Break to Breathe von _Scatach_ ================================================================================ Kapitel 34: Then you can fly too? --------------------------------- Kälte zog sich durch die Luft wie kleine Nadeln, kribbelte über Nejis Haut und sank in den Stoff seiner Roben. Doch dort blieb sie nicht. Er spürte, wie sich die Kälte tiefer fraß und sich ihren Weg hinunter bis zu den verkrampften verschlossenen Hohlräumen in seiner Brust grub.    Ein scharfes Zucken jagte seinen linken Arm hinauf und bis zu seiner Schulter.    Der Hyūga verzog das Gesicht.   Er hielt lange genug mit dem langsamen Streichen seiner Finger über Shikamarus Stirn inne, um die blassen Glieder zu krümmen und zu einer Faust zu ballen, bevor er sie wieder ausstreckte. Der Schmerz in seinem Arm beruhigte sich zu einem dumpfen Pochen. Während er mit der Schulter rollte, begann Neji erneut, seine Finger zaghaft über Shikamarus Stirn wandern zu lassen.    Der Nara rührte sich nicht.   Seine Lippen blieben leicht geöffnet und sein Atem war tief und regelmäßig.    Neji beobachtete den schlafenden Chūnin schweigend, ruhig und beinahe meditativ; seine halb geschlossenen Wimpern warfen Schatten unter seine blassen Augen. Shikamaru in diesen Zustand zu bekommen hatte eine gewisse Nötigung von Seiten des Hyūgas erfordert; oder genauer gesagt Druckpunkte und einen subtilen Einsatz der Sanften Faust. Wäre die Situation weniger ernst, hätte Neji vermutlich den Humor darin gesehen. Erzwungene Ruhe war nichts, von dem er jemals gedacht hätte, dass Shikamaru es brauchen würde.    Du hast mir kaum eine andere Wahl gelassen, Nara.   Shikamaru war beinahe augenblicklich zusammengeklappt und nun saß Neji mit dem Rücken an die Wand gelehnt, während der Kopf des Nara auf dem festen Muskel seines Schenkels ruhte. Der Rest der schlanken Gestalt des Schattenninjas war auf dem Futon ausgestreckt; ein Bein leicht angewinkelt und die Ferse in seine weggeworfene Flakweste gegraben.    Neji hatte vorgehabt, zu gehen.    Hatte es immer noch vor.    Der Befehl seines Hirns ‚bewege dich jetzt‘ wollte jedoch nicht in seinem Körper ankommen. Und so blieb er sitzen, gebadet in das dämmrige Licht der Laterne, das von den Sprüngen im Glas frakturiert war. Es tauchte Shikamarus Gesicht in scharfe Winkel, die Neji meditativ nachzeichnete und den Erhebungen und Senken folgte, während er mit dem Daumen über die Druckpunkte rollte. Energisch ignorierte er die Stiche in seinem Arm; die Strafe dafür, dass er Chakra in seinen Fingerspitzen konzentriert hatte.    ‚Verdammt. Du kannst nicht kämpfen. Du kannst dein Jutsu nicht benutzen und du wirst in etwas enden, aus dem du dich nicht selbst wieder herausziehen kannst.‘   Shikamarus Worte jagten durch die hintersten Winkel seines Verstandes und schnitten jedes Mal etwas tiefer, wenn er sich selbst gestattete, über sie nachzudenken. Seine Finger glitten hinunter zu Shikamarus Mund, strichen über die geöffneten Lippen und fühlten das sanfte Ausatmen gegen seine Fingerspitzen. Seine eigene Brust zog sich zusammen; die Luft schmerzte ihn in seinen Lungen.   ‚ANBU ist das nicht wert…‘   Neji atmete langsam aus.    Nein. Ist es nicht. Kein Mittel zum Zweck ist es das normalerweise…nicht, wenn der Preis so hoch ist…   Nicht, dass ihn der Preis aufhalten würde. Er würde nichts und niemandem gestatten, das zu sabotieren, wofür er zwei lange Monate so hart gearbeitet hatte – wofür er weiterhin arbeiten würde, trotz aller Widrigkeiten.    Ich darf nicht schwach sein. Nicht jetzt.   Neji strich mit einem Fingerknöchel über Shikamarus Stirn, folgte der glatten Haut zwischen den Brauen des Nara, in die sich noch eine halbe Stunde zuvor eine tiefe Furche gegraben hatte.    ‚Warum ist diese Mission so verdammt wichtig für dich?‘   Neji runzelte die Stirn. Eine von endlos vielen Fragen; alle hämmerten sich in seinen Schädel und zersplitterten seine Kontrolle…trafen Nerven, die eigentlich taub hätten sein sollen. Doch Shikamarus Kunai-gleiche Schärfe verfehlte ihr Ziel nur äußerst selten und jedes Mal, wenn sie einen Treffer landete, fühlte sich Neji etwas weniger unter Kontrolle…als hätte er jedes Mal weniger das Kommando über das, was er zusammenhalten musste, damit er nicht vollkommen auseinander brach.   Ich kann es mir nicht leisten, zu verlieren…   Das Kratzen schlurfender Füße zog seine Aufmerksamkeit zu der Höhlentür und er hörte das leise Klappern eines Tabletts, das abgestellt wurde. Der Hyūga überlegte, ob er sein Byakugan aktivieren sollte, entschied sich aber dagegen. Vermutlich war es nur jemand, der etwas Essen dort abstellte.    Doch dann öffnete sich die Schiebetür ein wenig.    Sofort versteifte sich Neji gegen die Wand. Er stoppte die Bewegungen seiner Hand und schirmte mit den Fingern Shikamarus geschlossene Augen ab, um sie vor dem Licht zu schützen, das grell in den schummrig beleuchteten Raum fiel.    Vollkommen darauf vorbereitet, die unwillkommene Person mit seinen Augen allein zu zerreißen, wandte sich sein Blick ruckartig der Öffnung zu – und verlor seinen Zorn rasch an Überraschung. Ein Kind linste durch den Spalt herein und schob die Tür ein Stückchen weiter auf, um den Kopf herein zu stecken. Ihre hellgrünen Augen leuchteten und ein Sturzbach nachlässig zusammengebundenen Haares rahmte ihr Gesicht mit blonden Locken ein.    Neji starrte sie an und war sich nicht sicher, wie er reagieren sollte. Er spannte sich so stark an, dass das Straffziehen seines Oberschenkels Shikamarus Kopf ein wenig anhob; sofort richtete sich der Fokus des Kindes auf den schlafenden Ninja. Sich selbst daran erinnernd, dass es sich hier um ein Kind und wohl kaum um eine Bedrohung handelte, zwang sich Neji dazu, sich wieder zu entspannen. Das kleine Mädchen blieb neben der Schiebetür hocken und starrte Shikamaru an.    „Ist er krank?“, wisperte sie.   Neji schüttelte den Kopf und fühlte sich viel unbehaglicher wegen der Situation als wegen der Antwort auf diese unschuldige Frage. „Nein. Er schläft nur.“   Das Kind wippte mit dem Kopf und rutschte auf den Knien nach vorn, als sie uneingeladen in den Raum krabbelte. Unsicher beobachtete Neji sie. Keine noch so große Menge an Ninja Instinkten oder Intelligenz bot ihm eine sofortige Vorstellung davon, wie er sich in dieser Situation verhalten sollte. Er konnte durchaus mit Kindern in dem kontrollierten Kontext einer Genin-Klasse umgehen, doch er vermied selbst zu seinen besten Zeiten solche Situationen an der Akademie.   Das Kind und diese Lage waren weit von allen Erfahrungen entfernt, die er jemals gemacht hatte.    Sie sah nicht älter als fünf aus.    Er sah ihr zu, wie sie sich auf den Knien drehte und ihr ohnehin schon mit Farbspritzern bekleckertes Kleid ruinierte, als sie das Tablett hinter sich in den Raum zog und es mit den Handballen über den Boden schob, während sie zu ihm hinüber gerobbt kam. Neji beobachtete sie schweigend, überrascht davon, dass sein unheimlicher Blick sie nicht so sehr eingeschüchtert oder erschreckt hatte, dass sie vor ihm davon rannte. Normalerweise dienten ihm seine Augen als beste Waffe und Verteidigung gegen hartnäckige Kinder.    Aber diesmal ganz offensichtlich nicht.    Nein, dieses Kind schob ihm einfach nur das Tablett zu und setzte sich zurück auf ihre Fersen, legte die Hände auf ihre kleinen Knie und beugte sich vor, um ihn intensiv anzustarren.    Neji starrte zurück.    Das Mädchen legte den Kopf schief. „Deine Augen sind komisch.“   Einer von Nejis Mundwinkeln zuckte. „So wurde mir gesagt, ja.“   „Sie sind schön.“   Das hatte man ihm allerdings noch nie zuvor gesagt; vor allem nicht von einem Kind. Der Hyūga zögerte für einen Augenblick und versuchte zu entscheiden, wie er darauf antworten sollte, bis ihm Shikamarus Reaktion auf eines der anderen Tsubasa Kinder in den Sinn kam. „Danke….“, sagte er leise.   Das Mädchen grinste zähneblitzend und offenbarte dabei kleine Lücken in ihrem Lächeln. „Wie die Augen eines Engels.“   „Ich bin kein Engel.“, sagte Neji.   Weit davon entfernt.   „Bist du ein Shinobi?“, zwitscherte sie.    „Ja.“   Das Mädchen schielte zu Shikamaru. „Ist er auch ein Shinobi?“   Neji nickte und bemerkte, wie das Kind auf seine Hand starrte. Er hatte sie nicht von seiner sanften Berührung über den geschlossenen Augen des Nara zurückgezogen. Als er es jetzt realisierte, ließ er sie abrupt von Shikamarus Kopf fallen. Das Mädchen giggelte. Verlegen spähte Neji zur Tür.    Vollkommen ahnungslos von seinem Unbehagen, rutschte das Mädchen noch näher und beäugte Shikamaru argwöhnisch. „Ist er dein Freund?“   Neji sah sie an. „Ja.“   „Freunde sind kostbar.“, sagte das Mädchen und ihr Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an, der darauf schließen ließ, dass eine wichtige Person ihr das gesagt hatte.    Neji lächelte leicht und entspannte sich nach und nach. „Ja, das sind sie.“   „Du solltest auf deine Freunde achtgeben.“, erklärte sie ihm mit unkomplizierter Unschuld. „Gibst du auf deinen Freund acht?“   Die Frage sank schwer in Nejis Verstand und das Gewicht davon zog seinen Blick hinunter auf Shikamaru. Seine milchigen Augen zuckten an den Winkeln.    „Ich denke eher, dass er auf mich achtgibt.“, murmelte Neji.    „Das ist gut.“ Das Mädchen grinste und schob das Tablett näher. „Hier ist was zu essen. Ich habe den Keks gemacht.“   Neji neigte den Kopf und bemerkte das kleine, mehr oder weniger herzförmige Plätzchen, das auf zwei Rationspackungen lag; denen ganz ähnlich, die sie bei Feldoperationen verwendeten. Das Mädchen griff nach dem Keks und wedelte damit in seine Richtung.    „Ich habe ihn gemacht.“, wiederholte sie.   Vorsichtig nahm Neji ihn mit zwei langen Fingern entgegen. „Danke. Er sieht sehr lecker aus.“   „Du kannst ihn mit deinem Freund teilen.“, sagte das Mädchen und deutete auf Shikamaru, bevor sie sich über den schlafenden Ninja hinweg beugte; sie legte eine Hand an ihren Mund, als sie Neji zuwisperte. „Ssh! Du wirst ihn zerbrechen müssen. Das bringt Unglück. Aber du kannst sagen, dass ich es war.“   Sie zog sich zurück, nickte mit ernster Miene und presste sich die Finger an die Lippen, um das Geheimnis zu besiegeln. Neji nickte, amüsiert über die Keks-Verschwörungstheorie. Es erreichte beinahe den Grad einer echten Belustigung, bis sein Blick auf dem Arm des Kindes landete. Ein Siegel war in ihre blasse Haut gebrannt.    Ist das…Juinjutsu?   Nejis runzelte die Stirn und hielt seine Stimme sanft. „Was ist mit deinem Arm passiert?“   Stolz streckte das Mädchen besagten Arm aus und winkte damit, um das Siegel zu präsentieren; sie wisperte aufgeregt. „Wir alle haben es. Es ist etwas Besonderes. Sie geben es uns im Tempel.“   Neji legte den Keks auf Shikamarus Brust ab und streckte mit der Handfläche nach oben einen Arm aus. „Darf ich es sehen?“   Das Mädchen nickte und rutschte zu ihm hinüber, bis ihre Knie beinahe Shikamarus Schulter anstupsten. Rasch sah Neji zu ihm hinunter. Der Schattenninja schlummerte weiter, zu tief versunken in dem Schlaf, in den Neji ihn gestoßen hatte, um so einfach daraus geweckt werden zu können. Sehr vorsichtig lehnte sich Neji nach vorn und spannte seinen Schenkel an, um ihn davon abzuhalten, sich zu sehr zu bewegen.    Das Mädchen legte ihren Ellbogen in seine Handfläche. „Es ist hübsch!“, wisperte sie.    Neji studierte das Mal in ihrer Armbeuge genau. Es war elegant und einfach gehalten, doch weit davon entfernt, hübsch zu sein; gemessen an seiner hässlichen Bestimmung. Die Lippen des Hyūgas pressten sich aufeinander. Er hätte sein Byakugan aktiviert, aber er wollte das Kind nicht verschrecken.    Langsam drehte er sein Handgelenk und wandte den Arm des Mädchens mehr dem Licht zu, während er das Brandmal examinierte. Seine genaue Funktionsweise war offensichtlich einzigartig für das Juinjutsu der Tsubasa, aber Neji erkannte ein Fluchsiegel, wenn er eines sah.    Das kleine Mädchen hüpfte aufgeregt auf den Knien und grinste stolz. „Wir bekommen es, damit wir fliegen können, wenn wir erwachsen sind.“   „Fliegen?“ Neji sah zu ihr auf und Verständnis berührte seine Augen.    „Yup! Wie die Vöglein.“   Also ist es für das Gedankenübertragungsjutsu. Götter…das sind nur Kinder…   Er senkte den Blick wieder hinunter auf das Mal und ein unbehagliches Gefühl rollte durch ihn. Ein Aufwühlen der ruhenden Emotionen, die er verstopft und erstickt hatte. Zaghaft strich er mit dem Daumen über das Siegel und schüttelte den Kopf.    Bastarde…   „Es tut weh, wenn sie es tun.“, sagte das Mädchen fröhlich. „Aber das ist okay.“   Nein. Das ist es nicht.   Neji ließ sie langsam los und schluckte die unausgesprochenen Worte hinunter, während er auf ihren Arm stierte und zusah, wie sie über das Mal rieb – als würde es dadurch glänzen. Die Ironie war kalt. Genauso kalt wie der glänzende Stahl, der sein eigenes Fluchsiegel verdeckte.    ‚Mach das nicht zu etwas Persönlichem.‘   Und als er auf den Arm des Kindes starrte, wusste er, dass es dafür bereits viel zu spät war.    Ahnungslos von seinem Blick, begann das Mädchen mit Shikamarus Haar zu spielen und stupste ihre Handfläche leicht gegen die spitzen Enden des Pferdeschwanzes. „Es hat weh getan, aber Mama meinte, es wäre Trasision.“   „Tradition…“, korrigierte Neji sie sanft und stierte hinüber zu einer Seite des Raumes.    „Yup! Mama sagte, es wäre Trasision.“ Sie hörte auf, mit ihrer Hand zu stupsen. „Mama ist davon geflogen.“   Neji schloss die Augen und sein Kiefer verkrampfte sich, bis er den Zug den ganzen Weg hinunter und die Sehnen in seinem Hals entlang spürte. Er hörte, wie sich das Mädchen bewegte und hob die Lider. Grüne Augen starrten ihn neugierig an.    „Bist du traurig?“, fragte sie und schien ein wenig zu schmollen.    Neji schluckte. „Nein…“   „Du siehst traurig aus.“   Er schüttelte den Kopf und zog damit ihre Aufmerksamkeit auf sein Stirnband. Sie musterte das Hitai-ate, sah dann auf Shikamarus Stirn und anschließend wieder zu ihm auf. Neji konnte ihre Frage bereits lesen.   „Ich habe auch so ein Mal.“, sagte er weich.    Ihr Gesicht hellte sich auf. „Dann kannst du auch fliegen?“   Neji starrte sie an; diese unschuldigen Worte schnitten so tief, dass er einen langen Moment brauchte, um darauf antworten zu können.  „Eines Tages.“, antwortete er und wandte den Blick ab.    „Hibari-niisan sagte, dass du uns helfen willst, dass wir wieder fliegen können.“   „Das stimmt.“   Das Kind wackelte mit einem Finger. „Versprichst du es?“   Neji lächelte schwach, schaffte es kaum, das Heben seiner Mundwinkel überhaupt zustande zu bringen; doch er nickte, als er sie wieder ansah und ignorierte die Schwere seines nächsten Satzes.    „Ich gebe dir mein Wort.“   Das Mädchen zog Zuversicht aus seinem Versprechen und kam taumelnd auf die Füße, um sich den Staub von ihrem Kleid zu klopfen. Dann grinste sie breit und stemmte die Hände in die Hüften, um eine lebensfrohe Pose einzunehmen, die Neji stark an Naruto erinnerte.   „Dann werde ich höher fliegen als alle anderen.“, versprach sie im Gegenzug und nickte heftig, bis ihre Locken hüpften und sie unter der Kraft ihres eigenen Enthusiasmus wankte.    Neji räusperte sich und sagte mit heiserer Stimme: „Ja, das solltest du.“   Das Kind grinste und deutete auf den Keks, der auf Shikamarus Brust lag, bevor sie zur Tür herumwirbelte, ihre Aufmerksamkeit auf irgendeine neue Mission gerichtet. Sie sprang geradezu aus der Höhle und schob die Tür hinter sich zu.    Sie ließ eine erstickende Stille zurück.    xXx   Die staubigen Wände der Tunnel sahen wie eine Leinwand für Kinder aus. Lauter Wandgemälde von unzähligen ‚Und dann lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage‘ Momenten, magischen Wäldern und unproportionalen Tieren; Karikaturen von Kreaturen, die sich um lächelnde Strichmännchen gruppierten, die viel zu große Hände an Körpern mit ebenso viel zu großen Köpfen hatten. Blumen, Wolken und herzförmige Bäume dominierten die Traumlandschaft.   Unschuldige, idealistische und imaginäre Welten.   Unmögliche Welten.   Neji runzelte die Stirn und folgte dem Pfad einem der sich windenden Durchgänge, während sein Blick und hin und wieder auch seine Finger über die Zeichnungen wanderten.    Die Kinder hatten das Beste aus ihrem Gefängnis gemacht.    Sie hatten ihren Käfig vergoldet.    Neji hielt inne, als der Klang von Stimmen von weiter hinten aus dem Tunnel erscholl, laut und hitzig, dann ernst und leise. Er aktivierte sein Byakugan, lokalisierte die Ursache und schritt leise in die Richtung; erleichtert, dass er nicht noch länger suchen musste. Er schnappte noch das Ende der Unterhaltung auf – oder eher der Gardinenpredigt, gemessen an den Gesprächsfetzen, die er hörte.   „-also lasst mich euch beide nicht noch einmal dabei erwischen, wie ihr an der Oberfläche herumwandert, verstanden? Es ist nicht sicher!“ Hibaris Stimme drang an sein Ohr. „Und roll nicht so mit den Augen. Sorg dafür, dass du etwas Salbe darauf schmierst.“   Die Schiebetür wurde aufgezogen und Neji trat einen Schritt zur Seite, als zwei junge Buben mit schamroten Gesichtern an ihm vorbei schlurften. Einer von beiden hielt sich ein Tuch an den Nacken. Neji runzelte die Stirn, glättete seine Miene aber sofort wieder, als er zu dem Rotschopf hinüber spähte, der die beiden Kinder fort geschickt hatte.    Graue Augen kollidierten mit Opal.    Hibari blinzelte und schob die Tür etwas weiter auf. „Hyūga. Ich wollte in circa einer Stunde zu euch.“   „Ich dachte, ich erspare dir die Mühe.“ Nejis Blick senkte sich zu dem Blut, das über den Fingern des Tsubasa verschmiert war. „Was ist passiert?“   „Der Junge wurde verletzt.“, sagte Hibari, während er zurück in den Raum trat und sich mit einem Tuch die Hand abwischte. Das Blut löste sich leicht von der Haut. „Die Kinder wurden von einem von Ozukus Vögeln entdeckt. Einer der Jungs wurde verletzt.“   Neji summte und seine Brauen zogen sich zusammen. „Kitori meinte, die Vögel wären darauf trainiert, lebenswichtige Punkte zu attackieren.“   „Ah, eine Sache, über die sie offenbar nicht gelogen hat.“, schnaubte Hibari und schritt zu einem Waschbecken hinüber, als Neji den Raum betrat.    Der Hyūga sah sich um. Die Kammer war zu einem medizinischen Bereich ausgehöhlt worden, gemessen an den in die Wand gehauenen Hohlräumen, die mit Salben, Medizinflaschen, Verbänden und anderen Vorräten vollgestopft waren. Futons lagen auf einer Seite des Raumes, alle markiert mit zerfetzten Etiketten auf denen „MED 04“ stand.    „Das erinnert mich daran.“, sagte Hibari und wusch sich die Hände. „Ich glaube, einer von euren Leuten wurde markiert.“   „Markiert?“, echote Neji und stellte sich neben einen Tisch, auf dem sich Bandagen und Balsame verteilten.   „Ja, der Vogel, der die Kinder erwischt hat, war ein Aufspürer. Was bedeutet, dass er mit einem Zielobjekt verbunden ist.“ Hibari wandte sich ihm zu und graue Augen musterten ihn ruhig. „Wurde irgendeiner von euren Shinobi von Vögeln attackiert?“ Neji nickte. „Mehrere von uns.“   Hibaris Miene verdüsterte sich und er nahm eine flache Box auf, die er zu dem Tisch trug und dort abstellte, um die Balsamgläser und Verbände darin zu verstauen. „Hat es irgendeiner der Vögel geschafft, sich festzukrallen?“   Nejis Lippen hätten sich angesichts der Erinnerung beinahe grimmig verzogen, doch er hielt sich unter Kontrolle. „Ja.“   „In wen?“   „In mir.“   Hibari hörte sofort auf, die Sachen in die Box zu packen. Er bedachte Neji mit ernster Miene, bevor er die Kiste beiseite schob, den Tisch umrundete und mit dem Handgelenk ruckte. „Dreh dich um.“   Neji hob eine Braue und seine Muskeln zogen sich stramm. „Wie bitte?“   Doch Hibari schüttelte nur den Kopf und hielt ein paar Schritte entfernt inne. „An deinem Nacken richtig?“   Nejis Augen verengten sich leicht, doch er nicke.    „Das ist die Stelle, an der sie die Markierung anbringen.“, erklärte Hibari und seufzte, als er an ihm vorbei schritt, um eine andere Box in einer Ecke des Raumes zu durchwühlen. „Du hast einen Peilsender an dir.“   Neji beobachtete den Tsubasa wachsam. „Wie genau sieht der aus?“   „Es ist ein mit Chakra versehener Käfer, fast wie ein Parasit.“, sagte Hibari und zog ein Skalpell hervor. „Sie werden mithilfe der Vogelkrallen übertragen. Ähnlich wie Bienenstiche. Also außer du willst, dass sich das Vieh bis in dein Rückenmark gräbt, lässt du es mich entfernen.“   Na wundervoll.   Neji spürte instinktiv, wie sich sein Körper in einem bestimmten Winkel drehte. Ein paar Grade mehr hätten ihn in eine Haltung fallen lassen, die an Defensive grenzte. Diese Bewegung war tief in ihm verwurzelt. Doch seine Intuition sagte ihm, dass sich weder in Hibaris Stimme, noch in seinem Gesichtsausdruck eine Bedrohung befand.    Nicht, dass das irgendwie dazu beitragen würde, dass er weniger wachsam war.    Der Hyūga verweilte auf der Seite der Vorsicht und sein Blick wanderte zu dem Skalpell in Hibaris Hand, als der Tsubasa zu ihm hinüber schritt. Er folgte Nejis Augen zu der dünnen Klinge.    „Es wird schnell gehen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass es schmerzlos wird.“   Neji grinste freudlos und machte keinerlei Anstalten, zu kooperieren. „Sei versichert, es ist nicht der Schmerz, der mir Sorgen bereitet.“   Hibari schmunzelte und wirbelte das Skalpell in seiner Hand herum, sodass die Klinge nicht länger auf Neji gerichtet war. Vorsichtig legte er sie auf dem Tisch ab. „Ich verstehe. Ich werde jemand anderen holen, der es macht.“   Neji sah zu, wie der Tsubasa zu einem angrenzenden Raum lief, die Tür beiseite schob und mit jemandem auf der anderen Seite sprach. „Bitte geh und hol Isuka.“   Der Name klang vertraut. Neji runzelte die Stirn und er erinnerte sich, dass Sakura den Namen ein oder zweimal gegenüber Shikamaru erwähnt hatte. Der Nara hatte darauf irgendetwas über unterernährte Frauen geantwortet, die nur Vogelfutter zum Frühstück aßen.   „Den Namen habe ich schon einmal gehört.“, sagte Neji, als sich Hibari ihm wieder zuwandte.    „Ja? Sie ist eine von unseren Leuten innerhalb des Dorfes.“, erklärte der Rotschopf und setzte sich an den Untersuchungstisch, während er seine Füße auf einem der gegenüberstehenden Stühle ablegte. „Sie ist Veterinärin, aber mach dir keine Sorgen, sie weiß auch, wie man mit Menschen umgehen muss.“   Wenn das irgendwie beruhigend sein sollte; das war es nicht.   Neji bot keine Antwort darauf an. Er blieb einfach nur stehen und nahm sich einen Moment Zeit, um seinen Blick über die Vorräte in dem Zimmer wandern zu lassen. Er konnte spüren, wie Hibari ihn beobachtete, gestattete dem Mann aber seine Inspektion, ohne ihn herauszufordern. Er wandte ihm erst wieder der Blick zu, als Hibari erneut nach dem Skalpell griff. Doch der Tsubasa schob es nur noch weiter von ihnen beiden fort und drapierte einen Arm über die Ecke des Tisches, während er fortfuhr, Neji zu mustern.    „Also hat meine Mutter ihre Klauen auch schon in dich geschlagen, Hyūga?“   Neji hob eine Braue und bedachte Hibari mit einem Seitenblick; eine stumme Frage nach Erklärung.    Hibari ging mit einem freudlosen Lächeln und achselzuckend darauf ein. „Du wärst nicht der Erste, wenn das der Fall sein sollte.“   „Was lässt dich glauben, dass sie solch einen Einfluss hat?“   „Du schienst nur sehr ungern zu glauben, dass sie mich und meine Schwester hintergehen würde.“ Hibari legte neugierig den Kopf zur Seite. „Warum das?“   Trotz des defensiven Sträubens, das über Nejis Wirbelsäule rann, hielt er seine Gesichtszüge unlesbar und vollkommen stoisch. Er wollte seine Gedanken nicht auf Kitori und ihre herzlosen Beweggründe richten. Ihr Verrat war nichts Persönliches und dennoch fühlte es sich an, als hätte man ihm einen Schürhaken in den Rücken gejagt.    Es erzürnte ihn auf eine alarmierende Weise.   Eigentlich sollte es nicht diesen Effekt auf ihn haben.   Aber er hatte etwas in dieser Frau gesehen, das alte Geister hatte auferstehen lassen. Alte phantomhafte Schmerzen, die immer noch in ihm nachhallten. Sie hatte ihn an zwei lange Monate bitterer Heimsuchungen erinnert, von denen er nicht geplagt werden wollte, doch denen er nicht entkommen konnte.   Stop. Konzentrier dich.   Neji atmete langsam ein, dankbar dafür, dass Hibari sein Schweigen als Gelegenheit nutzte, weiter zu sprechen; er zog damit Nejis Gedanken zurück in die Gegenwart.    „Sie hat vermutlich schon für eine ganze Weile ein Auge auf dich geworfen.“, bemerkte der Tsubasa und klang dabei nachdenklich.   Neji sah ihn an. „Was meinst du damit?“   Hibari antwortete nicht sofort und schien über seine eigenen Gedanken nachzugrübeln. „Du hast gesagt, dass sie dir den Tempel gezeigt hat, oder? Ziemlich seltsam, dass sie das getan hat. Vermutlich hat Ozuku sie dafür bestraft. Ich glaube, auf ihre eigene verdrehte Weise, mag sie dich sehr.“   Neji wollte das nicht einmal in Betracht ziehen. Und so veränderte er schlagartig den Kurs ihrer Unterhaltung. „Hibari, kann deine Mutter dieses verbotene Gedankenübertragungsjutsu ebenfalls anwenden?“   „Hn. Sie nutzt es wahrscheinlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit.“, murmelte Hibari und ein bitteres Lächeln verzog seine Lippen. „Eine Sache, an die ich mich noch aus meiner Kindheit erinnern kann? Sie liebte es, die Gedankenübertragung anzuwenden. Sie hat ihre Zeit lieber damit verbracht, als ihre Kinder zu beschützen.“   Nejis Brauen zogen sich scharf zusammen. „Warum?“   „Als Ausweg vermute ich.“ Hibari seufzte und stieß seinen Stuhl zurück auf die Hinterbeine, während er an die Decke stierte. „Hoch oben im Himmel wie ein Vogel? Es war vermutlich so nah dran an Freiheit, wie es ihr jemals möglich war.“ Hibari zuckte mit den Achseln. „Muss ihren Kopf verkalkt haben…sie hat Toki jedes Mal dazu gebracht, mit ihr zu singen, wenn sie wieder in ihren Körper zurückgekehrt ist. Genau wie ein Vogel.“   „Mit ihr singen…?“ Neji wandte den Blick ab und stierte in eine Ecke des Raumes. Er dachte daran, dass Kitori das Gesangstalent ihrer Tochter erwähnt hatte.    Die Erinnerung an die leblosen Augen des Mädchens erschien in seinem Verstand; genauso wie die Erinnerung an das schwindende pulsierende Leben, um eine Chance kämpfend, die er ihm innerhalb eines Herzschlages genommen hatte.    Götter…ich hätte es wissen müssen…   „Jo.“, fuhr Hibari fort und tippte sich vielsagend an die Schläfe. „Aber Kitori hat auch nicht mehr alle Nadeln an der Tanne.“ Hibari hielt inne und seine Stimme ernüchterte zu etwas Sanfterem. „Zumindest ist es das, was ich mir einrede, wenn ich sie mal etwas weniger hasse. Passiert nicht allzu häufig.“   Neji sah dem Rotschopf dabei zu, wie er mit seinem eigenen privaten Konflikt rang und wünschte sich auf einen Schlag, er würde Hibari nicht so gut verstehen, wie er es im Moment tat. Der Tsubasa seufzte und wechselte das Thema.   „Der Schlaukopf von euch.“, kommentierte Hibari und hob den Blick. „Er ist außergewöhnlich intelligent für sein Alter.“   Neji lächelte zaghaft ohne es zu merken. „Shikamaru.“   Hibari nickte. „Ja, genau der.“   „Ja, das ist er.“   Hibari schürzte die Lippen und sah etwas beunruhigt aus. „Weiß Ozuku, dass er so schlau ist?“   Neji musterte Hibari aus dem Augenwinkel. Ein schlagartiger und todbringender Beschützerinstinkt gegenüber dem Nara schlich sich durch sein Blut. Es sank in ihn wie ein geducktes Raubtier, dessen Krallen erwartungsvoll zuckten. Er versuchte, das Gefühl zu ignorieren; mochte nicht, wie irrational und unkontrollierbar es sich anfühlte.    „Ozuku hat Shikamaru und Kitori die gesamte Operation anvertraut. Daher gehe ich davon aus, dass er um Shikamarus Intelligenz weiß.“ Nejis Stimme wurde leiser. „Warum?“   „Dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Shikamaru ins Visier genommen wurde.“, erklärte Hibari. „Ozuku sieht Intelligenz als größere Bedrohung an als rohe Stärke. Halte ihn lieber außerhalb der Reichweite.“   Gott und ich habe ihn in direkte Reichweite gebracht, als ich ihn mit Kitori weggeschickt habe…   Nejis Kiefer verkrampfte sich und seine Finger ballten sich beinahe zur Faust; ebenso alarmierend wie dieses beschützen wollende Ding, das sich in ihn krallte. Doch dankbarerweise lenkte das Geräusch der Tür, die aufgeschoben wurde, seine Aufmerksamkeit um. Eine spindeldürre Frau schlüpfte in den Raum. Sie war in einen Mediziner Kittel gekleidet und ihr Haar war zu einem Dutt zusammengeknotet. Ihre scharfen adlerhaften Züge erweichten sich mit Sorge, als sie zu Hibari spähte.    „Wurde schon wieder ein Kind markiert?“   Hibari schüttelte den Kopf und nickte mit dem Kinn in Nejis Richtung. „Konoha Shinobi.“   Isukas Augen wanderten durch den Raum und in dem Moment, in dem sich ihr Blick auf Neji richtete, öffneten sich ihre Lippen leicht vor Überraschung. Für ein paar Herzschläge starrte sie ihn an. „Du bist ein Hyūga.“   „Ich hoffe, das ist kein Problem.“, antwortete er und milderte seine Worte mit einem schwachen Lächeln ab.  „Oh! Nein, überhaupt nicht.“ Isuka schüttelte den Kopf und schritt durch den Raum, um ein kleines Arztset hervorzuholen. „Es ist nur so, dass ich vor Kurzem mit ein paar Ninjas aus deinem Team über die Talente deines Clans gesprochen habe.“   Irgendetwas in dieser Aussage sorgte dafür, dass Neji die Brauen zusammenzog, doch er erholte sich rasch. Er hatte nicht einmal an seinen besten Tagen das Verlangen danach, über die Talente seines Clans zu plaudern; ganz zu schweigen, wenn er sich in Gesellschaft eines Mannes befand, der wegen eines Ergebnisses dieser ‚Talente‘ immer noch trauerte.   Isuka musste ihren Ausrutscher realisiert haben, denn sie warf Hibari einen entschuldigenden Blick zu. Der Rotschopf winkte es nur ab, sah aber mit beschatteter Miene zur Seite. Neji linste auf die Amulette, die an der Kette um Hibaris Hals hingen. Rasch richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die knochige Isuka und beobachtete sie dabei, wie sie ein frisches Skalpell aus dem Päckchen holte.    Sie bedeutete ihm, sich hinzusetzen. „Hat Hibari dir erklärt, dass ich es rausschneiden muss?“   Neji ließ sich auf den Stuhl sinken und legte gelassen die Handflächen auf seinen Schenkeln ab. „Ich bin mir sicher, dass es notwendig ist.“   „Ich fürchte ja.“   Er spürte, wie sie eine Hand unter den dichten Fall seines Haares schob, das sie scheinbar für einen Moment bewunderte, bis er eine Hand hob, um es für sie von seinem Nacken fernzuhalten; er wollte nicht länger als unbedingt nötig in dieser seltsam verletzlichen Position bleiben.   Isuka klopfte ihm sanft auf die Schulter. „Es tut mir leid, aber es wird weh tun.“   „Ist okay.“ Neji blinzelte langsam und aktivierte sein Byakugan, was Hibari dazu brachte, neugierig zu ihm hinüber zu sehen; vielleicht auch ein wenig unbehaglich.   Doch Neji entschuldigte sich nicht und konzentrierte sich auf das, was die Frau hinter ihm machte, als sie begann, den kleinen Eingriff vorsichtig und schweigend durchzuführen. Aufmerksam sah er zu, wie sie nach einer primitiv aussehenden Gerätschaft griff, die vage an eine Pinzette erinnerte. Der kalte Stahl biss sich in die Wunde. Er spürte, wie Blut über seine Haut floss. Isuka neigte den Kopf, als wolle sie seinen Blick einfangen, ohne zu wissen, dass er sie mit seinem Dōjutsu sehr gut sehen konnte.    „Es tut mir leid.“, sagte sie und verzog das Gesicht. „Sie graben sich sehr tief.“   „Es tut nicht weh.“, sagte Neji nur.    Hibari hob eine Braue und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Das sollte es aber.“   Neji lächelte schwach und seine geisterhaften Augen glitten zu Hibari, auch wenn seine Sicht nicht auf den Mann zentriert war. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich habe eine hohe Schmerztoleranz.“   Hibari brummte und lachte leise. „Klar. Diese Parasiten haben übrigens auch Klauen.“   „Du sprichst aus Erfahrung?“, vermutete Neji und spürte den kalten Druck eines sterilen Tupfers an seinem Genick, als Isuka das Blut fortwischte.   Hibari nickte. „Ganz richtig. Meine Mutter hat mir ein paar hinterher geschickt. Hach ja, ist sie nicht ein Prachtweib?“   Nejis Wimpern flatterten, als er sein Dōjutsu deaktivierte und richtete den Blick auf Hibari, während Isuka einen dünnen Verband an seinem Nacken befestigte. „Um ehrlich zu sein, war Shikamaru von Anfang an sehr misstrauisch deiner Mutter gegenüber.“   „Achja?“ Hibari runzelte die Stirn. „Und du hast es nie in Betracht gezogen, seinen Argwohn ernst zu nehmen?“   Nejis Kiefer zuckte. „Nein.“   „Weil sie dich hinters Licht geführt hat.“, stellte Hibari grimmig fest.    Nein. Weil ich den Ausdruck in ihren Augen verstanden habe…ihren Schmerz…ihre…Verbitterung…   Neji wandte den Blick ab und tat so, als würde er über die Schulter hinweg zu Isuka spähen. „Ich schätze, dass ich mehr als nur seine Abneigung gebraucht habe.“   „Was denn?“ Hibari schnaubte. „Musst du die hässliche Wahrheit direkt aus ihrem Mund hören?“   Ja…   Neji antwortete nicht und zwang seine Aufmerksamkeit zurück zu der Tierärztin, bei der er sich mit einem schwachen Lächeln und Nicken bedankte. Als er zurück zu Hibari sah, musterte der Rotschopf ihn bedeutungsschwer prüfend. Neji erwiderte das Starren gelassen und unbeeindruckt – zumindest äußerlich.   „Hn.“ Hibari legte den Kopf schief und Neugierde löste sein Misstrauen ab. „Sie hat wirklich ihre Klauen in dich geschlagen. Was hat sie getan? Hat sie die Tatsache ausgespielt, dass du meine Schwester getötet hast?“   Neji schüttelte den Kopf. „Eben nicht.“   „Also hat sie dir keine Schuldgefühle eingeredet? Dabei wäre das zu ihren Gunsten gewesen.“ Hibaris runzelte die Stirn und er neigte den Kopf in die andere Richtung. „So wie es aussieht mag sie dich mehr, als ich dachte, Hyūga.“   Aber warum?   Es war ein verstörender Gedanke. Einer, den Neji als nichts anderes als reine Übertreibung von Seiten Hibaris ansehen wollte. Doch unglücklicherweise sah der Mann genauso ernst und beunruhigt aus, wie Neji sich fühlte.    Völlig egal; es spielt bei dem, was jetzt notwendig ist, keine Rolle.    „Wenn das wahr ist, dann kann sich das vielleicht noch als nützlich erweisen, wenn wir sie festgesetzt haben.“ Der Hyūga hielt seine Stimme flach und seine Aussage pragmatisch.    Hibaris Augenbrauen schossen nach oben. „Festsetzen? Denkst du im Ernst, dass ich sie verschonen werde? Wo liegt darin die Gerechtigkeit?“   Neji lehnte sich zurück und wog Diplomatie gegen Unverfrorenheit ab; entschied sich dann aber für Ersteres.    „Sie wird mit Sicherheit über sehr wichtige Informationen verfügen, Hibari. Besonders, wenn es darum geht, den Tempel zu infiltrieren.“, argumentierte Neji. „Vielleicht kann ich den wie auch immer gearteten Einfluss nutzen, den ich in Bezug auf ihr offensichtliches ‚gern haben‘ mir gegenüber habe. Ich könnte dadurch an relevante Informationen gelangen. Sollte das fehlschlagen, wäre eine Standardbefragung nötig, bevor blutige Rache verübt wird.“   „Hmn.“ Hibari rieb sich am Kinn und ließ seinen Stuhl wieder nach vorn auf alle vier Beine fallen. „Ich sehe Sinn darin, aber es wäre besser, wenn ich dabei dann nicht anwesend bin.“   Neji blinzelte; das hatte er nicht erwartet. Vor allem deswegen, weil es die Konoha Ninja in eine Position der Macht und des Vertrauens setzte, von der er nicht gedacht hatte, dass der Tsubasa sie ihnen gewähren würde.    Hibari durchschaute ihn mit einem Schmunzeln und schüttelte den Kopf. „Als ob du nicht bemerkt hättest, dass mein Temperament nicht ansatzweise so kühl und besonnen ist wie deines, wenn ich angepisst bin.“   Neji gab sich alle Mühe, nicht freudlos zu lächeln.    Du hast mich noch nie ‚angepisst‘ erlebt, Tsubasa…   Vollkommen ahnungslos fuhr Hibari fort. „Wenn ich sie auch nur sehe, wird es hässlich werden. Am besten verhörst du sie und überlässt mir hinterher den Gerechtigkeitsteil.“   Neji antwortete mit einem bedächtigen Schweigen und wartete darauf, dass es sich der Mann noch einmal anders überlegte. Doch das tat er nicht.   „Na schön.“ Neji glitt von seinem Stuhl und erhob sich zu voller Größe. „Wie schnell können wir damit beginnen?“   Hibari stand ebenfalls auf. „Ich wollte deinen Shinobi noch etwas mehr Zeit gönnen, aber wenn ihr jetzt schon bereit seid, euch in Bewegung zu setzen, dann können wir anfangen, an einer Strategie zu arbeiten.“   Neji nickte.   Es war an der Zeit, Shikamaru zu wecken.    xXx   Der Schmerz machte ihn blind.    Er traf ihn mit einer Aggression, die er bisher noch nicht besessen hatte.    Und es passierte so plötzlich, dass Neji nicht einmal realisierte, wie er das Gleichgewicht verlor, bis seine Schulter hart gegen die Seite des Tunnels schlug; sein Körper zuckte bei dem Aufprall zusammen. Ein scharfes Ausatmen brach von seinen Lippen, gefolgt von einem zerfetzten Husten, das seine Rippen erschütterte.    Nach Kupfer schmeckendes Blut befleckte seine Lippen.    Rasch hob er eine Hand und wischte mit der Rückseite seines Handgelenks das beleidigende Rot fort, bevor er auf das schimmernde Nass blickte, das sich von seiner blassen Haut abhob. Während er starrte, spannte sich die Haut um seine Augen und Schläfen an und verzog sich zu den vertrauten Venen des Byakugan. Aufmerksam überprüfte er seinen Chakrafluss und suchte nach lockeren Blockaden in seinen Tenketsu, bevor er sie mit scharfen Stößen seiner Fingerspitzen eindämmte.    Nicht jetzt. Ich habe keine Zeit dafür.    Der Schmerz durchfuhr ihn bei jeder einzelnen Berührung mit der Sanften Faust und das rasche Drücken der Finger fühlte sich an wie der Stich eines stumpfen Messers, das sich in seine Brust fraß. Hastig und effizient bereinigte er das Chaos und sog kalte Luft ein, die sich in seinen Lungen verhakte, als wäre sie mit Rasierklingen versehen.    Atme…   Es dauerte eine ganze Weile, um durch die plötzliche Panikwelle atmen zu können und noch ein paar Minuten mehr, um sich zu versichern, dass er seinen Kreislauf wieder unter Kontrolle hatte. Erschöpft sackte er gegen die Wand und ließ zu, sich gegen diese feste Stütze zu lehnen, während er still und ruhig atmete. Doch das gestatte er sich nur für einen kurzen Augenblick.   Beweg dich.   Scharf atmete er aus und richtete sich auf.    Beweg dich jetzt.   Er gestattete dem Schmerz nicht, noch tiefer zu sinken und kämpfte sich durch ihn hindurch, als er seinen Weg durch die Tunnel fortsetzte. Rasch lief er in Richtung des großen Raumes, der zu den Höhlen führte, in denen das Konoha Team im Moment untergebracht war. Als er näher kam, begann er zu vermuten, dass es wahrscheinlich gar nicht nötig sein würde, Shikamaru zu wecken; besonders wenn man die Lautstärke der Stimmen bedachte, die in den Gang hallten.   Mit jedem Schritt, den Hyūga tat, wurde der Lärm etwas lauter.    „Was zur Hölle soll das sein, Scheißemagnet?“   „Hey halt’s Maul, dein Schaf sieht aus wie eine Kuh!“   „Ich glaube, dass das weder ein Schaf, noch eine Kuh sein soll, Kiba.“, bemerkte Sakura.    „Ja, das ist nämlich Akamaru!“, korrigierte Naruto und klang dabei viel zu stolz für jemanden, der offensichtlich auf ganzer Linie versagt hatte.    Akamaru gab etwas von sich, das nur ein beleidigtes Bellen sein konnte.    Naruto quiekte auf. „He!“   Neji seufzte schwer und schob seinen Widerwillen beiseite, bevor er die Tür aufzog und den Raum betrat. Der Hyūga hielt mitten in der Bewegung nach der Schwelle inne; seine blassen Augen wanderten zu Kiba und Naruto, die sich selbst mit Wachskreiden ausgestattet hatten und momentan ihren Mangel an künstlerischen Fähigkeiten den Gemälden der Kinder hinzufügten.    Akamaru hatte seinen Kiefer harmlos um Narutos Handgelenk geschlossen und versuchte, die Bewegungen der Hand des hockenden Uzumakis zu kontrollieren, als er die Wand bemalte.   „Was glaubt ihr zwei eigentlich, was ihr da macht?“, tadelte Neji milde und schüttelte den Kopf.    „Vandalismus.“ Auch Sakura schüttelte den Kopf und saß mit überkreuzten Beinen auf dem Boden, während sie an einer Tasse Tee nippte und die beiden beobachtete.    „Wir leisten einen Beitrag!“ Naruto grinste und versuchte ungeschickt, mit seiner anderen Hand ein irgendwie debil aussehendes Strichmännchen neben den Schaf-ähnlichen Akamaru zu zeichnen.    „Das soll besser nicht ich sein.“, knurrte Kiba.   Naruto kicherte. „Na klar und das“ Naruto malte einen geflügelten Klecks, „ist der Vogel, der auf dich kackt.“   „Vollpfosten. Du wirst die Kinder mit dieser Scheiße noch erschrecken.“, murrte Kiba.    „Wenn deine Wortwahl sie nicht vorher korrumpiert.“, warnte Neji kopfschüttelnd.   Kiba warf ihm einen bissigen Blick zu, der sich sofort in ein Feixen verwandelte. Der Hundeninja griff nach einer neuen Kreide und skizzierte rasch eine Figur mit langem Haar, Roben und einem Stirnband.    Neji war klar, wohin das führen würde.   „Inuzuka…“   Kiba grinste unbeeindruckt. Naruto hielt sogar inne, um ihm zuzusehen.    „Hey, das ist Neji!“   Neji warf dem Uzumaki einen vernichtenden ‚was-du-nicht-sagst‘ Blick zu, als Kiba eine grob aussehende Linie malte und sie vielsagend einkreiste.    „Und das ist der Stock in seinem Arsch!“   „Kiba!“, kreischte Hinata von der anderen Seite des Raumes.    Naruto brach in schallendes Gelächter aus, während Sakura beinahe Tee durch ihre Nase prustete.   Bebend schlossen sich Nejis Lider halb; es war ein flüchtiger Versuch, sich davon abzuhalten, mit den Augen zu rollen. Er spähte zu Chōji hinüber, der das Ganze amüsiert beobachtete und dabei eine Tüte Kartoffelchips mampfte. Beinahe verschluckte er sich daran, als er Nejis Blick auf sich spürte und versuchte rasch, seine Miene zu glätten – ohne Erfolg. Lee kam angerauscht und klopfte ihm auf den Rücken, was aber nur dazu führte, dass er noch heftiger würgte.    Neji schüttelte schon wieder den Kopf. „Ist Shikamaru wach?“   „Wenn ja, dann ist er klug wie immer und versteckt sich.“, erwiderte Sakura und warf einen Stift, der von Narutos Kopf abprallte.   Neji machte auf dem Absatz kehrt und verließ die absurde Szenerie, indem er zu der einzigen Höhle hinüber schritt, deren Tür geschlossen war. Vorsichtig schob er sie zurück, trat ein und zog sie hinter sich zu. Er stieß einen leisen Seufzer aus und hob den Blick, um ein Profil vorzufinden, das in wabernde Schatten getaucht war.    Shikamaru machte keinerlei Anstalten, sich ihm zuzuwenden.    Der Schattenninja saß mit dem Rücken an der Wand da und starrte mit schweren Lidern auf den herzförmigen Keks, den das Kind gebracht hatte. Der Nara drehte ihn immer wieder in der Hand, seine lässigen Bewegungen standen in deutlichem Kontrast zu seinem hart verkrampften Kiefer. Die Falten waren auf seine Stirn zurückgekehrt und gruben sich ebenso scharf in sein Gesicht wie die Anspannung.   Neji stand stocksteif da und beobachtete ihn hinter seiner Defensive aus kühlen, gefassten Augen – als würde ein langes Starren dafür sorgen, dass die Ränder um Shikamarus Gestalt verwischten und diese Schatten ihn vollständig schluckten.    Verschwinde…gleite davon…bring mich nicht dazu, dich austreiben zu müssen…   Es sollte eigentlich so einfach sein, das zu tun. Einst wäre es vollkommen mühelos gewesen. Doch Shikamaru jetzt fort zu stoßen erforderte eine Stärke, von der er es nicht wagte, sie zu entfesseln; aus Angst, was danach folgen würde…   ‚Wenn ich dich stoße, dann würde ich dich töten…‘   Seine eigenen Worte kamen als fröstelnde Mahnung zurück zu ihm, zusammen mit der Erinnerung an das Gefühl, das er bei den Chūnin Prüfungen vor drei Jahren verspürt hatte. Dieser verachtenswerte, unkontrollierbare Drang, die Ursache dessen zu verletzen, zu schlagen und zu zerbrechen, was ihm diesen unentrinnbaren Schmerz verursachte.    Es wäre so leicht für ihn, Shikamaru zu dieser Ursache zu machen – zu dieser Entschuldigung, dieser unverdienten Zielscheibe.   Er hatte es bei Hinata getan.   Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass ich dir das antue. Oder sonst irgendjemandem…nie wieder.   Sich dessen sicher, konnte sich Neji nicht vorwärts bewegen, er konnte sich nur zurückziehen.    Die Stille in dem Raum wurde schwer und unbehaglich…sie wirbelte vor verborgenen Strömungen, die es nicht schafften, irgendeine Reaktion bei dem Nara oder irgendwelche Worte bei Neji auszulösen.    Draußen vor der Tür lachte Naruto über etwas, das Sakura gesagt hatte.   Kiba antwortete mit etwas, das von einem Aufprall gedämpft wurde.   Akamaru bellte laut.    Shikamaru blinzelte nicht einmal. Er drehte einfach nur das Herz wieder und wieder über seine Finger.    Wieder und wieder und wieder und wieder und ein scharfes Knacken ertönte, als der Keks entzwei brach.    Es passierte so plötzlich, dass Neji der Atem stockte.    Gespalten in der Mitte; ein sauberer, klarer Bruch.   Shikamaru blinzelte; ein langsames, hypnotisches Senken seiner Wimpern. Neji sah zu, wie er die zwei Hälften mit Desinteresse studierte, bevor der Chūnin mit seinem Handgelenk vage in Richtung der Tür winkte und Neji damit wortlos eine Hälfte des Kekses anbot. Neji starrte auf das zerbrochene Stück und folgte mit einem Stirnrunzeln der Kante. Trotz seines Zögerns sah Shikamaru nicht einmal auf; hielt einfach nur sein Handgelenk nach außen gestreckt, während er den Ellbogen auf seinem Knie abgestellt hatte.    „Nimm ihn lieber. Ich würde nicht auch noch das Herz von dem Kind brechen wollen.“, sagte der Schattenninja gedehnt, tief und leise; es fehlte vollkommen der Humor, den diese Worte eigentlich beabsichtigt hatten.   Nejis Augen zuckten zum Gesicht des Nara. Doch Shikamaru rührte sich nicht, spürte allerdings den opalhaften Blick und hob als Erwiderung eine Braue. Neji fand keinerlei Beruhigung in diesem vertrauten Ausdruck und sein eigener blieb stoisch und ernst.    „Hibari ist bereit, eine Strategie auszuarbeiten.“, sagte der Hyūga; die Worte umgingen alles andere, was er möglicherweise hätte sagen wollen.    Shikamaru zog sein Handgelenk wieder zurück und wiegte die Keksstücke lose in den Fingern. „Gib mir eine Minute.“   Neji nickte und sein Hirn gab die eindeutige Instruktion an seinen Körper, den Raum zu verlassen.    Doch das tat er nicht.    Konnte nicht.    Gegen jede Sinnhaftigkeit, blieb er wie angewurzelt in dem sprichwörtlichen ‚Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück‘ Moment stehen. Paralysiert von Ultimaten, die er nicht verstand, oder von denen er überhaupt realisiert hatte, dass er sie erschaffen hatte. Doch er fühlte sie deutlich und schwer in der Luft hängen. Vorsichtig sah er nach unten, nur um sicher zu gehen, dass er nicht in einem Jutsu gefangen war. Das war er nicht. Sein Schatten blieb von Shikamarus losgelöst; ausgestreckt in einem dunklen Wabern und frei von der Lähmung, in der sich sein Körper eingeschlossen fühlte.   Beweg dich    Er konnte nicht. Er fühlte sich in zwei Richtungen gerissen; was bedeutete, dass die einzige Möglichkeit, ganz zu bleiben, darin bestand, sich überhaupt nicht zu bewegen. Und das ließ ihn lange genug wie festgefroren dastehen, dass sich Shikamaru endlich zu dem geringsten Drehen seines Kopfes herab ließ und seinen beschatteten Blick durch das Zimmer wandern ließ. Diese dunklen Augen verengten sich – doch keinen Moment später wurden sie um die Kanten herum weich, tauten zu dunklen Seen auf, die von dem Laternenlicht erwärmt wurden.    Neji spürte, wie sich seine Kehle zusammenzog.    Langsam atmete er ein…fühlte den ausgefransten Schmerz, den er bereits letzte Nacht verspürt hatte…eine Empfindung von haarfeinen Rissen…brachen etwas Verkrustetes um Bereiche von ihm auf, die fest in Erstickung gehalten wurden. Bereiche von ihm, in die Shikamarus Atem gesickert war…etwas animierend, dem er nicht gestatten konnte, wiederbelebt zu werden; wegen der Risiken von all dem anderen, was es auferstehen lassen würde.    Götter…ich kann nicht...   Er spürte, wie sich der Druck gegen diese verschlossenen Bereiche presste und drohte, etwas Taubes in etwas Infiziertes zu verwandeln, roh und verdorben von Emotionen.    Ich werde nicht…   Neji schüttelte den Kopf, sich nicht gewahr, dass er beinahe einen Schritt zurück gewichen wäre. Er hätte es getan, wenn die Tür nicht in seinem Rücken gewesen wäre. Und wenn sein Körper ihn nicht mit dieser vollkommenen Verweigerung betrügen würde, sich gemäß den Anweisungen zu bewegen oder zu funktionieren.   Er rührte sich nicht. Aber Shikamaru schon.    Der Nara legte ruhig die Keksstücke beiseite und erhob sich mit diesem beneidenswert leichten Schwung, richtete sich auf seinen Füßen auf und schritt mit derselben trägen Bewegung vorwärts. Neji beobachtete ihn, wollte um sich schlagen, sich ihm entgegenlehnen und davon springen; alles zur selben Zeit. Doch er tat nichts davon, sondern atmete nur langsam und kontrolliert aus, als Shikamaru direkt vor ihm zum Stehen kam; so nah, dass der Atem des Naras über seinen Mund spielte.    „Du bist ein Ärgernis…“, murmelte Shikamaru; ein apathisches langgezogenes Sprechen der Worte, das beinahe überzeugend war.    Neji hätte es ihm vielleicht abgekauft, wäre da nicht der schwächste Bruch in dieser Stimme gewesen; das rauchige Timbre schwankte leicht zum Ende hin. Es wäre Neji beinahe entgangen. Doch er wusste es. Er konnte den Schatten von Schmerz in diesen Worten schmecken, trotz des gelangweilten Tonfalls, der ihn verschleiern sollte. Neji konnte die Bedeutung auf einer Ebene verstehen, von der er sich wünschte, dass es anders wäre – doch selbst dieser Wunsch konnte ihn nicht davon abhalten, darauf zu reagieren, bevor er sich hätte zurückziehen und distanzieren können.    Er hob seine Hand; die Finger geisterten Shikamarus Arm entlang, über die Schulter des Nara und bis hinauf zum Hinterkopf des Schattenninjas.   Shikamaru griff nach oben und riss seine Berührung scharf davon fort.    Neji akzeptierte es mit derselben Ruhe, die er in seine Augen zwang.    „Ich weiß.“, war seine leise Antwort. „Und das wird sich nicht ändern, Nara. Also sei klug.“   „Hn. Dumm ist der, der Dummes tut.“, murmelte Shikamaru; ließ Nejis Handgelenk nicht los.   „Dann ist es ja gut, dass du nicht dumm bist.“, erwiderte Neji, während er seine andere Hand hob, um sie an die Seite von Shikamarus Kopf zu legen und zaghaft darüber zu streicheln. „Völlig egal, was du tust.“   Shikamaru schnaubte und seine Finger glitten hinunter von Nejis Handgelenk zu seinem Ellbogen. „Das denkst du, hmn?“   „Nein. Du denkst.“, korrigierte Neji. „Ich handle. Ich tue, was notwendig ist.“   „Ja, du tust, was notwendigerweise dumm ist.“, stellte Shikamaru fest, doch seinen Worten fehlte der Biss. Er schüttelte den Kopf. „Ich schätze, wir befinden uns wieder da, wo wir angefangen haben, oder nicht?“   Neji zog den Kopf zurück, fand sich aber nicht in der Lage, an den Worten Anstoß zu nehmen. Vielleicht war er zu müde, oder vielleicht hätte er eher all seinen Stolz für einen kurzen Moment dieser Verbindung gegeben, die er zwar nicht wollte, aber die er genauso wenig loslassen konnte.    Es ändert nichts.   Das sagte er sich selbst wieder und wieder, als er sich nach vorn beugte und seine Lippen in einem sanften Schwung über Shikamarus strich – die einzige Warnung, die er ihm gab, bevor er ihre Münder aufeinander krachen ließ, bis der Aufprall von Zähnen den Kiefer des Schattenninjas dazu brachte, sich zu lösen. Neji nutzte die Öffnung sofort, fuhr auf die einzige Art vorwärts, die ihm möglich war und tauchte in die heiße, feuchte Tiefe ein, um mit seiner Zunge dieses Gebiet zu markieren.   Du wirst mir das nicht verweigern.   Machtvoll, besitzergreifend, mit einem Hauch von Strafe.   Shikamaru bog unter dem Ansturm des Kusses den Kopf zurück, schnappte aber gleich darauf mit erwidernder Stärke nach vorn. Zungen kämpften um Dominanz, forderten Kapitulation vom jeweils anderen ein, während sie sich gegenseitig im Mund des anderen belagerten. Beide versuchten, den Atem zurückzustehlen, den sie sich teilten.    Lachen drang durch die Tür herein. Leise und entspannt.   Shikamaru biss auf Nejis Lippe.   Neji biss zurück – härter.    Sie zischten sich gegenseitig in die Münder und schienen den jeweils anderen mit ihren Fingern aufschlitzen zu wollen; sie zogen sich über Stoff, durch Haare und über Fleisch…beinahe unter die Haut.    ‚Wie verdammt tief unter deine Haut muss ich gelangen…?‘   Ich weiß es nicht…es ist mir egal…aber du wirst mir das nicht verweigern…   Der Kuss war zornig und schmerzhaft und voll von so vielen anderen elenden Emotionen, die alle durch Zungen kommuniziert wurden, ohne ein Wort zu sagen. Doch jede glatte Liebkosung und jedes Kratzen von Zähnen schrie eine unleugbare Wahrheit heraus…   Ich brauche das hier…   Nejis Augen flogen angesichts dieses heimtückischen Gedankens auf…es war ein schockierender Ausrutscher.   Ich brauche das hier…   Sofort spannte er sich in Ablehnung an.    Shikamarus Hände ummantelten sein Gesicht – er spürte es nicht.    Angst hatte sich wie eine Faust um ihn geschlossen und zertrümmerte seinen Atem.   Doch er wurde ihm zurückgegeben, wurde wie Rauch durch seine geteilten Lippen in ihn geatmet. Warme, beständige Luft; weich und leise und gesättigt mit demselben Geschmack, der sich zusammen mit Shikamarus Zunge in ihn schlich. Sie glitt über seine eigene, liebkoste ihn ebenso zaghaft wie die Hände, die plötzlich streichelnd und beruhigend über seinen Rücken wanderten. Er wollte sich weiter nach vorn lehnen.    Nein.   Er schob die Schulterblätter gegen die Berührung zusammen.    Shikamarus Hände hielten inne.    Ihre Zungen strichen übereinander und zogen sich zurück, doch ihre verletzten Lippen schwebten nah übereinander.    „Neji…“   Neji schluckte schwer und öffnete die Lippen, um zu antworten.   Ein leichtes Klatschen gegen die Tür ließ sie beide zusammenzucken.    Akamaru winselte draußen ununterbrochen und löste ein Plärren aus, das von der Tür gedämpft wurde.    „Neji! Ist Shikamaru im Schlaf gestorben, oder was?“, rief Naruto.   „Hau ihn einfach richtig hart, dann wird er sich schon bewegen!“, kam Kibas weiser Ratschlag.    Götter…was zur Hölle machen wir hier…sie sind direkt vor der Tür.   Etwas anderes prallte von dem Holz ab, vermutlich eine Kreide.    Shikamarus Atem fächerte sanft gegen seinen Mund. „Wie lästig.“   Nejis Stirnrunzeln zerbrach und der Schatten eines Lächelns berührte seine Lippen. Lippen, die er mit einer Zärtlichkeit an Shikamarus Stirn legte, die ihn mehr verletzte als Shikamarus Seufzen; aber weniger als der schmerzvolle Kuss, den sie sich stahlen, bevor der Augenblick verstrich und die Zeit – mit all ihrer bevorstehenden Dringlichkeit – zurück gerauscht kam.    Die Zeit würde nicht warten.    Vor allem nicht, wenn sie davon rannte….   ________________________ Ui, wieder mal ein Kapitel voller Allegorien, ich mag das ja ;) Es ist wieder ein ruhigeres Kapitel, bevor es ab dem nächsten dann so richtig losgeht... Ich hoffe sehr, dass euch das Kapitel gefallen hat und dass es eine ausgewogne Mischung aus Düsternis, Drama, Humor, etc. geworden ist :)  Vielen vielen Dank wie immer an alle Reviewer/innen und Leser/innen, eure Unterstützung ist wirklich nicht in Worte zu fassen! Es ist so unfassbar toll zu sehen, wie gut BtB hier ankommt! Danke! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)