich. Ich drehte mich auf die Seite und kuschelte mich gerade in eine gemütlichere Liegeposition, als mein Handy auf dem Nachttisch zu vibrieren begann und mich sauer vor mich hin murren ließ. Eine Minute! Ich wollte nur eine Minute lang meine Ruhe, verdammt! Ein Blick aufs Display zeigte mir eine eingehende Videokonferenz an, die mich verwirrt die Augenbrauen zusammenziehen ließ. Das war selten. „Hey ho! Na, was geht, ihr Süßen?“, trällerte mir Aois fröhliche Stimme direkt entgegen, und ich konnte insgesamt vier geteilte Bildschirme sehen. Aoi grinste mir aus der oberen linken Ecke entgegen, während Ruki direkt unten links nur mürrisch in die Kamera stierte und so wirkte, als hätte man ihn gerade wach geklingelt. Kai wiederum sah oben rechts so aus, als hätte er sich während der Arbeitszeit panisch in eine ruhige Ecke geflüchtet und auch Reita wirkte völlig überrumpelt, als er mir von rechts unten entgegenblinzelte, unverblümt und auf seine eigene charmante Art und Weise, „Was soll’n der Scheiß?“, fragte. Sein Gesicht war schon wieder völlig mit Schmutz beschmiert. „Wieso “Scheiß“? Ich find’s gut. Sollten wir vielleicht öfter tun, wenn wir uns schon nicht so oft persönlich sehen können“, trötete Aoi gutgelaunt und ließ sich im selben Augenblick von Toshiya aus dem Bild drücken. „Na, meine kleinen Lieblinge, was treibt ihr so?“, war es diesmal der Feminine, der breit in die Kamera grinste und winkte. Kai meldete sich mit einem, „Gerade jetzt müsst ihr die Videofunktion für euch entdecken, oder was? Es gibt Menschen, die arbeiten müssen. Ich muss los, ihr Pappnasen. Melde mich später zurück!“, zu Wort, ehe er ohne weiteres aus der Konferenz austrat. Auch Ruki, der sich jetzt verschlafen über die Augen rieb, murrte mit kratziger Stimme, „Meine Fresse, keine Ruhe in diesem Irrenhaus!“, ehe auch er patzig auflegte. „Da wir ja alle anscheinend sehr von dieser spontanen Aktion begeistert sind, möchte auch ich mich verzückt anschließen. Ich habe zu tun. Man sieht sich!“, sprach jetzt auch Reita, der gegen laute Sägegeräusche im Hintergrund anredete, ehe er noch einmal in die Kamera sah, breit grinste und, „Bis später, Baby. Ich liebe dich!“, an mich wandte, was mich lächeln ließ. „Ich liebe dich auch, Rei“, hauchte ich mit einem Anflug von besserer Laune und war im nächsten Moment mit den beiden Älteren alleine in der Leitung. „Ist alles gut, Schätzchen? Du wirkst so fertig“, merkte Toshiya aufmerksam an, was Aoi dazu animierte, neugierig an dessen Schulter vorbei aufs Display zu schielen, weil er mich anscheinend auch ansehen wollte. Ich überlegte nicht einmal eine Millisekunde, ehe ich schamlos log. „Ach, nur die Arbeit. Hatte heute viel zu tun und wollte mich jetzt ein wenig ausruhen, das ist alles. Und, bei euch beiden alles ok?“ Mir war bewusst, dass ich, besonders nach unserem letzten, ausführlichen Gespräch, solch wichtige Geschehnisse nicht für mich behalten, sondern meinen Freunden mitteilen musste, aber ich hatte verständlicherweise nicht mehr die Kraft und Lust dazu, die heutigen Vorkommnisse jetzt noch einmal durchzukauen. Abhaken, neu anfangen. Das war der Plan. Als ich mich knapp mit den beiden unterhalten und diese sich verständnisvoll nach kurzer Zeit verabschiedet hatten, legte ich mein Handy laut ausatmend weg und drehte mich erneut auf die Seite, um mich diesmal wirklich auszuruhen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)