Break to Breathe von _Scatach_ ================================================================================ Kapitel 42: That's why ---------------------- Rauch hing dicht und schwer über Hanegakure; es waren Wirbel aus Grau und Schwarz, die der Wind aus dem Aviarium trieb und über dem Dorf ausbreitete. Ein Schleier aus Asche und Hitze, Staub und Dunkelheit.    Shikamaru schnitt durch ihn hindurch, die Augen gegen den Smog zusammengezogen.    Über dem Rauch erscholl ein schriller Schrei, der so scharf war wie ein Shuriken.    Er sah nicht auf.    Seine Miene war Stahl und sein Verstand starr auf ein einziges Ziel gerichtet. Und seine Beine bewegten sich mit einer Leichtfüßigkeit, die ihn schockiert hätte, wenn er sich der Distanz bewusst gewesen wäre, die er innerhalb weniger Minuten überbrückte. Er rannte, ohne wirklich zu laufen, ohne bewusst einen einzigen Schritt zu lenken.    Bitte…   Adrenalin und pure Angst stießen seinen Sprung bis hinauf auf eine höhere Brücke und er fand Halt, ohne Chakra in seine Füße lenken zu müssen. Er schoss über die nächste Kreuzung und erklomm Hanegakures spiralförmige Ebenen.   Er bewegte sich wie die Hirsche, um die sich sein Clan kümmerte; mit einer Schnelligkeit und Agilität, die ihm in der Regel dann von Nutzen waren, wenn seine Stärke hinter seine Geschwindigkeit fiel. Doch jetzt hatte er das Gefühl, dass seine Geschwindigkeit irgendwie auf der Strecke blieb.    Bitte…   Vor Neji war der instinktive Auslöser seiner Läufe stets die Flucht gewesen. Doch mit Neji, hatte sich dieser Instinkt in etwas vollkommen anderes verwandelt. Dieses Mal wurde der Drang zu rennen nicht von Selbsterhaltung getrieben oder dem Befehl, eine Aufgabe zu erledigen.    Es war der Drang zu beschützen…wenn er es rechtzeitig schaffen sollte.      Er presste kurz und heftig die Augen zusammen und ließ sie gleich darauf wieder auffliegen.    Sie brannten; wild und panisch mit der kalten Angst in ihm.    Götter…bitte…!   oOo   Sie sang.    Der Klang hallte hinein in Nejis Verstand und wieder hinaus wie sich kräuselnde Wellen, die gegen seine Trommelfelle schlugen. Das Fieber hatte inzwischen mit voller Wucht eingesetzt und die irritierenden Wogen des Deliriums machten es schwerer und schwerer, festzustellen, was real, eingebildet oder einfach nur eine Erinnerung war.    Es trieb ihn in den Wahnsinn…und er konnte es nicht bekämpfen oder sich bewegen, um davor wegzurennen.    Wegrennen…?   ‚Hey, das ist mein Part, nur dass du das weißt! Und jetzt schau mich an, total verantwortungsbewusst und der ganze Schmarrn, also pass auf, dass du damit nicht auf die Schnauze fällst.‘   Shikamaru…   Die Worte drangen so klar durch das Delirium; viel klarer als die seltsam heiseren Töne von Kitoris Singsang…Tränen machten ihre Stimme rau…verliehen ihr eine rauchige Qualität…   Rauch…   Er war sich sicher, dass er ihn riechen konnte. Und dann der Geschmack von Rauch, der zu ihm zurück kam; nicht eingebildet, sondern mit jeder Faser eine Erinnerung…nährte seine Lippen…   ‚Neji…atme…‘   Das Streichen kalten Stahls über seinem Bauch zerrte ihn ruckartig zurück in die Realität.   „Ich habe meinem Mädchen immer vorgesungen.“, murmelte Kitori. „Sie hatte so eine wunderschöne Stimme…manchmal kann ich sie noch immer auf dem Wind hören. Sie ist jetzt frei.“   Neji bemühte sich so gut er konnte, seinen Fokus zu zentrieren. Wenn er sich nur ein wenig mehr aus dieser Schwärze ziehen könnte; nur genug, um auf irgendeine Weise antworten zu können, dann hätte ihm das vielleicht Zeit erkauft.   WACH AUF!   Lippen legten sich an seine Stirn und sein Hirn feuerte Blitze aus Phantomschmerzen durch seinen Körper, als würde das Fluchsiegel unter ihrem Mund zu brennen anfangen.    „Wenn du mein kleines Mädchen siehst, Hyūga, dann sag ihr, dass ich bald zu ihr kommen werde…“   Die Erinnerung an Fukurōs Stimme übertönte die von Kitori mit einem ekelerregenden Echo.    ‚Erinnere dich an meinen Namen, Hyūga. Du kannst ihn meiner Tochter sagen, wenn du sie auf der anderen Seite siehst.‘   Nejis Finger zuckten und seine Lider flatterten.    Nein, nicht auf diese Weise. Nicht so.   Die Vorstellung, einfach aufzuhören zu existieren, ohne mit Zähnen und Klauen einen höllischen Kampf zu liefern, war vollkommen inakzeptabel. Dieser Gedanke war unerträglich und sein Körper, Blut und Hirn lehnten ihn mit einer Brutalität ab, die einen Tremor durch die Muskeln seines Körpers jagte. Mit einem Rucken spannten sie sich an.    Ich werde hier nicht sterben…   Kitoris Lippen wanderten erneut zu seinem Ohr. „Jetzt wird dir nur noch der Wind nachjagen.“   Den ersten kalten Biss der Klinge registrierte er kaum.    Doch das Gefühl von Blut, das seine Brust hinab lief, schon.   Aber da war viel zu viel davon – besonders bei so einer flachen Wunde. Und in seinem fiebrigen Zustand konnte er keine Erklärung dafür finden.    Das Biepen des Herzmonitors schlug heftig aus.   Langsam glitten Kitoris Finger durch sein Haar. „Ah Hyūga, bist du so begierig darauf, dieser Welt zu entfliehen, dass du derart blutest? Wünschst du dir, dass er es wäre, der dir diesen Frieden bringt? Stattdessen hat er dir ein Gefängnis gebracht, in dem du dich nicht bewegen kannst.“   Neji spürte den zweiten Schnitt der Klinge nicht, denn ein Donnern explodierte auf der anderen Seite des Raumes…oder war es nur in seinem Kopf? Wie ein Aneurysma, das in seinem Hirn detonierte. Der Schmerz rammte sich in seine Trommelfelle und vibrierte über seinen Schädel.    Vögel schrien und krachten gegen die Käfiggitter.    Kitoris schwingendes Haar strich über seine Haut.    Das Pochen von Lärm schwoll qualvoll in seinem Schädel an.    Und irgendwo in dieser verzerrten Arena seiner Sinne glaubte er, Stimmen zu hören, als er in die Schwärze glitt und wieder hinaus…hinein und hinaus aus der Realität…oder war es Existenz?   oOo   Die Tür flog so hart in ihren Angeln zurück, dass das aufgebrochene Schloss gegen einen der Vogelkäfige geschleudert wurde und die kreischenden Kreaturen in einer frischen Woge aus Panik aufschreckte.    Shikamaru hörte nichts davon.   Alles, was er hören konnte, war das Schrillen in seinem Kopf, als sein Herz so heftig bis in seine Kehle hämmerte, dass er beinahe daran erstickte. Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger qualvoller Stunden, dehnte sich Zeit aus; sie bewegte sich mit dieser wankelmütigen Elastizität und verzerrte jeden noch so flüchtigen Moment zu Zeitlupe.    Kitoris Kopf drehte sich, als müsste sie ihn durch Wasser ziehen. So langsam, dass ihm genug Zeit blieb, dem Schwung ihrer Strähnen zu folgen und dem Zucken ihrer blutunterlaufenen Augen, als sie in ihren eingesunkenen Höhlen schwankten. Das rostige Weiß ihrer Augäpfel richtete sich auf ihn und ihre Lippen teilten sich.    Und da fiel ihm auf, wie leichenhaft sie aussah.   „Du bist seinetwegen gekommen…Shikamaru.“   Sie sprach die Worte mit einem morbiden Fauchen aus und beinahe wären sie unter dem kreischenden Chaos der Vögel untergegangen. Shikamarus Augen waren vor Panik und Entsetzen weit aufgerissen und senkten sich auf die Klinge, die sie in der Hand und über Nejis Hals hielt. Die Schneide war mit Blut bedeckt und es sammelte sich an dem spitzen Ende des Dolches; tropfte wie Tränen in die Mulde von Nejis Hals.   Nein…   Die Augen des Nara wurden noch runder und sahen zu, wie dünne karmesinrote Bäche über die Ebenen von Nejis Torso rannen. Sie bahnten sich einen Weg durch die Landschaft seiner Haut, flossen durch die Senken seiner Bauchmuskeln wie ein verdrehtes Bewässerungssystem, das Leben stahl, statt es zu bringen.    Shikamarus Blick ruckte zu der Ursache des Blutes.    Es war eine Schnittwunde über Nejis rechtem Schlüsselbein.    Ganz nah am Druckpunkt.    Schwallartig strömte verdünntes Blut aus der hässlichen Öffnung.    Das Brodifacoum…   Shikamaru schluckte heftig, alle Aufmerksamkeit weiterhin auf die rasiermesserscharfe Kante der Klinge gerichtet. „Kitori…“   „Du bist seinetwegen gekommen…für ihn.“, echote sie und hob ihre Stimme gerade genug, um über das Schreien der Vögel hinweg gehört zu werden. „Warum?“   „Warum?“ Shikamaru hauchte das Wort zwischen den Lippen hervor und kämpfte den Drang nieder, durch das Zimmer zu stürzen und ihre Kehle wie einen dürren Zweig zu zerquetschen und zu brechen, während sich die Anspannung in seinem eigenen Hals so straff zog, dass er kaum noch atmen konnte.    Gott…denk nach…DENK NACH…   Neji verblutete…Isuka lag auf dem Boden, das Gesicht ihm abgewandt…auf der einen Seite ihres Kittels erblühte dunkles Rot…Gerätschaften lagen um sie herum auf dem Boden verstreut…jenseits des Fensters zog irgendetwas Kreise und schrie…   Alles davon nahm Shikamaru nur durch die Peripherie seiner Sicht und seines Fokus wahr; die Details füllten automatisch seinen Verstand, während seine Aufmerksamkeit weiter auf den Dolch fixiert blieb.    Auf den Dolch, der über Nejis Kehle schwebte…   Denk nach! Benutz deinen verdammten Kopf!   Es war alles, was er hatte – auf keinen Fall konnte er sein Jutsu anwenden. Ihm fehlte das Chakra, um es einsetzen zu können. Und Kitori war dem Jōnin viel zu nah, um irgendetwas Überstürztes unternehmen zu können.    „Warum bist du seinetwegen gekommen, Shikamaru…?“, biss sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, während ihre Finger durch Nejis Blut strichen, als wäre es Farbe. „Warum kommst du immer seinetwegen?“   Shikamaru bebte schon fast vor der Anstrengung einer Kontrolle, die er kaum zu fassen bekam. Und ihr Griff an ihmverschwand rasend schnell. Der Zorn und die Angst peitschen sich in seine Augen und seine Stimme brach scharf und kalt mit einer harschen Logik aus ihm heraus.   „Du denkst, dass sich die Leute keine Mühe machen, deinetwegen zu kommen, ist es das?“   Kitoris Lippen kräuselten sich zu einem sauren Lächeln, doch Tränen fluteten ihre Augen. „Du kluges, kluges Bürschchen. Aber das hier ist keine Rache…es ist Gnade…“   „Gnade?“ Shikamaru warf einen verzweifelten Blick auf Neji, bevor er ihn wieder auf die Tsubasa Frau richtete.    Sie legte den Kopf schief. „Es schmerzt dich, ihn so sehen zu müssen, nicht wahr?“   Shikamarus Augen verengten sich zu Schlitzen und die Muskeln in seinem Kiefer zogen sich ruckartig straff. Die Mulden in seinen Wangen sanken tiefer mit jedem Knirschen seiner Zähne und Zorn machte seinen Blick noch schärfer als ihre Klinge.    Die Kraft davon traf sie; allerdings nicht auf die Weise, die er beabsichtigt hatte.    Tatsächlich sah Kitori enttäuscht aus.   Sie strich mit dem Dolch über Nejis Mund und drückte die Spitze gegen die Unterlippe; gerade hart genug, um eine rubinrote Perle erscheinen zu lassen. „Das ist nicht, was ich in deinen Augen sehen will, Shikamaru. Zorn ist eine Maske. Gib mir etwas Reales.“   Shikamaru stierte sie an; seine Miene fuchsteufelswild.    Auf dem Boden krümmten und bewegten sich Isukas Finger.    Energisch widerstand er dem Drang, zu der Veterinärin zu spähen und hielt seine Augen auf Kitori gerichtet. „Etwas Reales?“, schnappte er, um sie hinzuhalten.    Isukas Arm begann, sich Stück für Stück über den Boden zu schieben. Aus dem Augenwinkel folgte Shikamaru der Bewegung, war aber nicht in der Lage, seinen vollen Fokus darauf zu richten, während Kitoris Aufmerksamkeit einzig und allein seinem Gesicht galt.    „Blut ist real…“ Sie drückte die Klinge ein bisschen härter gegen Nejis Lippe und spaltete die empfindliche Haut. Dunkles Rot sickerte in Nejis Mundwinkel, sammelte sich, lief über und rann über seine Kieferlinie.    Shikamarus Augen weiteten sich, während die von Kitori mit Tränen glänzten.    „Tränen sind real…“, wisperte sie.   „Du willst mein Blut, Kitori?”, spie Shikamaru aus und trat ein paar Schritte nach vorn, während er die Arme ausbreitete. „Dann nimm es.“   Kitori legte den Kopf auf die Seite und zog die Brauen zusammen, während sie ihn genau musterte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war schon beinahe sprunghaft, gemessen daran, wie schnell er zwischen zu vielen verschiedenen Extremen von Emotionen wechselte, als dass der Nara sie erfassen könnte.    „Du würdest für ihn bluten, Shikamaru.“, murmelte sie wie zu sich selbst und schüttelte den Kopf. „Aber du kannst nicht für ihn weinen, oder?“   Shikamaru hielt sofort inne und blieb neben Isuka stehen.    Der Klang von Nejis Herzfrequenz schwankte mit ruckartigen Piepsern.    Angst packte Shikamaru an der Kehle, doch sein Gesicht blieb teilnahmslos.    „Mein lieber Junge.“ Kitori wirbelte den Dolch in ihrer Hand herum und ihre Finger zitterten, als sie wieder fest den Griff packte. „Du kannst nicht vor dir selbst wegrennen und gleichzeitig ihm nachjagen, oder?“   Isukas Finger strichen über Shikamarus Knöchel. Sie schob etwas an seinen Fuß. So unauffällig wie möglich senkte er den Blick und schirmte seine Augen ab, indem er es aussehen ließ, als hätte er sie geschlossen. Seine Sicht erfasste die Waffe, die Isuka ihm präsentierte und Kälte durchströmte ihn.    Nutze sie.   „Ich schätze mal, dass sich das schon ausgeht.“, erwiderte Shikamaru heiser und bemühte sich um eine rasche Strategie. „Er hat immer gesagt, dass ich das auch nicht muss…“   Die blasierte Antwort brachte ihm ein mörderisches Funkeln ein.    „Also warum tust du es dann?!“ Kitoris Augen blitzten giftig auf und sie packte die Klinge in ihrer Wut noch fester. „Sag mir, warum du es immer tust!“   Shikamaru beobachte ihre Bewegungen und sein gesamter Körper spannte sich für einen Geschwindigkeitsschub an, der sich bereits in seinen Muskeln sammelte.    „Sag es mir!“   „Nein.“   Kitori brüllte ihre Rage über seine Weigerung heraus. „Sag mir warum!“   In dem Moment, in dem sie den Dolch hob, stürzte Shikamaru nach vorn und unten, rammte seine Schulter hart in die Seite von Nejis Krankenbett und seine Finger strichen tief, um im selben Zug die Spritze an seinem Fuß aufzuheben.    Das Bett schwang herum.    Es traf Kitori an der Hüfte und schleuderte sie durch die Drehung zurück.    Jetzt!   Shikamaru warf sich zwischen sie und Neji, schob das Bett nach hinten und weiter von ihr fort, während der Bogen von Kitoris Klinge seinen Höhepunkt erreichte. Das Funkeln des Dolches zog Shikamarus Blick auf sich.    Sie wirbelte herum, bevor er es schaffte.    Die Klinge fuhr in einem weißen Blitz nieder.    Sie grub sich mit genug Wucht in Shikamarus Flakjacke, um ihn zurück gegen die Wand zu schleudern. Gerade versuchte Kitori, die Schneide zu drehen, als er mit dem Arm herumschwang und die Spritze in ihrem Nacken versenkte.    Für eine Sekunde trafen sich ihre Blicke.    Und dann presste sein Daumen den Kolben nach unten.    Kitori zuckte ein einziges Mal und langsam weiteten sich ihre in Brand gesetzten Augen. Ein ersticktes Geräusch entwich ihr. Heftig keuchte Shikamaru durch die Nase und er biss die Zähne zusammen, als Kitori ihre Finger um den Griff des Dolches krümmte, um ihn noch tiefer zu treiben. Die Klinge hatte sich in einem Winkel in der Weste verfangen, dass sie ihn nicht verletzen konnte. Doch er fühlte sich nichtsdestotrotz bis auf den Knochen aufgeschnitten. Sie suchte sein Gesicht ab und ihre Kehle verkrampfte sich ruckartig, während das Gift ihre Blutbahn flutete.    Shikamaru bebte und sein Atem ging stoßweise, als sich Adrenalin in Eis verwandelte.    Ihm gefiel die Erinnerung überhaupt nicht, die diese Situation provozierte.    Doch viel wichtiger als die Vergangenheit war die Gegenwart, die in Sekundenbruchteilen entschwand.    Entschwinden…   Neji…   Sofort zuckte sein Blick durch den Raum zu dem Hyūga; Verzweiflung, Schmerz und Panik peitschten durch seine Augen und verrieten ihn mit einer Veränderung auf seinen Zügen.    Götter, bitte…   „Shikamaru…“   Er sah zurück zu Kitori, als sie seinen Namen wisperte.    Sie legte den Kopf wie ein Vogel schief und blickte in seine Augen.    Das Starren, das sich hielt, war tief und verstörend.    Und von all den Dingen, die hätten passieren können, hätte er niemals erwartet, dass sie lächelte. Sie löste ihre Hand von dem hervorstehenden Griff des Dolches, um über seine Flakjacke zu streichen. Sie legte ihre Handfläche über sein Herz. Wie ein Kind tippte sie mit den Fingern darauf und starrte ihn mit diesen rot durchsetzten Augen an.    „Also…deswegen…“, sagte sie leise.   Shikamarus Gesicht verzog sich verwirrt und er zog ein wenig den Kopf zurück, bis er gegen die Wand schlug, um Abstand zwischen sich und diese Frau zu bringen, als ihre Nase zu bluten begann. Als hätte er sich verbrannt, riss er die Hand von der Spritze fort, die aus ihrem Nacken ragte und sah zu, wie Kitori schwankend zurückstolperte – und wie in einem nachträglichen Einfall, die Spritze aus ihrem Fleisch zog.    Klappernd fiel sie zu Boden.    Shikamaru blieb für einige Herzschläge gegen die Wand gelehnt, während sein Hirn raste und sich seine Lungen wie zwei schlaffe Säcke voll Blut in seiner Brust anfühlten, die sich in Eisen verwandelten, als er zu atmen versuchte.   Atmen. NEJI.   Die Welt kam zurück und hämmerte sich mit voller Wucht in seine Sicht. Augenblicklich war er an Nejis Seite und rammte seine Hand auf den Druckpunkt am Schlüsselbein des Hyūga, um die Ströme aus Blut aufzuhalten. Es sickerte zwischen seinen Fingern hervor und er veränderte die Position seines Griffes, um noch härter nach unten zu pressen.    „Neji…Neji…“, keuchte er verzweifelt und erstickt. „Scheiße…“   Die Vögel kreischten in ihren Käfigen.    Shikamaru drehte den Kopf und sah gerade noch, wie Kitoris Zöpfe in der Luft wippten, als sie aus dem Raum taumelte.    Verdammt.   Sie würde nicht lange durchhalten, aber es war unmöglich einzuschätzen, was sie alles tun würde, bis das Gift seine volle Wirkung entfaltete. Es würde schnell gehen. So viel davon und mit dieser Konzentration an Toxizität würde es nicht gestatten, dass sie weit kam. Er wusste bereits, wie das alles für sie enden würde.    Draußen schrie Hibaris Adler lang und laut.    Doch der einzige schrille Klang, der Shikamarus Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, war das Piepsen von Nejis Herzfrequenz.    Wie…wie zur Hölle konnte ich zulassen, dass das passiert? Gott, ich habe es nicht verhindert…   Energisch hielt Shikamaru eine Hand auf den blutenden Schnitt gepresst, als er sich Isuka zuwandte und beobachtete, wie sie sich gegen die Wand und auf einen Ellbogen stützte. Ihr Bein war ekelerregend verdreht.    Shikamarus Blick zuckte zu ihrem Gesicht. „Isuka?“   „Es geht mir gut…ich bin ok…“ Sie hob die Finger zu dem Transmitter an ihrer Kehle, um Sakura zu rufen. „Du musst sie aufhalten…Shikamaru…“   Nein.   Shikamaru wandte sich wieder Neji zu und schüttelte heftig den Kopf. Sein Gesicht war kreideweiß und angespannt, während er mit der freien Hand ein Laken zusammenknüllte und auf die Wunde des Hyūga drückte.    Diesmal nicht. Ich kann nicht…ich kann nicht davon laufen…nicht schon wieder…   Isuka hob ihre Stimme. „Shikamaru-san…ich kann ihm helfen…du musst mir aber dabei helfen, aufzustehen…und du musst Kitori aufhalten…“   Sie würde so oder so bald tot sein. Was zur Hölle spielte es schon für eine Rolle? Und er hasste seinen Verstand dafür, dass er sofort und wie auf Kommando eine Antwort auf diese Frage hatte.    Weil sie vielleicht jemand anderen mit sich in den Tod nimmt…   Mit all dem Blut von Neji, das zwischen seinen Fingern hervor quoll, hatte sie das möglicherweise bereits getan.   Nein…NEIN…   Shikamaru stierte hart auf die blutigen Lippen des Hyūga und biss die Zähne gegen einen Klang zusammen, von dem er sich sicher war, dass er es nicht ertragen könnte, ihn loszulassen. Er ließ einen mentalen Countdown ablaufen und zerrte seinen Verstand heftig von der Kante der Panik zurück.    „Shikamaru…bitte…“   Der Nara konnte Isuka kaum hören; er kämpfte zu sehr darum, nicht seine Stimme und seine Konzentration zu verlieren, als er unverwandt hinunter auf Neji starrte. „Verdammt, Neji…komm schon…“   Neji antwortete nicht.    Diese Opalaugen öffneten sich nicht.    Der Jōnin blieb schlaff und still, äschern und kaum atmend.   Neji…   „Lästiger Hyūga…“, knurrte Shikamaru und blinzelte rapide; zwang die Worte um den rauen Knoten in seiner Kehle vorbei und seine Arme begannen zu beben, als er noch härter auf die Wunde drückte. „Auf keinen Fall wirst du jetzt dieses Schläfchen machen…nicht heute…“   Das Blut wollte einfach nicht nachlassen.    „Shikamaru-san…bitte…“   Shikamaru presste die Lider aufeinander und fühlte sich bis in sein Innerstes zerrissen. Der Druck eines tiefgehenden Zwiespalts wuchs immer mehr in ihm.    „Bitte…“, flehte Isuka. „Sie könnte eins der Kinder verletzen…“   Scheiße…   Shikamarus Augen glitten auf und er zerrte die zerfetzten Teile seines Selbst wieder zusammen. Energisch zwang er eine Nadel aus Konzentration und einen Faden aus Kontrolle durch sie hindurch, um sie wieder zusammenhalten zu können. Er verfestigte den Griff, den er um seinen Verstand erhielt – doch dasselbe schaffte er nicht mit seinem Herzen.    Aber er wusste, was er tun musste.    Er schluckte schwer und starrte ein letztes Mal hinunter auf Nejis Gesicht; auf die fahle Haut und die dunklen Flecken unter den Augen des Hyūga. Und dann atmete der Nara angespannt ein, während sich sein Hirn in den kritischen Modus begab und sich seine Kehle um Worte herum verkrampfte, die er gerade so heraus hauchen konnte.    „Du verlierst nicht, erinnerst du dich? Fang jetzt nicht damit an…“   xXx   Shikamaru rannte nicht.    Er lief und verlängerte seine Schritte erst, als er die Grenze des Dorfes hinter sich gelassen hatte.    Seine Gang war das gemessene, stete Vorankommen von jemanden, der genau wusste, was er vorfinden würde – und die Gewissheit, dass er es finden würde. Vielleicht war das auch der Grund gewesen, warum er immer so verdammt schnell gerannt war, wenn es um Neji ging. Er war sich nicht eine Sekunde sicher gewesen. Er hatte einfach seine Wetten gesetzt…und dann…hatte er so viel mehr gesetzt. Energisch versuchte er, der grausamen Realität zu entkommen, doch sein Hirn versuchte ununterbrochen, diesen Impuls zu einem Verständnis zu zwingen.   Es macht keinen Unterschied, wie schnell du dich bewegst…was du finden wolltest war schon lange verloren, bevor du gedacht hast, dass du es endlich erreicht hast.   Und dennoch war er ihm nachgejagt.    Wieder und wieder.    Mit Sicherheit brauchte es irgendeiner Art verdrehter, masochistischer Veranlagung, um sich derart dumm zu verhalten. Sein überragender IQ scheiterte glänzend darin, irgendwelche Erklärungen und Antworten dafür zu finden. Oder wenn doch, dann waren es Antworten, die unerwünscht, oder unsicher oder einfach nur inakzeptabel waren.    Er war sich nicht sicher; aber vielleicht wollte er sich auch gar nicht sicher sein.    Es lag eine gewisse Geborgenheit in diesem ‚nicht wissen‘ und ‚nicht verarbeiten‘. Zumindest vorerst. Der Schock hatte ihn bis ins Innerste getroffen – hart – und er hatte sich in eine Art Shutdown begeben. Er hatte es tun müssen, um von diesem Raum fort laufen zu können. Von Neji.    Schon wieder…   Shikamaru blinzelte langsam und folgte dem Schatten von Hibaris Adler. Kitori hatte keinerlei Versuch unternommen, ihre Spuren zu verwischen, oder außer Sicht zu bleiben, wodurch sie einfach genug zu verfolgen war. Sie hatte einen taumelnden, schwankenden Pfad beschrieben, aber sie rannte nicht; vielleicht um die Wirkung der Chemikalien in ihrem Netzwerk zu verlangsamen. Genau wie Shikamaru gedacht hatte, hatte Isuka das Gift zusammengesetzt. In kleinen Mengen würde sich die tödliche Wirkung nicht entfalten.    Doch das würde bei Kitori nicht der Fall sein.   Er hatte ihren Körper mit einer letalen Dosis überschwemmt. Sie verblutete bereits von innen heraus. Ein grauenvoller und schmerzhafter Weg zu sterben und es befriedigte ihn überhaupt nicht, das zu wissen; wenn man all das bedachte, was sie getan hatte, dann hätte es eigentlich so sein sollen.    Über ihm wirbelte der Adler herum und flog dem Boden entgegen.    Der Vogel hatte ihn geführt, auch wenn er es nicht wirklich gebraucht hätte. Aber sie hatte ihm Zeit gespart; und die Zeit war mit einer Vergeltung zurückgeschnellt, dass es der trägen Geschwindigkeit spottete, mit der sie sich vorhin bewegt hatte. Kitori musste sich bewusst sein, dass sie sich auf dem schnellsten Wege zu den Pforten des Todes befand und so überraschte es Shikamaru nicht, dass sie bereits kollabiert war, als er sie fand.    Was ihn allerdings überraschte, war die Tatsache, dass jemand anderes sie zuerst gefunden hatte.    Hibari.   Shikamaru entschied sich, vorerst im Schatten zu bleiben und begab sich in die Baumkronen. Auf einem Ast ging er in die Hocke und seine dunklen Augen überwachten aufmerksam die Szenerie unter sich.    Kitori war gegen die Stütze eines Findlings zusammengesackt und der massive Felsbrocken wirkte, als wäre es einst eine Art geschnitztes Monument gewesen. Es war schwer erodiert und zerbröckelte. Was auch immer es gewesen war; jetzt befand sich der Zustand jenseits irgendeiner Erkennbarkeit.    Seltsamerweise erschien es passend.    Hibari schien ebenfalls dieser Meinung zu sein, wenn sein vorsichtiger Blick darauf irgendein Indiz sein konnte. Shikamaru beobachtete, wie er sich Kitori näherte; den Kiefer zu einem Winkel der Aggression gereckt und seine tiefroten Strähnen schwangen in der Brise, während sein Adler ihn einmal umkreiste und dann wieder in den Himmel aufstieg.   Shikamaru lehnte sich zurück gegen den Stamm und dachte darüber nach, dass der Adler vielleicht eher Hibari geführt hatte und nicht ihn.    Jetzt spielt es keine Rolle mehr…   Mit stumpfer Analyse sah der Schattenninja zu, darauf vorbereitet, diese Phase bis zu ihrer Vollendung zu verfolgen; und wenn nur, um sicherzustellen, dass es endlich vorbei war.    Er brauchte es so sehr, dass es vorbei war.    Während Shikamaru beobachtete, bemerkte er, dass sich Hibaris Aggression nicht wirklich in seine Schritte übertrug; sie waren viel zu schwerfällig, um zornig zu sein. Kitori hob den Blick hinauf zu ihrem Sohn und ihre Haut war fleckig, als Blutgefäße unter der Oberfläche auszulaufen begannen; Blut tropfte aus ihrer Nase. Mitleidlos starrte Hibari auf sie hinunter; aber auch ohne Grausamkeit. Er sah aus, als wäre er am Ende eines langen Weges angekommen und war bitter entsetzt darüber, was es ihn alles gekostet hatte, um dorthin zu gelangen. Als hätte er nicht gefunden, wonach er gesucht hatte.    Kitori lächelte zitternd und ihre Stimme rasselte. „Bist du gekommen, um mich zu töten, Hibari?“   „Sieht nicht danach aus, als müsste ich das tun, oder?“, erwiderte er flach.    Sie lehnte den Kopf gegen den Fels und erschauerte. „Das Gift ist nicht schneller als du…du kannst es immer noch beenden…“   Die Miene des Rotschopfs wurde düster und seine grauen Augen flackerten auf, bevor er in die Hocke ging und ihr auf Augenhöhe begegnete. Wachsam beobachtete Shikamaru die Interaktion und prüfte genauestens, ob von der Frau irgendeine Art von Bedrohung ausging, auch wenn er wusste, dass dem nicht so war.    Sie befand sich nicht mehr in der Lage, irgendeinen Schaden anzurichten.    Hibari dagegen schon.    Mit diesem Gedanken im Kopf wusste Shikamaru nur zu gut, dass diese Interaktion ausschlaggebend dafür war, mit was für einer Art Mann es Konoha in Zukunft zu tun haben würde, sollte Hibari ein essentieller Akteur in der Zukunft von Hanegakure werden.    Es könnte keine bessere Gelegenheit geben, sein Wesen einzuschätzen als jetzt.   Und es sah nicht allzu vielversprechend aus. Die Augen des Tsubasa wechselten zwischen etwas, das wie flüssiges Zinn aussah bis hin zu etwas, das hart wie Granit war – gefährlich, unvorhersehbar, sprunghaft.   Shikamaru erwartete einen explosionsartigen Wutanfall.    Kitoris Miene hingegen hatte vollkommen seine ätzende Kante verloren und ließ sie hager und kränklich zurück, während ihr Blick über das Gesicht ihres Sohnes wanderte. „Sieh dich an…wann sind deine Augen so hart geworden, meine süße Feldlerche?“   Der Kosename ließ Hibari zögern, doch er erholte sich rasch und mit einem Schnauben. Seine Lippen verzogen sich zu einem giftgetränkten Knurren. „Willst du dreimal raten, Mutter?“   Doch das Gift erreichte Kitori nicht; vielleicht war sie immun dagegen, wenn man bedachte, wie viel davon sich bereits in ihr befand. „Deine Augen…sind so anders als die deines Vaters. Du siehst überhaupt nicht wie dein Vater aus…“   „Ich bin auch nicht ansatzweise wie mein Vater.“, erwiderte er. „Oder Ozuku.“ Seine Augen wurden noch härter. „Oder du.“   Kitori hustete und leckte sich das Blut von den Lippen. Hibari reagierte überhaupt nicht darauf, außer dass er sich abwandte, als sie versuchte, eine Hand nach ihm auszustrecken. Er packte ihr Handgelenk hart genug, um ihre feinen Knochen brechen zu können, wenn er es denn wollte. Aber er tat es nicht. Doch seine Abweisung schien sie tief zu treffen, was Shikamaru ehrlich überraschte.    Was zur Hölle hat sie denn erwartet?   „Ich denke…“, krächzte Kitori. „Ich denke…dass du jetzt deine Gerechtigkeit hast, mein-“   Hibaris Braue hob sich fassungslos und sein Lachen hallte hohl und schmerzerfüllt.    „Gerechtigkeit?“, echote er und schleuderte ihre Hand beiseite wie einen schmutzigen Lumpen. „Ozuku und Fukurō wurden von demselben Shinobi umgebracht, der meine Schwester getötet hat.“ Er wandte den Blick von ihr ab und stierte finster das Gras an. „Sie sind in ihre eigene Klinge gefallen…und wenn man bedenkt, dass sie den Hyūga zu einer Waffe gegen mich gemacht haben, dann liegt eine gewisse Ironie darin…aber keine Gerechtigkeit. Gerechtigkeit wäre es gewesen, wenn ich sie selbst getötet hätte.“   Erneut streckte Kitori ihren Arm nach ihm aus und ihre Fingerspitzen strichen über seinen Handrücken. „Warum hast du nicht…“   Sofort stieß Hibari ihre Berührung mit einer Bewegung von sich, die viel zu scharf war, um ungerührt zu sein. „Weil ich sie so sehr gehasst habe, dass ich es vermutlich genossen hätte.“ Er starrte hart auf ihre Hand und sah ihr nicht in die Augen. „Und das hätte mich in etwas verwandelt, das ebenso vergiftet gewesen wäre wie du. Ich weigere mich, diesen Weg einzuschlagen.“   Die Kunoichi summte leise und rutschte etwas weiter an dem Fels nach unten. Das wilde fiebrige Licht in ihre Augen verblasste langsam. „Mein Weg war mir bereits zu Füßen gelegt…bevor ich ihn ändern konnte…meine tapfere Feldlerche…deswegen musste ich dich retten…vor demselben Schicksal…“   Hibari starrte einen Moment lang vor sich hin. „Mich retten?“ Sein Atem zersetzte sich zu einem leisen Lachen. „Mich retten…“, wisperte er erneut.    Und dann explodierte er.   „Mich RETTEN!“ Er wirbelte mit einem heftigen Rucken zu ihr herum und rammte seine Faust in den Stein neben ihrem Kopf; abgeplatzte Splitter flogen in alle Richtungen. „Wie zur Hölle hast du denn vorgehabt, mich zu retten?! Du hast verfickt nochmal versucht, mich umzubringen! Deine Handlungen haben Toki umgebracht und allein deswegen bete ich zu allen Göttern, dich langsamer töten zu können, als es dieses Gift tun wird!“   Doch auch, als er die Worte direkt in ihr Gesicht schrie, erhob er nicht ein einziges Mal die Hand gegen sie.    Seltsam.   Shikamaru hätte es ihm nicht verübelt, wenn er es getan hätte.    „Mein süßer Hibari.“ Kitori weinte, aber vollkommen ohne theatralische Dramatik. Die Tränen fielen einfach nur in stoischen, stummen Strömen. „Ich habe dich gerettet…“   „Nein!“, grollte er zornig, doch es war nicht Wut, die die Kanten in seiner Stimme so rau machte. „Du hast mich in den Untergrund gezwungen…du hast mich verflucht nochmal begraben…du hast bereits vor Jahren darin versagt, mich zu retten.“   Kitori schüttelte den Kopf und ihre Tränen liefen ihr inzwischen rot aus den Augen, durchzogen von Blut. „Ich habe dich im Stich gelassen, indem ich dich auf diese Welt gebracht habe…in diesen Käfig…das Mindeste, was ich tun konnte, war, dich genug zu lieben, um zu versuchen, dich daraus zu befreien…“   Hibaris fassungsloses Lachen war hoch und angespannt und der Klang bebte, als seine Stimme ein wenig mehr brach. „Du denkst, mich zu jagen und zu versuchen, mich zu töten war ein Akt der Liebe?“   Kitori legte die Stirn in Falten und Shikamaru registrierte eine erschreckende Aufrichtigkeit auf ihren Zügen und in ihren zitternden Worten. „Wie könnte es irgendetwas anderes sein? Ich habe dich immer geliebt, Hibari…deswegen musste ich dich befreien. Deswegen bin ich dir nachgejagt. Niemand ist mir nachgejagt.“   Hibari starrte sie geschockt an und sank nach hinten; sein Zorn verpuffte und seine Augen wurden groß. „Gott, du bist wahnsinnig…du warst es schon immer…“   Kitori musterte ihn. „Nein, Hibari…ich musste dich befreien.“   Befreien…   Shikamaru war nicht überrascht.    Es machte Sinn; auf eine verblendete und vollkommen verdrehte Weise. Es war krank und falsch und eine Perversion mütterlicher Instinkte. Aber er konnte der Logik folgen, trotz all der verdrehten Argumentation. Und trotz all des Zorns von Hibari, hatte der Nara den Eindruck, dass auch der Rotschopf dieser Logik folgen konnte. Denn die Augen des Tsubasa schimmerten, auch wenn er den Kopf gegen das langsame und entsetzliche Verständnis anschüttelte, dass das Weltmodell seiner Mutter – in ihrem Kopf – gnädig und wahr war.    Kitoris rot verkrustete Augen weiteten sich angesichts von Hibaris Kummer, bevor sie mit dem Glanz einer sterbenden Hoffnung weich wurden. „Weinst du für mich, mein Liebling?“   Hibari stierte sie an und sah dabei so zerrissen und elend aus wie die Tränen, die seine Augen überschwemmten. „Ja…ist das nicht erbärmlich? Oder vielleicht ist es einfach nur tragisch, dass ich dich nicht einmal hassen kann…mit was zur Hölle lässt mich das zurück…außer mit Bedauern…?“   Kitori lächelte und hob schwach einen Arm, um eine hagere, bebende Hand an seinen Kiefer zu legen.    Und diesmal schlug er ihre Berührung nicht fort, auch wenn er sich ihr genauso wenig entgegen lehnte.    „Gnade…“, wisperte sie und wischte mit ihrem Daumen eine verirrte Träne fort, die seinem Auge entkam. „Bitte, Hibari…“   „Gnade…“, echote er mit brüchiger, müder Stimme. „Du verdienst sie nicht.“   „Und genau aus diesem Grund…ist es Gnade…“   Hibari kämpfte einen Moment mit sich selbst und seine Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie zusammen, bevor er die Augen schloss und mit einem sanften Griff seiner Finger ihre Hand von seinem Gesicht fort zog. „Ich werde für dich beten.“   Shikamaru hatte das Gefühl, dass er das nicht tun würde.   Doch Kitori lächelte. Es reichte ihr offensichtlich, daran glauben zu können.    Als sie ein Kunai in die Hand ihres Sohnes drückte, hatte sich Shikamaru bereits abgewandt.    Es war vorbei, als er auf Bodenlevel landete.    Hibari begegnete ihm auf halbem Weg und sah unglaublich ausgezehrt aus, aber der Nara bemerkte, dass sich etwas in seinen Augen verändert hatte; sie waren weniger trostlos. Es war allerdings nicht leicht zu sagen, wenn man bedachte, dass sich Shikamarus Hirn was Emotionen anging vollkommen abgeschottet hatte. Er hatte überhaupt keine Energie mehr, besonders nicht mehr die, die nötig war, um mit dem umgehen zu können, was er als nächstes erwartete.    Die Fragen, die Verdächtigungen, die Lügen, der Schwachsinn, die Risiken…   Ich kann nicht so weiter machen…   Hibari richtete einen seltsamen Blick auf ihn und seufzte schwer durch die Nase. Der Auftakt zu einer Katastrophe. Und dennoch hob Shikamaru einfach nur eine Braue und versuchte, sich mit einer Energie darauf vorzubereiten, die er nicht hatte, aber irgendwie finden musste.   Hibari musterte ihn schweigend für einen langen Moment.    „Euer Hyūga…“, begann er.   Vor Erschöpfung hätte Shikamaru beinahe die Augen geschlossen.    Und es geht los…   „Er hat mir mein Schwert nicht zurückgegeben.“   Was…?   Shikamaru blinzelte. „Was?“   „Mein Schwert.“, wiederholte der Rotschopf und seine Brauen wanderten angesichts Shikamarus ausbleibender Antwort in die Höhe. „Ein ziemlich großes gezacktes Ding, das die Angewohnheit hat zu glühen? Ja, also, ich brauche das wieder zurück. Natürlich nur aus Einschüchterungsgründen.“, scherzte er schwach.    Shikamaru bot darauf kein Lächeln, kein Grinsen und keine sarkastische Erwiderung an. Er starrte einfach nur, angespannt und verwirrt; konnte nicht glauben, dass Hibari ihn einfach so vom Haken lassen würde. Die sicherste Reaktion wäre, irgendwie erkennen zu können, ob Hibari ein Spiel spielte, oder ernsthaft unausgesprochene Wahrheiten auf sich beruhen ließ.    „Dein Schwert…“, sagte Shikamaru und machte sich keine Mühe, sein Unbehagen zu verbergen.    Hibaris Lippen zuckten und er hob kurz die Schulter. „Ist nicht so, als könnte ich diese Dinger einfach so aus meinem Hintern ziehen, Nara. Ich habe eine Menge Blut vergossen, um es zu bekommen.“   Die atemraubende Anspannung in Shikamaru zerbrach in einen Wirbel aus nervösen, ungläubigen Blasen, die in einem kurzen bebenden Lachen aus ihm herausbrachen. Er schüttelte den Kopf und versuchte, sein Hirn davon zu überzeugen, dass er nicht verhört und in eine Ecke getrieben wurde.    „Wenn du gerade versuchst, den Schlag etwas abzumildern, Tsubasa…lass es…“   „Ich bin kein Höhlenmensch, Nara. Ich gebe mich sehr gerne mit Verhandlungen zufrieden, wie sieht es bei dir aus?“   Shikamaru nickte, aber seine Augen waren wachsam. „Ich auch.“   Hibaris Züge entspannten sich zunehmend. „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich würde sehr gerne neu und auf einem weißen Blatt beginnen. Also lass uns das hier sauber wischen.“ Er warf einen ernsten Blick über die Schulter und dorthin, wo Kitori lag. „Ich denke, dass was du für mich und mein Dorf getan hast um ein Vielfaches das aufwiegt, was du mir nicht erzählst.“   Scheiße. Meint er das ernst?   Nicht darauf vertrauend, dass er gerade nicht einfach nur auf ein Wunschdenken hereinfiel, verengten sich Shikamarus Augen zu Schlitzen und musterten Hibari durchdringend. Aber er konnte keine Lüge oder latenten Argwohn bei dem anderen Ninja erkennen. Die Worte waren direkt genug und seine Haltung zeigte keinerlei Anzeichen einer Täuschung – es gab keine Zeilen, zwischen denen gelesen werden müsste. Und dennoch zogen sich die Mundwinkel des Schattenninjas in einem unsicheren und misstrauischen Ausdruck nach unten.   Hibari drehte sich wieder zu ihm um und seine Miene verfinstere sich angesichts des Blickes, mit dem er bedacht wurde; er schnaubte. „Kein Grund, so überrascht auszusehen. Ich bin nur rücksichtslos, wenn ich zornig bin, schon vergessen?“ Er ernüchterte rasch und sah zur Seite weg. „Mein ganzes Leben lang war ich angepisst. Ich muss zugeben, dass ich es inzwischen mehr als leid bin.“   Shikamaru spähte über die Schulter des Tsubasa in Richtung von Kitoris Körper, ohne die Leiche direkt anzusehen.    Ich schätze mal, er hat eine Art Frieden mit diesem Abschluss gefunden…   „Weißes Blatt, huh?“, murmelte der Schattenninja.    Hibari neigte den Kopf. „Ich will eine Zukunft für mein Dorf, nicht bittere Erinnerungen. Verhandlungen, Frieden und von dort aus werden wir weiter machen. Ich muss nicht wissen, was gewesen ist, nur was ab diesem Moment passieren wird.“   „Mit diesen Bedingungen kann ich arbeiten.“   „Ich bin froh, das zu hören.“ Der Rotschopf brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Und ich schätze, dass du deinen fahnenflüchtigen Hintern jetzt lieber mal zurück zu der Ratsversammlung schwingst, damit wir diese Friedensvereinbarung besiegeln können. Es wird nicht gerade gut aussehen, wenn du sie noch länger warten lässt.“   Scheiße. Die Mission. Schließe die Mission ab.   Die Augen des Nara wanderten hinauf zum Himmel und schlossen sich kurz, bevor sie wieder nach unten sanken. „Klingt nach einem Plan.“   Die letzte Phase. Du kannst das.   Es war auch nicht so, als hätte er irgendeine andere Wahl.    Shikamaru schob seine Hände in die Taschen und wandte sich auf dem Absatz um. Mit seinem üblichen trägen Tonfall, der so erzwungen war wie noch nie zuvor, rief er über seine Schulter, während er zu laufen begann.    „Fahnenflüchtiger Hintern? Wie zur Hölle hast du es denn geschafft, damit durchzukommen, nicht anwesend zu sein?“   Er hörte, wie Hibari amüsiert schnaubte. „Als wüsstest du das nicht. Netter Versuch.“   Shikamaru zuckte mit den Achseln, doch ganz getreu zu Hibaris Vermutung, war er überhaupt nicht überrascht, als der Doppelgänger des Tsubasa hinter ihm in weiße Federn zerbarst.    xXx   Ein kühler Wind strich durch Hanegakure, ein Hauch frischer und reiner Luft, die die letzten Schwaden des Rauches vertrieb und den Schleier hob, der sich auf das Dorf gelegt hatte. Es lag ein Gefühl des Abschlusses in den Flammen und die Hoffnung auf eine Art Wiederbelebung, die zu dem Monument eines Phönix passte, das der Rat anstelle des Tempels errichten wollte; um der Auferstehung aus der Asche ihrer Vergangenheit zu gedenken.    Endlich ist es vorbei.   Shikamaru spürte, wie das funkelnde, goldene Glühen der späten Nachmittagssonne durch die Blätter hindurch helle Flecken auf sein Gesicht zeichnete. Er stand allein auf der Terrasse außerhalb der Versammlungshalle, hielt sich über dem Geschehen und außerhalb des Rampenlichts. Der Mangel an Aufmerksamkeit war ihm nur recht. Leise in die Schatten zu verschwinden wäre ihm noch lieber gewesen. Doch er machte keine Anstalten, seinen derzeitigen Platz auf dem Balkon zu verlassen.    Er wusste ohnehin, wohin ihn seine Schritte tragen würden, wenn er es nur versuchen würde.    Ein scharfer Stich durchzuckte seine Brust und zerrte heftig an den Sehnen in seiner Kehle.    Nicht…nicht jetzt…später…   Wenn er vollkommen alleine war, zurück zuhause; dann würde er sich diesem Schmerz stellen. Aber nicht jetzt…   Tu einfach, was du tun musst…   Da er dringend irgendeine Art der Ablenkung brauchte, ließ er seinen Blick von den feuerverfärbten Blättern sinken und beobachtete die Prozession aus Ältesten und Clanvorstehern, die aus der großen Halle strömten. Viele von ihnen hielten inne, um mit den Konoha Shinobi zu sprechen, drückten Dankbarkeit und aufkeimende Freundschaft aus.    Das Bellen eines nervösen Lachens zog Shikamarus Aufmerksamkeit auf eine lose Gruppe aus Dorfbewohnern. Naruto stand in ihrer Mitte, akzeptierte widerwillig den Dank des Eigentümers des Klauenhandels und bot im selben Zug eine Entschuldigung für die Zerstörung des Ladens an. Der Mann sah nicht wirklich beeindruckt aus; sein Mund zuckte an einer Seite seines Gesichtes und eine Pfeife hing zwischen seinen Lippen. Er sah über seine Nase hinweg und durch eisblaue Augen hinunter auf Naruto.    Der Uzumaki bot ein zähneblitzendes verlegenes Grinsen an und seine eigenen himmelblauen Seen zogen sich nervös zusammen. Der Mann schnaubte mit unbeholfener und widerwilliger Akzeptanz, während zwei Wolken aus Rauch aus seinen Nasenlöchern strömten.    Der Rauch zog Shikamarus Gedanken zu Asuma.    Für einen kurzen Moment fragte er sich, was sein Sensei wohl über sein neuerlich entwickeltes Talent, einfach alles zu vermasseln, denken würde. Wie gut, dass er alles ordentlich genug ‚aufgeräumt‘ hatte, um alles als Teil seiner Strategie abtun zu können. Aber jetzt, da sich die Auswirkungen seiner Strategien vollkommen um ihn herum entfalteten – fühlte er sich seltsam distanziert davon. Wie ein Beobachter, statt jemandem, der eine entscheidende Hand im Spiel gehabt hatte, um es möglich zu machen und dafür zu sorgen, dass es wirklich Realität wurde.    Das wünschst du dir zumindest.   Verleugnung war so eine schöne Lüge.    Und bis sie daheim wären, konnte er weiterhin so tun, als würde er sie glauben.    Noch bist du nicht zuhause. Also sei hier. Reiß dich zusammen.   Shikamarus Augen blieben starr auf die Szenerie unter ihm gerichtet; auf die zaghaften Anfänge eines wachsenden Vertrauens. Statt strenger schmallippiger Blicke schenkten die Dorfbewohner nun schüchternes Lächeln und die Kinder spielten, statt zu marschieren und mischten sich unter die verwaisten Rebellenkinder, die sich durch die Masse der verschiedenen Clans schoben.    Jetzt hatten sie die Freiheit, die Neji für sie gewollt hatte.    Shikamaru hätte sich also nicht so hohl fühlen sollen, als er dort stand.    Sie hatten gewonnen, oder etwa nicht?   Hatte er nicht gewonnen?   Trotz all der falschen Abzweigungen, die er genommen hatte; er hatte dennoch beide Ziele erreicht und beide Missionen im grundlegendsten Sinne abgeschlossen. Und trotzdem war er hier und blieb so weit fern von allem, wie es ihm irgend möglich war. Nunja, so weit wie es ihm möglich war, ohne vollkommen zu verschwinden…obwohl er ein Gefühl hatte, dass selbst das nicht weit genug weg wäre.    „Shikamaru…“   Sakuras Stimme ließ den Nara seinen Kopf heben, doch er sah nicht über die Schulter. Ein paar angespannte Sekunden verstrichen, bevor sie schließlich nach vorn trat. Ihre Hand legte sich auf das Geländer und die Nägel klackten gegen das Metall.    „Die anderen fragen sich, wohin du verschwunden bist.“   Ja…ich mich auch…   Shikamaru zuckte mit den Achseln; ein halbherziges Heben einer einzigen Schulter. „Ich dachte mir einfach, dass ich den Part überspringe, bei dem man sich unter die Leute mischt.“   Sakura schürzte die Lippen. „Wenn man bedenkt, was alles passiert ist, dann ist das eine eher schlechte Idee.“   „Ja…ich hatte einige davon.“   Der Sarkasmus war schwach und Sakura machte nicht einmal Anstalten, ihm das abzukaufen, aber sie löcherte ihn auch nicht weiter. Stattdessen umklammerte sie die Balustrade und zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Noch immer klebte Blut unter ihren Fingernägeln. Sie musste seinen Blick gespürt haben, denn sie krümmte ihre Finger gegen ihre Handfläche und legte stattdessen ihre Faust auf das Geländer.    „Isuka meinte, dass es ein Gasthaus gibt, das ein paar Kilometer von der Grenze entfernt ist.“, informierte Sakura ihn und hob das Gesicht hinauf in den goldenen Schein, der durch die Bäume schimmerte. „Sie haben auch einen Heilbereich. Hinata und ich werden bei ihm bleiben, bis die Behandlung vorbei ist und sein Fieber nachlässt.“   Shikamaru summte. Es machte Sinn. Zumindest in seinem Kopf.    „Ja…“   „Shikamaru…“, drängte Sakura leicht und zog seinen Blick zur Seite. Die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt, bebte ihre Stimme leicht, als sie endlich sprach. „Ist bei dir alles in Ordnung?“   Shikamaru starrte sie teilnahmslos an; beinahe schon verständnislos.    War bei ihm alles in Ordnung?   Seine Lippen zuckten ohne den geringsten Hauch von Humor.    Trotz allem dachte er eigentlich, dass er einen verdammten guten Job darin machte, in Ordnung zu sein. Wenn ‚in Ordnung‘ bedeutete, dass sein Inneres nach außen wollte und sich die Sehnen seines Herzens selbst in einen gordischen Knoten verwickelt hatten, den sein Hirn nicht zu lösen hoffen durfte.    War bei ihm alles in Ordnung?   Sakura erhielt nie eine Antwort darauf – was mehr als genug die Antwort war, die sie wirklich brauchte.   xXx   „Halt still, Akamaru!“   „Kiba, du Penner! AU!”   Shikamaru hielt auf halbem Weg in den Innenhof inne, die Hände in den Taschen vergraben und einen Fuß in einem Schritt ausgestreckt, der nie den Boden berührte.    Auf einen Schlag überdachte er noch einmal die Weisheit darin, den Balkon überhaupt zu verlassen.    Das Kreischen von Empörung, das ihn nach unten gezogen hatte, hatte geklungen wie ein Vogel, der gerade abgestochen wurde. Doch wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um Naruto. Und als Shikamarus halb verdeckter Blick die Ansammlung kichernder Kinder und die Ursache ihrer Heiterkeit überflog, war sein Gesamteindruck denkbar simpel…   Lästig…   „Pass auf, wo du damit herumfuchtelst! Du hast mich fast in die-!“   „Würdest du endlich aufhören, so auszuflippen?! Halt still! Dann wird er einfach landen!“   „Ich will aber gar nicht, dass er landet! Und vor allem nicht da, du blöder Arsch!“   „Du hast Arsch gesagt!“, lachte eins der Kinder Naruto aus und deutete ziemlich schamlos auf sein Gesäß.    Shikamarus Braue schoss nach oben.    Die Szenerie zog zunehmend Belustigung und Aufmerksamkeit auf sich – doch die Natur dieser Komödie ließ ihn ernsthaft daran zweifeln, ob es weise war, sich auf die Bühne zu begeben und an dem Schauspiel teilzuhaben.    Mit einem seiner Beine in Akamarus Maul, unternahm Naruto eine heldenhafte Anstrengung, dem kleinen orangenen Vogel auszuweichen, der durch seine blonden Spitzen flatterte. Kiba hingegen umkreiste ihn mit dem Ausdruck intensivster Konzentration. In der einen Hand hielt er ein Schmetterlingsnetz und bemühte sich, den kleinen orangenen Missetäter einzufangen.    Shikamaru blinzelte äußerst langsam und murmelte leise: „Wer zur Hölle hat ihm ein Netz gegeben?“   „Nah, ich würde mir mehr Sorgen um die Kamera machen, die sich Lee besorgt hat.“, lachte Chōji und trat von hinten an seine Seite; auf seiner breiten Schulter saß ein gelber Vogel, der immer dann den Kopf schief legte, wenn der Akimichi das Wort ergriff, als würde er persönlich angesprochen werden. „Er versteckt sich überall, um Schnappschüsse zu machen.“   „Na super.“ Shikamaru setzte endlich seinen immer noch schwebenden Fuß ab und knickte seine Hüfte gegen das Geländer des Fußweges ein, während er seufzte.    Seine Augen wanderten zu dem kleinen gelben Vogel, der ein Stück über Chōjis Schulter hüpfte, als wäre er bereit, auf die des Nara zu wechseln. Shikamaru lehnte sich weg und fuchtelte in einem trägen Schwung mit der Hand, der den Vogel sofort dazu brachte, wieder zurück zu hoppeln.    „Wie geht es Neji?“, fragte Chōji und strich zärtlich mit der Fingerkuppe über den Kopf des Vogels.    „Sakura und Hinata werden bei ihm bleiben, bis er sich erholt hat, aber der Rest von uns muss zurück nach Konoha.“ Shikamaru lümmelte sich gegen die Balustrade und seine Augen glitten über die Kinder, auch wenn er ihnen nicht wirklich Beachtung schenkte. „Wir werden bald aufbrechen.“, fügte er noch hinzu.    Chōji musterte ihn schweigend und sein Finger hielt mit dem Streicheln inne. Doch bevor der Akimichi den Mund aufmachen konnte, sprang Akamaru durch Shikamarus Sichtfeld und zog die Aufmerksamkeit des Nara ruckartig auf den großen weißen Hund, der hektische und schwindelerregende Kreise drehte, um einen winzigen pinken Vogel zu jagen, der auf seinem Schwanz saß.    Und Shikamaru konnte einfach nicht anders, als daran zu denken, dass das Dilemma des Hundes wie eine Reflexion seines eigenen war. Im Kreis rennend, während jeder dabei zusah und erwartete, dass es alles Teil des Plans war. Um das Bild nur noch ironischer zu gestalten, schaffte es Akamaru irgendwie, sich in den eigenen Schwanz zu beißen. Der Hund jaulte laut und beschrieb einen weiteren misskalkulierten Kreis, wobei er versehentlich eines der Kinder umrempelte.    Scheiße.   Shikamaru versteifte sich, als sich das Mädchen wieder aufsetzte, für einen langen Moment auf ihre Hände starrte und sich letztendlich dazu entschied, dass es Zeit war, die ganze Welt darüber in Kenntnis zu setzen, wie ungerecht sie gerade behandelt worden war. Ihre verspätete Reaktion explodierte mit einem schrillen Plärren, das sofort alles Kichern der anderen Kinder übertönte.    Ugh…   Shikamaru lehnte sich nach vorn und stieß sich von dem Geländer ab. Doch Sakura kam ihm zuvor; wofür er mehr als nur ein bisschen dankbar war. Sie kam von der Seite heran geeilt, wo sie mit einer alten Dame gesprochen hatte und hob das Bündel aus nervigem Heulen und lästigem Schluckauf auf ihre Hüfte, während sie beruhigend über rote Locken strich.    „Du solltest ihn vielleicht an eine Leine nehmen.“, sagte Hibari, der gerade einen Baum des Innenhofes umrundete und zu Shikamaru und Chōji hinüber schlenderte.    Shikamarus Mundwinkel zuckte nach oben. „Sag das Kiba und sieh zu, was passieren wird.“   Hibari hob eine Braue und folgte Shikamarus Blick zu besagtem Hundeninja. „Ich habe eigentlich von eurem Uzumaki gesprochen.“   „Ah, klar…“   Keine Sekunde später wanderten Hibaris graue Augen zu Sakura und beobachtete sie dabei, wie sie das Mädchen auf ihrer Hüfte wiegte. Sein natürlicher ernster Ausdruck veränderte sich zu etwas Weicherem. Chōji kicherte gutmütig und stieß Shikamaru mit dem Ellbogen an, woraufhin der Nara aber nur mit den Achseln zuckte; er hatte keine Energie für irgendetwas sonst.    Glücklicherweise senkte sich wieder eine entspannte Ruhe über sie.    Sie wurde nur von dem Gelächter der Kinder unterbrochen, die Naruto nachjagten und seinen Aufenthaltsort an den Schwarm orangener Vögel verrieten, die ihn hingebungsvoll suchten – oder vollkommen wahnsinnig – vielleicht auch beides.    Generell war das Verhalten der Vögel sehr unterschiedlich.    Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, waren Schwärme zurück gekommen, um sich wieder in ihren angestammten Bereichen des Waldes und des Dorfes niederzulassen. Manche der zahmeren und vertrauensvolleren Vögel hatten kein Problem damit, sofort neue Bande mit jedem zu knüpfen, der ihnen Aufmerksamkeit schenkte. Es trug noch mehr zu dem Gefühl eines Neuanfangs bei – dem weißen Blatt, von dem Hibari gesprochen hatte.    Der Dunst war wie ein Vorhang gewesen, der sich vor dem letzten Akt von Hanegakures Tragödie geschlossen hatte und jetzt würde eine neue Bühne und ein neuer Anfang das Schicksal dieser Leute markieren.    Wie sich ihre Geschichte abspielen würde, lag einzig und allein in den Händen der Menschen hier.    Diese Hände hatten Hibari als einen derjenigen ausgewählt, die sie führen sollten – zumindest an ihrer defensiven Front.    Als hätte er die Gedanken des Nara gespürt, ergriff Hibari das Wort. „Shikamaru.“   Der Schattenninja spähte unter dichten Wimpern zu ihm hinüber.    Hibari hatte die Brauen zusammengezogen, doch es sah mehr nachdenklich als gequält aus. „Wenn euer Hyūga aufwacht, dann sorg bitte dafür, dass er weiß…dass er immer Freunde hier in Hanegakure haben wird.“   Shikamaru schloss die Augen. „Was ist mit deiner ‚wir können niemals Freunde sein‘ Gerechtigkeit?“   „Ich denke, dass ich immer noch eine Menge darüber lernen muss, was genau das bedeutet…“, murmelte Hibari und seine Stimme schaffte es kaum, seine nächsten Worte zu tragen. „Über viele Dinge…“   „Du machst das schon.“, summte Shikamaru und brachte den Schatten eines Lächelns zustande. „Außerdem hast du ein wirklich großes Schwert.“   Hibari lachte leise und spähte hinüber, als sich Shikamaru aufrichtete. „Gutes Argument. Trotzdem wird es einige Zeit dauern, um alles wieder ins Lot zu bringen; besonders wenn es um die Angelegenheiten mit meinem Clan geht und die Vögel dazu zu bringen, unseren Shinobi wieder zu vertrauen. Nicht zu erwähnen, dass wir die Kinder anständig über die Gedankenübertragung informieren müssen.“   „Das nächste Mal, wenn wir euch besuchen, werden wir eine Freundin mitbringen.“, sagte Chōji und lächelte, als der Vogel auf seiner Schulter ihm mit sanftem Gurren ein Ständchen brachte. „Sie wird euch helfen können.“   „Und sie wird die Diät lieben, der ihr euch hier unterzieht.“, murrte Shikamaru trocken.    „Shikamaru.“, tadelte Chōji.   Fragend sah Hibari zwischen den beiden Freunden hin und her.    Doch der Nara schüttelte nur den Kopf. „Vergiss es.“ Seine Augen glitten himmelwärts und registrierten das sich vertiefende Gold des Lichtes, das durch die Blätter strahlte. „Wir müssen bald aufbrechen, Hibari.“   Der Tsubasa nickte. „Was auch immer ihr für eure Reise braucht, es gehört euch. Einen Transport habe ich bereits in die Wege geleitet.“   „Danke.“, erwiderte Shikamaru und stieß sich von dem Geländer ab. „Wir wissen das sehr zu schätzen.“   Hibari folgte dem Nara und wandte sich ihm zu. „Gleichfalls. Ihr Shinobi von Konoha, ihr seid nicht alle so verkehrt.“   „Verdammt!“ Ein Keifen von Naruto signalisierte ein schlecht getimtes und schlecht gezieltes Schwingen von Kibas Netz.    „Awww Mann, so knapp!“   „Vielleicht seid ihr nur etwas zu mangelhaft, wenn es um Disziplin geht.“, fügte Hibari kopfschüttelnd hinzu.    „Hört auf, die Kinder zu erschrecken!“, knurrte Sakura und hob ihre Faust in einer Drohung, die Naruto dazu brachte, Kiba als lebenden Schild zu nutzen; sowohl gegen die Kunoichi, als auch gegen die Vögel, die versuchten, sich auf ihm niederzulassen.    Hibari schürzte die Lippen, um sich vom schmunzeln abzuhalten. „Aber wie es scheint, hat sie die Sache ja ganz gut im Griff.“   Shikamaru sah zu, wie Sakura ihre Fäuste in die Hüften stemmte. „Ja, unsere Frauen sind gut darin, zuzuschlagen.“   „Abgesehen von Hinata.“   „Ein Hyūga als Ausnahme der Regel, huh?“ Hibari lächelte nun doch. „Das glaube ich sofort.“   Der schmerzhafte Stich folgte sofort und Shikamaru presste die Lider dagegen zusammen. Doch er war nicht schnell genug, um seine nächsten Worte aufhalten zu können. Sie brachen durch die papierdünne Wand, die noch immer zwischen seinem Herzen und seinem Kopf stand und rollten mit einer täuschenden Gelassenheit von seinen Lippen, als würde es ihn überhaupt nicht schmerzen, diese Bitte zu äußern.    „Hibari, ich glaube, ich werde einen letzten Gefallen einfordern.“   „Hn? Und was wäre das?“   Shikamarus Augen glitten auf und hoben sich hinauf in den goldgetauchten Himmel. „Etwas, das ich gerne mit nach Konoha nehmen würde.“   xXx   Die Sonne hatte ihren langsamen Abstieg begonnen; ein riesiger Feuerball, der an einem Horizont weit jenseits der Bäume entschwand. Der Himmel war durchsetzt mit zerschmolzenen Schattierungen; es war eine prächtige Veränderung der Farben, die nicht einmal Shikamaru hätte vorausahnen können.    Seltsamerweise lag ein winziges Bisschen Trost darin.   Ein leiser, aber scharfer Schrei zog seinen Blick hinauf zu einer Silhouette die sich gegen die flammenberührten Wolken abzeichnete. Der Steinadler schwebte hoch oben und meistere die Winde, die den Geruch von Holzrauch und das kopflastige Aroma von Backwaren mit sich trugen, die für die Reise eingepackt wurden.    Hanegakures Kinder halfen dabei, die Karren zu beladen; zwei Handelswagen, um genau zu sein. Einer davon war mit einer Zeltplane ausgestattet und bot dem Shinobi eine gewisse Privatsphäre, der fiebrig und in einem beinahe schon komatösen Schlaf darunter lag.    Hinata war nicht von Nejis Seite gewichen.    Und Shikamaru war dankbar dafür; es war einer der wenigen Zustände, die er sich erlauben konnte, abgesehen von fokussiert und distanziert. Glücklicherweise konnte er so tun, als hinge Letzteres nur mit Erschöpfung zusammen – was die Wahrheit nicht zu sehr verzerrte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal lange und ordentlich geschlafen hatte.    „Hi, Trickreich!“   Aufgeschreckt von dem leisen Trällern zuckte Shikamaru gegen den Wagen und sein müßiges Anlehnen wurde sehr schnell zu einer steifen Haltung, als er hinunter auf das kleine Mädchen starrte.    Maki legte den Kopf schief und blinzelte missbilligend zu ihm hinauf. Das Chaos ihrer blonden Locken fing einen Hauch von Feuer des sterbenden Lichtes auf. „Du solltest auch ‚Hi‘ sagen.“, schalt sie ihn. „Es ist unhöflich, nicht ‚Hi‘ zu sagen.“   Shikamaru musterte sie schweigend. Das Kind, das unwissender Weise Nejis Leben gerettet hatte. Seine Augen lösten sich etwas von dem grübelnden Stieren.    „Hey.“, sagte er dann mit einer weicheren Stimme, als er sie jemals an irgendein Kind zuvor gerichtet hatte.    Sie vergab ihm sofort und hüpfte näher, um ihm ihre Hände entgegen zu strecken. „Hier!“   Shikamaru sah nach unten. Sie waren leer. Verwirrung grub eine schwache Linie zwischen seine Brauen. Die Kleine hob ihre Hände noch höher und wartete, bis er die Verschränkung seiner Arme löste.    Und dann warf sie sich ihm entgegen.    Ihre kleinen Arme schlangen sich so weit um ihn herum, wie es möglich war und drückten in einer kindlichen Umarmung zu.    Shikamaru starrte geschockt geradeaus und hielt die Arme mit hochgezogenen Schultern unbehaglich zur Seite ausgestreckt.   Das hatte er auf gar keinen Fall erwartet und sein fassungsloser Gesichtsausdruck machte das mehr als deutlich.    Sie schien jedoch vollkommen ahnungslos von seinem Unbehagen und seiner Verlegenheit zu sein; was ihn aber weit weniger störte als dieses erstickende Gefühl tief in seiner Kehle, das ein Zucken seiner Augen auslöste. Das alles machte für ihn nicht den geringsten Sinn und er bemühte sich, jede Erklärung zu ignorieren, die sein Hirn rasend schnell suchte. Er stand einfach nur da und ließ zu, dass das Kind ihn umarmte, er glaubte sowieso nicht, dass er in der Lage sein würde, sie von sich zu schieben.    Maki hing wie eine Klette an ihm.    Eine volle Minute musste vergangen sein, bis sie ihre Wange über seine Flakjacke strich und den Nacken durchbog, um zu ihm aufsehen zu können.   „Deine Umarmungen sind wirklich schlecht.“   Shikamaru starrte weiter geradeaus und brauchte einen Moment, um darauf antworten zu können. „Sorry.“   Maki kicherte und drehte den Kopf – jedoch ohne ihn loszulassen – um über die Schulter zu rufen. „Yuko-chan! Komm und sag Tschüss zu Trickreich!“   Ah, Shit…   Ein weiteres kleines Mädchen mit langem ebenholzschwarzem Haar, das ganz offensichtlich diesen dämlichen Spitznamen kannte, den Maki ihm verpasst hatte, kam schüchtern angeschlichen. Ein kleiner buttergelber Vogel schwirrte spielerisch um ihren Kopf.  Shikamaru linste zu ihr hinüber, während er noch immer unangenehm in Makis Umklammerung gefangen war und hoffte inständig, dass seine steife Haltung und seine flache Miene ein deutliches Signal zwischen den Zeilen aussandte, das ‚Gönn-Trickreich-`ne-Pause‘ vermittelte.   Doch stattdessen umarmte auch sie ihn – oder beugte sich zumindest weit genug nach vorn, dass sie sich vorsichtig an seinem linken Arm festhalten konnte.    Ugh. Das nervt.   Unbeholfen eingeklemmt zwischen den beiden Kindern, dachte Shikamaru angestrengt über die beste Möglichkeit nach, sich zu befreien, ohne sie zum Heulen zu bringen. Sich mit weinenden Frauen herumschlagen zu müssen war die eine Sache, weinende Kinder dagegen eine ganz andere. Und letztendlich waren das hier kleine Frauen, was das potenzielle heulende Desaster nur noch schlimmer machte.    Klasse…   Ein Kichern zog seinen Blick nach oben.    Naruto lag faul auf dem Ast einer der Bäume und versteckte sich vermutlich vor seinem orange gefiederten Fanclub. Grinsend starrte er auf Shikamaru hinunter und formte mit den Lippen „Trickreich“.   Shikamaru war stark versucht, eine mörderische Miene aufzusetzen.   Doch stattdessen wurde er zeitweise geblendet, als ein grelles Licht in kurzer Distanz aufblitzte.    Was zur Hölle?   Aus reinem Reflex ließ er seine Arme fallen und schob sie um die Kinder, um sie zu schützen. Rasch blinzelte er sich die Punkte aus den Augen, nur um ein paar Schritte entfernt Lee zu bemerken, der eine klobig aussehende Kamera in Händen hielt.    Shikamars Augen verengten sich mörderisch.   Die Mädchen giggelten.    Kibas Stimme erscholl hinter einem der Bäume. „Na hast du den großen Softie erwischt?“   „Ein zärtlicher Augenblick wurde eingefangen! Mission erfüllt!“, bestätigte Lee und salutierte mit der Kamera.    Shikamaru wollte sie Kiba am liebsten um die Ohren pfeffern. „Zu blöd, als Teamführer konfisziere ich das Ding.“   „Pfft.“ Naruto machte oben in den Baumkronen eine wegwerfende Handbewegung, bevor er in einem Rascheln von Blättern und Zweigen nach unten sprang und sich beides aus dem Haar wuschelte. „Sei nicht so ein Spielverderber, Trickreich.“   Shikamarus Auge zuckte.    Sakura steckte den Kopf zwischen den Zeltplanen des Wagens hervor und starrte sie wegen der Lautstärke missbilligend an. Doch ihre scharfen Worte erstarben ihr auf der Zunge, als sie die Kinder bemerkte – und den angespannten Ausdruck auf Shikamarus Gesicht.    Hilfesuchend sah er zu ihr hinüber.    Leise glitt die Kunoichi von dem Karren und kam schweigend zu ihm herüber. Zumindest, bis Hibari plötzlich und still von der anderen Seite des Wagens auftauchte. Sakuras Hand flog zu ihrem Hals und sie ließ ein überraschtes Kreischen los.    Hibari hob eine Braue, während sich seine Lippen langsam bogen. „Weißt du, das klingt fast wie der Paarungsruf von einem unserer Vögel.“   Sakura warf ihm einen nervösen Blick zu und war für einen Moment sprachlos.    „Dann ist es wohl ein ganz schön konfuser Vogel.“, knurrte sie schließlich und versuchte, etwas Anstand zurück zu gewinnen.    Hibari stützte mit einer Arroganz einen Arm gegen den Wagon, die von Humor abgemildert wurde und musterte sie schamlos von Kopf bis Fuß. „Wegen des konfusen Parts bin ich mir nicht sicher“, summte er tief in der Kehle, „aber es ist definitiv ein schöner Vogel.“   Narutos Kiefer klappte nach unten.    Sofort brachen die Kinder in eine neue Welle aus Kichern aus.    Shikamaru rollte nur mit den Augen und räusperte sich wenig subtil.    „Maki-chan, Yuko-chan, das reicht jetzt.“ Hibaris Stimme schlichtete die Belustigung der beiden Mädchen. „Lasst Shikamaru-san los.“   Yuko gehorchte sofort, wohingegen Maki die Gelegenheit nutzte, schmollend ihre Unterlippe nach vorn zu strecken und ihren kindlichen Trotz so gut wie möglich auszuschöpfen. Sie presste Shikamaru in eine feste anhaltende Umarmung – einfach nur um lästig zu sein, bevor sie ihn losließ.    Als sie zu ihm aufsah, schimmerten ihre grünen Augen wie Malachit. „Ich will deinem Freund Tschüss sagen!“   Shikamaru schluckte hart; ihre Worte trafen ihn wie ein Messer in der Brust.    Energisch hielt er seine Miene kontrolliert und ausdruckslos. „Ich werde es ihm ausrichten.“   „Aber ich habe Kekse gebacken.“, sagte Maki und deutete auf den Wagen. „Vögelchen und Herzen.“   „Maki…“, sagte Hibari mit strengerer Stimme. „Das reicht jetzt!“   Das Kind zog den Kopf ein und versteckte sich hinter ihren Locken.    Man musste kein Genie sein, um die Tränen vorhersehen zu können.    Scheiße…denk nach…   Shikamaru zögerte, öffnete dann aber den Verschluss einer schmalen Tasche in seiner Flakjacke. Eine der geräuschunterdrückenden kleinen Schriftrollen fiel heraus. Mit geschickten Fingern fing er sie auf und löste die Kette und den Noten-Anhänger davon. Träge ließ er die glänzenden Glieder vor der Kleinen hin und her schwingen.    Maki fing das Schimmern des Silbers auf und hob den Blick; ihre Augen glänzten, als sie schniefte. Aufmerksam sah sie zu, wie der Noten-Anhänger vor und zurück wippte wie das Pendel eines Hypnotiseurs; ihre Augen waren weit und gebannt.    „Nimm es.“, sagte Shikamaru. „Mein Freund mag den Gesang von Vögeln…er wollte, dass ich dir das hier gebe…damit du ihn nicht vergisst.“   Makis grüne Iriden leuchteten sofort auf.    Und Shikamaru bemerkt nicht, wie Sakuras Miene traurig zu bröckeln begann.    Das kleine Mädchen hüpfte auf der Stelle und nahm das angebotene Geschenk in die Hand, als wäre es ebenso zart und kostbar wie gesponnenes Glas. „Danke!“   Shikamaru nickte und beobachtete, wie sie sich auf die Lippe biss, um ihre Freude in sich zu halten. Wie ein Wirbelwind schnellte sie mit fliegenden Locken herum und jagte ihrer dunkelhaarigen Freundin nach, während sie die Kette an ihr Herz drückte. Shikamaru sah ihr für einen langen Moment nach und ein nachdenklicher Ausdruck schlich sich in seinen Blick.   „Das war freundlich von dir.“, sagte Hibari.    Achselzuckend wies Shikamaru die Aufmerksamkeit von sich. „Bist du gekommen, um dich zu verabschieden, Tsubasa?“   „Ich werde dich nicht umarmen, falls du deswegen besorgt warst.“   Shikamaru schnaubte und kämpfte darum, etwas Sinn für Humor zusammenzukratzen. „Cleverer Zug.“   Sakura sah zwischen den beiden hin und her und versuchte, ein wenig Shikamarus Stimmung aufzuhellen, indem sie in einer femininen Geste von Frust mit der Hand ruckte. „Pfft. Männer und ihr zerbrechliches Ego. Umarmungen von kleinen Kindern können dir nicht weh tun, weißt du.“   Hibari wandte sich ihr zu. „Zu schade. Ich habe schon gehofft, dass mir das etwas medizinische Aufmerksamkeit einbringen würde.“   Die pinkhaarige Kunoichi schnaubte spottend und verschränkte mehrere Male die Arme vor der Brust, als wüsste sie nicht, was sie mit ihnen anstellen sollte, während sie versuchte, nicht zu schmunzeln. „Hast du eigentlich überhaupt kein Schamgefühl?“   „Absolut gar keins.“, versicherte Hibari ihr mit einem Funkeln von Belustigung, bevor er zu Shikamaru spähte. „Passt auf euch auf. Solltet ihr irgendwelche medizinische Versorgung brauchen, die ihr in dem Gasthaus nicht bekommen könnt, dann schickt uns die Brieftaube, die wir euch gegeben haben. Ich werde euch schicken, was auch immer ihr braucht.“   „Danke.“, erwiderte der Schattenninja und schnippte mit den Fingern vor Narutos Gesicht, um den Todesblick des Uzumaki zu unterbrechen, mit dem er Hibari bedachte. „Lass das.“   Kiba schlenderte zu ihnen und zerstreute effektiv die Spannung. „Ich habe eine Eule.“   Narutos Aufmerksamkeit wurde sofort umgelenkt und er spähte zur Seite. „Eh?“   Der Inuzuka nickte mit dem Kinn zu der kleinen braunen Eule, die auf seiner Schulter saß. Der Vogel drehte den Kopf und blinzelte mit Augen, die Lees ungeheuer ähnlich sahen.    Naruto kniff die Augen zusammen und beugte sich vor. „Hey, warum hast du eine Eule bekommen und ich nur diese gruseligen Mosquito-Vögel?“   „Vielleicht weil sie dein Blut wollen?“ Kibra grinste. „Ist der aufgefallen, dass ich den klugen Vogel habe?“   Der kluge Vogel nutzte just diesen Augenblick, um auf Kibas Schulter zu kacken.    Eine lange und schwere Pause hielt an.    Sehr langsam drehte Kiba den Kopf und starrte den braunen Missetäter fassungslos an.    Naruto war der erste, der sich nicht mehr zusammen reißen konnte und sein Lachen löste eine Welle aus Kichern und Gejohle unter den versammelten Shinobi aus, was die Atmosphäre unmittelbar auflockerte.   „Oh, ich pack’s nicht.“, knurrte Kiba und ruckte mit der Schulter, als hätte er nervöse Zuckungen und versuchte, den Vogel loszuwerden.    „Warum? Du hast schon wieder Glück abbekommen, Scheißemagnet.“, lachte Naruto.    „Freak!“   Die Runde verbalen Missbrauchs, die jetzt losging, schreckte die Eule dann doch flatternd auf.    Shikamaru rollte mit den Augen und drehte sich, während er sich gleichzeitig dem Tsubasa zuwandte und ihm eine Hand entgegenstreckte. Hibari ergriff sie und besiegelte die Geste mit einem einzigen festen Schütteln. Beide Ninja zogen ihre Hand zurück und nickten.    „Werdet nicht wieder zu Fremden. Kommt bald wieder vorbei.“, sagte Hibari. „Solange ich Teil des Rates bin, wird diese Allianz mehr sein als nur Tinte auf Pergament.“   Shikamaru neigte den Kopf. „Die Hokage wird hoch erfreut sein, das zu hören. Alles Gute weiterhin, Hibari.“   Hibari berührte mit einer Hand sein Herz, bevor er seine Handfläche in einer uralten Geste des Segens dem Himmel entgegen bog; eine Geste, die Hanegakure seit Jahren nicht mehr benutzt hatte.    „Fliegt frei.“, sagte er.    xXx   Die Abenddämmerung stahl das Feuer aus den Wolken und verwandelte sie in aschviolette Flecken, die sich gegen den dunkler werdenden Himmel abzeichneten. Die Sterne begannen bereits zu leuchten, als sich das Konohateam in seiner Unterkunft ein paar Kilometer von den Grenzen Hanegakures entfernt niederließ.    Wie sich herausstellte, handelte es sich eher um einen Shukubo statt um ein Gasthaus.    Eine Tempelunterkunft, die eher ein Rückzugsort für müde und seelenleidende Wanderer war, die sich auf ihrer Reise aufzehrten oder sich auf dem ‚Pfad des Lebens‘ verloren hatten, wie es Naruto in einer Imitation von Kakashi ausgedrückt hatte, die so erbärmlich gewesen war, dass sie an jedem ‚verloren ging‘ außer an Sakura.    Shikamaru hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als sich selbst irgendwo zu verlieren, wo es still und friedlich war.    Sich selbst zu verlieren; nur für einen Augenblick – einen Augenblick, in dem er nicht lügen musste, nicht nachdenken musste, nicht so tun musste, als ob ihn die Besorgnis und die Angst in ihm ihn nicht auseinander rissen. Wie dumm also, dass er sich direkt nach der Nachbesprechung mit dem Team genau an den Ort begeben hatte, der ihm all diese drei Leiden verursachte. Der Ort, an dem Neji lag; tief gefangen in dem Griff einer Schwärze, die er immer noch nicht lösen konnte.    Shikamaru hatte nicht einmal inne gehalten, um seine Flakjacke auszuziehen, nur seine Sandalen. Er hatte nur gesprochen, um Hinata davon zu überzeugen zu gehen und etwas zu schlafen. Und dann hatte er die Mahnwache über Neji übernommen, ohne auf das Gesicht des Jōnin zu blicken. Schweigend hatte er dort gekniet und jeden einzelnen von Nejis zahlreichen blauschwarzen Blutergüssen mit der Salbe gepflegt, die Hinata ihm gegeben hatte. Jedes Mal war eine neue Welle Fieber ausgebrochen und der Nara hatte den Hyūga zärtlich sauber und trocken getupft, bevor er erneut die Salbe aufgetragen hatte.    Wieder und wieder…   Und dann, zwei Stunden später, öffnete sich leise die Schiebetür.    Shikamaru hielt mit den Fingern über Nejis Brust inne, seine Augen waren vor Erschöpfung halb geschlossen. Langsam hob er den Blick zu der Kunoichi, die im Türrahmen stand. Sakura lächelte brüchig, bevor sich ihre Lippen missbilligend verzogen, als Akamaru an ihr vorbei in den Raum schlüpfte und sachte mit seiner Rute gegen sie schlug.    „Er kommt immer wieder hier herein.“, murmelte Sakura.    Der Hund trottete herüber, die Ohren aufgestellt und seine Schnauze zuckte, als ihn der scharfe Geruch von Hinatas Salbe hinüber zu Neji zog. Shikamaru starrte den Vierbeiner finster an, doch seine Miene zerbrach, als der Hund seinen Kopf hinunter zu dem verletzten Ninja senkte und leise jaulte, bevor er zu winseln anfing, weil er keine Antwort erhielt.    „Wo ist Kiba?“, fragte Shikmaru mit heiserer und müder Stimme.    „Er schläft, mach dir keine Sorgen.“ Sakura verschränkte die Arme und ihr Gesicht war eine Darstellung angespannter Besorgnis, als sie sich gegen den Rahmen lehnte. „Shikamaru…auch du musst dich ausruhen.“   „Das hier ist nicht gerade anstrengend für mein Hirn.“, antwortete er leicht bissig.    Sakuras Schultern strafften sich. „Es ist nicht dein Hirn, um das ich mir Sorgen mache.“   Shikamarus Kiefer zuckte, doch seine Augen verweilten auf Nejis Brust, die sich mit flachen, scharfen Atemzügen hob und senkte; die Haut war roh und rau unter seinen Fingern. „Gönn mir `ne Pause, ok?“   „Was glaubst du wohl, warum ich hier bin?“   Shikamaru ließ sich auf den Knien ein wenig nach hinten sinken und setzte mit der einen Hand ruhig den Salbenbehälter ab, während er mit der anderen den Kontakt zu Nejis Haut hielt, auch wenn er bereits vor zehn Minuten damit fertig gewesen war, die Hämatome zu versorgen.    „Das habe ich nicht gemeint.“   „Ich weiß, was du gemeint hast.“ Sakura zog die Brauen zusammen und nahm einen tiefen Atemzug, um sich unter Kontrolle zu bringen, bevor sie Anstalten machte, zu ihm zu kommen. „Lass mich übernehmen.“   Shikamaru vollführte eine abweisende Handbewegung. „Ich war schon fertig.“   „Dann kannst du dich jetzt ausruhen.“   „Halt dich einfach fern, okay!“, knurrte Shikamaru und seine Augen flammten auf wie Feuer gefangener Brandy.    Akamaru legte die Ohren an den Kopf und klemmte den Schwanz ein.    Sakura versteifte sich gegen die Tür und zog angesichts des schneidenden Ausdrucks in seinen Augen den Kopf zurück. Ihre eigenen weiteten sich aufgrund der seltenen Demonstration einer verstörenden Aggression vonseiten des Schattenninjas. Doch die Sorge hielt sich weiter hart in ihren Zügen; ihre grünen Iriden waren weich und traurig.    Scheiße.   Der Zorn verschwand aus Shikamarus Augen, als ihn eine Woge aus Kälte durchströmte und mit einem dumpfen Schmerz gegen seine Schläfen pochte. Er sank noch weiter in den Futon und seine Hand rutschte von Nejis glühender Haut.    Langsam stellte er ein Bein auf, um seinen Ellbogen darauf abzulegen und sich die Stirn zu reiben; seine Stimme war ein zerhacktes Wispern. „Tut mir leid.“   Akamarus Ohren hoben sich wieder und seine Nase zuckte, als er die Spannung wahrnahm. Er winselte tröstend und tapste zu Shikamarus Futon, um sich neben ihn zu legen und mit dem Schwanz liebevoll gegen das Bein des Chūnin zu wedeln.    Sakura brauchte länger, um zu reagieren.    Sie hielt ein angespanntes und nachdenkliches Schweigen, bevor sie letztendlich die Tür hinter sich schloss, um schweigend zu ihm hinüber zu laufen. Sie überprüfte Nejis Puls und den Verband über seinem Schlüsselbein und schritt dann zu dem niedrigen Tisch, auf dem all die medizinischen Vorräte lagen.    Shikamaru hörte, wie sie irgendetwas mit Mörser und Stößel zerrieb. Er hatte beinahe Mitleid mit dem, was sie da zermahlte; wenn man bedachte, dass sich die beiden lebenswichtigen Organe in seiner Brust und in seinem Kopf anfühlten, als würden sie auf ähnliche Weise zu Brei zerstoßen werden.    Doch während er zuhörte, begann das Reiben der Gerätschaften, seinen Verstand in eine Trance einzulullen. Dieser monotone, stete Klang…erodierte nach und nach die Ränder seines Bewusstseins…machte langsam jedes Blinzeln ein wenig schwerer…seinen Atem tiefer…   Als er schließlich zur Seite kippte, spürte er nicht, dass Akamaru den Fall abfing.    oOo   Singen…sie sangen…   Kitori hatte gesungen…oder nicht?   Nein…   Nein, das hier war ein Skandieren…ein Mantra tiefer, beständiger Stimmen…Gebete…wie Tempellieder…   Tempel…?   Er drehte ein wenig den Kopf und Schmerz stach sich durch die kleine Bewegung hinter seine Augen.   Wo bin ich…?   Er blinzelte und versuchte, seine Sicht zu klären.   Sie wurde gerade scharf genug, damit er Gesichtszüge erkennen konnte, die in vertraute Neigungen geschnitten waren…Neigungen, die seine Finger, sein Mund und seine Augen bereits zuvor nachgezeichnet hatten…   In diesem schwachen Aufblitzen von Klarheit, war es leicht zu vergessen, dass er verraten worden war.    Es war so einfach zu glauben…dass es alles nur eingebildet gewesen war…dass selbst die Lügen nur Lügen gewesen waren…   „Shikamaru…“   Neji krächzte den Namen, während er zurück in das Schwarz glitt; nur Sekunden, bevor Shikamaru daraus zurückkehrte.   oOo   „Shikamaru…“   Shikamaru rührte sich sofort, als warmer Atem über seine Stirn geisterte.    Seine Brauen zogen sich zu einem schläfrigen Stirnrunzeln zusammen.    Hn?   Der Nara neigte den Kopf nach hinten und sein Mund strich über etwas, das seine Lippen kitzelte. Er zog die Nase kraus, um sich vom Niesen abzuhalten und seine Augen öffneten sich blinzelnd.    Zur Hölle?   Shikamaru blinzelte noch mehr und zwang seinen müden Körper dazu, zu reagieren, während sein Hirn fast augenblicklich wieder auf Touren kam. Als er endlich den Nebel vor seinen Augen los wurde, machte sich die Ursache des Kitzelns als Nejis Haar bemerkbar…das über sein Gesicht gefallen war…so nah waren sie sich…nah genug, dass Shikamaru die flachen Atemzüge des Hyūga schmecken konnte…   Gott…   Shikamaru richtete sich ruckartig auf seinem Ellbogen auf und verzog das Gesicht, als es heftig in seinen Schläfen pochte.    Akamarus Ohren zuckten und der Kopf des Hundes hob sich, um sich Shikamaru zuzuwenden; der buschige Schwanz wedelte kurz. Doch der Nara bemerkte es kaum, denn seine Aufmerksamkeit war voll und ganz auf die schlafende Gestalt neben ihm gerichtet. Erst durch einen sehr verspäteten Gedanken warf der Schattenninja einen raschen Blick durch das Zimmer.    Abgesehen von Akamaru war er allein.    Man hatte Laken über ihn gezogen, was darauf schließen ließ, dass entweder Sakura oder Hinata noch einmal vorbei gekommen waren.    Scheiße…wie lange war ich weg?   Erneut spähte er zu dem Hyūga und examinierte Nejis Wunde. Der Verband musste gewechselt werden, was wohl bedeutete, dass er nicht mehr als eine halbe Stunde geschlafen hatte. Angestrengt mied er jeden Blick auf Nejis Gesicht und strich die Mokkasträhnen von der Kehle des Jōnin, um den Puls prüfen zu können…und dann, gegen jeden Befehl seines Hirns, krümmte Shikamaru seinen Daumen und streichelte liebevoll über die Unterseite von Nejis Kiefer.    Fuck…hör auf…   Energisch presste Shikamaru die Lider aufeinander und riss seine Hand fort.    So schnell wie möglich richtete er seinen Verstand auf die Aufgabe und machte sich daran, Nejis Wunde zu reinigen und vorsichtig Sakuras gemörserten Puder in den Schnitt zu tupfen, um die Blutgerinnung zu unterstützen. Doch selbst diese einfache, fokussierte Aufgabe zerrte Shikamarus Atmung nach und nach in etwas Raues und Angespanntes in seinem Hals. Er schluckte und blinzelte, versuchte, seine Hand ruhig zu halten, während er den Verband anlegte und ihn behutsam befestigte. Und dann, plötzlich, verfing sich sein Atem so hart in seiner Kehle, dass er abgehackt und erstickt aus ihm herausbrach.    Fuck…ich muss hier weg…raus…   Shikamaru zwang sich selbst von dem Hyūga fort und stolperte beinahe über die Laken, als er hastig versuchte, sich aus der Verknotung des Stoffes zu befreien. Akamaru beobachtete ihn mit schräg gelegtem Kopf und verstand ganz offensichtlich nicht die Panik des Schattenninjas, während er leise wuffte.    Raus…   Shikamaru riss die Tür mehr oder weniger auf und erschreckte Hinata, die gerade dabei gewesen war, sie von der anderen Seite aufzuschieben. Ihre weiten Augen richteten sich auf sein Gesicht. Weite, weiße Hyūga Augen.   „Shikamaru-kun?“   Shikamaru blinzelte und stürmte an ihr vorbei; er bewegte sich hastig in welche Richtung auch immer ihm der schnellste Ausweg erschien.    Lauf einfach…atme…   Seine Beine griffen mit jedem Schritt noch weiter aus und verfielen schon beinahe in ein Rennen.    Ein Mönch erschien am anderen Ende des Korridors.    Shikamaru fluchte leise, bog scharf ab und drückte eine Seitentür auf. Sie führte ihn hinaus in einen dieser Zen-artigen Gärten. Und kaum traf die kalte Nachtluft auf sein Gesicht, kam er ruckartig zum Stehen. Mit einer bebenden Hand fuhr er durch sein Gesicht und schob sie nach hinten an seinen Nacken, um hart zuzupacken, während er die Augen schloss.   In einem der Räume wurde flackernd das Licht angemacht.    Die Beleuchtung schreckte Shikamaru auf und zwang ihn in eine hastige Bewegung.    Er lenkte seine Schritte um und begann zu laufen.    Beweg dich einfach…   Ohne irgendeine Richtung trottete er über einen Pfad, der aus breiten Trittsteinen gefertigt war.    Sie führten ihn zu einer heißen Quelle.    Sie war zu einem einfachen Onsen geformt worden und die Wasser wurden von dampfigem Nebel verhüllt.    Shikamaru blieb stehen und starrte in den Dunst, während Glühwürmchen wie verlorene Seelen um ihn herum schwirrten. Ein duftender rauchiger Hauch von Weihrauch wurde schwer auf der Luft getragen und schwebte mit dem Abendlied der betenden Mönche herüber.    Shikamaru inhalierte tief und stieß ein bebendes Seufzen aus.   Er blieb lange genug dort stehen, dass sich ein Glühwürmchen auf seiner Schulter niederließ und sanft funkelte. Langsam einatmend schob er die Hände in die Taschen seiner Chūninhose und bemühte sich, seine aufgewühlten Emotionen wieder zusammen zu klauben.    Nicht hier. Nicht jetzt.   Er drehte sich, um wieder zurück zu laufen, erstarrte aber an Ort und Stelle.    Etwas weiter den Pfad hinunter stand ein älterer Mönch in orangene Roben gehüllt und ohne sich zu bewegen. Er musterte ihn mit einem weisen Gesichtsausdruck und seine arthritische Hand krümmte sich um einen Gehstock.    Mist…   Da er den Eindruck hatte, dass er unbefugt diesen Garten betreten hatte, verbeugte sich Shikamaru steif und schritt weit aus, um so schnell wie möglich den Onsen zu verlassen. Doch als er an dem Mönch vorbei laufen wollte, stieß der alte Mann seinen Gehstock nach außen und versperrte Shikamarus Weg.    Shikamaru hielt inne und seine Stirn legte sich verwirrt in Falten.    Das Gesicht des Mönches, das in tiefe ernste Furch geschnitten war, hatte eine deutliche Ähnlichkeit mit verwitterter Baumrinde und seine mandelförmigen Augen war weiß und trüb vom grauen Star. Seine blinden Seen stierten starr geradeaus und sahen Shikamaru nicht an.    Der Nara räusperte sich und setzte zu einer Entschuldigung an.    Doch sein Versuch der Höflichkeit wurde jäh von dem Stock unterbrochen, der ihn in die Rippen stieß und von einem überraschend starken Schubs in die Richtung der heißen Quelle verfolgt wurde. Der Schattenninja stolperte zurück und war nicht in der Lage, irgendetwas anderes zu tun, da der Gehstock immer noch wie ein Schwert auf ihn gerichtet war, während er nach hinten bis an den Rand des Teiches wich.    Was zur Hölle?   Auf einen Schlag senkte der Mönch seine provisorische Klinge und ließ das Ende des Gehstockes wieder auf die Steinplatten klacken. Shikamaru zog die Brauen zusammen und versuchte zu verstehen, warum er wie ein irregeführter Hirsch mit einem verdammten Stock in die Enge getrieben wurde. Doch bevor er fragen konnte, schwang der Stab des Mönches wieder nach oben und stoppte gerade so wenige Zentimeter von der Stirn des Nara entfernt.    „Du.“, krächzte der alte Mann. „Bleib.“   Shikamaru blinzelte und mochte es überhaupt nicht, dass mit ihm gesprochen wurde, als wäre er ein verblödeter Hund. Allerdings hatte er das Gefühl, dass es ihn vermutlich ein Auge kosten würde, sollte er versuchen, sich dem Befehl zu widersetzen; zumindest wenn das Beben des Stockes irgendein Indiz sein konnte.    Es war schließlich nicht so, dass er sich aggressiv einem alten Mann gegenüber verhalten konnte – noch dazu einem Mönch.    Wenn er der Meinung gewesen wäre, dass es irgendwie für ihn von Vorteil sein könnte, dann hätte er vielleicht in Betracht gezogen, den Mönch dazu zu bringen, ihm mit dem Stab eins über den Schädel zu ziehen; und wenn nur, um seinem Hirn einen Gefallen zu tun. Doch stattdessen sah er zu, wie der Mönch seinen Gehstock senkte und den Rand des Beckens entlang schlurfte, um einen Ring aus kleinen Papierlaternen anzuzünden, die dort lagen. Jeder Versuch vonseiten Shikamarus, dem gebeugten Mann zu helfen, brachte ihm nur einen weiteren Stoß auf die Stirn oder in die Rippen ein. Und so stellte sich der Nara einfach an die Seite und beobachtete den Mönch erschöpft durch dichte Wimpern.    Gott verdammt, er wollte doch einfach nur allein sein. Er wollte nicht in eine weitere unbehagliche Situation getrieben werden, aus der er nicht entkommen konnte. All seine Nerven waren bloßgelegt und nur von einer erbärmlichen Schicht an Lügen bedeckt, die langsam abzurutschen drohte.    Gott…ich habe keine Kraft dafür…   Schweigend sah er zu, wie der Mönch mit einer zitternden Hand in den Ärmel seiner orangenen Robe griff. Schwer stützte er sich auf seinen Stab, als er verschiedene Salze in das dampfende Wasser streute.    Shikamaru zog die Brauen zusammen.    Kaum eine Sekunde später schwang der Gehstock auch schon wieder nach oben und stupste gegen sein Stirnrunzeln, als wäre es ein Finger. Und diesmal starrten diese blinden Augen direkt in Shikamarus dunkle Seen; und das mit einer tiefen und unheimlichen Art von Wissen.    „Du.“, sagte der Mönch sanft und nickte in Richtung des Onsen. „Wasch es fort.“   oOo   Es wusch über ihn hinweg wie Wellen…Wellen aus Feuer…Gott, es brannte so sehr…   Die Welt war wie schwarze Flammen an den Rändern und seine Nerven verschrumpelten unter der Hitze und seine Atemzüge wurden durch die Feuchtigkeit schwerer und schwerer.   Nasses Feuer in seinen Venen…   Er konnte es schmecken...   ‚Wie Feuer auf meiner Zunge…‘   Ein Durcheinander von Empfindungen, Schmerz und Vergnügen…das eine real, das andere erinnert…   ‚Gott…wie kannst du…nur denken…dass du kalt bist? Fuck…du brennst…‘   Shikamaru, der sich über ihm bewegte, in ihm, unter ihm…   Diesmal schmeckte er Shikamaru nicht einfach nur…er nahm ihn sich…   ‚Ich sollte eher dich auseinander reißen…‘   Zorn. Begierde.   ‚Wenn du mich hassen musst…dann hasse mich…‘   Nejis Wimpern zitterten und seinen Lippen entwich ein bebender Atemzug, als er den Laken zu entkommen versuchte, die über seine fiebrige Haut gelegt waren; roh und stechend, als würden Rasierklingen darüber kratzen.    „Er hat immer noch eine viel zu hohe Temperatur…“, sagte eine Stimme irgendwo über ihm.   Oder war es hinter ihm? Lag er überhaupt?   „Bis morgen sollte es sein Körper geschafft haben, das Fieber zu durchbrechen.“   Brechen…?   Etwas Nasses stupste ihn in die Schläfe. Ein Winseln erklang an seinem Ohr; leise und rau und steigerte sich zu einer Frequenz, die ihn zusammenzucken ließ.    „Akamaru…“ Hinata. Hinatas Stimme.    Und dann der Geruch von etwas wie Weihrauch…er versuchte, dem Aroma zu folgen…sich daran festzuhalten…   Wach auf…   Er spürte das geringste Stechen in seiner Armbeuge…und dann quoll erneut das Schwarz in seinen Geist…wirbelte seine Welt hinein in einen dunklen Sturm aus Feuer.    ‚Du verlierst nicht, erinnerst du dich? Fang jetzt nicht damit an…‘   Nejis Herz pochte…und begann stärker zu schlagen…   oOo   Schlaf. Nicht. Ein.   Shikamaru hob seine schweren Lider.    Langsam legte er den Kopf zurück gegen den Rand des Beckens und starrte durch den dichten Dunst aus Dampf und Wasser, der ihn umgab wie ein Laken, hinauf in den Sternen übersäten Himmel.   Endlich war er allein…   Bekämpfte den Schlaf…   Bekämpfte Gedanken…   Bekämpfte sich selbst…   Bekämpfte die Realität, dass die Morgendämmerung kommen und er fort sein würde; das zurücklassend, was er von Anfang an Konoha hätte regeln lassen sollen. Vielleicht war es ebenso arrogant wie dumm, anzunehmen, dass es schon irgendwie gut ausgehen würde…dass sie beide unversehrt davon kommen würden…   Es darf mir nicht leid tun…   Wenn es so wäre, was würde das bedeuten? Dass er es bereute? Scharf schüttelte er den Kopf und sandte Tropfen spritzend von seinem Kiefer.   Er sollte nicht so denken.   Aber er konnte es nicht einfach fort waschen…   Tut mir leid, alter Mann…ich wünschte, ich könnte es…   Und als er wieder hinauf zu den Sternen starrte; mit einer Müdigkeit die sich in jede Faser von ihm fraß, die sich straff zog, da spürte er, dass das Loch in seiner Brust ebenso weit und tief gähnte wie der endlose Himmel.   ‚Du hast mich umgebracht…bevor es das schaffen konnte…‘   Die Augen des Nara brannten nass, bevor sie sich schlossen und das Wasser kräuselte sich, als er tiefer hinein sank; versucht, sich bis zum Grund sinken zu lassen und ein Brüllen loszulassen, das nicht gehört werden würde. Doch als sein Kiefer die dampfende Oberfläche berührte, richtete er sich wieder auf und rammte seinen Kopf nach hinten.    Die Heilwasser konnten den dumpfen Schmerz aus seinem Körper stehlen.   Nur leider konnten sie nicht den Ort berühren, an dem er es am dringendsten benötigt hätte.    Shikamaru atmete langsam und bebend ein.    Mit aller Macht drängte er den Kummer nieder, der in ihm aufstieg.   Nicht jetzt…   Er kam dem Zustand alarmierend nahe, an dem er ein wenig zu müde war, es weiterhin bekämpfen zu können.    Es war Zeit, zu gehen.    Wie gut, dass die Morgendämmerung anbrechen würde, bevor er zerbrechen konnte.    ___________________________  Ja, es ist Zeit, sich von Hanegakure zu verabschieden. Ich hoffe, euch hat die Reise dorthin gefallen, denn jetzt ist sie vorbei... Break to Breathe nähert sich mit großen Schritten dem Ende, ich kann es kaum fassen, dass es nur noch acht Kapitel sind, die fehlen...die Zeit verging so schnell...   Ich hoffe so sehr, dass euch dieses Kapitel gefallen hat, es steht hier wieder EINIGES zwischen den Zeilen und es gibt schon wieder einen kleinen Hinweis auf das, was Shikamarus Problem in den kommenden Teilen der Serie betrifft, habt ihr es bemerkt? ;)  Ich würde mich wieder unglaublich über ein paar Worte von euch freuen meine Lieben!!     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)