Somewhere over the rainbow von DieLadi ================================================================================ Kapitel 9: Traum Teil 6 ----------------------- Sie arbeiteten sich so gut sie konnten durch das Unterholz und traten nach wenigen Augenblicken auf eine Lichtung. Dort stand zwischen den Kiefern und Fichten inmitten der von Insektengesumm, Morgensonne und harzigem Duft durchtränkten Waldluft eine schlanke hochgewachsene Gestalt. Sie hatte die Arme hoch erhoben und hielt eine Axt in den Händen. Allerdings bewegte sie sich nicht. Nur die Augen in ihrem Kopf zeigten, dass es sich hier um ein lebendiges Wesen handelte, denn sie funkelten ausdrucksstark. Toto knurrte und sein Fell sträubte sich. Philipp, der nun ebenfalls auf der Lichtung angekommen war, ergriff als erster das Wort. „Wer bist du?“, fragte er. „Bist du eine Wald-Scheuche?“ Die Gestalt schien antworten zu wollen, doch es kam nur ein „Hmmmpfff...“ heraus und etwas, was wie ein metallisches Knirschen klang. John betrachtete die Gestalt genauer. Sie schien von Rost überzogen, nur einzelne Stellen funkelten in der Morgensonne und sie schien vollständig aus Metall zu bestehen. „Herrje“, sagte John, „wie es aussieht scheint der arme Kerl komplett eingerostet zu sein.“ Er dachte einen Augenblick nach. „In der Hütte, wo wir übernachtet haben, standen doch diese Ölkännchen.“ „Hhhmmpf hmmpf...“ „Wartet hier. Ich renne schnell zurück und hole Öl, und dann schauen wir mal, ob wir diesem seltsamen Burschen hier nicht irgendwie helfen können.“ John machte sich auf den Weg. Er war es gewohnt, durch unwegsames Gelände schnell voranzukommen. Dennoch dauerte es beinahe eine Stunde, bis er zurück war, denn sie hatten an diesem Morgen schon eine kleine Strecke zurückgelegt gehabt. Er hatte sich in der Hütte umgesehen und außer dem Öl auch noch Metallpolitur, Schmirgelpapier und ein paar Putzlappen gefunden. „Damit kriegen wir dich wieder hübsch, mein Freund“, hatte er gedacht und alles in einen kleinen Korb gelegt, der ebenfalls in der Hütte herumstand. Philipp hatte sich in die Sonne gesetzt und den seltsamen neuen Bekannten die ganze Zeit schüchtern und vorsichtig angeschaut. Toto hatte Wache gehalten und hin und wieder geknurrt; er traute dem Frieden nicht. Sie beide waren froh, als John erneut aus dem Dickicht heraus trat. Der machte sich gleich an die Arbeit. Zuerst ölte er die Kiefergelenke des metallenen Mannes. „Ohhh ahhh das tut gut...“, sagte der Mann, dessen Stimme man anmerkte, dass sie lange nicht benutzt worden war. „Ich danke dir, wer immer du auch bist.“ „Lass mich die Arbeit fertig machen, dann können wir uns vorstellen“, sagte John und ölte nach und nach alle vorhandenen Gelenke. Schließlich war es soweit, und ihr neuer Bekannter war wieder komplett beweglich. Er tat ein paar Schritte, probierte die verschiedenen Gelenke aus, und alle Bewegungen klappten reibungslos. „Danke ... Danke ...“, stammelte er und setzte sich erleichtert auf einen umgefallenen Baum. „Hör zu“, sagte John, „ich habe noch ein paar andere Dinge mitgebracht. Wenn du möchtest, mache ich mich daran, dich zu polieren und den Rost zu entfernen. Dreckig und ölig bin ich jetzt sowieso, da wäre es einfach sinnvoller mit der Arbeit fortzufahren. Einverstanden?“ Der Metallmann nickte begeistert und John machte sich wieder ans Werk. Es war schon gegen Mittag, als er endlich fertig war. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, räumte alles zusammen und ging zum nahe gelegenen Bach (echt praktisch, die Dinger...), um sich gründlich zu waschen. Als er sauber und erfrischt wieder auf die Lichtung trat, war Philipp gerade dabei dem anderen auseinanderzusetzen, dass sein größtes Problem der Mangel eines Gehirns sei und sein größter Wunsch, eines zu bekommen. Der Metallmann wandte sich nun an John. Er glänzte und funkelte im Licht der Mittagssonne. Seine hohe schlanke Gestalt hielt sich sehr aufrecht. Seine Bewegungen waren elegant und würdevoll und um den Hals trug er sogar eine metallene Krawatte. Er war ein wahrhaft beeindruckendes Bild. „Jetzt endlich kann ich mich meinem Wohltäter angemessen vorstellen“, sagte er. Er verbeugte sich höflich und fuhr fort: „Mein Namen ist Mycroft. Genau genommen nennt man mich 'Den Eisernen Mycroft' ...“ Er klopfte sich selbst auf die Brust, „ ... und ich denke man kann unschwer erkennen, woher dieser Beiname kommt, nicht wahr?“ John verbeugte sich nun seinerseits. „Ich bin John Watson“, sagte er, „und das hier sind meine Freunde Philipp und Toto.“ Philipp versuchte sich auch an einer Verbeugung, fiel jedoch dabei auf die Nase, stand wieder auf und lachte vergnügt. Toto bellte, doch nun war es ein freundliches Bellen, der eiserne Mann schien ihm doch ganz in Ordnung zu sein. „Ahhhh,“, stieß Mycroft nochmals ein wohliges Seufzen aus. „Ich danke dir, ich danke dir wirklich, John Watson. Du hast mich gerettet. Ich stand schon seit einem ganzen Jahr hier im Walde herum ... Und glaub mir, es war sooo langweilig. Wahrscheinlich wäre ich vor Langeweile zu Staub zerfallen, wenn ich nicht meinen Gedächtnispalast hätte.“ „Den was ...?“ „Nun“, sagte Mycroft, „setzt euch zu mir und ich werde euch alles erzählen.“ Sie setzten sich, John, Philipp und Toto auf den von trockenen Nadeln gepolsterten Waldboden, Mycroft auf dem umgefallenen Baumstamm. Und dann begann er zu erzählen. „Ich war ein Mann aus Fleisch und Blut, habe Forstwirtschaft studiert und mit schon sehr jungen Jahren einen der besten Abschlüsse gemacht, die es je gegeben hat. Ich hatte danach ein untergeordnetes Amt im Forstministerium des Landes inne, mit der Aussicht auf eine schnelle Karriere. Aber dann ...“ Er seufzte. „Dann gab es da diesen Vorgesetzten, der neidisch war. Auf mein hochintelligentes Gehirn.“ Philipp seufzte sehnsüchtig. Ja, er konnte das nachvollziehen. Wobei ihm ein einfaches, leidlich brauchbares Gehirn schon gereicht hätte. „Also wandte sich dieser Mann an den bösen Zauberer Moriarty. Er wollte mich loswerden, und er versprach Moriarty alles, was der wollte, wenn er mich nur beiseite schaffen würde. Moriarty war allerdings kein sehr geschickter Zauberer. Er verzauberte meine Axt, so dass sie mir die Gliedmaßen abhackte, einen nach dem anderen, und zum Schluss auch meinen Kopf abhackte und meinen Leib mitten entzwei. Zum Glück hatte ich eine Menge Kontakte durch mein Amt im Ministerium, unter anderem einen sehr kunstvollen Schmied. Der schmiedete alles, was kaputt gegangen war, und setzte es kunstvoll wieder zusammen. Mein Gehirn jedoch, das so ein wertvolles und hoch funktionales Organ war, schien unwiederbringlich verloren. Doch dann kam ein Uhrmacher daher, und höchst begabter Mann, der mit filigranster Feinmechanik mein Hirn reparierte, noch leistungsfähiger machte als vorher und wieder einsetze. Und so bin ich nun wie ich bin.“ Er seufzte. „Nur ... mein Herz konnte niemand ersetzen, und da ich als so herzloser Mann den Menschen nichts böses antun wollte, zog ich mich zurück in die Hütte im Wald zurück und bestritt meinen Lebensunterhalt als Holzfäller. Ich lebte ganz zufrieden, denn wann immer ich wollte, konnte ich mich in meinen Gedächtnispalast zurückziehen. Das ist eine Sammlung aller meiner jemals abgespeicherten Erinnerungen. An alles, was ich je gesehen, gehört, gelesen oder erlebt habe. Doch eines Tages überraschte mich ein Regenguss, als ich gerade einen Baum fällen wollte. Ich rostete ein, und so stand ich nun, bis ihr mich gefunden und gerettet habt. Und ich bin euch allen überaus dankbar dafür.“ John hatte gebannt zugehört. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)