Somewhere over the rainbow von DieLadi ================================================================================ Kapitel 24: Traum Teil 15 ------------------------- „Was zum Teufel ...“, knurrte John und wusste vor Verlegenheit schier nicht, wo er hinschauen sollte. Er hatte nun beileibe keine viktorianisch verschämten Vorstellungen von der ersten Begegnung mit einer Frau. Aber dennoch war er Brite durch und durch. Gewisse Regeln des Anstandes und vor allem der gesellschaftlichen Konvention waren ihm seit frühester Jugend in Fleisch und Blut übergegangen. Und dazu gehörte gewiss nicht, dass eine junge Dame ihm bei allerersten Aufeinandertreffen nackt gegenübertrat. Suchend sah er sich um. Dann schritt er zielsicher auf eines der großen Palastfenster zu, packte mit beiden Händen eine samtene Portiere und riss daran. Mit einem Ratsch und einem Rauschen löste sich die Stoffbahn und glitt zu Boden. John raffte den Samt zusammen, warf ihn auf die schöne Nackte und sagte etwas verschnupft: „Ziehen Sie sich das über! Oder wickeln Sie sich darin ein. Wie auch immer.“ Dann drehte er sich zum Fenster um und sah hinaus in den Park. Seine Ohren glühten. Irene Adler schaute völlig verblüfft und mit offen stehendem Mund auf das Geschehen. Als sie in wenig Fassung wiedererlangt hatte, sagte sie: „John Watson – bist du eigentlich komplett irre?!“ „Mag sein“, grummelte John und starrte weiter hinaus. „Mir egal. Hauptsache Sie ziehen sich was an.“ „Eine Samtportiere! Das ist ja wohl die Frechheit!“, schimpfte Irene. 'Lass das bloß nicht Scarlett O'Hara hören,' dachte John und musste wider Willen grinsen. „Du kannst dich umdrehen“, sagte die Frau. John tat wie geheißen. Der Samt war verschwunden, statt dessen trug die Dame ein „kleines Schwarzes“, was ihr ausgezeichnet stand. „Na also, geht doch“, knurrte er. Irene war immer noch perplex. So etwas hatte sie in all den Jahrhunderten noch nicht erlebt. Sie schritt auf ihren Herrscherinnenthron zu und nahm darauf Platz. Sie nahm all ihre mentale Kraft zusammen und versuchte, eine Aura des Schreckens um sich zu verbreiten. Es gelang ihr nicht. Die Düsternis, die sie auszustrahlen versuchte, prallte offenbar voll an John ab. „Nun, John Watson“, sagte sie mit dunkler, voller Stimme, „ich bin mir sicher, dass du ahnst, wer ich bin. Vor dir siehst du Irene Adler, die größte und schrecklichste Hexe, die die Welt je gesehen hat!“ Ihre Worte waren lauter und lauter geworden und hallten durch den Saal und durch die Räume und Flure ihres finsteren Schlosses. „Und die verrückteste“, knurrte John. „Hier einfach nackt aufzukreuzen. Absolut kein Anstand.“ Und er schüttelte den Kopf. Irene fiel die Kinnlade nach unten. Sie räusperte sich und setzte zu ihrer nächsten Ansprache an. „Du, John Watson“, und sie zeigte in dramatischer Geste auf ihn, „wirst mir dienen. Du wirst mein Sklave sein. Ich werde dich in glänzende Gewänder hüllen. Und dann wirst du mir zu Füssen sitzen und auf einen Wink meiner Augen jeden Befehl ausführen. Fremde Herrscher werden zu Besuch sein und mich beneiden, welch gut aussehendes Exemplar von einem Mann mir dient. Welch mutiger und starker Mann vor mir kniet und sich mir unterwirft!“ Wieder eine dramatische Handbewegung und eine theatralische Betonung. 'Die hat doch nen Knall,' dachte John. Laut sagte er: „Ich denke je gar nicht dran. Was hindert mich denn daran, mich einfach umzudrehen und aus dem Saal zu gehen und mich davon zu machen?“ Irene lächelte ein kaltes, böses Lächeln. „Nun, ich denke, die Tatsache, dass sich deine Freunde in meinem Kerker befinden und sterben werden, wenn du das tust.“ John kochte vor Zorn. Verdammt. Damit hatte sie ihn in der Hand. Irene spürte, dass sie Johns Schwachpunkt gefunden hatte. „Was meinst du, wie lange der Löwe Gregory und der Hund Toto ohne Nahrung auskommen? Wie lange es in dem feuchten Verlies dauert, bis Mycroft Rost ansetzt? Wie lange die Ratten und Mäuse brauchen, bis sie sich über den Strohmann Philipp hergemacht und ihn in kleine Schnipsel zerfressen haben?“ John schluckte. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Er suchte fieberhaft nach einem Ausweg, fand aber keinen. Alles, was er sich überlegte, hätte seine Freunde in noch größere Gefahr gebracht. Und wenn John Watson eins war, dann war er treu und loyal. Also blieb ihm wohl vorerst nichts anderes übrig, als dem Willen der Hexe zu folgen. 'Ich werde sie besiegen,' nahm er sich vor. 'Ich werde meine Freunde retten und befreien und die Hexe besiegen.' Und dann seufzte er und ergab sich in sein Schicksal. Also kam es, wie die Hexe es vorausgesagt hatte. Sie kleidete ihn in eine seidene Livree und ließ ihn zu ihren Füßen knien, wenn sie ihre Statthalter und andere Fürsten empfing. Jene, die in ihrem Namen über die alltäglichen Belange des von ihr unterdrückten Volkes wachten, so dass überall ihr Wille durchgesetzt wurde und sie herrschen konnte, ohne sich die ganze Arbeit zu machen. Sie ließ ihn, wenn er aufsässig wurde, und ehrlicherweise war das fast immer der Fall, niedere Hausarbeiten verrichten, um ihn zu demütigen. Und dann bestrafte sie ihn, wenn dabei seine seidenen Kleider schmutzig wurden, was eine ziemliche Ungerechtigkeit war, denn das ließ sich beim hantieren mit Besen und Dreckschippe nun mal nicht vermeiden. John biss die Zähne zusammen und ließ das alles über sich ergehen, weil er nur so die Möglichkeit hatte, für seine Freunde zu sorgen. Er schaffte Nahrung für den Löwen und Toto in den Keller, zwar nur Essensreste aus der Palastküche, aber es genügte um die beiden vor dem Verhungern zu bewahren. Er hatte ein Ölkännchen und Lappen beschafft und sorgte dafür, dass Mycroft auf Hochglanz poliert blieb. Und Toto, der kleine, etwas zynische aber im Grunde doch tapfere und gutherzige Hund, sorgte dafür, dass sich keine Maus oder Ratte auch nur in Philipps Nähe traute. Jeden Abend, nach getaner Arbeit, müde, erschöpft und hochgradig genervt, trottete John zu seinen Freunden in den Kerker. Ein Wachsoldat schloss hinter ihm ab und ließ ihn erst am frühen Morgen wieder raus. Viel Schlaf fand er nicht. Er hätte in seidenen Kissen und duftigen Decken schlafen können, denn Irene hatte von ihm verlangt, das Bett mit ihr zu teilen. Aber das hatte er strickt verweigert. Sklaverei hin oder her. Aber das, nein, also das ging dann doch zu weit! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)