Wortschatz von Norrsken (Nur ein Wort) ================================================================================ Affäre ------ Als sie ihm an der Kreuzung gegenüber stand, hatte Max schon nicht an einen Zufall geglaubt und fragte sich, was Mariam nach New York führte. Unbewusst war seine Hand in die Jackentasche geglitten, um Draciel festzuhalten. Ihr Lächeln war zaghaft, als er vor ihr stand. Ganz anders als in seiner Erinnerung. Sie war auch nicht mehr größer als er, sondern knapp eine Handbreit kleiner. Nur ihre Augen leuchteten noch immer in diesem meergrün und luden dazu ein, in ihnen zu versinken. Im Café fragte er nicht nach ihren Hintergründen, aber nach dem Hotel, in dem sie unterkam und ob sie ihn ein weiteres Mal treffen mochte. Die Einladung zu ihm nach Hause kam spontan über seine Lippen, ohne lange nachzudenken. Er genoss die Freiheit einer eigenen Wohnung, doch immer wieder ertappte er sich mit dem Wunsch nach einem Zusammenleben. Mit Mariam war es wundervoll. Sie neckte ihn gern, weil er ihr Essen zu scharf fand, und beeindruckte alle in den Ethik- und Literaturseminaren mit ihrer Eloquenz. Die Blicke seiner Kommilitonen machten ihm wenig aus. „Ich bin sehr glücklich dank dir.“ Max lächelte versonnen. Mariam sah ihn aus großen Augen an und ein zarter Roséton stahl sich auf ihre Wangen. Ihre Antwort war ein Kuss, der ihn auf Höhenflug schickte. Es wurde nie ausgesprochen, doch wenn sie sich küssten und miteinander schliefen, war Max sich ihrer Gefühle sicher. Ihr Glück hielt vier Monate an. „Ich muss gehen.“ Ihre Stimme war fest, ihre Worte endgültig. „Warum?“ Es fiel ihm schwer zu begreifen, weshalb sie ihre unausgesprochene Beziehung plötzlich beenden wollte. „Ich habe Verpflichtungen und bin jetzt lange genug davor weggelaufen.“ Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen und erschwerte ihm das Atmen. „Wieso jetzt?“ Mariam senkte den Blick und schloss die Augen. „Sonst schaffe ich es nicht mehr, dich hinter mir zu lassen.“ Beschützerinstinkt ------------------ Nach der Einweisung gewährte man den Teams eineinhalb Stunden zur persönlichen Vorbereitung. Anschließend sollten die Paarungen für die Vorrunden der europäischen Beyblade Meisterschaft gelost werden. Während Sergeij zur mentalen Vorbereitung die Einzelteile seines Beyblades ein letztes Mal inspizierte, ließ Yuriy sich von Boris dazu überreden, das Stadion zu besichtigen. Im Backstage konnten sie sich frei bewegen, doch sobald sie den öffentlich zugänglichen Bereich des Parc des Princes erreichten, herrschten in den Gängen und Vorhallen dichtes Gedränge und ein stetiges Stimmengewirr. Der Zuschauerandrang stand einer Weltmeisterschaft in nichts nach. Viele Menschen an denen sie vorbeikamen, warfen ihnen mal mehr mal weniger verstohlene Blicke zu. Als Mannschaft, die in der Weltrangliste den Vizeweltmeistertitel innehatte, kannten Liebhaber es Sportes ihre Gesichter gut. Trotzdem kam es nur in seltenen Fällen dazu, dass sie außerhalb eines Pressetermins angesprochen wurden. Andere hatten weniger Glück. „Sieh mal“, sagte Boris und nickte in Richtung einer Menschentraube. Yuriy erschloss sich nicht, was ihn daran interessieren sollte, bis ihm die kleine Person ins Auge fiel, um die sich die Menschen scharrten. Mathilda gehörte zu den ehemaligen Barthez Soilders und war mit ihrer Größe und stillen Art zwischen anderen Spielern unscheinbar. Yuriy war sie im Gedächtnis geblieben, denn als sie sich das erste Mal begegnet waren, hatte ihn die Farbe ihrer Augen an den Himbeersee erinnert. Boris‘ Stimme holte ihn aus seinen Gedanken. „Sie kann einem leidtun.“ Allerdings. Wer immer die Leute um sie herum waren, ihnen fehlte offenkundig Situationsgespür. Ohne ein Wort der Erklärung ging Yuriy zu der Menschentraube und schob sich rücksichtslos hindurch zu Mathilda. Verblüfft blinzelte sie zu ihm auf, doch bevor sie ihn etwas fragen konnte, legte er ihr eine Hand auf den Rücken und dirigierte sie aus der Menge zu seinem Teamkollegen. Den Gaffern warf er einen vernichtenden Blick zu, sodass es keiner wagte zu protestieren. Charme ------ Max winkte den Mädchen zum Abschied und schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln, bevor er sich schließlich von ihnen abwandte. Mit federnden Schritten ging er zurück zu seinem Kumpel Rick. „Tut mir leid, dass ich uns aufgehalten habe“, sagte er immer noch lächelnd. Ricks Augenbrauen waren tief in die Stirn gezogen. Andere mieden seine Gegenwart, wenn er so dreinblickte, aber Max kannte ihn besser. „Du bist hier ganz schön angesagt“, brummte der Hüne und sah den drei Mädchen nach, die sie angehalten hatten, um mit Max ein Foto zu machen. „Verrückt, oder? Dabei gehöre ich doch längst nicht mehr zu den Weltmeistern.“ Max zuckte mit den Schultern und gluckste. Rick musterte ihn und hing seinen ganz eigenen Theorien nach. Sein Kumpel blinzelte mit seinen lichtblauen Augen zu ihm auf, weiterhin mit einem Lächeln auf den Lippen. Es ließ ihn mit den Augen rollen. „Du bist so naiv wie deine Augen blau.“ Seine Worte führten dazu, dass sich dünne Falten auf Max‘ Stirn bildeten. „Wieso das denn?“, fragte er und sein Lächeln wich einem Schmollmund. Sie waren inzwischen gut befreundet, sodass Ricks schroffe Kommentare weit freundlicheren Neckereien gewichen waren. Trotzdem steckte etwas hinter diesen Worten. „Die Mädels wissen sicher nicht mal, was eine Drehfassung ist.“ Max strich sich durch die Haare und neigte ratlos den Kopf zur Seite. Rick quittiertes das mit einem trockenen Lachen. „Ist besser so. Sonst verkommst du noch zu einem Frauenhelden wie Michael. Auch wenn ich dir mehr Erfolg zutraue.“ Max verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. „Das wär‘ was.“ Die Art wie er das sagte, ließ Rick aufhorchen. Mit gehobener Augenbraue fragte er: „Gibt es da eine Vorgeschichte?“ Die lichtblauen Augen huschten unruhig umher, bis sie seinem Blick auswichen. Zaghaft hob er die Schultern und wandte sich zum Gehen. „Ich bin doch eher der Typ Teddybär.“ Dominanz -------- Es kam für ihn völlig unerwartet, wie eigentlich jedes Mal. Boris hatte sich aus der Küche etwas zu trinken holen wollen, als er beinahe in Yuriy hineinstolperte, der knapp hinter ihm durch die Tür gekommen war. Als er einen Schritt zurücktat, spannte sein Shirt. Die kurze Distanz wurde von Yuriy überbrückt und Boris fühlte kalte Lippen. Sie waren immer kühl, aber hinterließen in seinem Magen ein warmes Brodeln. Das Klicken seiner Gürtelschnalle ließ ihn unwillkürlich in den Kuss grinsen. Ein leichter Schmerz stach in seine Unterlippe, doch die Vorfreude war ihm nicht aus dem Gesicht zu wischen. Als er diesen Dienstag wie gewohnt zu Besuch kam, hatte er mit dem üblichen Abend auf dem Sofa gerechnet, bei dem er fernsah und Yuriy ein Buch las. Dass sie nach dem Abendessen seinen Nachbarn halfen, schwere Pakete die Treppen hinaufzuschleppen, war bereits eine Abweichung von ihren Gewohnheiten. Nun wurde er am Schlüsselbein zurück in die Polster des Sofas gedrückt. Boris sah zu ihm auf in die eisblauen Augen, die ihn taxierten wie ein Raubtier. Als Yuriy sich rittlings auf seinen Schoß bequemte, schwebten seine Hände über der blassen Haut seiner Oberschenkel. Wagte nicht, ihn zu berühren ohne ausdrückliche Erlaubnis. Seine Haut war noch erhitzt, trotzdem jagte ihm ein Schauer über den Rücken, als Yuriys Finger über seinen Hals zu seinem Nacken strichen. Ihm stockte der Atem und seine Kehle war trocken. Es kostete ihn enorme Selbstbeherrschung, dem Impuls Yuriy an sich zu reißen nicht zu erliegen. Er wusste, dass ihm das nicht gestattet war, und hatte es auszuhalten. Ihr zweiter Kuss war hitzig. Ihre Nähe und die freudige Erwartung auf mehr versetzten Boris in Wallungen. Yuriy lenkte seine Hände, entschied wie weit er gehen durfte, und gab das Tempo vor. Er behielt die Führung und niemand anderem würde Boris sie je überlassen. Eitelkeit --------- Wie bei einem jungen Kätzchen folgten ihre Augen neugierig dem wippenden Rattenschwanz. „Lässt du dir deine Haare nicht mehr schneiden?“, fragte Lai, der den hypnotisierten Blick seiner Schwester bemerkt hatte. Blinzelnd sah Rei zu ihm auf und neigte den Kopf. Um sein Anliegen zu veranschaulichen, deutete Lai auf seinen eigenen Nacken. „Ist lang geworden bei dir.“ Reis Blick ging zur Seite zu einem unbestimmten Punkt. „Ich finde es hübsch so“, meinte Mao mit geröteten Wangen. Daraufhin lächelt Rei sie an. „Danke. Vielleicht schaffe ich es, dass sie so lang werden wie deine.“ „Dein Haar ist schon wieder länger geworden“, bemerkte Mao mit kritischem Blick. „Ach, wirklich?“ Rei strich sich über den Hals und legte seinen Zopf über die Schulter, um ihn zu betrachten. Mao senkte den Blick und betrachtete die Spitzen ihres Pferdeschwanzes nachdenklich. „Sie sind so lang wie meine“, stellte sie fest. „Stimmt.“ Im direkten Vergleich sah Rei es auch. Er schenkte Mao ein Lächeln, das sie verlegen erwiderte. Rei stützte den Kopf in die Handfläche, während er ihr lächelnd dabei zusah, wie sie den Kamm bedacht durch sein Haar führte. Die ebenholzfarbenen Strähnen glitten wie Seide zwischen ihren Fingern hindurch und ihre Augen leuchteten wie Bernsteine. Sie bekniete ihn gelegentlich, sein Haar kämmen und flechten zu dürfen. „Wie schaffst du es nur, dass dein Haar bei der Länge so gesund bleibt?“ Er konnte aus ihrer Stimme Neid heraushören. „Ich mach eigentlich gar nichts Besonderes.“ Sie glaubte ihm, obwohl sie es besser wissen musste. Reis Haar war sehr glatt und er schätzte diese natürliche Schönheit mit besonders intensiver Pflege. Diese Sorgfalt ermöglichte es, dass sein Haar auch bei dieser Länge gesund blieb. Aufgrund seiner Fürsorge entwickelte Rei eine Ablehnung dagegen, dass andere sein Haar berührten und entschied sich daher für seine Zopffrisur. Mao zählte für ihn als große Ausnahme. Flashmob -------- Die milden Temperaturen und der Sonnenschein hatten dazu eingeladen auf der Terrasse des Cafés Platz zu nehmen. Die frische Luft und das emsige Treiben der Passanten waren eine angenehme Kulisse zu ihrem Date mit Kaffee und Kuchen, das sie immer hatten, wenn Kai von einer längeren Geschäftsreise zurück war. Hiromi und er tauschten sich fleißig über die Dinge aus, die sie sich per Mail nur grob erzählten. Nicht selten gehörte Takao mit seinen Launen zu ihren Top-Themen. „Er ist so dramatisch wie eine ganze Oper!“, schloss Hiromi erbarmungslos und kaute auf dem Strohhalm ihres Frappuccinos. „Als würde nur er dich vermissen.“ Es war kein Vorwurf und Kai verstand den Hinweis. Ein Grinsen zog an seinem Mundwinkel. Wenn Takao ihn vermisste, könnte er mal auf seine Nachrichten reagieren, statt seinem Frust im Streit mit Hiromi Luft zu machen. Von einer nahegelegenen Standuhr ertönte eine Melodie zur vollen Stunde. Aus dem Augenwinkel beobachtete Kai wie ein Passant ohne ersichtlichen Grund in seiner Bewegung erstarrte. Als es mehr wurden, erregte es auch Hiromis Aufmerksamkeit und beide beobachteten das Geschehen mit Neugier. Schließlich schallte ein Popsong über den Platz hinweg und löste die Starre der Leute, die daraufhin zu tanzen anfingen. In Kais Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus und er musterte jeden weiteren Tänzer, der hinzukam. Als der Song sich dem Ende neigte, wähnte er sich in Sicherheit, doch wurde eines besseren belehrt. Takao sprang aus dem Nichts in die Gruppe und ließ keinen Zweifel daran, dass diese Show ihnen galt. Unter Applaus trat er an den Tisch heran – in jeder Hand einen Blumenstrauß – und hatte dieses entwaffnende Lächeln auf den Lippen. Er übergab die Blumen an Kai und Hiromi. Das war seine ganz persönliche und peinliche Art um sich ihnen mitzuteilen. Takao Kinomiya machte in der Liebe niemals halbe Sachen. Gefallen -------- Sirrend löste sich der Beyblade vom Starter und setzte auf ebenen Boden auf. Es folgte ein Zweiter und sie umrundeten sich einige Male friedlich. „Gut, jetzt versuch, mir zu folgen.“ Mit Schwung schoss der erste Kreisel das Geländer der Fußgängerbrücke hinauf, trotzte der Schwerkraft und landete mit einem Salto am oberen Treppenende. „Als ob!“, keuchte Hiromi und starrte fassungslos auf den Beyblade. „Das schaffe ich niemals.“ Kane schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln. „Ich würde es nicht verlangen, wenn ich nicht sicher wäre, dass es dir gelingt.“ Mit gerunzelter Stirn sah Hiromi ihn an, dann zu ihrem Beyblade und dem Treppengeländer. Sie schnaubte inbrünstig, bevor sie es wagte, das Manöver nachzuahmen. Es gelang ihr, den Kreisel das Geländer hinauf zu führen, doch fehlte ihr die Balance und ihr Beyblade schlingerte über das schmale Metall. Sie kniff ihre Augen zusammen und der Kreisel fiel. Bevor er zu Boden ging, stieß sich Kanes Beyblade von der Treppe ab und kollidierte mit seinem Kontrahenten. Kane fing beide aus der Luft und wandte sich Hiromi zu. „Du darfst nicht wegschauen.“ Er gab das Stück an seine Besitzerin zurück. „Ohne dich kann er es nicht schaffen.“ Reuevoll senkte sie den Blick. Kane spürte seine Mundwinkel zucken. „Machen wir für heute Schluss.“ Die Anspannung löste sich von ihren Schultern und sie atmete hörbar auf. Zaghaft lächelte sie ihm entgegen. „Danke, Kane.“ Er lachte. „Dass ich aufhöre, dich zu quälen?“ „Quatsch!“, protestierte sie und strich sich eine verirrte Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Dafür, dass du mit mir übst.“ Ihr Blick ging zur Seite und die Hand schloss sich fest um den Beyblade. Kane biss sich auf die Wange, um ein Grinsen zu unterdrücken. Seine Hände schob er in die Hosentaschen und hob lässig die Schultern. „Das mache ich wirklich gerne.“ Er genoss die gemeinsame Zeit mit Hiromi sehr. Haushalt -------- Sergeij strich sich durch sein struppiges blondes Haar, das von der kurzen Nacht ganz zerzaust in alle Richtungen abstand. Durch die offenen Fenster drang das Gezwitscher der Vögel, die von den ersten Sonnenstrahlen, welche schüchtern über die umliegende Gebirgskette blickten, geweckt wurden. Es war so früh, dass die gesamte Unterkunft in Grabesstille dalag. Nur aus vereinzelten Schlafsälen drang ein verschlafenes Schmatzen oder Schnarchen, das die Illusion der Einsamkeit durchbrach. Da konnte er einmal länger schlafen und stand doch zur gewohnten Zeit auf. Wie zum Protest über diese Routine überkam Sergeij ein herzhaftes Gähnen. Um den inneren Unmut zu besänftigen, steuerte er die Küche an und wurde im Erdgeschoss angekommen damit überrascht, dass dort bereits Licht brannte. Später würde niemand von seinem heldenhaften Timing erfahren, als er die Küche betrat und Mao augenblicklich in der Bewegung innehielt. Verschlafene Blicke wurden ausgetauscht. „Was machst du da?“ Mao hielt eine Packung losen Oolong-Tee in den Händen. „Ich wollte mir einen Tee machen.“ „Das ist aber eine Kaffeemaschine. Die kann keinen Tee zubereiten.“ „Oh.“ Passend zu ihren Haaren nahmen ihre Wangen eine rötliche Färbung an. Unschlüssig blieb sie mit ihrer Packung Tee vor der Kaffeemaschine stehen, bis Sergeij an ihre Seite trat und den Wasserkocher auffüllte. „Setz dich. Ich wollte mir auch gerade Tee machen.“ Mao folgte der Aufforderung und nahm am Küchentisch Platz. Ihre bernsteinfarbenen Augen folgten jeder seiner Bewegungen. Die einzigen Worte, die gewechselt wurden, handelten von Zucker. Schlussendlich saßen Sergeij und Mao jeder mit einer warmen Tasse Tee in der Hand am Küchentisch. Als die müden Glieder langsam munter wurden, stand Sergeij wieder auf, befüllte die Kaffeemaschine und inspizierte das Inventar von Kühlschrank und Schränken. „Was hast du vor?“, fragte Mao. „Frühstück vorbereiten.“ In weiser Voraussicht. „Soll ich dir helfen?“ Sergeij überdachte seine Antwort genau. „Würdest du den Tisch decken?“ Idol ---- Mit gerunzelter Stirn betrachtete Takao das schmale Paket, das in der Post lag. Er ging zurück ins Haus und rief nach seinem Mitbewohner. „Daichi! Hier ist schon wieder eins für dich!“ Ein roter Haarschopf lugte aus der Küche heraus. „Ich habe nichts bestellt.“ Takao rollte die Augen, da sie diese Unterhaltung in den letzten Tagen mehrmals geführt hatten. Mit Schwung drückte er das Paket gegen Daichis Brust. „Es ist an dich adressiert.“ Damit interessierte es ihn nicht mehr. Daichi ließ ein entrüstetes Schnauben hören. Auch wenn der Inhalt fest verpackt war, ahnte er, was sich in dem Paket befand. Es war die letzten Male immer das gleiche – CDs. Immer die Gleiche. Er hatte inzwischen ein Dutzend Exemplare von einer CD. Es war Wahnsinn! Mit voranschreitender Tageszeit fiel es Ming Ming immer schwerer, das Lächeln zu wahren. Inzwischen glaubte sie, einen Krampf in den Wangen zu spüren. Aber es gehörte zu ihrem Job. Ihre Fans hatten für dieses Meet and Greet mit ihr gezahlt und sie damit unterstützt, sodass sie weiterhin von ihrer Leidenschaft leben konnte. Darum wollte sie ihnen etwas zurückgeben, und wenn es nur ein Händeschütteln und Lächeln war. Lächelnd verabschiedete sie ihren Fan, da stand schon der Nächste vor ihr. Für sein Ticket, das er mit dem Erwerb einer CD erhielt, hatte er fünf Minuten mit Ming Ming. Es reichte für ein Dankeschön, die Übergabe eines Geschenks und ein Foto. Dann kam wieder der Nächste zu ihr. Manchmal kam sie sich wie bei der Fließbandarbeit vor. Sie unterdrückte ein Seufzen nach der Verabschiedung des nächsten Fans, als ihr ein allzu bekannter roter Haarschopf ins Auge stach. Die Müdigkeit fiel von ihren Schultern und ihr Lächeln wurde strahlender. Sie war sich nicht sicher, ob sein grimmiger Gesichtsausdruck Ärger oder Verlegenheit bedeutete, aber es war ihr gleich. Daichi war da. Junggeselle ----------- Sie zogen auf diesem abendlichen Streifzug durch die engen Gassen von Moskau. Ihre Beine trugen sie schleppend voran, ließen sie vereinzelt wanken und straucheln. Als Ursache dafür war der massive Alkoholkonsum zu benennen, zu dem sich jeder von ihnen zu Beginn des Abends verpflichtet hatte. Der eine erfüllte seine Pflichtschuldigkeit dabei gewissenhafter als andere. Kais Blick ruhte auf Boris vor ihm, der fast schon im Slalom die Straße entlang lief und der Einzige war, der wusste, wohin es überhaupt ging. Er blinzelte, um die Sicht scharf zu stellen, und schnalzte mit der trockenen Zunge. „Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg?“ „Na, aber sicher!“, bestätigte Boris inbrünstig. Kai warf Yuriy einen skeptischen Blick zu, den dieser gelassen erwiderte. Zumindest nach außen hin erzeugte er diese Wirkung. Ivan zu seiner Rechten ließ ein undefinierbares Geräusch verlauten. Schließlich blieb Boris vor einer Lokaltüre mit schrillen Neonlettern und Reklame stehen. Mehrere Paar Augenbrauen hoben sich empor. „Ein Strip-Club?“, stellte Kai unnötigerweise fest, obwohl alle Anwesenden des Lesens mächtig waren. Yuriy war schon dabei auf dem Absatz kehrtzumachen, als Boris ihm kameradschaftlich den Arm um die Schultern legte und ein besonders breites Grinsen auflegte. Seine Worte richtete er an Kai, auch wenn sie allen galten. „Das gehört dazu. Serjogas letzte Tage in Freiheit müssen denkwürdig bleiben.“ Kai blickte rauf zu dem Hünen und wollte ihm nonverbal einen Vorwurf hierfür mitteilen, doch wie er an dessen Miene ablesen konnte, hatte er sich seinem Schicksal bereits ergeben. Er trug die Verantwortung dafür, Boris freie Hand zu lassen, auf seinen Schultern. Mit einem Schnauben gab er seine Meinung dazu kund. „Dafür habe ich definitiv nicht genug getrunken.“ Kollegial klopfte Ivan ihm auf den Rücken und grinste spitzbübisch. „Daran können wir was ändern.“ Nicht ganz ohne Widerstand ließen sich Kai und Yuriy in das Lokal dirigieren. Karaoke ------- Rei reichte die nächste Runde Getränke um den Tisch an seine Freunde weiter, während aus den Boxen ein ikonischer Song anstimmte, der Hiromi ihren Einsatz gab das Mikro zu greifen und aufzustehen. Dem himmlischen Chor folgte schnell eine Popmelodie, die ins Ohr ging. Daichi trat sein Glas Calpis an Max ab, der einen großzügigen Schluck nahm, um dem trockenen Mund und seinen strapazierten Stimmbändern Linderung zu verschaffen. Nach der stotterfreien Interpretation von Shining Collection brachten ihm seine Freunde ganz neuen Respekt entgegen, den er mit einem süffisanten Grinsen quittierte. „Plötzlich lässt du den Wind in deinem Herzen weh’n, und so wurde ein Junge zur Legende!“ Hiromi erhielt gebührenden Applaus und sie ließ sich zufrieden zurück in die Sitzecke fallen. Sie bediente sich für den schnellen Durst an Takaos Soda und wollte anschließend ihren Milk Tea genießen, doch eine lange Pause war ihr nicht gegönnt, als bereits der nächste Song für alle erkennbar auf dem Monitor aufleuchtete. „Oh nein“, stöhnte Kai. „Oh ja!“, grölte Takao und hatte Max gleich auf seiner Seite. „Dafür habe ich nicht genug getrunken“, erklärte Kai schnaubend und sah frustriert auf sein Melon Soda. Für gewöhnlich wurde dieser Tradition erst später am Abend gefrönt, doch als klar war, dass die Alternative ein ehrfürchtig schiefes Kira Kira Revolution von Manabu sein würde, ergab er sich dem Willen des Pöbels. Enthusiastisch griffen Max und Takao zu den Mikros. „Crush Alright! Crush on Hippy! Crush Gear Ride!“, stimmten sie gemeinsam an. So wenig sie die Zeilen verstehen mochten, die Inbrunst mit der sie sangen, ließ keinen Zweifel an den tiefen Gefühlen, die sie mit diesem Lied verbanden. „Ab in die Träume von morgen, lass‘ uns fliegen! Grenzenlose Energie!“ Mit der absoluten Gewissheit, nicht enttäuscht zu werden, richtete Takao das Mikro zu seinen Freunden, die ihm einstimmig entgegen grölten: „READY? GO!“ Licht ----- Die Bedienung brachte Claude gerade seinen Kaffee, als er von seinem Sitzplatz aus Olivier die Straße entlanggehen sah. Er hatte nicht nach en Ausschau gehalten, da sie verabredet waren und Olivier grundsätzlich pünktlich zu Terminen erschien. En fiel in enes Erscheinung sofort auf, ohne dabei aufdringlich zu sein. Stattdessen schien es wie natürlich, dass sich sämtliche Blicke wie Magnete an en hefteten. Als Olivier das Café erreichte, machte Claude mit einer einfachen Handbewegung auf sich aufmerksam und lotste en so zu sich an den Tisch. Er stand von seinem Stuhl auf und beugte sich en entgegen, um en zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Olivier schenkte ihm ein Lächeln, bevor en sich neben ihn an den Tisch setzte und elegant die Beine überschlug. „Was hast du schönes für mich?“, eröffnete en ihre Unterhaltung ohne Umschweife. Vielen war diese Direktheit unangenehm, doch Claude hatte sie in der Zeit, die sie sich nun kannte, zu schätzen gelernt. In Momenten, in denen er festgefahren war, hatte ihn Oliviers ungeschminkte Art einige Male auf Spur gebracht. Claude griff in seine Tasche, um die Mappe für Olivier hervorzuholen und en zu überreichen. „Ich hab von unserem letzten Shooting einige Abzüge für dich drucken lassen.“ Sein Gegenüber hob die geschwungenen Augenbrauen und betrachtete den Inhalt mit Neugier. „Die sind wunderschön geworden“, bemerkte Olivier. En sah auf und musterte Claude aus enes marmorgrauen Augen heraus. „Warum hast du dich für genau diese Bilder entschieden?“ Claude stützte den Kopf auf seine Hand, verbarg so sein verlegenes Lächeln und senkte den Blick auf die Bilder. Die Auswahl war ihm nicht schwergefallen. Zwar war Olivier unumstritten fotogen, sodass jedes Bild wenig Bearbeitung von ihm benötigte, aber nur ein paar Fotos hatten dieses besondere Strahlen von Olivier eingefangen, das ihn in Atem hielt. „Die Beleuchtung ist atemberaubend schön.“ malen ----- Ein Kribbeln wanderte seine Wirbelsäule hinauf, sodass sich ihm die hellen Haare im Nacken aufstellten. Schlanke Finger strichen weiter über seine Schulterblätter, zogen Linien, bildeten Formen und hinterließen für einen Augenblick ein kühles Gefühl. Ein tiefer Atemzug ins Kissen umhüllte ihn mit dem Duft von Kamille. Schwerfällig öffnete er die müden Augenlider und erkannte gleich Mariams schöne Gestalt. Sie saß still auf der Bettkante und behielt den Blick auf seinen Rücken fokussiert, während ihre Lippen ein verspieltes Lächeln zierte. Unwillkürlich ließ es Max auch lächeln. Mit einem ausgiebigen Gähnen streckte er seine Glieder. Mariam hielt augenblicklich in ihrem Tun inne und betrachtete das Gesicht ihres Freundes. Ihre Stirn zog sich in Falten. „Bist du schon lange auf?“, erkundigte er sich, stützte sich auf seine Arme und sah zu ihr auf. „Der Kaffee könnte noch warm sein“, erwiderte sie und ließ ihren Blick immerzu zu seinem Rücken schweifen. Schwach nickte er über diese Information, fuhr mit der Hand durch sein verwirbeltes Haar und richtete sich auf. Sie zog ihn sacht am Arm und er spürte ein Prickeln im Bauch. Sein Blick lag auf ihren schönen Lippen. Mariam strich sanft mit den Fingern über seine Wange und hauchte einen Kuss auf seinen Mundwinkel, bevor sie von der Bettkante aufstand und zur Küchenzeile ging. Mit ihren meergrünen Augen besah sie sich sein verschlafenes Gesicht und kräuselte die Lippen. Max war nicht zu Genüge wach, um diese Geste zu verstehen, also hob er den Kaffee in der Priorität an und folgte seiner Freundin in die Küche. Er rieb sich noch den Schlaf aus den Augen, als er am Wandspiegel vorbeilief und einen Blick auf sich selbst erhaschte. Mit einem Blinzeln bemühte er sich, seine Sicht zu schärfen. „Warum habe ich Farbe im Gesicht?“, fragte er verwundert. „Nicht nur im Gesicht“, erwiderte Mariam schelmisch. „Wie?“ Nagetier -------- Dankend nahm Sergeij die Tasse entgegen und sog einen tiefen Atemzug von aromatischen Schwarztee auf. Durch die Arbeit war er an Kaffee gewöhnt, doch bei Yuriy kam er gerne auf eine Tasse Tee zurück. Nicht zuletzt sein alter Teamkapitän für einen Kameraden stets den Samowar anwarf. Es wurde seltener, dass sie sich in Ruhe zu einem Tee trafen. Der graue Alltag hatte beide fest mit Arbeit und Haushalt im Griff – dazwischen gab es einzelne bunten Farbtupfer. Die Zeit mit den besonderen Menschen. Darum war gemeinsame Zeit wertvoll, selbst wenn sie dabei nicht immer viel erzählten. Über die Jahre war Yuriy gesprächiger, jedoch nie wirklich redselig geworden. Dieser Tag war einer der Stilleren. Wie Sergeij über Boris wusste, stand im Betrieb der Jahresabschluss bevor und zog daraus seine Schlüsse. Er kannte es nicht anders, als das Yuriy für solcherlei Dinge in eine meditative Ruhe fiel, um dann in Höchstform aufzusteigen und in chirurgischer Präzision abzuliefern. Manchmal fürchtete Sergeij, dass Yuriy irgendwann einmal spontan in Flammen aufging, weil er sich an derlei Dinge ausbrannte. Als er sich die Worte gedanklich zurechtlegte, um seine Sorge auszudrücken, ohne Yuriys Stolz herauszufordern, erklang ein Kratzen auf Holz. Ihm stellten sich die Haare an den Armen auf und er blickte irritiert umher, beim Versuch, den Ursprung zu orten. „Das ist Blin“, erklärte Yuriy. Mit gerunzelter Stirn sah Sergeij ihn an. Er war bisher der Annahme, die Farbratten schliefen im Käfig, wenn sie ihren Menschen nicht als Kletterturm und Kuschelort nutzten. „Blin ist ausgebrochen und versteckt sich geschickt hinter den schweren Schränken, hinter die ich nicht schnell genug herankomme.“ Yuriys Blick fixierte die untere Kante des Schranks unter der ein Schatten entlang huschte. Vielleicht hatte sich Sergeij geirrt. Womöglich lag Yuriy derzeit einfach wie ein Raubtier auf der Lauer, statt sich um irgendwelcher Dinge Gedanken zu machen. Ortszeit -------- Seine Stimme war rau und warm. Der Bass verlor sich über das Telefon im Genuschel, aber Raul hatte es gut in Erinnerung. Seine Ohren glühten, während sich sein Brustkorb zu klein für die schwellende Sehnsucht in seinem Herzen anfühlte. „Alles in Ordnung?“ Raul vergaß, dass Lai ihn nicht sah und nickte, dann erinnerte er sich. „Ja“, erwiderte er und setzte verlegen hinzu, „ich wollte dir guten Morgen sagen.“ Aber wäre er ehrlich, dann ging es darum, dass er sich ungewohnt einsam fühlte. Er hörte ein Brummen, das missgelaunt klingen mochte, aber Raul erkannte die Untertöne. Es lag Wohlwollen in diesem Laut und beinahe wäre es aus ihm ausgebrochen. Ich vermisse dich. Stattdessen schwiegen sie verhalten. „Ist etwas passiert?“ „Nein.“ Raul wollte die Sorge von Lai zerstreuen, doch verfiel erneut ins Schweigen. Irgendwie hatte er nichts zu erzählen. „Wie läuft euer Training?“, präzisierte Lai, und diese triviale Frage löste endlich Rauls Zunge. Sie telefonierten eine volle Stunde und brauchten eine weitere Viertelstunde, bis sie auflegten. Mit glühendem Herzen und einem Lächeln verabschiedete sich Raul und wünschte Lai einen schönen Tag. Das Anruffenster schloss sich und sah auf seinen Sperrbildschirm. Es war halb neun abends in Madrid. Es traf ihn wie ein Blitzschlag und alles in seiner Brust zog sich vor Schreck zusammen. Schnell entsperrte er das mobile Telefon und öffnete ihren letzten privaten Chat. ¡Ich hab dich geweckt, perdón! Schmerzende Sekunden wartete er auf die Antwort. Stimmt. Rauls Herz setzte aus. Während er eilig eine ausschweifende Entschuldigung tippte, übersah er fast die folgende Nachricht von Lai. Es wäre schön, jeden Tag mit dir an meiner Seite aufzuwachen. Dann war die Nachricht gelöscht. Kein Ding. War schön deine Stimme zu hören. Raul spürte ein Brennen im Hals. Vielleicht schickte er Lai morgen eine Sprachnachricht vor dem Schlafengehen. Am besten jeden Tag bis- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)