Amigo del alma von Vampyrsoul (Boston Boys 5) ================================================================================ Kapitel 25: Glow ---------------- »Eloy? Ich weiß, du hast gleich Feierabend, aber hast du noch kurz Zeit? Da ist ein junger Mann, der unbedingt mit dir reden möchte. Und zwar nur mit dir.« Stevenson sah mich an, als wüsste ich, warum es ging. Dabei hatte ich doch selbst keine Ahnung, wer das sein könnte. Der einzige junge Mann, der mir einfiel, war Leonardo, Peppers jüngeres Herrchen. Und der war etwa in Murphys Alter, konnte folglich also nicht gemeint sein. Einer der Männer aus der Selbsthilfegruppe? Aber diese wussten nicht, auf welcher Wache ich arbeitete. Nach mir zu fragen, wäre ein reines Glücksspiel gewesen. Entsprechend neugierig geworden, ließ ich meine Berichte auf dem Schreibtisch zurück und folgte meinem Kollegen. Als er in den Gang zu den Verhörräumen einschlug, wurde mir etwas mulmig. Wer von meinen Bekannten kam für so etwas in Frage? Mat? Nein, der war deutlich zu alt. Immerhin war er genau wie ich bereits über 40 und damit bei weitem kein junger Mann mehr. Vor einem der Räume blieb Stevenson stehen und bedeutete mir, hineinzugehen. Um nicht vollständig unvorbereitet zu sein, warf ich einen Blick auf den Monitor. Im Zimmer saß ein Junge von vielleicht 15 Jahren. Er war mager und hatte abgetragene Kleidung an, dennoch wirkte er erstaunlich sauber. Ich hatte schon Obdachlose gesehen, die deutlich abgebrannter aussahen. Außerdem musste ich ihm zugestehen, dass sein Gesicht äußerst attraktiv war. In seiner vermutlichen Profession nicht unbedingt von Nachteil. Doch im Moment war es durch etliche Schrammen, Kratzer und Tränen entstellt. »Kennst du ihn?«, fragte Stevenson neugierig nach, doch ich konnte nur den Kopf schütteln. Dennoch wusste ich genau, wer dem Jungen gesagt hatte, dass er nach mir fragen sollte. Was auch immer Mat sich davon erhoffte: Ich konnte ihm auch nicht helfen. »Warum ist er hier?« Stevenson reichte mir die Akte, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte und während ich kurz blätterte, berichtete er: »Er behauptet, dass er Glow heißt, seinen richtigen Namen will er uns nicht verraten, genauso wenig etwas über seine Eltern. Es läuft bereits ein Abgleich mit der Vermisstenkartei. Vor einer Stunde ist er vor der Wache aufgetaucht, hat dort eine Weile herumgelungert. Als wir ihn angesprochen haben, ist er in Tränen ausgebrochen und hat gesagt, dass er nur mit dir reden möchte. Bisher konnten wir nicht herausfinden, was er will. Der ist ziemlich stur, kam aber ohne Probleme mit, als ich ihm versprochen habe, dass er mit dir reden kann.« Skeptisch zog ich die Augenbraue hoch. »Und wenn ich schon weggewesen wäre?« Stevenson zuckte mit den Schultern. »Dann hätte er eben bis morgen ein Bett in der Zelle bekommen. Könnte dem Strolch vermutlich nicht schaden.« »Danke. Dann wollen wir mal schauen, was der junge Mann uns zu berichten hat.« Ich knöpfte den obersten Knopf meiner Uniform wieder zu, den ich im Büro geöffnet hatte. Es konnte sicher nicht schaden, den Jungen ein wenig Respekt einzuflößen, wenn er schon meinte, mich zu sich kommandieren zu können. Als ich den Raum betrat, blickte er auf und wischte sich die Tränen mit einem Schniefen vom Gesicht. Ich bereute, nicht noch eine Packung Kleenex mitgenommen zu haben. Dann musste eben meine persönliche Taschentuchpackung ausreichen, die ich immer vorsichtshalber in der Uniformtasche hatte. Es gab auf Streife mehr als genug Gründe, sie zu benötigen. Während ich mich setzte, hielt ich sie ihm entgegen. »Mir wurde gesagt, du möchtest mit mir sprechen?« Er holte sich ein Tuch heraus und schnaubte laut. Geduldig wartete ich. So wie er aussah, hätte ich ansonsten auch gar nichts verstanden. Erst nachdem auch das zweite Tuch komplett durchnässt war, musterte er mich skeptisch. »Du bist Officer Meléndez?« »Ja, der bin ich. Und wer bist du?« »Glow.« Für den Moment sparte ich es mir, ihn nach seinem richtigen Namen zu fragen. Das würde vermutlich jedes weitere Gespräch sofort beenden. »Zombie, ich meine Mat ... ähh ... ich hab vergessen, wie er heißt ... hat gesagt, wir sollen zu dir gehen, wenn wir Probleme haben und zur Polizei müssen.« Ich nickte. Das hatte ich mir schon gedacht. Dennoch verstand ich nicht, was Mat sich davon erhoffte. Ich konnte die Jungs auch nicht anders behandeln als jeden anderen. »Ich muss dich darauf hinweisen, dass, wenn du dich selbst belastest, ich das ins Protokoll schreiben muss. Hast du das verstanden? Du solltest dir daher überlegen, was du mir erzählst.« Er nickte eifrig, auch wenn er im ersten Moment irritiert wirkte. Womöglich hatte er gehofft, dass ihn meine Freundschaft mit Mat schützte. Doch so lief das nicht. Wenn ich dagegen verstieß, konnte es mich den Job kosten. Er wischte sich erneut ein paar Tränen aus dem Gesicht. »Ich ... Ich kann mir auch einen Anwalt kommen lassen, oder? Wenn ich ihn brauche?« »Ja, du musst es einfach nur sagen, dann bestellen wir einen. Ich bezweifel, dass du einen eigenen hast?« Er schüttelte den Kopf. »Du kannst auch jemanden zur Unterstützung anrufen, wenn noch jemand dabei sein soll. Deine Eltern, Geschwister, Verwandte.« Als ich die Geschwister erwähnte, brach erneut ein großer Schwall Tränen aus ihm heraus. Eigentlich hatte ich gehofft, ihn ein wenig aus der Reserve locken zu können, was seine Herkunft anging, ich war mir immerhin sicher, dass ein Kollege zuhörte, dann wäre die Identifizierung schneller gegangen. Doch scheinbar hatte ich da in ein Nest gestochen. Während er sich erneut geräuschvoll die Nase putzte und versuchte, sich zu beruhigen, nahm ich kurz die schon fast leere Taschentuchpackung an mich und hielt sie in Richtung der Kamera kurz in die Luft. »Gibt es jemanden, den du anrufen möchtest?« Er senkte den Kopf und schüttelte ihn. Das überraschte mich. In den letzten Wochen hatten Mat und ich häufiger Spaziergänge zu zweit unternommen und dabei hatte ich einiges über seine Arbeit erfahren – sowohl seine Lohnarbeit als Drummer, als auch die ehrenamtliche bei den Strichern. Daher war ich auch davon ausgegangen, dass der Junge ihn anrufen würde, denn es gehörte ebenfalls zu dieser Arbeit, die Jungen zu unterstützen, wenn sie bei der Polizei waren. Doch so angsterfüllt wie der Kleine mich ansah, als er wieder aufblickte, hatte er scheinbar mehr Angst vor dem Punk als vor mir. Das machte mich skeptisch. »Du kannst dich jederzeit umentscheiden. Sag einfach Bescheid. Möchtest du mir dann erzählen, warum du hier bist?« Der Junge wurde noch kleiner auf seinem Platz. Nun gab es kein Halten mehr, die Tränen rannen unkontrolliert über sein Gesicht. Verdammt, wann kam endlich ein Kollege mit neuen Taschentüchern? Gerade als ich mich aufmachen wollte, um welche zu holen, vernahm ich ein paar gestammelte Worte: »Sha... tot. Oak Lawn ... gefunden. ... nicht hingehen ... di...« Ich hockte mich vor den Jungen und rede ruhig auf ihn ein. »Wer ist tot? Glow, bitte, beruhig dich. Ich versteh sonst nichts.« Er versuchte, seine Arme um mich zu legen, doch ich hielt ihn mit sanfter Gewalt davon ab. Ich konnte verstehen, dass es für ihn nicht einfach war, aber es war wichtig, dass er sich erst einmal beruhigte. Danach konnte er gerne so viele Zusammenbrüche haben wie nötig. Doch es brachte alles nichts, er wollte und wollte sich nicht beruhigen. Langsam wurde ich nervös. Er stammelte immer wieder dasselbe unzusammenhängende Zeug. Mittlerweile glaubte ich, dass es um einen Shawn ging, war mir aber nicht sicher. Außerdem wiederholte er immer wieder, dass jemand irgendwo nicht hingehen durfte und ›Oak Lawn‹. Was auch immer das sein sollte. Nach einigen Minuten entschied ich mich, etwas anderes zu versuchen. Ich sagte ihm, dass ich gleich wiederkam, und verließ den Raum. Draußen erwartete mich bereits Stevenson. Neben ihm stand eine resolute Frau, etwa Mitte dreißig. »Das ist Miss Aguilar. Sie ist Sozialarbeiterin und wird sich erstmal um ihn kümmern, wenn wir fertig sind.« Mich wunderte, dass sie so schnell da war, aber das kam mir entgegen. Ich nahm Stevenson die Kleenex-Box ab und drückte sie ihr in die Hand. »Officer Meléndez. Gut, dass sie hier sind. Vielleicht können sie ihn beruhigen.« »Wo willst du hin?«, rief mein Kollege mir nach, als ich mich eiligen Schrittes entfernte. »Ich muss kurz telefonieren. Ich bin sofort wieder da.« Damit verschwand ich zu den Umkleiden. Als ich zurückkam, hatte sich der Junge noch immer nicht beruhigt. Er hatte sogar versucht, abzuhauen, doch Stevenson hatte ihn daran gehindert. Nun saß er allein in dem Raum und weinte vor sich hin. »Was hast du gemacht?«, fragte mich mein Kollege sofort, während mich die Frau nur böse musterte. »Ich hab eine Idee, wie wir ihn zum Reden bringen können. Das dauert aber etwas. Hat er noch etwas gesagt, was uns weiterbringt? Oder hat die Fahndung etwas ergeben?« »Ja. Er heißt vermutlich Tristan Skinner und ist gerade mal 16. Kommt aus Keene, Vermont, und wird seit etwa einem Jahr vermisst.« Mir wurden die Ausdrucke der Vermisstenanzeige gereicht. Soweit ich das beim Überfliegen ausmachen konnte, konnte der Junge im Vernehmungsraum durchaus der Gesuchte sein. »Ansonsten blieb es bei dem Gestammel. Kannst du dir da einen Reim drauf machen?« Ich schüttelte den Kopf. »Was ist Oak Lawn?« »Das kann entweder ein Golfplatz oder ein Friedhof in Mattapan sein«, mischte sich die Dame ein. Leise fluchte ich. Das brachte uns nicht weiter. Auch wenn ich es für eher unwahrscheinlich hielt, konnte der Junge auch high sein und uns einfach nur erzählen wollen, dass ein Shawn auf dem Friedhof begraben wurde. »Wissen Sie mehr darüber?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nur, dass es sehr weit am Stadtrand ist.« Ich atmete tief durch. Wir mussten etwas tun, während wir warteten. Und scheinbar blieb es an mir hängen, wenn die Frau dafür sorgte, dass der Junge abhauen wollte. »Ich geh nochmal rein und versuche, mehr zu erreichen. Wenn jemand nach mir fragt, schick ihn rein.« Stevensons Augenbraue zuckte, doch er nickte. Offenbar vertraute er meiner Arbeit. Bevor ich zurückging, schnappte ich mir noch eine Wasserflasche. Wenn nicht der Junge sie brauchte, dann sicher bald ich. Mein Kollege wünschte mir noch viel Glück, bevor er sich der Dame widmete. Sie beredeten, was weiter mit dem Jungen geschehen sollte. »Tristan, ich habe dir etwas zu Trinken mitgebracht«, kündigte ich an und hielt ihm die Flasche entgegen. Er sah kurz auf und schüttelte den Kopf. Ich stellte die Flasche auf den Tisch und hockte mich wieder vor den Jugendlichen. »Du bist doch Tristan, oder?« Er nickte und versuchte endlich, sich ein wenig zu kontrollieren. Doch das war nicht lange erfolgreich. Ich versuchte, mir die Genervtheit nicht anmerken zu lassen. »Tristan, du musst dich beruhigen. Was ist in Oak Lawn passiert?« »Ich ... Shawn gefunden ... war tot.« »Versteh ich das richtig, du hast dort diesen Shawn gefunden?« Der Junge nickte. Unweigerlich hielt ich den Atem an. »Wer ist Shawn?« » ... Freund ... nicht zurückge... hab ihn gesucht.« Es klopfte an der Tür und im nächsten Moment steckte Stevenson seinen Kopf zur Tür hinein. Er sah mich zweifelnd an. »Ist das richtig, dass dieser Watkins hier ist?« »Ja, schick ihn rein.« Da mich mein Kollege immer noch ungläubig anstarrte, schob ich hinterher: »Später, okay?« Er nickte und machte dem Punk Platz. Dieser ging direkt auf den Jungen zu und zog ihn in seine Arme. So einfühlsam, wie er ihm über den Kopf streichelte, hatte ich ihn noch nie gesehen. Kurz sah er zu mir herüber und formte mit den Lippen ein »Danke«. Tatsächlich ging mein Plan auf und Mats Anwesenheit beruhigte den Jungen. Es dauerte nicht lange, da konnte er uns endlich erzählen, was passiert war. Zuerst versuchte Mat noch, sich zurückzuhalten und mir die Befragung zu überlassen, doch wir merkten schnell, dass der Junge ihm eher und ausführlicher antwortete. Normal hätte ich nicht zugelassen, dass jemand anders die Fragen stellte, aber schon bei den ersten Sätzen stellte sich heraus, dass es dringend war. »Tristan, lass mich das nochmal zusammenfassen: Du und Shawn, ihr seid also zu dem Typen, weil ihr dort schlafen wolltet? Und vor ein paar Tagen ist Shawn mit ihm weg und nicht mehr wiedergekommen? Hast du den Mann danach nochmal gesehen?« Er nickte. »Er kam allein zurück und hat gesagt, dass Shawn abgehauen ist, weil er keine Lust mehr hätte, mich am Hals zu haben. Aber ich wusste, dass das nicht stimmt.« »Und dann bist du ihn suchen gegangen? Wie bist du auf den Oak Lawn Friedhof gekommen?« »Dort sind immer viele ... Männer.« Ich sah fragend zu Mat, welcher nickte. Gut, er meinte also Freier. »Shawn und ich sind dort auch häufig gewesen. Der Kerl hat uns dort angesprochen. Ich dachte, vielleicht weiß jemand etwas.« Das klang für mich erstmal schlüssig genug, um weiter zu ermitteln. »Kannst du uns erklären, wo Shawn liegt?« Der Junge nickte. Gut, ich wollte ihn nicht noch einmal die Leiche seines Freundes sehen lassen. »Und die Adresse von dem Mann, hast du die auch? Und einen Namen?« Er sah fragend zu Mat und erst als dieser nickte, diktierte er mir eine Adresse, die ich auf einen Schmierzettel schrieb, den Stevenson in weiser Voraussicht in die Akte gelegt hatte. »Das wäre es dann erstmal.« Wir würden erst weitermachen können, wenn die Leiche gefunden war. Solange war die Aussage des Jungen nicht bestätigt. »Ich kann also gehen?« Ich wollte gerade antworten, da fiel mir Mat ins Wort: »Glow, du hast doch vorhin Miss Aguilar kennengelernt. Sie wird dich mitnehmen. Du kommst heute Nacht erstmal in ein Heim und dann sehen wir weiter.« Der Junge schüttelte heftig den Kopf. »Ich will da nicht hin!« Mat seufzte. »Es geht aber nicht anders. Wenn du nicht mitgehst, kann auch Shawns Mörder nicht gefunden werden. Die Polizei muss wissen, wo du bist, falls sie noch Fragen haben.« »Es wird auf jeden Fall noch einmal eine Befragung geben, wenn du dich beruhigt hast.« Die konnte ich dem Jungen nicht ersparen. Wir würden zwangsweise mehr erfahren müssen, was in der Wohnung und rundherum passiert war. Wenn alles stimmte, was er bisher erzählt hatte, dann würde es eine längere Suche werden. Zumindest glaubte ich nicht, dass der Kerl einfach wartete, bis wir an seine Tür klopften. »Keine Sorge, ich komme dann wieder her. Du musst das nicht allein machen.« Mat legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und drückte leicht zu. Zögerlich nickte der Junge. Irgendwo konnte ich ihn verstehen. In seinem jugendlichen Denken hatte er sich vermutlich ausgemalt, dass er einfach wieder rausspazieren konnte, wenn er uns informiert hatte. So lief das nur leider nicht. Selbst wenn er nicht vermisst worden wäre, er war zu jung, um ihn einfach wieder gehen zu lassen. »Eloy, kann ich noch kurz allein mit ihm sprechen?« Ich nickte. »Geht klar. Ich bin dann draußen.« Doch Stevenson wartete natürlich auch auf mich. Er hatte die Arme in die Seite gestemmt und sah mich auffordernd an. Mit dem Kopf deutete ich auf die Sozialarbeiterin, die noch immer neben ihm stand. Wenig erfreut nickte er. Es ging wohl klar, dass ich das nicht vor ihr besprechen wollte. »Weißt du, was er noch mit ihm besprechen will?«, fragte er stattdessen. »Nein. Aber du kannst ja zuhören, wenn es dich interessiert oder du glaubst, dass es wichtig ist.« Immerhin schien er das die ganze Zeit getan zu haben. An sich war das auch vollkommen in Ordnung, es war sein Job. Ich jedoch wollte Mat und dem Jungen etwas Privatsphäre gönnen. Der Punk war ganz sicher nicht so dumm, jetzt etwas zu besprechen, was Tristan Probleme bereiten konnte. Stevenson jedoch nickte und hörte wirklich zu. Ich wandte mich stattdessen an die Frau. »Wohin genau kommt Tristan denn jetzt?« »Ich werd ihn in eine Wohngruppe bringen. Danach müssen wir sehen, was mit seiner Familie ist. Ich denke, die werden Sie informieren?« »Wenn mein Kollege das noch nicht getan hat, dann werden wir das gleich machen, wenn die Befragung vorbei ist. Haben wir Ihre Kontaktinformationen? Auch, damit wir Bescheid geben können, wenn wir noch einmal mit ihm reden müssen.« »Ja, ihr Kollege hat die Informationen. Ich hab ihm auch schon gesagt, wo Tristan untergebracht wird.« »Danke. Dann hoffe ich, dass sich für ihn eine Möglichkeit findet, mit der alle zufrieden sind.« Skeptisch zog sie die Augenbrauen hoch. »Ich bezweifel, dass er überhaupt bei seinen Eltern ankommt. Solche Kinder hauen meistens ganz schnell wieder ab. Wir können sie ja auch nicht den ganzen Tag bewachen.« Verstehend nickte ich. Ich war auch nicht wirklich davon ausgegangen, dass er nicht ziemlich schnell wieder auf der Straße war. Ich hatte lediglich freundlich sein wollen. »Ich hoffe jedoch, dass er zumindest verstanden hat, dass er wenigstens noch die Ermittlungen abwarten muss.« Die Tür des Vernehmungszimmers wurde geöffnet und Mat und der Junge kamen heraus. Ich lächelte den Jungen aufmunternd an, doch er ignorierte mich und achtete nur auf die Sozialarbeiterin, die ihm die Hand hinhielt. »Hallo Tristan. Jetzt noch einmal richtig: Ich bin Miss Aguila und werde vorerst für dich verantwortlich sein, bis wir wissen, ob du wieder nach Hause kannst.« Er ignorierte die Hand und bedachte die Frau mit einem abschätzigen Blick. »Ich heiße Glow.« Mat gab ihm einen Stoß gegen die Rippen, worauf der Junge grummelte. Die Sozialarbeiterin ging auf die Unhöflichkeit nicht ein. »Soll ich dir dann zeigen, wo du die nächsten Tage bleiben wirst?« Tristan zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen ab. Offenbar hatte er beschlossen, nicht mehr zu sprechen, wenn er sowieso ignoriert wurde. Miss Aguila wandte sich an Mat: »Wollen Sie mitkommen?« Dieser schien wenig überrascht über das Angebot und willigte ein. Das schien in seinen Augen nicht ungewöhnlich. Vielleicht kam das häufiger vor, als ich angenommen hatte. Er sah kurz zu mir und wartete, bis er meine volle Aufmerksamkeit hatte, dann hob er leicht sein Smartphone, das er in der Hand hatte, und deutete an, auf dem Bildschirm zu tippen. Er würde mir also gleich eine Nachricht schicken. Da war ich mal gespannt, was er wollte. Alle drei verabschiedeten sich, wodurch nur noch ich und Stevenson im Gang standen. Diesmal verschränkte er die Arme vor der Brust und musterte mich erneut. »Hattest du Watkins nicht vor einem halben Jahr noch unbedingt festnehmen wollen?« Ich zuckte mit den Schultern. »Ja.« »Wie kommt es, dass du ihn dann direkt anrufst, ohne etwas zu sagen, und er dich offenbar beim Vornamen nennt?« Stevensons Tonfall war lauernd. Ich ließ mich davon nicht aus der Ruhe bringen. Ich hatte nichts Verbotenes getan. »Es hat sich herausgestellt, dass wir im selben Haus wohnen und ganz gut miteinander auskommen. Er passt außerdem auf meinen Hund auf, während ich arbeite.« Die große Falte auf seiner Stirn sagte mir, dass er mir nicht ganz glaubte. Das war mir jedoch egal. Es entsprach der Wahrheit und alles andere, was noch dazu gehörte, ging ihn nichts an. Er merkte, dass ich nicht bereit war, mehr zu erzählen, daher wechselte er das Thema: »Aber nicht diese hässliche, übergroße nackte Ratte, mit der er in letzter Zeit häufig unterwegs ist.« Überrascht sah ich Stevenson an. Er hatte Mat in letzter Zeit häufiger gesehen? Davon hatte dieser mir überhaupt nichts erzählt. Nicht, dass er dazu verpflichtet gewesen wäre, aber meistens erzählte er mir, wenn er mit einem Kollegen hier auf der Wache gesprochen hatte. »Du meinst den majestätischen, schwarzen Xoloitzcuintle? Doch, der gehört mir.« »Gesundheit!«, wünschte er mir grinsend. »Bitte, wie heißt das Vieh?« »Chico heißt mein Hund«, stellte ich mich absichtlich dumm. »Ich meine die ... Rasse? Das komische Wort, das du gerade gesagt hast.« »Xoloitzcuintle«, wiederholte ich langsam. »Kurz Xolo oder auch Mexikanischer Nackthund.« »Klar, hätte ich auch von selbst drauf kommen können ...«, erwiderte er mit sarkastischem Ton. Ich zuckte die Schultern. »Meine Exfrau wollte unbedingt einen und jetzt hab ich ihn am Hals. Wie sieht es aus, kann ich dann Feierabend machen oder brauchst du noch Hilfe beim Bericht?« »Ich soll den Bericht schreiben? Der Junge wollte unbedingt mit dir sprechen!« Ich verdrehte die Augen. Ich wollte doch einfach nur Feierabend machen. Seine Schicht hatte doch gerade erst angefangen, dann saß er wenigstens nicht so gelangweilt herum. Doch scheinbar war das zu viel verlangt. »Hilfst du mir dann wenigstens, dann geht es schneller.« Mit einem Nicken willigte er ein und gemeinsam leiteten wir alles in die Wege, damit die Kollegen auf der zuständigen Wache informiert wurden und nachsehen konnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)