Brandnarben von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Der Geruch nach Rauch und verbranntem Papier wird intensiver. Ich atme ihn ein, spüre ein Kratzen in meiner Kehle, muss husten und krümme mich leicht zusammen. Betrachte die Flammen, die unbeeindruckt weiter brennen. Angenehm. Beruhigend. Vertraut. Langsam ziehe ich meine Hand zurück, greife neben mich. Nehme den obersten Zettel von dem Stapel, den ich zuvor dort platziert hatte, und werfe einen Blick darauf. Gelbe Augen starren mir entgegen, grell hervorstechend aus einem Gesicht, das kaum mehr ist als eine Ansammlung von Narben; hässliche bräunlich-rote Wülste mit Nähten, gemalt mit Kohlestift. Ich erinnere mich, diese Person bereits zuvor gesehen zu haben, drei, vier mal, in meinen Träumen. Das trifft auf alle Dinge zu, die ich auf meinen Zeichnungen festgehalten habe. Bei den wenigsten von ihnen kann ich mich an Details erinnern, aber was ich weiß ist, dass sie alle mir Angst gemacht haben. Sie haben dafür gesorgt, dass ich mitten in der Nacht aufgewacht bin, durchgeschwitzt und heftig atmend. Manchmal habe ich im Schlaf um mich geschlagen und die Bücher von meinem Nachttisch gerissen, manchmal habe ich so laut geschrien, dass jemand in mein Zimmer gerannt kam, und die Nachbarn am nächsten Morgen fragten, ob alles in Ordnung wäre mit mir. Eine Frage, die meine selbsternannten „neuen Eltern“ stets mit „Ja“ beantworten. Ja, natürlich ist alles in Ordnung. Wie sollte es auch anders sein? Nancy - niemals werde ich sie „Mom“ nennen, egal, wie oft sie das von mir verlangt - betont immer wieder, wie sie sich schon ewig so sehr ein Kind gewünscht hat, und wie glücklich sie darüber ist, dass das Universum ihre Bitten nun endlich erhört und ihr mich geschenkt hat. Ihrer Meinung nach gibt es keine Probleme. Nur Herausforderungen. Ich sei vielleicht ein wenig schwierig, verstört und schreckhaft, aber das wäre nichts, was man durch Vertrauen und positives Denken nicht lösen könnte. Ich müsse es nur wollen. Mich auf das Gute konzentrieren, dann würde das Universum mir auch Gutes zukommen lassen. Ein bitteres Lachen dringt aus meiner Kehle, als mir all diese Dinge durch den Kopf gehen. Für Nancy ist „Das Universum“ die Antwort auf alles, egal, ob es darum geht, dass die Dinge in meinen Träumen mich wieder panisch haben aufschrecken lassen, darum, dass ich in der Innenstadt eine Panikattacke bekomme weil ich all die Menschen nicht ertrage, oder darum, dass ich mir erneut im Stress den Arm blutig gekratzt habe, ohne es zu bemerken. Es ist immer das Universum, das diese Sachen passieren lässt, und das deshalb, weil meine Gedanken voll von negativer Energie seien. Manchmal wünsche ich mir, sie würde mir einfach direkt ins Gesicht sagen, dass ich an allem Schuld bin, ohne es in ihrem esoterischen Gerede zu verpacken, denn das würde sich immerhin mit dem decken, was ich selbst empfinde. Schuld. Als wäre ich derjenige gewesen, der meine Eltern damals bedroht und gefesselt hat. Der das Benzin vergossen und das Haus angesteckt hat. Als wäre ich nicht das verängstigte Kind gewesen, das, verwirrt und mit einem Strick um den Hals, auf dem Boden des Wohnzimmers erwachte und die Flammen auf sich zu kriechen sah, sondern der hasserfüllte Mann, der all das wirklich getan und sich im Nachhinein vor Gericht damit „gerechtfertigt“ hat, dass seine Tochter ihn mit ihrem Verhalten ihm gegenüber so wütend gemacht hatte, dass er gar keine andere Wahl hatte, als sie und ihre Familie umzubringen. Als wäre es meine Schuld. Als wäre nicht mein Großvater der Mörder, sondern Ich. Survivors Guilt. Die Schuld der Überlebenden. Und nun sitze ich hier, vor dem Topf mit den brennenden Zeitungen, und betrachte die Zeichnung eines Gesichts, dessen Züge entfernte Ähnlichkeit mit denen meines Großvaters aufweisen. Vielleicht ist es das auch. Die Narben besitzt er in Wirklichkeit nicht, zumindest hatte er keine, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Und seine Augen sind nicht gelb, sondern dunkelbraun. Hatten immer so etwas beruhigendes an sich, sanftes, seine gesamte Ausstrahlung hatte das. Von außen betrachtet wirkte er immer wie ein guter Mensch. Wie ein freundlicher, alter Mann. Nicht wie jemand, der aus Hass eine Familie auslöscht. Ich weiß noch, was für eine Angst ich hatte, dass die Jury sich von diesem Aussehen täuschen lässt. Dass sie ihn nicht für fähig halten würden, einen Mord zu begehen - zwei Morde, und einen versuchten - schon gar nicht auf solch grausame Art und Weise. Dass sie ihn nicht für Mord verurteilen würden, sondern bloß wegen Todschlags, oder noch weniger. Dass ich das um jeden Preis verhindern wollte. Die Psychologin hatte mir gesagt, dass ich nicht vor Gericht aussagen müsste. Dass sie und die Staatsanwaltschaft mir im Vorfeld alle relevanten Fragen stellen und die Antworten dann ohne mich, stellvertretend, vorgetragen werden könnten. Dass man mich nicht zwingen würde, mich all dem auszusetzen. Ganz besonders nicht der Konfrontation mit meinem Großvater. Aber das hätte sich falsch angefühlt. Feige. Als würde ich weglaufen, mich verstecken, und damit die Chance wegwerfen, dazu beizutragen, dass er seine gerechte Strafe bekommt. Die Presse hat ständig darüber berichtet, wie mutig ich gewesen wäre. Wie tapfer es von einem 8-jährigen Kind sei, sich all diesen Strapazen auszusetzen; all den Fragen und Kommentaren, dem gesamten Gerichtsprozess, und, am schlimmsten, dem Anblick des Mörders meiner Eltern. Ich finde nicht, dass ich damals mutig war. Um mutig zu sein, muss man Angst haben. Und ich hatte keine Angst damals. Nicht vor meinem Großvater, und auch nicht vor dem ganzen Drumherum. Ich habe mich einfach bloß leer gefühlt. Diese Person auf der Zeichnung jedoch, ganz gleich, ob es nun Ihn darstellt oder nicht, hat mir Angst gemacht. Die meisten meiner Träume machen mir Angst. Und die meisten von ihnen zeichne ich nach dem Erwachen auf. Um sie festzuhalten, sie in eine physische Form zu bringen, sie greifbar zu machen. Und dann das mit ihnen zu machen, was ich jetzt tue. Ein Schauer läuft meinen Rücken hinunter, als ich den Blick von dem entstellten Gesicht ab- und dem Feuer wieder zuwende. Die Flammen lodern mittlerweile höher, greifen gierig nach dem Papier, als ich es über den Topf halte und langsam sinken lasse. Wie zuvor die Zeitungen verfärbt es sich erst bräunlich, dann schwarz, sobald die Flammenzungen es erreichen und sich hindurchfressen. Verkohlte Stücke lösen sich, fallen herab wie finstere Schneeflocken. Die Fratze verschwindet. Das Feuer hat mittlerweile meine Finger erreicht, umschließt meine Hand, doch das macht nichts. Ich spüre keinen Schmerz. Mein rechter Arm ist damals vom Ellenbogen abwärts vollständig verbrannt. Besteht bloß noch aus Narben und transplantierter Haut, und das Berührungs- und Schmerzempfinden ist kaum mehr vorhanden. Besonders nicht dann, wenn ich mich so von der Außenwelt abspalte wie jetzt gerade. Irgendwann lasse ich die Reste des Papiers los. Ziehe meine Hand zurück und halte sie in die Schale mit kaltem Wasser, die ich ebenfalls zuvor bereitgestellt habe. Ich mache das hier nicht zum ersten Mal. Und ich will mir nicht unbedingt noch mehr bleibende Schäden zufügen, als ich eh schon habe. Auch, wenn es teilweise wohl kaum mehr einen Unterschied macht… Ich will mich einfach bloß wieder selbst spüren. Nicht mit Hilfe körperlicher Schmerzen, das könnte ich einfacher haben. Ich brauche die Erinnerungen. Und ich will meine Ängste verbrennen, all die Dinge, die mich verfolgen. Will sehen, wie sie in Flammen aufgehen, so wie es damals mit meinem Leben passiert ist. Will mich eine kurze Zeit lang fühlen, als wäre ich frei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)