Amigo del alma von Vampyrsoul (Boston Boys 5) ================================================================================ Kapitel 41: Dejadito -------------------- Unruhig trommelte ich mit den Fingern auf dem Tisch herum und wartete, dass Mat sich endlich zu mir setzte. Er lächelte leicht und strich mir über den Oberschenkel. »Kann es losgehen?« Ich atmete tief ein, sammelte mich und nickte dann. Hinauszögern brachte ja doch nichts. Mit einem Klick starrte ich den Videoanruf und wartete dann nervös, bis sich die Verbindung aufbaute und der Anruf angenommen wurde. »Guten Abend«, begrüßten mich meine Eltern. Ihnen war anzusehen, dass sie nicht so ganz wussten, in welche Richtung sie schauen mussten, um in die Kamera zu sehen. Aber das ging schon. Normalerweise bevorzugten sie herkömmliche Anrufe, aber für diesen einen Anruf hatte Noemí ihren Account und Laptop zur Verfügung gestellt. Ich grüßte ebenfalls zurück und tauschte die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus, erkundigte mich, wie es ihnen ging, wartete auf die Gegenfrage. Zum einen wollte ich nicht mit der Tür ins Haus fallen, zum anderen wollte ich mir noch etwas Zeit erkaufen. Doch irgendwann wurden sie natürlich doch unruhig. »Eloy, warum rufst du nicht einfach an, wenn du mit uns telefonieren willst? Warum müssen wir dafür vor diesem Kasten sitzen?« »Weil ... Mamá, papá, ich würde euch gerne jemanden vorstellen. Ich habe jemanden kennengelernt und mich verliebt und ... Wir wären gerne zusammen an Thanksgiving gekommen, aber das geht leider nicht, daher wollte ich ...« Mat verstand zwar nichts, aber er schien dennoch zu bemerken, dass ich nervös vor mich hin stotterte. Aufmunternd drückte er mein Knie. Dankbar lächelte ich ihn an, dann drehte ich den Laptop etwas herum, bis auch er im Blickfeld der Kamera war. Mit zitternder Stimme erklärte ich: »Mamá, papá, das ist Mat.« Mit angehaltenem Atem starrte ich auf den Bildschirm. Ich wusste, dass sie es nicht so einfach hinnehmen würden wie Jonathan, daher wäre es mir auch lieber gewesen, sie hätten ihn in natura kennengelernt, aber leider ging das nicht. Der Flug wäre für ihn direkt nach der Chemo zu anstrengend und mit geschwächtem Immunsystem zu gefährlich. Die andere Möglichkeit wäre ein Roadtrip, aber dafür hatte ich nicht genug Urlaub. Mat hob leicht die Hand in Richtung Kamera. »Hi.« »Eloy! Was für ein bescheuerter Scherz ist das?!«, donnerte mein Vater, sobald er sich gefasst hatte. »Das ist kein Scherz. Mat ist mein Freund«, antwortete ich mit möglichst fester Stimme. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, mich einschüchtern zu lassen, obwohl es mich innerlich aus der Bahn warf, dass er mir so etwas wirklich zutraute. War ihm nicht klar, wie schwer mir das fiel? »Bitte?! Rede gefälligst vernünftig mit mir!« »Auch wenn ich es noch ein paar Mal wiederhole, ändert sich nichts daran: Mat ist mein Freund. Ich liebe ihn. Und ich werde auch weiterhin Englisch reden, damit er mich versteht.« Mat drückte noch einmal fester mein Knie. Es tat gut, zu wissen, dass er da war und nicht von meiner Seite wich, bis das durchgestanden war. »Du rufst uns an, um uns zu sagen, dass dich dieser Skinhead zu einer Schwuchtel gemacht hat?« Über die Kamera konnte ich sehen, wie er Mat feindselig musterte. »Mat ist kein Skinhead, sondern krank«, erklärte ich sachlich. Ich durfte mich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Dann würde mein Vater mich nicht mehr ernstnehmen. »Außerdem hat er mich nicht schwul gemacht. Ich war schon immer schwul.« Meine Mutter wurde für einen kurzen Moment bleich. Zu gern hätte ich ihr den Stress erspart, aber das ging leider nicht. Dafür hätte erstmal mein Vater aufhören müssen zu wettern. »Was redest du für wirres Zeug?! Haben die dir da oben eine Gehirnwäsche verpasst?« »Nein, Vater. Ich habe nur keine Lust mehr, mich zu verstecken! Ich habe jahrelang versucht, normal zu sein. Aber ich bin es nicht! Ich liebe Männer und kann mit Frauen nichts anfangen.« »Eloy, beruhig dich bitte«, griff meine Mutter ein. »Du musst verstehen, das ist nicht so einfach für uns. Erst lässt du dich scheiden und verschwindest ans andere Ende des Landes und dann stellst du uns einen Mann als deinen Freund vor.« »Versteht ihr nicht, dass es für mich nicht einfacher ist?«, versuchte ich es ruhiger. »Das mit Maria und mir ... Ich konnte die Lüge nicht länger aufrechterhalten. Sie hat mich mit einem Mann erwischt. In flagrante und in unserem Ehebett.« Ich atmete tief durch. Nun war es raus! Ich hatte meinen Eltern gesagt, dass ich fremdgegangen war. Entsprechend schockiert starrten sie mich an und ich konnte nicht anders, als gespannt darauf zu warten, erneut angeschrien zu werden. Mat unterbrach die Spannung, indem er vorsichtig nach meiner Hand griff und seine Finger mit meinen verschränkte. Als ich kurz zu ihm sah, streichelte er mit der freien Hand über meinen Oberarm und lächelte mich aufmunternd an. Unweigerlich erwiderte ich das Lächeln und blieb länger als beabsichtigt an seinem Blick hängen. Für einen Moment vergas ich, dass meine Eltern noch immer in der Leitung waren und beugte mich zu ihm, als er mir leicht entgegenkam. Seine Hand legte sich auf meine Wange, streichelte darüber. Den sanften, zarten Kuss brauchte ich ganz dringend. Ein lautes Donnern erinnerte mich daran, dass gerade keine Zeit zum Kuscheln war. Sofort löste ich mich von Mat und sah zurück zum Laptop. Mein Vater sah aus, als würde ihm jeden Moment der Kopf platzen. Für ihn musste der Kuss eine reine Provokation darstellen. Mir dagegen half er, ruhiger zu werden. Mat war für mich da. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass ich mal jemanden über meine Familie stellen würde. Andererseits war er dabei, Teil meiner Familie zu werden. »Eloy, musste das sein?«, fragte meine Mutter vorwurfsvoll. »Ja«, erwiderte ich ernst. »Ich habe es gerade schon gesagt: Ich will mich nicht mehr verstellen. Mat ist mein Freund, ob es euch passt oder nicht. Ich würde mir wünschen, dass ihr das akzeptiert und euch für mich freut. Aber ich kann euch nicht zwingen, uns euren Segen zu geben. Wir werden noch dieses Jahr heiraten. Überlegt euch, ob ihr dabei sein wollt oder nicht.« »Niemals werde ich ...«, fing mein Vater an und wurde von meiner Mutter unterbrochen. Er warf ihr einen bösen Blick zu und verließ den Tisch. Sie sah mich mahnend an. »Das war etwas harsch, junger Mann!« »Tut mir leid.« Wenn meine Mutter mich so ansah, wurde ich direkt wieder zu einem kleinen Jungen. Das konnte ich nicht abstellen. »Aber ich meine das ernst: Wir wollen heiraten und es wäre schön, wenn wir dabei zumindest wüssten, dass wir euren Segen haben.« »Lass deinem Vater und mir etwas Zeit, das zu verdauen. Wir hören uns in den nächsten Tagen sicher noch einmal.« Zustimmend nickte ich. Das war zumindest besser gelaufen als erhofft. In gebrochenem Englisch ergänzte sie: »Passen Sie gut auf meinen Jungen auf und machen Sie ihn nicht unglücklich.« Mat schnaufte amüsiert. »Werd ich sicher. Ich hoffe, wir können uns nochmal richtig kennenlernen.« Wie ich gehofft hatte, wirkte meine Mutter über sein gutes Benehmen überrascht. Er wusste eben, wie er einen guten Eindruck schindete, er musste es nur wollen.   Mat schlug das Buch zu und legte es auf dem Nachttisch ab, bevor er mir mit der flachen Hand gegen die Schulter schlug. »Hörst du jetzt mal endlich auf?« Ich wiegte ein wenig den Kopf und fuhr noch einmal mit der Hand über seine Kniekehle, woraufhin er das Bein schnell wegzog und gleichzeitig versuchte, nach mir zu treten. Ich richtete mich etwas auf und lehnte mich über ihn. Schmunzelnd fragte ich: »Wenn ich dich nicht ärgern darf, wie soll ich dir denn sonst zeigen, dass ich dich gern hab?« Er verdrehte die Augen und stieß mir mit dem Ellenbogen in die Rippen. »Idiot!« Obwohl ich wegen des Schlages husten musste, grinste ich ihn an. Wir wussten beide, dass das alles nur halb so ernst gemeint war. Mat hatte am Nachmittag beim Gespräch mit meinen Eltern hinreichend bewiesen, dass er zu mir stand. Dennoch schien er auf Nummer Sicher gehen zu wollen, packte meinen Arm und zog mich an sich, indem er sich auf die Seite und mir den Rücken zudrehte. »Komm her, du Weichspüler!« Ich ließ es zu, dass er auf diese Weise ein paar Zärtlichkeiten einforderte. Immerhin hatte ich ihn doch auch geärgert, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Als das mit uns anfing, hätte ich nicht erwartet, dass es so enden würde. Ich wollte seine Nähe, nicht nur Sex. Nicht einmal jetzt dachte ich daran, obwohl er sich dicht an mich drängte. Und auch er atmete langsam und zufrieden aus. Auch wenn ich ihn eigentlich nicht mehr ärgern wollte, pustete ich ihm in den Nacken. Er lachte, stieß erneut mit dem Ellenbogen nach mir und drehte sich zurück auf den Rücken. »Hast du es jetzt langsam?« »Ich weiß nicht ... Überzeug mich doch davon.« »Na gut. Das sollte ich hinbekommen.« Grinsend richtete er sich ebenfalls auf. Seine Hand wanderte über meinen Bauch und kitzelte mich leicht. Ein schelmisches Funkeln trat in seine Augen, bevor er mich küsste. Gemeinsam ließen wir uns ins Kissen sinken. Als er mir in die Lippe biss, stieß ich ihn mit einem spielerischen Knurren zurück und drückte ihn auf den Rücken. »Warum ärgerst du mich denn jetzt?« Er zuckte mit den Schultern, grinste. »Denk dir deinen Teil und halt jetzt einfach mal für eine Weile die Klappe. Oder soll ich gleich ins Bad?« »Nee, bleib noch einen Moment. Du bist mir schon wieder drei Schritte voraus.« »Tja, du bist eben schon alt und brauchst etwas länger. Aber hey, ich weiß doch, wie ich dich schwach mache.« Lasziv rekelte er sich und rieb sich an mir. »Immerhin bist du auch nur ein Mann.« »Dejado«, raunte ich in sein Ohr und drückte ihn mit mehr Gewicht in die Matratze. »Dann zeig mal, was du kannst.«   Mat seufzte zufrieden, als ich ihm in den Nacken küsste. Zärtlich flüsterte ich: »Mi dejadito.« Er schnaufte leise und erhob sich, sobald ich mich von ihm herunterbewegt hatte. Mit einem leichten Lächeln beugte er sich zu mir und küsste mich. Überrascht sah ich ihn an. Es war noch immer selten, dass er sich grundlos zu solchen Zärtlichkeiten hinreißen ließ. »Du hast ja recht, ich bin deine Schlampe«, erklärte er lachend. Nachdem er sich vollständig aufgerichtet hatte, sank er mit dem Rücken gegen die Wand. Nervös glitt sein Blick zum Nachttisch und wieder zu mir zurück. Wie versprochen hatte er das Rauchen vollständig eingestellt, doch gerade nach dem Sex fiel es ihm besonders schwer, darauf zu verzichten. Als er merkte, dass ich ihn noch immer etwas verwundert ansah, grinste er noch breiter. »Was ist? Hab ich etwa unrecht?« Ich schüttelte den Kopf, blieb aber wachsam. Ich war gerade unsicher, wie er das meinte. Eigentlich hatten wir uns darauf geeinigt, dass alle Schimpfwörter, die nicht auch ein Tier bezeichnen konnten, okay waren. Dass er mich im Nachhinein noch einmal darauf ansprach, war selten. War er wütend, weil ich ihn dejado genannt hatte? Es war nicht beabsichtigt, ihn damit wirklich zu verletzen. Es war mir eher herausgerutscht. Genau wie damals das puto und darauf hatte er ja deutlich negativ reagiert. »Tut mir leid, kommt nicht mehr vor.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Nein, alles gut. Ich hab doch gesagt, dass du recht hast. Das ist vollkommen in Ordnung. Ich wollte nur ausdrücken, dass ich es mag, dich heiß zu machen und dafür gern deine Schlampe bin.« Seine Miene wandelte sich langsam von der Verwunderung in ein süffisantes Grinsen. »Ich würde mich nur freuen, wenn wir das noch viel öfter tun könnten.« Erleichtert ließ ich mich neben ihm mit dem Rücken an der Wand nieder. Er hatte recht, mittlerweile hatten wir viel zu selten so richtig intensiven Sex. Ich hatte zu viel Angst, ihn zu verletzen oder ihm dabei zu schaden. Er durfte sich doch nicht zu sehr anstrengen, aber im Eifer des Gefechts, war das nicht immer einzuschätzen. Vor allem, wenn er mich wie vorher wirklich stark reizte. »Du könntest dich ja mal ein wenig zügeln«, schlug ich halb scherzhaft vor. »Dann wüsste ich, dass es dich nicht überfordert.« Er schnaufte. »Nö. Keine Lust. Welchen Sinn hat Ficken, wenn ich dabei nicht alles rauslassen kann? Du magst es doch auch hart und dreckig!« Sein anzügliches Grinsen brachte mich zum Lachen. »Dafür wirst du sowas von in der Hölle schmoren!« Schulterzuckend nahm er es hin und griff nach der Bettdecke, um sie sich bis zur Brust über den Körper zu ziehen. »Na und? Wenn es stimmt, dann landest du auch dort.« »Dann bin ich immerhin wieder bei dir«, rutschte es mir heraus, während ich mir die andere Decke zumindest über die Hüfte legte. Bevor ich mich für den unbedachten Kommentar entschuldigen konnte, fragte Mat mit ernstem Ton: »Glaubst du eigentlich daran? An Seelen und Himmel und Hölle, an Sünden und Leben nach dem Tod?« Einen Moment sah ich zu ihm hinüber. Er schien die Frage wirklich ernst zu meinen. Zumindest starrte er leicht abwesend zur gegenüberliegenden Wand. Ich schalt mich selbst einen Idioten. Warum war mir nie aufgefallen, dass das Sterben ihn beschäftigte? Ich überlegte kurz, zuckte dann aber mit den Schultern. »Ich bin nicht sicher. Vor einem Jahr hätte ich es auf jeden Fall bejaht. Mittlerweile ... Es hat sich einfach so viel geändert, auch meine Ansicht zum Glauben. Dennoch ist es essentieller Bestandteil, ich kann es nicht einfach ablegen. Als Kind hab ich wirklich gedacht, dass die Hölle unter der Erde ist und über den Wolken Engel leben. Mittlerweile weiß ich, dass das in der Form Unsinn ist, aber ich denke dennoch, dass nach dem Tod eine Strafe oder Belohnung wartet. In welcher Form genau, kann ich nicht sagen. Aber ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass es sich an so etwas Profanem festlegt, wie wen man liebt oder ob man Sex hat und wann und mit wem. Ich denke eher, dass es darauf ankommt, was man für andere getan hat oder ob man nur egoistisch war.« Ich strich sanft mit der Hand über seinen Arm, da ich nicht sicher war, ob er mir überhaupt zuhörte oder komplett mit den Gedanken woanders war. Als seine Augen kurz in eine Richtung wanderten, fuhr ich fort: »Egal, was genau das jetzt bedeutet, ich denke, dass du in den Himmel gehörst.« Mat reagierte nicht auf meine Aussage, sondern starrte weiter Löcher in die Luft. Ich hatte nicht erwartet, dass eine einfache Aussage die Stimmung so kippen lassen würde. Aber wer wusste schon, wie lange das bereits unter seiner Oberfläche brodelte. »Du bist nicht katholisch, oder? Woran glaubst du?«, versuchte ich, ihn wenigstens zum Reden zu bringen. Er grinste leicht. »Auf dem Papier schon. Aber du hast recht, wirklich gläubig bin ich nicht. Die meisten meiner Pflegeeltern haben versucht, mir den Glauben näherzubringen, aber für mich klang das alles immer verlogen. Daher kann ich auch nicht daran glauben, dass nach dem Tod noch etwas kommt. Tot ist tot, danach kommt nichts mehr, außer einem verrottenden Stück Fleisch.« Kurz sah er zu mir, dann lehnte er den Kopf gegen meine Schulter. »Aber deine Vorstellung gefällt mir. Meinst du, ich kann noch daran glauben? Irgendwie ist es tröstlich.« Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, daher legte ich nur den Arm um seinen Oberkörper und zog ihn an mich. Hoffentlich tröstete ihn das zumindest für den Moment.   »Danke«, murmelte er nach einer Weile und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Leider ließ er mir keine Gelegenheit, es zu erwidern, bevor er sich richtig aufrichtete. Seine Körperhaltung machte klar, dass er keine weiteren Zärtlichkeiten wollte. Für einen Moment glaubte ich, dass er wieder in trübe Gedanken versinken würde, da er wieder in die Luft starrte, doch recht schnell fragte er: »Wenn ich dir einen Namen, Geburtstag und Geburtsort nenne, könntest du dann herausfinden, ob die Person noch lebt und wo?« Ich drehte mich etwas zu ihm und musterte ihn skeptisch. Was wollte er damit erreichen? Letztendlich entschied ich mich, dass eine ehrliche Antwort nicht schadete. »Ich könnte zumindest nachsehen lassen, ob die Person irgendwo gemeldet ist, ja. Aber ich darf das nicht ohne Grund tun.« Enttäuschte seufzte und nickte er. Ich haderte kurz, dann fragte ich: »Warum willst du das wissen?« Auch er ließ sich mit der Antwort Zeit. »Ich wüsste gern, ob mein Vater noch lebt.« Überrascht drehte ich den Kopf zu ihm. »Dein Vater? Warum?« Er sah mich nicht an, nickte aber, während er mit den Schultern zuckte. »Wenn ich dich mit oder über deine Familie reden höre, dann habe ich das Bedürfnis, selbst eine zu haben oder wenigstens zu wissen, was mit ihr ist.« Zärtlich nahm ich sein Gesicht in die Hand und drehte es zu mir. »Wenn wir heiraten, dann bist du Teil meiner Familie.« Ich merkte, dass er widersprechen wollte, dennoch sprach ich weiter. »Außerdem hast du doch Peter und die Kinder. Sind sie nicht deine Familie?« Er dreht den Kopf vorsichtig aus meiner Hand. »Doch schon, aber das mit Peter und mir ... Ich hab versprochen, auf ihn aufzupassen, solange ich kann, und hab das auch immer gern gemacht. Aber seit ein paar Jahren ... Er hat zu viel Mist gebaut, als dass ich ihm noch vertrauen könnte. Manchmal hab ich das Gefühl, nur noch mit ihm zu tun zu haben, weil er eben mein Bruder ist und ich sonst keine Familie habe. Und natürlich wegen der Kinder. Aber eben nicht mehr wegen ihm.« »Stattdessen möchtest du lieber Kontakt zu deinem beschissenen Vater?« Mat hatte ja bereits angedeutet, dass Peter Dreck am Stecken hatte, aber so schlimm, dass er lieber Kontakt zu seinem Vater suchte? »Was weißt du schon von meinem Vater?! Nimm das sofort zurück!«, brüllte er mich an und sprang halb auf. »Okay, alles gut, ich nehm es zurück.« Beschwichtigend hob ich die Hände. Was war denn nun in ihn gefahren? Drohend streckte er mir den Finger entgegen. »Wenn du noch einmal meinem Vater beleidigst, kannst du bleiben, wo der Pfeffer wächst!« »Ist gut, beruhig dich. Es tut mir leid.« Nur zum Teil wich der Ärger aus seinem Gesicht, als er sich wieder gegen die Wand lehnte. Dabei rutschte er jedoch ein ganzes Stück von mir fort. »Es tut mir wirklich leid. Ich bin nur einfach sehr verwirrt«, versuchte ich, mich zu erklären. »Du hast immer nur gesagt, dass du in Pflegefamilien – von denen du alles andere als positiv gesprochen hast – gelebt hast und auf einmal redest du davon, deinen Vater zu suchen. Da du bisher keinen Kontakt zu ihm hattest, bin ich davon ausgegangen, dass er kein sonderlich guter Vater war.« Mat zuckte mit den Schultern, zog die Beine an und legte den Kopf auf den Knien ab. »Ich weiß nicht, ob er ein guter Vater gewesen wäre. Vielleicht hoffe ich, genau das herauszufinden.« So verletzlich hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich hatte den Drang, ihn in den Arm zu nehmen, war jedoch unsicher, ob es ihm recht war. Um ihn nicht erneut zu verärgern, ließ ich es. »Warum hast du nie vorher den Kontakt zu ihm gesucht?« »Erst durfte ich nicht, dann wollte ich Peter nicht vor den Kopf stoßen und dann hatte ich das Gefühl, es wäre zu spät«, murmelte er vor sich hin. »Was hat Peter damit zu tun?«, fragte ich vorsichtig nach. »Er wollte keinen Kontakt zu seiner Familie, nachdem wir zu Chris gekommen sind. Ich kann es verstehen und hätte mich schlecht gefühlt, vor seiner Nase einen auf glückliche Familie zu machen. Darum hab ich abgeblockt, als mein Vater versucht hat, Kontakt aufzunehmen.« Die Reue stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Außerdem hätte es vielleicht die Abmachung mit Chris gefährdet. Und bis ich ausgezogen bin und es mir anders überlegt hatte, kam es mir zu spät vor. Ich wusste nicht, ob er noch immer Kontakt wollte.« So wie er mich ansah, musste ich ihn einfach trösten. Zärtlich legte ich ihm die Hand in den Nacken und strich sanft darüber. »Weißt du, warum du überhaupt in eine Pflegefamilie musstest?« Er nickte und zuckte nicht vor meiner Hand zurück. Kurz war ich nicht sicher, ob er darüber sprechen wollte, doch dann begann er zu erzählen: »Es gab bei meiner Geburt ein paar Komplikationen, an denen meine Mutter später verstorben ist. Mein Vater wollte mich allein aufziehen und meine Oma hat ihm geholfen. Als ich zwei war, ist sie verstorben. Ich sollte in eine Pflegefamilie, bis mein Vater aus Vietnam zurückkam und einen neuen Job gefunden hat. Als er wieder zurück war, durfte ich an den Wochenenden immer zu ihm. Weil er aber keinen dauerhaften Job gefunden hat, konnte ich nicht wieder zurück. Irgendwann gab es dann wohl Probleme, jedenfalls durfte ich nicht mehr am Wochenende zu ihm, warum genau weiß ich nicht. Als ich elf war, wurde mir dann gesagt, dass ich gar nicht mehr nach Hause dürfte. Mein Vater sei nicht in der Lage, für mich zu sorgen, und ich würde zur Adoption freigegeben.« »Lass mich raten: Das hat dir überhaupt nicht gepasst?« »Ich hatte eben schon immer einen starken Charakter«, erwiderte er mit einem leichten Grinsen. »Aber ja. Ich hab alles versucht, es den Familien zu vermiesen. Ich weiß, dass er versucht hat, die Adoptionssache zu verhindern, aber es hat wohl nicht geklappt.« Sanft streichelte ich über seinen Rücken. »Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?« Mat zuckte mit den Schultern. »Mit acht oder neun. Da durfte ich ihn für eine Weile wieder besuchen.« »Und was erhoffst du dir, wenn du ihn jetzt wiedersiehst?« Ich verstand seinen Wunsch, hatte jedoch Sorge, dass die Erfüllung Mat verletzten könnte. Es hatte sicher seinen Grund, warum er nicht zu seinem Vater zurückdurfte. »Ich will einfach nur wissen, ob es ihm gut geht und mich entschuldigen, dass ich ihm den Kontakt verwehrt habe.« »Ich ... will dir das nicht madig machen, aber was macht dich so sicher, dass er das überhaupt möchte?« Erneut zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich hoffe es einfach. Er kann ja immer noch ablehnen, wenn ich ihn kontaktiere.« Nachdenklich nickte ich. »Vielleicht solltest du dich dennoch lieber an einen Detektiv wenden. Die haben damit mehr Erfahrung und können dir auch bei der Kontaktaufnahme helfen.« »Ja, vermutlich hast du recht ... Ich komme mir dennoch komisch dabei vor, das einem Fremden zu erklären.« »Keine Sorge, das wird schon nicht so schwer. Du musst ihm ja nicht alles erzählen. Es reicht im Grunde, ihm zu sagen, dass du deinen Vater suchst und welche Informationen du zu ihm hast.« Mat seufzte, nickte und richtete sich dann wieder auf. Langsam kam er zu mir und kuschelte sich an mich. »Na gut.« Ich kraulte seinen Nacken. »Wenn du willst, dann helfe ich dir und komme mit.« »Das ist lieb. Aber ich denke, ich schaff das auch alleine.« »Dann ist gut. Ich möchte nur, dass es dir gut geht.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)