Orientierte Offenbarung von Varlet ================================================================================ Kapitel 20: Japan ----------------- Mit eher gemischten Gefühlen stieg Angela aus dem Fahrstuhl. James hatte sie bei ihrem kurzen Telefonat lediglich darum gebeten, so schnell wie möglich in sein Büro zu kommen. Aber was wollte er mit ihr besprechen? Ging es um Jodie? War ihrer Tochter etwas passiert? Obwohl Angela es nicht wusste, versuchte sie ruhig zu bleiben. Sie kannte ihren Lebensgefährten und er kannte ihre Sorgen, wenn es um Jodie ging. Aus diesem Grund wusste sie, dass er anders gehandelt hätte, wenn etwas im Argen lag. Da war sie sich sicher. Trotzdem war sein Verhalten komisch. Schweigend ging sie den Gang entlang, bis sie an der Bürotür ihres Freundes stand. Angela atmete tief durch und klopfte an. Als keine Antwort kam, öffnete sie zaghaft die Tür und lugte in den Raum. Das Büro war leer und die Krankenschwester seufzte leise auf. Gerade als sie zum Warten ins Zimmer gehen wollte, wurde sie von einem Agenten angesprochen. „Kann ich Ihnen helfen?“ Angela drehte sich um. „Agent Black wollte mich sprechen, aber er ist nicht in seinem Büro.“ Der Agent nickte verstehend. „Ich bringe Sie am besten in einen unserer Konferenzräume und hole Agent Black“, entgegnete er. „Hier entlang, bitte“, fügte er hinzu und wies auf den Gang. Die Krankenschwester folgte dem Agenten und als sie um die Ecke bogen, erblickte sie bereits James. Doch er war nicht alleine. Neben ihm standen Jodie, ein fremder Mann und Tsutomu. Tsu…tomu? Aber was machte er beim FBI? Als Jodie ihre Mutter sah, ging sie zu dieser und umarmte sie zur Begrüßung. „Hallo Mom, schön, dass du gekommen bist.“ Angela lächelte. „Es klang am Telefon sehr dringend.“ Sie wies mit dem Kopf zur Gruppe um James. „Geht es um den Mann da?“ Jodie blickte nach hinten. „Mhm? Nein, das ist nur…der Vater meines…Partners…“ Die Krankenschwester war überrascht. „Das ist…der Vater deines Partners?“, wiederholte sie fragend. „Kennt ihr euch?“, wollte Jodie irritiert wissen. „Flüchtig“, antwortete Angela. „Ich hab ihn…einige Zeit gepflegt.“ „Ach so“, murmelte Jodie. „Er war also Patient im Krankenhaus“, fügte sie hinzu, doch Angela korrigierte sie nicht. „Möchtest du ihm Hallo sagen?“ Die Krankenschwester schüttelte den Kopf. Oder war ihr Geheimnis nun doch bekannt geworden? Wussten sie, dass sie Tsutomu angefahren und sich anschließend um ihn gekümmert hatte? Wussten sie, dass sie die Polizei nicht informierte? Zwar hatte Angela durch ihren Mann und James mitbekommen, dass das FBI gerne mal auf diese Art und Weise Zeugen oder Täter gegeneinander ausspielte, aber sie glaubte nicht daran, dass man es auch bei ihr tat. „James wollte mit mir sprechen, ich…“ Jodie nickte verstehend. „Hat er dir gesagt, worum es geht?“ „Nein“, antwortete Angela. „Er meinte nur, dass ich so schnell wie möglich herkommen soll.“ „Verstehe“, kam es nachdenklich von Jodie. „Komm, wir gehen in den Konferenzraum“, fügte sie hinzu und öffnete die Tür zu einem Raum. „Nimm doch schon Platz. Möchtest du etwas Trinken oder Essen?“ Angela ging in den Raum und setzte sich auf einen der Stühle. „Ich brauche nichts.“ „Ich schau wo James bleibt. Es dauert nicht lange“, sagte Jodie und ging wieder raus. Sie schloss die Tür zum Konferenzraum und lehnte sich gegen diese. Anschließend atmete sie tief durch, ehe sie zu James ging. „Dann haben wir geklärt, wie es nun weiter geht“, entgegnete James ruhig. „Agent Akai, Sie werden Ihren Vater nach unten begleiten und den Rest mit ihm klären.“ „Muss ich ja wohl…“, gab Akai von sich und blickte zu Jodie. „Deine Mutter ist da, richtig?“ „Ja, sie ist jetzt bereit um mit uns zu reden.“ „In Ordnung“, nickte Black. „Akai, ich verlass mich auf Sie.“ „Verstanden…auch wenn ich gerne bei dem Gespräch mit Jodies Mutter dabei wäre…“, sagte Shuichi und sah zu Tsutomu. „Gehen wir.“ Jodie sah den Beiden nach. „Sollen wir nicht auf ihn warten?“ „Das wird nicht nötig sein“, fing James an. „Ich möchte Angela ungern dem Stress aussetzen, dass sie sich wie in einem Verhör vorkommt. Es ist besser, wenn sie nur mit dir und mir redet.“ „Wie du möchtest“, fing Jodie an. „Mom ist in Konferenzraum drei und wartet auf uns“, fügte sie hinzu und ging zu dem Zimmer. James öffnete die Tür und ging rein. „Hallo Angela. Danke, dass du so schnell gekommen bist.“ Die Krankenschwester lächelte. „Natürlich. Du hast dich am Telefon angehört, als sei es wichtig.“ Sowohl Jodie als auch James setzten sich. „Angela, es geht um deinen Mann.“ Sofort schluckte die Ältere und biss sich auf die Unterlippe. „Was…wollt ihr wissen?“ Jodie erkannte, wie schwer es ihrer Mutter fiel über ihren Mann zu sprechen. Besonders in dieser Umgebung. „Wir haben uns gefragt, ob Dad…als ob Dad mir etwas hinterlassen hat. Und damit meine ich nicht das Erbe, sondern etwas, was ich noch nicht bekommen habe…und von dem ich nichts weiß.“ Automatisch griff Angela an ihre Halskette. „Mom?“ „Angela, wenn es etwas gibt, was du weißt, musst du es uns sagen. Bitte.“ Die Krankenschwester blickte zur Seite. „Mom, bitte. Es ist wirklich wichtig. Ich muss die Wahrheit wissen. Hat Dad etwas hinterlassen?“ Langsam zog Angela ihre Kette vom Hals und sah auf diese in ihrer Hand. „Dein Vater hat gewusst, dass seine Arbeit sehr gefährlich ist. Schon immer. Bei seinem letzten Fall aber machte er sich noch mehr Sorgen als sonst. Deswegen hat er…ein paar Vorkehrungen getroffen und…“ „Und?“ „Er hatte Angst, dass sein Vermächtnis in die falschen Hände gelangen würde, deswegen hat er…hat er…einige Daten und Unterlagen auf einem USB-Stick gesichert.“ James sah sie fragend an. „Wir haben keinen USB-Stick in seinem Büro oder bei seinem Anwalt vorfinden können.“ „Er hat den Stick auch nicht in seinem Büro oder bei seinem Anwalt gelagert“, gab Angela von sich. „Wie ich bereits sagte, er hatte Angst, dass die Daten in die falschen Hände gelangen würden. Daher hat er mir…den Stick gegeben und…ich habe auf ihn aufgepasst.“ Sie legte ihre Kette auf den Tisch. Jodie betrachtete das Kreuz. „Das Kreuz ist ein USB-Stick?“, wollte Jodie wissen und nahm die Kette an sich. Die Krankenschwester nickte. „Für den Fall, dass ihm etwas passieren würde, sollte ich dir den Stick geben, sobald du alt genug bist oder…selbst beim FBI arbeitest. Dein Vater kannte dich schon damals sehr gut. Er wusste, wenn er im Einsatz sein Leben verlieren würde, würdest du versuchen in seine Fußstapfen zu treten. Deswegen hat er…dir sein Vermächtnis überlassen. Bitte entschuldige, dass ich dir den Stick nicht schon viel eher gegeben habe.“ „Hast du dir die Daten angesehen?“, wollte James wissen. „Ich habe es damals mehrfach versucht, aber die Dateien sind mit einem Passwort gesichert. Egal was ich eingetippt habe, ich konnte die Unterlagen nicht einsehen. Deswegen habe ich mich auch vor dem Inhalt gefürchtet. Andererseits war ich auch froh, dass ich den Inhalt nicht kannte, denn womöglich hätte ich dann nicht mehr in Ruhe schlafen können.“ James nahm Jodie die Kette ab und betrachtete diese. „Wir haben Spezialisten. Sie kümmern sich um die Entschlüsselung.“ Zehn Tage später saßen sie zusammen im Konferenzraum: James, Jodie, Shuichi und Tsutomu. Vor ihnen lagen mehrere Akten mit Gesprächsnotizen, Aufzeichnungen, alten Fällen über die Organisation, Zeitleisten und Informationen über Sharon und Chris Vineyard. Zudem hatten die Tage zuvor mehrere Gespräche und Untersuchungen stattgefunden. Erfreut blickte James in die Runde. „Ich bin froh, dass wir Ihre Identität bestätigen konnten, Agent Akai…“ James kratzte sich ein wenig verlegen an der Wange. „Ihre Namen könnten die nächste Zeit zu Verwechslungsgefahr führen.“ „Schon gut, Agent Black, wir wissen, wen von uns Sie ansprechen“, begann Tsutomu. „Ich bin ebenfalls froh, dass es nun keinen Zweifel mehr an meiner Identität gibt.“ Er sah zu seinem Sohn. „Und dass ich meinen Sohn nach all der Zeit wiedergesehen habe und jetzt auch noch zusammen mit dem FBI gegen die Organisation ermitteln kann. Allerdings…benötige ich für Letzteres Ihre Unterstützung.“ „Wie meinst du das?“, wollte Shuichi wissen. „Solange meine Identität nicht bestätigt gewesen ist, konnte ich mich nicht beim MI6 melden. Außerdem wollte ich das nicht zwischen Tür und Angel machen und…ich möchte meine Familie wiedersehen.“ Shuichi nickte verstehend. „Mutter lebt immer noch in England. Wenn du zurück zum MI6 gehst, kannst du sie sicher treffen. Dann wirst du auch Masumi kennenlernen. Shukichi lebt in Tokyo. Du solltest aber nicht versuchen, dorthin zu fliegen.“ „Ein Agententeam wird Sie unterstützen, wenn Sie mit dem MI6 in Kontakt treten. Wenn es notwendig ist, werden wir Sie nach England begleiten“, fügte Black hinzu. „Danke. Und was haben Sie wegen der Organisation vor?“ „Wir konnten mittlerweile die Daten vom USB-Stick meines Vaters sichten“, begann Jodie. „Allerdings gehen wir davon aus, dass es nicht die kompletten Unterlagen zur Organisation sind. Dennoch hat er uns einige nützliche Hinweise hinterlassen und wir wissen jetzt, dass wir Japan mehr in den Fokus nehmen müssen. Außerdem hat sich Chris Vineyard dazu entschieden für eine Weile in Japan zu leben. Vermutlich wird sie dort in den Diensten der Organisation stehen und für sie arbeiten.“ „Oh“, murmelte Tsutomu. „Dann konnten Sie auf der Beerdigung ihrer Mutter keine Hinweise finden?“ Jodie seufzte. „Obwohl es mir schwer fiel, bin ich zur Beerdigung gegangen und habe ihr mein Beileid ausgedrückt. Die anschließende Trauerfeier fand im kleinsten Kreis stand. Dort ist sie uns aber leider entwischt. Anfangs dachten wir nur, dass sie sich zurückgezogen hat, doch ein paar Tage später erhielten wir die Meldung, dass sie in Japan ist.“ „Sie ist uns leider entkommen, dabei hatten wir sie die ganze Zeit im Visier“, murmelte James. „Da sich Chris Vineyard in Japan befindet, Agent Starling in seinen Unterlagen ebenfalls auf Japan hinwies und auch Sie, Agent Akai, in der Gefangenschaft mit Japan konfrontiert wurden, führt uns unser nächster Schritt dorthin.“ „Das FBI hat allerdings keine Befugnisse in Japan“, warf Shuichi ein und verschränkte die Arme. „Die Organisation würde nur darauf warten, dass wir einen Fehler machen und schon sind wir es, die hinter Gittern laden.“ „Ich weiß“, nickte Black. „Deswegen müssen wir bei den Ermittlungen auch vorsichtig sein. Wir stellen mehrere Teams zusammen und werden von Japan aus weiter ermitteln. Unsere japanisch sprechenden Agenten sind bereits darüber informiert.“ Shuichi verengte die Augen. Scheinbar hatte man ihn vergessen. „Ich komme ebenfalls mit“, gab Jodie von sich. Akai schmunzelte. „Genau das gleiche wollte ich auch sagen.“ James seufzte. „Die Organisation kennt Ihre Gesichter.“ „Umso besser“, fing Shuichi an. „Dann wissen sie, dass wir ihnen auf der Spur sind und sie im Visier haben. Also warum nicht? Jagen wir doch die Jäger.“ „Mhm…“ „Agent Black, ich denke, Sie wissen, dass Sie Jodie und mich nicht so einfach von diesem Fall abziehen können. Sie könnten höchstens damit argumentieren, dass Jodie kein japanisch spricht.“ „Shu!“ Tsutomu kicherte. „Du sollst James keine Gründe liefern, warum ich in New York bleiben soll.“ „Schon gut“, fing der Agent an. „Du kannst japanisch lernen. Es wird zwar dauern, aber es gibt viele Kurse und wenn wir eh die meiste Zeit über verdeckt agieren müssen, bleibst du im Hotel oder versuchst es mit englisch. Viele Japaner verstehen zumindest Schulniveau. Irgendwie habe ich keinen Zweifel daran, dass du dich schon irgendwie verständigen wirst. Im Notfall bring ich dir japanisch bei.“ Jodie lächelte. „Oder du bist mein wandelnder Übersetzer.“ Sie sah zu James. „Da hörst du es, James. Und nach allem was passiert ist, kannst du uns sowieso nicht so einfach von den Ermittlungen ausschließen. Du kannst es gerne versuchen, aber im Notfall reisen Shu und ich als Zivilisten nach Japan. Ich hab gehört, dass Japan ein schöner Urlaubsort ist und Shu wollte mir schon immer mal Tokyo zeigen, nicht wahr? Dann könnte ich auch seinen Bruder kennenlernen und wir schauen uns noch ein paar andere Gegenden an.“ Akai nickte. „Drei Wochen Urlaub reichen zu Beginn“, entgegnete er. „Vielleicht könnten wir sogar verlängern oder wir müssen uns krank melden. Wenn ein Erdbeben oder Tsunami in der Zeit auftritt, können wir nicht sofort wieder nach New York fliegen.“ James seufzte. „Schon gut, schon gut. Ich hab euch ja verstanden“, sagte er. „Und irgendwie hab ich mit dieser Reaktion auch gerechnet. Nun ja, nach allem was ich über euch weiß, wäre es auch verwunderlich, würdet ihr ganz anders reagieren. Zum Glück hab ich bereits mit den Vorgesetzten gesprochen.“ „Das heißt?“, wollte Jodie wissen. „Das heißt, dass euer Einsatz in Japan genehmigt ist. Aber bitte vergesst eines nicht: Mit dem was wir tun, verstoßen wir gegen das geltende Recht. Wenn wir erwischt werden, wir das FBI versuchen alles zu leugnen und euch im Notfall als Sündenbock benutzen. Eure Karriere könnt ihr dann vergessen. Allerdings bleibt uns nichts anderes übrig als dieses Risiko einzugehen und wenn wir erfolgreich sind…“ „Dann müssen wir den Ruhm der japanischen Polizei oder der Sicherheitspolizei überlassen“, entgegnete Shuichi. „Damit komm ich klar.“ „Beim FBI hingegen wird man wissen, wer in Wahrheit für den Fall der Organisation gesorgt hat. Während des Auslandseinsatzes werde ich eure Kontaktperson sein. Seid ihr mit den Bedingungen einverstanden?“ „Ja“, nickte Jodie. Shuichi lächelte. „Ebenfalls. Fliegen wir so schnell wie möglich nach Japan.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)