Somewhere over the rainbow von DieLadi ================================================================================ Kapitel 25: Traum Teil 16 ------------------------- Düstere Tage trauriger Sklaverei gingen dahin. Tagsüber war John beschäftigt und kam kaum zur Ruhe. Abends, wenn er sich im Kerker befand und sein müdes Haupt auf die Flanke des Löwen bettete, dann gingen schwere Gedanken in seinem Kopf umher. Wie traurig und finster das alles war. Wie hoffnungslos. Es fiel ihm schwer, seinen Kampfgeist zu bewahren. Wie oft hatte er zornbebend kurz davor gestanden, der Hexe einen Besen oder etwas ähnliches über den Schädel zu ziehen. Doch immer hatte er sich zurückgehalten, denn wenn er das täte, wären seine Freunde, die hier in Ketten im Kerker lagen, verloren. Wie mutlos kam er sich vor. Er hatte sich vorgenommen zu kämpfen, tapfer und stark zu sein. Und doch war er nichts weiter als eine Geisel des Willens der bösen und grausamen Hexe. Wie zerbrach er sich den Kopf, was er unternehmen konnte. Und doch fand er einfach keinen Ausweg. Und je länger das ganze dauerte, desto mehr wurde ihm klar: dieses Zauberland war keineswegs das Paradies, für das er es gehalten hatte. Ganz im Gegenteil. Es gab hier eine solche Düsternis, dass es ihm Tag für Tag schwerer fiel, sich an die strahlende Sonne, den blauen Himmel und die munter plätschernden Bächlein zu erinnern. Wenn es ihm doch nur gelänge, der Hexe Herr zu werden. Wenn es ihm doch nur gelänge, die Freunde zu erretten. Wenn es ihm doch nur gelingen würde, das Zauberland von der finsteren Macht der Frau Adler zu befreien ... Und so langsam, nach und nach, wurde ihm bewusst, dass es vielleicht doch nicht so ein Traum wäre, in diesem Land bleiben zu können. Er wusste immer noch nicht, wo „zurück“ war. Aber er begann, sich nach „zurück“ zu sehnen. Auch wenn er keine Ahnung hatte, was ihn dort erwarten würde. Die Tage, die Wochen verstrichen. Und John, so wenig er auch vordergründig unternehmen konnte ohne die Freunde zu gefährden, hielt die Augen auf. Er machte seine Arbeit, schwieg, schien sich Frau Adler ganz unterworfen zu haben. Seine Stille begann, sie in Sicherheit zu wiegen und sie zu dem Glauben zu bringen, sie hätte ihn besiegt. Doch in Wahrheit war John in jeder einzelnen Sekunde hellwach, prägte sich alles ein und nahm alles um sich herum mit größter Klarheit wahr. Und wartete auf eine Gelegenheit. Seine Beobachtungen ließen ihn ganz interessante Dinge erkennen. Das wichtigste schien ihm, dass Frau Adler keinen Schritt machte, ohne ihr Smartphone dabei zu haben. Sie hütete es wie ihren Augapfel und geriet in Panik, wenn sie es mal nicht sofort im Blick hatte. (Wo hatte sie es gehabt, als sie John nackt gegenüber getreten war? Das gehörte ganz eindeutig zu den Dingen, über die er nicht nachdenken wollte.) Dieses Smartphone schien nicht nur ihr wertvollster Schatz zu sein. Sie schien geradezu Schmerzen zu leiden, wenn sie es nicht in den Händen hielt und wenn sie damit telefonierte oder sonst wie herumspielte, dann trat ein kaltes Glühen in ihre Augen, die sonst von eisklarer Farbe waren. Frau Adler hatte die Angewohnheit, mit ihrem Lieblingsraben zu reden, als würde er jedes Wort verstehen. Nun ja, ehrlicherweise, da wir uns ja nun hier im Zauberland befinden, tat er das auch, und antwortete ihr ebenso. Allerdings waren seine Antworten meist Schmeicheleien, denn Frau Adler war für ihr rachsüchtiges Wesen bekannt und duldete keine Kritik. Der Rabe hatte da so seine Erfahrungen gemacht. Eines Tages nun hatte er sie ein wenig verärgert. Andere Hexen haben für „Du bist die schönste im ganzen Land ...“ einen Spiegel. Irene Adler hatte den Raben. Und der arme Vogel war infolge morgendlicher Müdigkeit nicht schnell genug in Lobeshymnen ausgebrochen. Zornentbrannt hatte sie ihm ein paar Schwanzfedern ausgerissen und nun blutete und schmerzte sein Bürzel. Erschrocken war er davon geflogen und ließ sich zitternd und jammernd im Schlosshof nieder, wo John gerade auf Befehl der Herrscherin die marmornen Steinplatten fegte. „Du meine Güte“, sagte er zu dem schwarzen Vogel, „was ist denn mit dir passiert?“ „Eine wütende Herrin“, krächzte der Vogel matt, „das ist mir passiert.“ „Warte hier“, sagte John und rannte davon, in die Stube der Wachsoldaten, denn dort gab es Verbandszeug, das hatte er herausgefunden. Der Rabe hatte ihn in der Vergangenheit schon ein paar mal verspottet und war nicht besonders nett gewesen. Aber John war nun mal Arzt, und er konnte nicht zusehen, wenn ein denkendes, fühlendes Wesen litt. Er kam zurück mit Wundsalbe, Gaze und Mull und legte dem Raben einen fachgerechten Verband an. „Danke“, krächzte der Vogel und schmiegte seinen Kopf an Johns Bein. „Schon gut“, sagte John und strich ihm sanft über das Gefieder. „Es tut mir leid, dass ich nicht immer nett zu dir war“, sagte der Rabe und sah John um Entschuldigung bittend an. „Schon gut“, sagte John erneut, „du kannst es dir schließlich nicht leisten, der Hexe Widerstand entgegen zu bringen.“ „Nein“, sagte der Rabe, „ich kann nicht viel tun. Kann dir auch nicht helfen. Ich weiß, dass du deine Freunde befreien willst und die Hexe besiegen willst. Viel kann ich nicht machen, aber ich kann dir einen Ratschlag geben.“ Er sah sich nach allen Seiten um und dann winkte er mit dem Flügel, so dass John den Kopf zu ihm neigte. „Was immer du auch tust ... dieses Handy. Vergiss das Handy nicht. Denn darin ruht ihre Seele.“ Er blickte sich erneut ängstlich um. „Und wenn sie es nicht bei sich hat, dann hat sie es in ihrem Safe. Du kennst die Zahlenkombination. Du hast sie bereits gesehen. An deinem ersten Tag hier.“ Dann krächzte er erschrocken auf, weil sich ein Wachsoldat näherte, flatterte von dannen und verschwand im Schlossturm. John schluckte. Ihre Seele. In diesem Handy. Oh Mein Gott. Vielleicht war das der Hinweis den er gebraucht hatte. Vielleicht war das seine Chance. Er hatte zwar keine Ahnung, was er jetzt tun sollte, aber er fühlte sich nicht mehr ganz so mutlos. Der Rabe saß am nächsten Morgen wieder auf der Lehne von Irene Adlers Thron und unterhielt sich mit ihr, als wäre nichts gewesen. Aber zu John war er nie wieder unfreundlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)