Die Götter hassen mich von Lycc ================================================================================ Kapitel 13: Kriegsgeflüster --------------------------- Die Vorbereitungen auf Berk liefen planmäßig. In regelmäßigen Abständen fuhren Spähboote raus und überwachten das Meer südwestlich der Insel, die Bollwerke rund ums Dorf nahmen Form an und sowohl die Waffenkammer als auch die Vorratslager waren gut gefüllt. Auch die Truppe rund um Hicks nutze ihre Zeit gewissenhaft. Nahezu täglich trafen sie sich zum Training in der Bucht, übten mit ihren Drachen und beendeten den Tag mit einem abendlichen Rundflug über die Insel. Hicks hatte auf deren Wunsch hin inzwischen Sättel für die ganze Gruppe angefertigt und dabei überraschende Hilfe bekommen, denn wie sich herausstellte, hatte Rotzbakkes Mutter ihre Fähigkeiten als Näherin in Ermangelung einer Tochter einfach an ihren Sohn weitergegeben. Und so ungern Hicks es auch zugab, verstand Rotzbakke von Kreuzstichen und Pfalzlegungen mehr als er und ging ihm bei der Anfertigung der Sättel tatkräftig zur Hand. Er war es auch, der Hicks' zerrissene Tunika am Rücken so vernähte, dass ein Loch für seine Flügel frei blieb, sich der Stoff ohne Saum jedoch nicht mehr langsam in seine Bestandteile zerlegte. Seine Fellweste musste Hicks zwar immer noch darüber tragen, um das Loch zu verbergen, aber immerhin verlor er nicht mehr überall waldgrüne Leinenfäden. „Hey, was macht den eins unserer Schiffe so weit im Osten?“ Astrid erkannte von Sturmpfeils Rücken aus die vage Silhouette von etwas, das ein größeres Fischerboot oder ein kleines Langschiff sein könnte, im Wasser südöstlich von Berk. „Wir haben kein Boot im Osten. Ich hab den Plan meines Vaters gesehen. Der aktuelle Spähtrupp sollte viel weiter im Südwesten bei Tyrs Tafel sein“, erklärte Rotzbakke etwas herablassend. „Diese Stümper müssen Vaters genialen Plan falsch verstanden haben, oder es ist einfach nur eins unserer Fischerboote.“ „Nein. Auf dieser Seite der Insel kann man zu der Jahreszeit fast nichts fangen. Die Strömung auf der Nordseite trägt momentan den Fisch“, warf Fischbein ein und spähte ebenfalls besorgt auf die unscharfen Konturen im schwindenden Sonnenlicht. „Ich seh´ mir das mal an.“ Hicks hatte eine ungute Vorahnung, also wollte er der Sache schnellstmöglich auf den Grund gehen, aber Astrid war von seinem Plan nicht so begeistert. „Bist du verrückt? Was wenn dich jemand sieht?“ „Ohnezahn und ich sind im Nachthimmel so gut wie unsichtbar. Wir warten noch kurz, bis die Sonne etwas tiefer steht und der Schatten der Insel auf das Schiff fällt. Dann sehen wir nur kurz nach, was das für ein Schiff ist, und treffen uns dann am Rand des Dorfes.“ Astrid hasste es, wenn Hicks Alleingänge startete, aber zu ihrem Unmut hatte er Recht. Die anderen Drachen waren zu groß und auffällig, und wenn jemand einen Wikinger auf einem Drachen reiten sah, würden sie sehr schnell in gewaltigem Ärger stecken. Zwei Hybride hingegen, die noch dazu nahtlos mit der Dunkelheit verschmolzen, würden keinerlei Aufsehen erregen – ganz egal, wer dort an Bord war. Also biss sie widerwillig die Zähne zusammen und nickte. „Aber seid vorsichtig und macht nichts Dummes.“ Der Rest der Truppe flog wie vereinbart zur Bucht zurück, um von dort aus ins Dorf zurückzulaufen. Als die Sonne wenig später fast völlig vom Horizont verschluckt wurde, nickte Hicks Ohnezahn nur knapp zu. Bemüht lautlos steuerten sie gemeinsam das fragwürdige Schiff an, umkreisten es in sicherem Abstand und Hicks versuchte das Wappen auf dem Segel zu erkennen. Es gehörte definitiv nicht zu Berk – soviel konnte er schon sagen. Und noch etwas war seltsam an dem Boot. Es brannte so gut wie kein Licht an Deck, dafür war eine Laterne so am Heck angebracht worden, dass ihr Schein von Vorn nicht gesehen werden konnte, da das Schiff den Blick auf die Flamme verstellte. Man konnte das Licht also nur sehen, wenn man hinter dem Schiff auf der offenen See war. Eine ungute Vermutung durchzuckte Hicks wie der erste Blitz eines sich auftürmenden Gewitters. Er ließ das Schiff links liegen, drehte in die Richtung ab, aus der es vermutlich gekommen war, und wartete bis Ohnezahn ihm folgte. Eine kurze Weile flogen sie ziellos über die Schwärze des nächtlichen Meeres, bis Ohnezahn plötzlich innehielt und ihren Kurs leicht nach rechts korrigierte. Sein Gehör war um einiges besser als das von Hicks, also folgte der seinem Paratei ohne zu zögern und vernahm recht schnell selbst den Klang von rauen Stimmen, die über die Wellen des Meeres getragen wurden. Zu sehen waren auch diese Schiffe kaum. Wie schon beim Ersten brannte auch hier nur das notwendigste Licht und die Schiffe folgten allem Anschein nach dem Spähboot mit der Laterne am Heck, denn dessen Licht war auch aus dieser Entfernung noch recht eindeutig zu erkennen. 'Alvin' schoss es Hicks durch den Kopf. 'Er muss geahnt haben, dass wir ihn erwarten würden, und hat daher die Insel großräumig umsegelt, um das Dorf von hinten anzugreifen.' Flüchtig versuchte er grob die Anzahl der Schiffe und Männer an Bord abzuschätzen, bevor er sich wieder mit Ohnezahn auf den Rückweg zur Bucht machte. „Wenn Alvin diese Richtung und Geschwindigkeit beibehält, wird er noch vor Tagesanbruch die Küste erreichen. Anlegen kann er erst, wenn die Sonne aufgeht, wenn er nicht riskieren will aufzulaufen. Dann werden seine Leute sich durch den Wald schlagen und Berk vermutlich noch im Morgengrauen von Osten aus angreifen“, schloss Hicks mit schwer gehendem Atem seinen eiligen Bericht und blickte in die bleichen Gesichter seiner Freunde. Er hatte seine eigene Regel gebrochen und war so nah es ging ans Dorf geflogen, um möglichst wenig Zeit zu verlieren. Glücklicherweise hatte Ohnezahn ihn begleitet, denn allein hätte Hicks es in seiner Aufregung zum Einen gar nicht geschafft sich wieder zurückzuverwandeln und zum Anderen hätte er es vollkommen vergessen, wenn Ohnezahn ihn nicht geistesgegenwärtig in den Schutz der Bäume zurückgezogen hätte, bevor Hicks mitsamt Flügeln in den Lichtkegel der ersten Fackel stolpern konnte. Nun stand er hier in seiner menschlichen Gestalt, völlig außer Atem und absolut ratlos. Die Verbannten waren ihnen zahlenmäßig überlegen und wenn sie von hinten angriffen, würden sie nicht nur den Großteil der mühevoll errichteten Verteidigungsanlagen umgehen, sondern auch die Fluchtwegs kappen und die Wikinger völlig unvorbereitet treffen. „Wir müssen das sofort Haudrauf sagen“, fand Fischbein als Erster seine Stimme wieder. „Und wie sollen wir ihm das Ganze bitte erklären? Wir können ja schlecht sagen, dass wir bei unserem Abendflug über die Insel von unseren Drachen aus Alvin entdeckt haben.“ Astrid klang wütender als sie es gewollte hatte. Fischbein hatte ja Recht, aber dieses schreckliche Gefühl der Hilflosigkeit frustrierte sie so sehr, dass sie es einfach irgendwie rauslassen musste. „Ich werd zu meinem Vater gehen. Vielleicht kann ich ihn irgendwie überzeugen ein Boot die Ostseite kontrollieren zu lassen.“ „Und ich werde auch meinen Vater fragen, ob er einen Spähboot dahin schicken kann. Einer unserer Väter muss uns doch zuhören, oder?“ Rotzbakke blickte hilfesuchend in die Runde, aber Hicks machte keinen besonders hoffnungsvollen Eindruck. Trotzdem mussten sie es versuchen. „Hicks! Wo hast du schon wieder gesteckt? Ich hab dir gesagt, dass du vor Sonnenuntergang zuhause zu sein hast.“ „Vater, ich... ich muss dir was sagen. Also... Ich habe nachgedacht, und könnte es nicht vielleicht sein, dass Alvin uns gar nicht von Südwesten aus angreift?“ „Wie kommst du denn jetzt darauf? Die Insel der Verbannten liegt südwestlich von hier, also von wo sollte er sonst angreifen?“ „Von Südosten. Es wäre doch viel schlauer von ihm die Insel zu umrunden und uns von hinten zu überraschen. Er heißt doch bestimmt nicht umsonst 'der Heimtückische'.“ „Berk in so großem Abstand zu umrunden, dass es niemand bemerkt, würde Tage dauern. So einen Zeitverlust und so ein großes Risiko auf See würde nicht einmal Alvin eingehen.“ „Aber was, wenn doch? Wir wären ihm vollkommen ausgeliefert.“ „Schluss mit dem Unsinn. Ich werde keine Männer an die falsche Seite der Insel schicken, wenn Alvin jederzeit auftauchen könnte, nur weil du eine fixe Idee hast.“ „Aber -“ „Ich sagte: Schluss mit dem Unsinn. Geh auf dein Zimmer und ins Bett. Es ist bereits spät und wir müssen jeden Tag so ausgeruht wie möglich sein. Alvin könnte jederzeit hier auftauchen.“ „Wem sagst du das?“. Nuschelte Hicks frustriert vor sich hin. „Wie war das?“ „Ja, Vater.“ Geschlagen stapfte er die Treppe hoch in sein Zimmer, nur um dort ohne Umwege wieder aus dem Fenster zu springen und sich wie verabredet mit den anderen am Dorfrand zu treffen. „Keine Chance. Mein Vater sieht nicht mal die winzigste Möglichkeit, dass er vielleicht falschliegen könnte. Hattest du mehr Glück, Rotzbakke?“ „Mein Vater macht dich dafür verantwortlich, dass ich auf so 'verrückte Ideen' komme. Also... ehm... nein.“ „Klasse.“ Hicks schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Und jetzt?“ „Müssen wir Alvin halt alleine fertig machen. Ist doch klar“, postulierten die Zwillinge vorlaut und zur allgemeinen Überraschung stimmte Astrid ihnen zu. „Das ist gar keine blöde Idee. Wir müssen Alvins Leute nur lang genug aufhalten, bis die anderen sie bemerken. So können wir ihm das Überraschungsmoment nehmen und beweisen, wie nützlich wir im Kampf sind.“ Hicks war sich zwar nicht sicher, ob er mit Astrids Prioritäten konform ging, aber ihm fiel auch nichts anderes ein um das Dorf zu retten – oder ihm zumindest eine Chance zu geben. „In Ordnung. Zum Morgengrauen wird hier die Hölle los sein, also müssen wir das Ganze gut vorbereiten und planen. Es gibt nur eine Stelle im Südosten, an der sie sicher anlegen können, und dieser Stand liegt genau an einem bewaldeten Hang. Es hat die letzten Tage immer wieder geregnet, also sollten wir mit etwas Glück eine kleine Gerölllavine auslösen können.“ „Mit etwas Glück, oder mit der Hilfe von ein paar Gronckeln“, warf Fischbein ein. Hicks rang mit sich. Natürlich war ihm der Gedanken, ihre Drachen in den Plan mit einzubeziehen, auch schon gekommen, aber es widerstrebte ihm sie in einen Kampf zu verwickeln, der nicht der ihre war. Andererseits war ihm auch völlig klar, dass zumindest Ohnezahn sich nicht davon abhalten lassen würde, Hicks zu beschützen, wenn es nötig wurde. Also gab er zähneknirschend nach. „Gut, aber -“ „Drachen sind keine Waffen“, fielen ihm seine Freunde unisono ins Wort. „Hast du mehr als einmal erwähnt. Wir sind nicht dumm, Hicks“, schmetterte Rotzbakke ihm mit einem etwas beleidigten Gesichtsausdruck entgegen, und ehe Hicks etwas erwidern konnte, riss Astrid das Wort an sich. „Gut. Dann übernimmt Fischbein den Erdrutsch. Das sollte sie erstmal ein Weile aufhalten. Und selbst wenn sie es den Hang hoch schaffen, müssen sie anschließend durch den Wald. Da kennen wir uns viel besser aus als Alvin und seine Leute, und das Gelände ist tückisch. Wenn wir uns geschickt verteilen und strategische Positionen einnehmen, können wir sie aus der Entfernung angreifen oder in Fallen locken, ohne entdeckt zu werden.“ „Dann überlasse ich das dir und Rotzbakke.“ Hicks war sich sicher, dass Astrid für diese Aufgabe wie geschaffen war, also konnte er sie beruhigt in ihre Hände legen. „Raff, Taff, ihr beide schlagt im Dorf Alarm, sobald Alvins Männer den Hang überwunden haben. Und bis dahin helft ihr Astrid und Rotzbakke bei der Vorbereitung. Fischbein? Kommst du mit den Gronckeln allein zurecht?“ „Kein Problem, Hicks. Überlass´ das mir.“ „Und was wirst du tun?“ Astrid ahnte, dass Hicks einen weiteren Alleingang plante, und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Hicks stieß einmal geschlagen die Luft aus. „Ich werde mir die Schiffe vornehmen. Alvin reist mit schwerem Geschütz an, dass hab ich bei meinem Flug über die Flotte erkennen können. Sobald die erste Angriffswelle im Gange ist, wird er also vermutlich einige Schiffe zur Anlegestelle des Dorfes schicken um Berk einzukesseln und in die Mangel zu nehmen. Es ist wie Vater sagte – wir können nicht an zwei Fronten kämpfen. Also muss ich die Schiffe irgendwie sabotieren.“ „Wie zur Hölle willst du das denn anstellen? Wie willst du ungesehen an Deck kommen? Und noch wichtiger – wie willst du wieder zurück an Land kommen?“ Hicks deutete auf seinen Rücken an die Stelle, an der das Loch in seiner Tunika prangte. „Sie werden nur einen Hybriden sehen, der übers Meer fliegt. Und ich bezweifle, dass Alvin sich so kurz vor einem Überfall für die Jagd auf einen Drachen interessiert. Es wird schon klappen. Außerdem haben wir gar keine andere Wahl. Wenn Berk eine Chance haben soll, darf keins von Alvins Schiffen die Anlegestelle des Dorfes erreichen. Und ich bin der einzige, der unauffällig und ohne Schwierigkeiten zu den Schiffen und zurück fliegen kann.“ Frustriert biss Astrid sich auf die Unterlippe. Warum mussten Hicks' Ideen immer so unverschämt viel Sinn machen? Ihr war nicht wohl dabei, Hicks allein mitten in die Flotte des Feindes gehen zu lassen, aber dummerweise hatte er mal wieder Recht. Es war die einzige Möglichkeit, die ihnen einfiel, um ihre Heimat zu verteidigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)