Orientierte Offenbarung von Varlet ================================================================================ Kapitel 2: Der frühe Vogel -------------------------- Normalerweise hatte Jodie ihre Nervosität gut im Griff, aber der erste Tag als FBI Agent stellte alles in den Schatten, was sie bisher erlebt hatte. Nachdem sich Jodie schließlich dreimal umgezogen hatte, kam sie die Treppe nach unten und betrat die Küche. Angela stand am Waschbecken und kümmerte sich um den Abwasch ihres Frühstücks. „Guten Morgen“, begrüßte Jodie ihre Mutter. Sie war zwar vor mehr als einem Jahr in ihre eigenen vier Wände gezogen, kam aber regelmäßig an den Sonntagen nach Hause, wo sie gemeinsam aßen und über alles Mögliche sprachen. Damit Jodie auch jederzeit in das neue Haus kommen konnte, behielt sie ihren Schlüssel, benutzte diesen aber nur in einer Ausnahmesituation. Eine solche Situation trat während der letzten Nacht auf. Jodie lag in ihrem Bett, starrte die Decke an und fand keinen Weg um einzuschlafen. Sie malte sich die verschiedensten Szenarien von ihrem ersten Arbeitstag beim FBI aus und geriet in Panik. Schließlich begann sie, die Kleidung für den nächsten Tag anzuprobieren und wurde nur noch nervöser. Daraufhin war sie – mit einer gepackten Tasche - zu ihrer Mutter gefahren. Da das Licht nicht mehr brannte, hatte sie ihren Schlüssel benutzt und auch wenn Jodie versucht hatte, so leise wie möglich zu sein, wurde sie erwischt. Wenigstens gab es dadurch am nächsten Morgen keine Überraschungen. „Guten Morgen“, lächelte Angela. „Hast du einigermaßen schlafen können?“ „Ging so“, murmelte Jodie und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. „Es war eine kurze Nacht.“ Jodie nippte an der schwarzen Flüssigkeit, ehe sie die Tasse auf die Arbeitsfläche zurückstellte. Sie sah an sich herunter. Nach mehreren Anläufen hatte sie sich für eine schwarze Hose und eine weiße Bluse entschieden. „Kann ich so ins Büro fahren?“, wollte sie wissen. Angela musterte ihre Tochter. „Das steht dir ausgezeichnet“, fing sie an. „James kann dich nachher bestimmt mitnehmen.“ Jodie verdrehte die Augen. James Black war der beste Freund ihres Vaters und sein Partner während der Arbeit beim FBI. Sie hatten sich damals in Quantico kennengelernt und gingen seither durch dick und dünn. Vor dem Tod ihres Vaters brachte er ihr oft Geschenke mit, erzählte ihr Gute-Nacht-Geschichten und spielte mit ihr. Er war der perfekte Onkel. Nachdem ihr Elternhaus in Schutt und Asche gelegt worden war, hatte sich James unverzüglich auf den Weg zur Familie gemacht. Wie auch ihre eigene Mutter war er auf die Knie gefallen und starrte das brennende Haus schockiert an. Anders als sie – denn sie hofften immer noch, dass der Agent heil aus dem Haus kam - hatte Black sofort das Ausmaß des Brandes realisiert. Er wusste genau, warum sein bester Freund sterben musste und wer dafür verantwortlich war. Aber offiziell hieß es, dass das Feuer aufgrund eines Unfalls im Haus wütete und der Familie konnte man nichts anderes sagen, als dass Agent Starling in Ausübung seiner Pflicht verstorben war. Sie hatten anfangs zwar auch versucht Angela anzulügen, aber die Krankenschwester durchschaute schnell das falsche Spiel. Nachdem auch Jodie damals endlich begriff, dass ihr Vater nicht mehr am Leben war, hatte sie oft und viel geweint. Sowohl ihre Mutter als auch James gaben sich viel Mühe mit ihr, doch als sie eines Nachts mitbekam, dass sich ihre Mutter in den Schlaf weinte, nahm sich Jodie vor, stark zu sein. Sie stellte ihre Gefühle und Emotionen hinten an und versuchte so oft wie es ging zu Lachen. Es war zwar ein falsches Lachen, aber irgendwann glaubte sie selbst, dass es ihr besser ging. Dennoch fing Jodie immer an zu weinen, wenn sie alleine war oder unter ihrer Bettdecke lag. Ob ihre Mutter davon gewusst hatte, war ihr nicht klar. Doch das Leben ging weiter. Es musste weitergehen. Seit dem ersten Abend waren sie in der Obhut des FBIs gewesen. Einige Tage später konnten sie bei James unterkommen und lebten eine Weile mit ihm zusammen. Seine Wohnung war eigentlich viel zu klein für drei Personen gewesen, aber sie hatten es geschafft sich irgendwie zu organisieren. Für die Außenstehenden sahen sie sogar wie eine kleine Familie aus und die ersten Gerüchte wurden gestreut. Einige behaupteten, dass der Brand im Hause der Starlings von James oder Angela gelegt wurde, andere hingegen waren sich sicher, dass sich Agent Starling rächen wollte und dabei gestorben war. James und Angela ignorierten die Gerüchte und machten sich stattdessen auf die Suche nach einer größeren Wohnung. Als ihre Pläne langsam konkreter wurden und sie sogar ein großes Haus fanden, merkten Beide, dass es so nicht weiter gehen konnte. Nach fast zwei Jahren zog Angela schließlich mit ihrer Tochter aus und sie mussten sich an ein neues Leben gewöhnen. So musste Angela fortan für Jodie Mutter und Vater sein, konnte aber immer mit der Unterstützung des FBIs rechnen, besonders dann wenn sie arbeiten musste und keiner nach der Schule auf Jodie aufpassen konnte. Da das FBI annahm, dass auch Jodie und ihre Mutter zum Ziel der Organisation werden würden, stellten sie diese unter Beobachtung. Sämtliche Klassenkameraden von Jodie, deren Eltern, die Lehrer und andere Schüler wurden genauestens unter die Lupe genommen. Zusätzlich wurden die Kollegen von Angela im Krankenhaus überprüft. Glücklicherweise konnte kein Zusammenhang zur Organisation gefunden werden. Bereits früh hatte James dafür gesorgt, dass Jodie die Möglichkeit bekam die besten Schulen zu besuchen und eine gute Ausbildung zu erhalten. Er stand ihr immer zur Seite und manchmal unterstützte er sie sogar dann, wenn sie bestimmte Dinge von ihrer Mutter wollte. Mit der Zeit wurde James so eine Art Ersatzvater für sie und Jodie war ihm für seine Hilfe dankbar. Hätte er sich nicht so oft für sie eingesetzt, wäre ihr Leben vielleicht anders verlaufen. Doch dann hatte sich einiges verändert. Durch einen Zufall fand Jodie die Wahrheit über den Tod ihres Vaters heraus. Seit sie wusste, dass er ermordet wurde, hatte sie oft nach seinem Mörder gefragt. Als sie schließlich erfuhr, dass dieser immer noch frei herumlief, hatte sie sich geschworen in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und seinen Mörder zu fangen. Es gab sogar Tage an denen sie bei James im Büro stand und die Wahrheit verlangte. Manchmal besuchte sie ihn sogar zu Hause und versuchte in seinem Arbeitszimmer an Unterlagen oder Hinweise zu gelangen. Doch es endete immer auf die gleiche Art und Weise: James schwieg und sie konnte niedergeschlagen wieder nach Hause fahren. Als ihre Mutter von ihrem Berufswunsch erfuhr, hatte James ihr zur Seite gestanden und die positiven Aspekte aufgezählt. Letzten Endes musste sich Angela damit arrangieren – fürs erste, denn die Ausbildung zum FBI Agenten war hart und erforderte eine jahrelange Vorbereitung. Nicht jeder war dafür geschaffen und es wurde noch oft ausgesiebt. Allerdings wurde Jodie von James und den ehemaligen Kollegen ihres Vaters unterstützt und als schließlich die Zusage für die Ausbildung in Quantico kam, war ihre Mutter am Boden zerstört. Als Jodie die Stelle in der Niederlassung in New York bekam, wurde es sogar schlimmer. Auf einmal sah sie ihre kleine Tochter in Gefahr schweben. Und auch wenn Jodie und James sich lange mit ihr zusammensetzten, hatte Angela weiterhin Angst um ihre Tochter. Dennoch wusste sie, dass sie Jodie nicht immer beschützen konnte und dass das Mädchen ihre eigenen Erfahrungen sammeln musste. Wäre es doch nur wirklich so einfach gewesen. Während ihrer Schulzeit war Jodie immer das Mädchen mit dem toten Vater und während der Ausbildung in Quantico war sie die Tochter des toten Agenten. Jedes Mal wurde sie anders behandelt. Während einige sie immer nur mitleidig anblickten, waren andere von den Verdiensten ihres Vaters begeistert. Wieder andere sprachen von Vetternwirtschaft beim FBI und gingen entsprechend hart mit Jodie ins Gericht. Aber am Ende zählte nur, dass sie die Ausbildung erfolgreich absolvierte und endlich als FBI Agentin arbeiten durfte. Doch mit einem Mal kamen die gemischten Gefühle auf. Einerseits freute sie sich dort zu arbeiten, wo auch ihr Vater tätig war und irgendwann sogar sein Büro beziehen zu können. Andererseits hatte sie die Sorge, dass man sie auf ihren Namen und ihre Verbindung zum FBI reduzieren würde. Am Ende konnte sie nur abwarten und schauen, was passieren würde. Würde sie sofort Aufträge bekommen, die eine Nummer zu groß waren, würden die Kollegen immer über sie reden. Gab man ihr hingegen gar keine oder niedere Aufträge, konnte dies bedeuten, dass sie nichts konnte und ohne ihre Beziehungen zum FBI nie soweit gekommen wäre. Und auf James wollte sie sich auch nicht stützen. Nicht mehr. Eigentlich hatte sie ihn immer gemocht. Nur leider hatte er während ihrer Ausbildung in Quantico eine Beziehung mit ihrer Mutter angefangen. Zufällig erfuhr Jodie dann auch noch, dass es zwischen den Beiden bereites viel früher knisterte und sie auf sie Rücksicht nahmen. Aber je länger Jodie in Quantico war, desto öfters suchte Angela die Nähe zu James. Und dann war alles anders geworden. Auch für Jodie, denn mit einem Mal stellte sie sich die Frage, ob James nur Pluspunkte bei ihr sammeln wollte oder ob er bereits die ganze Zeit an seinem Status als ihr Stiefvater arbeitete. Dennoch konnte sie es ihrer Mutter nicht verübeln, immerhin hatte sich diese all die Jahre für Jodie aufgeopfert und keinen Mann in ihr Leben gelassen. Aber warum musste es ausgerechnet James Black sein? Warum der beste Freund ihres Vaters? Und dann ging er auch noch in ihrem zu Hause ein und aus, übernachtete und wohnte dort sogar. Als wäre das nicht genug verlief die letzte Woche mehr als suspekt. Zuerst begegnete sie einem Fremden immer mal wieder, sodass nicht mehr an einen Zufall glaubte. Wäre es in Richtung Flirt gegangen, hätte sie sich geschmeichelt gefühlt, aber nicht jede Begegnung war nett verlaufen. Doch sobald sie Fragen stellen oder ihm folgen wollte, war er verschwunden. Zudem fühlte sie sich seit längerem verfolgt, hatte aber gehofft, dass es nur ein weiterer Test des FBIs war und vor ihrer Mutter und James geschwiegen. „Jodie?“ Die Angesprochene wurde aus ihren Gedanken gerissen. „Mhm? Ja?“ „Ich hab vorgeschlagen, dass dich James nachher mitnimmt.“ Jodie sah ihre Mutter skeptisch an. Was sollte sie antworten, um Angela nicht vor den Kopf zu stoßen? Denn wenn Jodie ehrlich war, wollte sie nicht mehr so viel Zeit mit James verbringen. „Ehrlich gesagt, halte ich das für keine gute Idee“, fing sie an. Als hätte er gewusst, dass sie über ihn sprachen, betrat James die Küche. „Guten Morgen“, grüßte er die beiden Frau. Auch ihm war eine gewisse Unsicherheit anzumerken, sodass er auf einen Kuss mit Angela verzichtete. „Morgen“, murmelte Jodie. „Guten Morgen“, lächelte Angela. „Würdest du Jodie nachher ins Büro mitnehmen?“ „Mom!“ Jodie seufzte. „Ich kann auch alleine fragen. Und außerdem müssen die anderen Agenten doch nicht wissen, welche Beziehung ich zu James hab. Es reicht doch schon, wenn ich andauernd als Agent Starlings Tochter bezeichnet werde. Wenn die anderen jetzt noch denken, dass ich eine Extrabehandlung bekomme, kann ich den Dienst gleich quittieren. Außerdem muss ich eh früher los.“ James beobachtete Jodie nachdenklich. „Ich kann deine Sorge gut verstehen. Es gibt im Büro tatsächlich viele, die schon gespannt auf dich sind.“ „Das mein ich…“, entgegnete Jodie leise. „Es gibt sicher genug, die viel von mir erwarten und andere, die darauf warten, dass ich versage. Das macht mir alles natürlich keinen Druck“, spottete sie. „So schlimm wird es schon nicht sein“, warf Angela ein. Jodie zuckte mit den Schultern. „Und James? Bitte behandel mich im Büro wie jeden Anderen auch. Ich bin neu und wenn ich Fehler mache, möchte ich, dass du auch entsprechend reagierst und mich nicht in Schutz nimmst. Ist das in Ordnung?“ „Natürlich“, nickte der Ältere. „Ich werde dich nicht schonen.“ „James!“ „Mom!“ James sah seine Freundin an. „Ich weiß, dass du besorgt bist, aber Jodie hat Recht. Wenn ich sie anders behandel, wird sie es noch schwerer haben.“ Angela seufzte. „Ihr habt ja recht…“, murmelte sie. „Ich mach mir aber trotzdem Sorgen um sie. Ihr Vater…“ „Das musst du nicht“, entgegnete James. „Jodie ist neu und wird nicht gleich am ersten Tag einen Auftrag bekommen, der sie in die Bredouille bringt. Außerdem kriegt sie einen Agenten als Mentor zur Seite gestellt.“ „Hast du gehört, Mom? Ich kriege einen Aufpasser.“ Jodie warf einen Blick auf die Uhr. „Und jetzt muss ich los. Die Neulinge bekommen noch eine Einführung, ehe es losgeht. Ich erzähl heute Abend wie es gewesen war“, fügte sie hinzu und ging aus der Küche. Im Flur zog sich Jodie ihre Jacke und Schuhe an und verließ das Haus. Mit gemischten Gefühlen machte sich die junge Agentin auf den Weg zu ihrer neuen Arbeitsstelle und fragte sich, was die Zukunft für sie bereit hielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)