Brandnarben von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Streichholzschachtel zittert in meiner Hand, als ich sie aus der Schublade nehme. Es ist dunkel draußen, und es regnet, bereits seit Stunden tut es das. Ein beruhigendes Geräusch, das Prasseln der Regentropfen auf dem Fensterglas… Es kratzt leise, als ich die Streichholzschachtel öffne. Während ich mich wieder setze werfe ich einen Blick in die Packung, entdecke auf den ersten Blick drei Hölzer, deren Köpfe noch rot sind anstatt schwarz verkohlt. Drei. Das ist nicht schlecht. Doch bedeutet es auch, dass ich mir neue besorgen muss… Die Erwachsenen achten penibel darauf, derlei Dinge von mir fernzuhalten. Keine Streichhölzer, keine Feuerzeuge. Keine Kerzen, keine Teelichter, kein brennender Kamin. Kein offenes Feuer jeglicher Art, als könnte der bloße Anblick bereits bewirken, dass ich bei lebendigem Leib verbrenne. Dabei gibt es nichts anderes, was mir derart das Gefühl gibt, am Leben zu sein… „Es könnte ihn retraumatisieren, Feuer zu nahe zu kommen.“, hatte der Arzt damals gesagt, als ich nach Wochen endlich das Krankenhaus verlassen durfte. „Möglicherweise tut das bereits der Anblick, oder der Geruch. Sie sollten dafür sorgen, dass er professionelle Hilfe bekommt…“ Ich verstehe diesen Verdacht, die Annahme, dass Flammen und Rauch mich zurückversetzen in jene Situation, in der mein Leben beinahe geendet hätte. Auf gewisse Weise hat es das auch…ebenso, wie es auf gewisse Wiese stimmt, dass Feuer die Erinnerung an damals wiedererweckt. Mir alles deutlich zurück ins Gedächtnis ruft, die Bilder, die Gerüche, die Geräusche. Die Angst, die ich damals empfunden habe. Die Angst ist auch jetzt da, als ich das erste Streichholz aus der Schachtel nehme und es betrachte. Sie beschleunigt meinen Puls und lässt mein Herz stärker schlagen, meinen Atem schneller gehen. Aber das ist nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Die Angst fühlt sich gut an. Der Streichholzkopf gleitet über den Rand der Verpackung, einmal, zweimal. Das Zittern meiner Hand ist stärker geworden, macht es mir schwer, es weiterhin festzuhalten, geschweige denn, es zu entzünden. Ich weiß es wäre leichter mit einem Feuerzeug… aber das ist nicht das Gleiche. Ich brauche den Geruch nach Schwefel, um mich wirklich gut zu fühlen, den gewünschten Effekt zu erzielen. Die Erinnerungen wieder aufleben zu lassen, sie lebendig vor mir zu sehen - das, wovon der Arzt behauptet hat, es wäre etwas Schlechtes. Warum sollte das so sein? Was sollte es Negatives daran geben, dass ich meine Eltern wiedersehen kann? Für eine kurze Zeit vergessen kann, dass sie damals nicht so viel Glück hatten wie ich? Glück. So haben sie es genannt, sie alle. Der Polizist, der mich befragt hat, die Leute, die sich im Krankenhaus um mich gekümmert haben. Die Psychologin, der Staatsanwalt, die Richterin. Die Berichterstattung in den Medien, der Strafverteidiger. Die Zeugen, die Jury, und die beiden Menschen, die heute von mir verlangen, dass ich sie als meine „neue Familie“ bezeichne… Ich hatte Glück, denn ich habe überlebt. Aber so fühlt es sich nicht an. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, in dem ich mich bewusst darüber gefreut hätte, dass ich nicht gemeinsam mit meinen Eltern im Qualm erstickt bin, darüber, dass die Feuerwehrleute es geschafft haben, mich rechtzeitig aus dem Haus zu holen, mich mit Verbrennungen 4. Grades ins Krankenhaus zu schicken, lange, bevor sie die verkohlten Leichen von Mom und Dad aus dem Obergeschoss bergen konnten. Damals mit ihnen zu sterben wäre nicht angenehm gewesen, nein. Aber es wäre schnell gegangen. So hingegen habe ich seit Jahren das Gefühl, vor mich hin zu siechen. In einem Zustand zwischen Leben und Tod festzuhängen, in Agonie, ohne in der Lage zu sein, mich daraus zu befreien. Nicht vor, nicht zurück. Ich kann atmen, aber nie genug, um mich lebendig zu fühlen. Als käme bloß ein Bruchteil des Sauerstoffs in meiner Lunge an. Und wieder bin ich abgeschweift. Hocke da wie eingefroren, in einer Hand die Streichholzschachtel, in der anderen das Zündholz. Als hätte ich mein eigentliches Vorhaben vergessen, während ich in den Gedanken über meine Existenz versunken bin. Vier weitere Versuche benötige ich, bis das Streichholz endlich Feuer fängt. Fasziniert beobachte ich die kleine Flamme, während das Gefühl in mir wächst, das ich so sehr herbeigesehnt habe. Diese Mischung aus Furcht und Erregung. Die Wärme auf meiner Haut wird immer intensiver spürbar, je weiter sich die Flamme das Holz entlang frisst, hinter sich alles verkohlt zurücklässt. Erst, als die Hitze schmerzhaft wird, lasse ich los. Der, nun zum Großteil schwarz gefärbte Stab, fällt. Landet auf dem Haufen alter Zeitungen, die ich aus dem Altpapier gefischt und zusammengeknüllt in den Topf geworfen habe, der nun hier in der Mitte meines Zimmers steht. Einen Augenblick lang flackert die Flamme protestierend auf, droht, bedingt durch den Luftzug beim Fallen, zu erlischen … dann stabilisiert sie sich wieder. Wie gebannt betrachte ich, wie das Papier beginnt, sich zu verbiegen. Sich bräunlich verfärbt, anfängt zu glühen, und sich schließlich das erste Loch hineinfrisst, dessen schwelende Ränder sich beeindruckend schnell ausbreiten. Mehr Flammen lodern auf, verwandeln den rostigen Kochtopf in einen Feuerkorb, verleihen ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Grill, der unten auf der Terrasse steht. Ein seltsamer Gedanke, der mich zum Lächeln bringt. Dann strecke ich einen Arm aus. Halte meine Hand über den Topf, so tief, wie es gerade noch zu ertragen ist, und schließe die Augen. Das Knistern des Feuers, das das Papier zerfrisst, der Geruch, die Wärme… das alles wirkt so verdammt beruhigend. Es ist paradox, ich weiß, denn eigentlich sollte ich rennen; fliehen vor diesem unkontrollierbaren Element, das meinen Eltern das Leben gekostet hat. Ein Teil von mir will auch genau das tun. Doch dieser Teil ist schwach, leise, hat der anderen Seite in mir nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Der Seite, die von den Flammen angezogen wird wie eine Motte vom Licht. Eine ganze Weile lang sitze ich so da. Lasse die Gedanken schweifen und versuche, mir vorzustellen, ich wäre nicht hier, nicht in diesem Zimmer, in diesem Haus, in dieser Stadt, die mir auch nach Jahren immer noch derart fremd ist, als wäre ich gerade erst hier hergezogen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so. Als ich die Augen wieder öffne, ist da nur noch das Feuer. Die Umgebung ist verschwommen, kaum noch zu erkennen, und das wiederum bedeutet, dass sie austauschbar ist. Es ist nicht mehr der karge Raum, in dem ich mich zuvor befunden habe, nein. Ich bin zuhause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)