Orientierte Offenbarung von Varlet ================================================================================ Kapitel 10: Unfallgegner ------------------------ Eigentlich hätte Angela nicht glücklicher sein können. Nach all den Jahren in denen sie immer wieder zurücksteckte, konnte sie endlich wieder glücklich sein, ohne sich Vorwürfe zu machen. Nicht nur, dass Jodie mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen war und ihren eigenen Weg ging, sie selbst hatte sich wieder verliebt. Anfangs kämpfte sie noch gegen diese Gefühle an und ging James sogar aus dem Weg, doch je mehr Zeit verging, desto mehr fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und dennoch würde sie ihren ersten Mann nie vergessen. Sie hatten so viel Zeit miteinander verbracht und eine gemeinsame Tochter, wodurch sie auf ewig miteinander verbunden waren. Nach dem sie von seinem Tod erfuhr, war auch ein Teil von ihr gestorben. Sie fühlte sich einsam und war zerbrochen, doch James hatte es geschafft sie zu retten. Die ganze Zeit über war er für sie da gewesen und hatte sie auf den rechten Weg zurück geführt. Er hatte ihr und Jodie sogar ein neues zu Hause gegeben. In den schweren Stunden tröstete James sowohl Jodie als auch sie selbst. Dank ihm wurde ihr Leben wieder in positive Bahnen gerückt und er hatte das Mädchen während der gesamten Zeit wie sein eigen Fleisch und Blut behandelt. Irgendwann waren sie zu einer kleinen Familie geworden, doch Angela verbot sich jegliche romantischen Gefühle für den besten Freund ihres Mannes. Stattdessen zog sie sich zurück und versuchte ihr Leben ohne James zu führen. Trotzdem hatte er sie nicht in Stich gelassen und nachdem Jodie eine positive Rückmeldung vom FBI bekam, war James für sie da. Es hatte ein weiteres Mal zwischen ihnen gefunkt, doch erneut haderte Angela mit ihren Gefühlen. Irgendwann aber gab sie nach und stand dazu. Eigentlich hätte alles perfekt sein können, doch Jodie schien mit der Beziehung ihrer Mutter nicht klar zu kommen. Angela hatte gehofft, dass es für Jodie einfacher werden würde, schließlich wuchs sie mit James auf, doch Jodie hatte kaum eine Regung gezeigt. Stattdessen zog sie sich zurück und wurde ruhiger. Auch wenn ihr James nur wenig von seiner Zeit mit Jodie im Büro erzählte, hatte Angela dennoch verstanden, dass ihre Tochter ihn mied. Oftmals wollte sie schon mit ihr darüber sprechen, doch die passende Gelegenheit blieb immer aus. Kam Jodie zu Besuch war James auch da und die Stimmung wurde mit einem Mal kühler. Zwar hatte Angela versucht das Beste aus der Situation zu machen, dennoch wurde es nicht besser. Obwohl Angela sich bereits viele Male vornahm, Jodie darauf anzusprechen, hatte sie sich in Gegenwart von James nicht getraut. Irgendwie hatte sie die Sorge, dass sich Jodie gegen die Beziehung der Beiden aussprach. Außerdem wusste Angela nicht, was sie tun sollte, würde dieses Szenario eintreten. Daher war Schweigen eine bessere Option. Selbstverständlich wusste Angela, dass Jodie am Abend ihre Mutter lieber für sich alleine haben wollte, aber sie konnte James nicht kommentarlos nach Hause schicken. Mittlerweile wünschte sie sich, dass sie es getan hätte. Das Gespräch hatte sich leider in eine Richtung entwickelt, die sie nicht bedacht hatte. Zwar war Jodie relativ freundlich und ruhig, doch Angela konnte nicht abschätzen, ob es Absicht gewesen war, dass Jodie bei fast jeder Gelegenheit ihren Vater erwähnte. Die Krankenschwester hatte sehr lange an den Geschehnissen des Abends zu knabbern gehabt und wollte einfach nur vergessen. Doch als sie James beobachtete, konnte sie nicht anders. Leider hatte sich das Gespräch mit James in eine Richtung entwickelt, die fatal war. „Jodie kommt noch nicht mit dem allen klar“, murmelte Angela. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer für sie sein würde.“ „Jodie ist erwachsen“, begann James. „Sie wird sich schon daran gewöhnen. Es ist normal, dass es am Anfang ein Schock für sie war.“ „Das stimmt wohl“, gab die Krankenschwester leise von sich. „Ich glaube, es ist für sie so schwer, weil sie dich ihr ganzes Leben bereits kennt und nicht damit gerechnet hat, dass wir zwei zusammen kommen würden.“ „Sie wird sich irgendwann für uns freuen“, sprach James ruhig. „Er freut sich bestimmt auch für uns…“ Angela nickte. „Vielleicht…sollten wir trotzdem schauen, dass wir uns nicht so oft sehen…vor allem nicht, wenn Jodie da ist.“ James starrte sie ungläubig an. „Du willst, dass wir uns trennen?“ „Was? Nein, das hab ich nicht so gemeint. Ich…“ Sie sah auf die Hände in ihrem Schoß. „Ich will es Jodie nur leichter machen. Wenn sie nach Hause kommt, soll sie nicht das Gefühl haben, dass du hier schon eingezogen bist. Ich will sie nicht noch mehr überfordern und…“ James seufzte. „Jodie ist eine erwachsene Frau. Ich verstehe, dass es schwer für sie ist, jetzt zu sehen, dass du einen Freund hast. Du kannst Jodie aber nicht immer beschützen und dich nach ihren Wünschen richten. Haben wir uns nicht schon lange genug zurück gehalten? Angela, so kann es doch nicht weiter gehen. Ich glaube nicht, dass es die richtige Entscheidung ist, Jodie zu schonen, nur weil sie mit der Veränderung nicht klar kommt. Sie muss lernen damit umzugehen, auch wenn es dauert. Aber wenn du willst, dass ich nach meinem Feierabend nicht mehr herkomme, werde ich diesen Wunsch respektieren…“ Die Krankenschwester biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß doch auch nicht was das Richtige ist. Aber ich weiß, dass es Jodie nicht gut geht und…wenn sie wegen uns ihre Arbeit vernachlässigt und dann in Gefahr gerät…“ Angela schüttelte den Kopf. „…daran möchte ich nicht denken.“ James seufzte leise auf. „Verstehe.“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Musst du nicht gleich zur Nachtschicht?“ „Muss ich“, entgegnete Angela und stand von ihrem Platz auf. „Lass uns morgen noch einmal darüber reden, ja?“ „In Ordnung“, stimmte James zu. „Soll ich dich fahren?“ „Nicht nötig.“ Sie versuchte zu lächeln. „James, ich mag dich wirklich sehr.“ Statt etwas zu erwidern, gab er ihr einen Kuss auf die Lippen und setzte ein Lächeln auf. „Bis morgen und pass auf dich auf.“ „Bis morgen“, wisperte Angela und folgte ihm in den Hausflur. Zusammen zogen sie sich ihre Jacke und Schuhe an und verließen das Haus. Obwohl noch ein Teil unausgesprochen war, ging sie zu ihrem Wagen und fuhr los. Angela unterdrückte während der Autofahrt die Tränen. Am liebsten hätte sie all ihre Worte zurückgenommen, doch dafür war es bereits zu spät. Was gesagt wurde, konnte keiner ändern und sie würde mit den Konsequenzen leben müssen. Wie James wohl am nächsten Tag darauf reagieren würde? Immer wieder sah Angela nach vorne und beobachtete den Wagen von James. „Oh James“, murmelte sie leise. „Es tut mir so leid…“ Als sich ihre Wege schließlich trennten, wollte Angela am liebsten wieder umdrehen und nach Hause fahren, doch die Nachtschicht konnte sie nicht einfach ignorieren. Obwohl sich die Krankenschwester wieder auf die Straße konzentrierte, konnte sie der schwarzen Gestalt nicht mehr ausweichen. Es lief wie in Zeitlupe ab: Die Person kam von der Seite und lief auf die Straße. Angela betätigte zwar die Bremse doch es war bereits zu spät. Beim Zusammenprall landete der Fremde auf ihrer Motorhaube und fiel anschließend zu Boden. Angelas Wagen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen und ihr Herz raste. Die Krankenschwester krallte ihre Hände ins Lenkrad und atmete schwer. „Oh Gott“, wisperte sie. „Oh Gott.“ Angela sah nach vorne auf die Straße. Die Laternen sorgten nur für eine geringe Beleuchtung. Angelas Hände zitterten und nur langsam stellte sie den Motor aus. Ebenso langsam entfernte sie den Sicherheitsgurt, öffnete die Wagentür und griff nach dem Handy in ihrer Handtasche. Als Angela ausstieg, zitterten ihre Beine. Zwar sah sie im Krankenhaus sehr viele Verletzte, doch sie selbst war für keinen von ihnen verantwortlich. Angela lief um den Wagen herum und kniete sich zu dem fremden Mann hinunter. „Es wird alles gut. Ich bin Krankenschwester, ich kümmer mich um Ihre Verletzungen“, fing sie an. „Ein Krankenwagen kommt auch gleich.“ Angela begann damit die Nummer in ihr Handy einzutippen. Der Mann beobachtete sie – teils argwöhnisch, teils verängstigt. Langsam hob er seine Hand und legte sie auf das Handy. „N…ei…n…“, wisperte er leise. „K…ein…K…rank…en…wage…n…“ Angela schüttelte den Kopf. „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Sie versuchte zu lächeln. „Im Krankenhaus werden Sie versorgt. Haben Sie keine Angst.“ Er versuchte ihr das Handy aus der Hand zu nehmen, fühlte sich aber zu schwach dafür. „Bitte…kein…Krank…wagen…“ Angela schluckte. „Ich kann hier Ihre Verletzungen nicht abschätzen. Vielleicht haben Sie innere Blutungen. Ich kann mich nur im Krankenhaus um Sie kümmern.“ „Nicht…bitte…“, murmelte er und richtete sich langsam auf. „Sie dürfen sich nicht bewegen. Es könnte Ihre Verletzungen nur verschlimmern“, entgegnete Angela. „Bitte…“ „Vergessen…Sie…mich…“, gab er von sich und hustete. Der Mann zog sich am Wagen nach oben und machte langsam ein paar Schritte. „Sir…“ Angela zögerte. „Ich kann Sie so nicht gehen lassen. Bitte, lassen Sie mich…Ihnen helfen.“ Der Angesprochene sah nach hinten. „Kein…Krankenhaus…“ „Aber…“, sagte die Krankenschwester leise. Doch welche andere Wahl hatte sie? Selbstverständlich konnte sie einen Krankenwagen rufen, aber ihn nicht zur Behandlung zwingen. Außerdem konnte sie ihn nicht am Unfallort festhalten und wenn er sich auf den Weg machte, bestand die Möglichkeit, dass er an einer anderen Stelle verunglückte. Angela biss sich auf die Unterlippe. „Ich kann Sie nicht einfach gehen lassen, aber ich akzeptiere, dass Sie nicht in ein Krankenhaus wollen. Ich kann…einen befreundeten Arzt bitten, dass er Sie sich ansieht, damit Ihre Wunden behandelt werden.“ Angela öffnete die hintere Wagentür. „Setzen Sie sich bitte rein.“ „Weg…weg von…hier…“, murmelte er. „Ja, ich bringe Sie von hier weg“, stimmte die Krankenschwester zu. „Brauchen Sie Hilfe beim Reinsetzen?“ Der Mann beobachtete sie. „Weg…weg von hier…bitte“, wiederholte er und stützte sich an der Wagentür ab. Langsam setzte er sich, doch Angela musste bei seinen Beinen behilflich sein. Zusätzlich legte sie den Sicherheitsgurt um ihn und schloss die hintere Tür. Angela atmete tief durch und sah auf die Unfallstelle. Mit ihrem Handy machte sie schnell ein Foto davon, ehe sie selbst in den Wagen stieg. Was tu ich hier nur?, fragte sie sich selbst. Doch ein komisches Gefühl umhüllte sie. Sie wollte ihm unbedingt helfen und seinen Wunsch respektieren. Aber wer war er und welches Geheimnis verbarg er? Die Krankenschwester schnallte sich an, startete den Motor und fuhr los. Ihr Handy legte sie auf ihren Schoss. Sie sah in den Rückspiegel und als sie die erste Laterne passierte, bemerkte sie erst sein ramponiertes Äußeres. Sein Gesicht hatte zahlreiche blaue Flecken, möglicherweise war auch die Nase gebrochen, ein Schnitt an der Wange führte zu Blutverlust, seine Kleidung war ebenfalls blutdurchtränkt. Bei allem was Angela im Krankenhaus sah, konnte sie sich sicher sein, dass die Wunden nicht von dem Autounfall herrührten. Vielleicht wurde er entführt und misshandelt? Vielleicht hatte er vorher einen anderen Unfall gehabt und war jetzt auf der Flucht vom anderen Unfallort? Vielleicht…? Sie schüttelte den Kopf. Es brachte nichts, wenn sie sich Fragen stellte auf die sie doch keine Antwort bekam. „Es dauert nicht lange. Ich fahr Sie…“ Sollte sie ihn wirklich zu sich nach Hause fahren? „…ich fahr Sie in meine Zweitwohnung. Sie liegt in der Nähe vom Krankenhaus. Wenn irgendwas sein sollte, kann ich Sie dorthin bringen.“ Da sie als Krankenschwester auch verschiedene Schichten zu bedienen hatte und nicht immer den langen Weg nach Hause auf sich nehmen oder zwischen den Schichten nur schlafen wollte, hatte sie sich vor Jahren ein kleines Apartment gemietet. Es war nur wenige Minuten vom Krankenhaus entfernt und bot eine passende Alternative. Er reagierte nicht auf ihre Worte, legte aber seinen Arm über die Augen. „Können Sie mir sagen wie Sie heißen?“, wollte Angela wissen. „Und was mit Ihnen passiert ist?“ „Tsu…to…mu…“, murmelte er. „Okay, Tsutomu, ich kümmer mich um Sie.“ Er schwieg. Immer wieder sah Angela in den Rückspiegel. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? Aber jetzt war es zu spät für einen Rückzieher. Langsam griff Angela nach dem Handy und tippte die Telefonnummer der Notfallarztes ein, ehe sie den Lautsprecher aktivierte. „Evergarden.“ „Hey Gilbert“, fing die Krankenschwester an. „Kannst du mir bitte einen Gefallen tun ohne Fragen zu stellen?“ Der Arzt seufzte leise auf. Er schuldete ihr noch etwas, sodass er nicht einfach ablehnen konnte. „Was brauchst du?“ „Du hast doch heute keinen Dienst. Kannst du bitte zu meiner Wohnung nach Manhattan fahren? Ich brauch deine Hilfe bei einem…verletzten Bekannten.“ „Fahr ihn doch ins Krankenhaus.“ „Das kann ich nicht. Bitte, hilf mir.“ „Ja, ist gut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)