Der letzte Sieg von BuchTraumFaenger (Böse Vorahnung) ================================================================================ Kapitel 26: 26. Eine Lektion in Sachen Vergeben ----------------------------------------------- Die Sonne hatte sich in der Zwischenzeit dem Horizont zugeneigt. Dennoch war es schon düster, denn Wolken hatten den restlichen hellen Teil des Tages verhangen, was in Po ein unheimliches Gefühl hervorrief. Dennoch zögerte er nicht dem Lord bis an den Hafen zu folgen, wo sie ein kleines Boot bestiegen. Es war zuerst etwas schwierig den Bootshalter, ein kleiner Hase, dazu zu überreden, den verbannten Prinzen und den Drachenkrieger zu fahren. Als Po ihm versicherte, dass das in Ordnung sei, fügte sich der Hase der Aufforderung und es blieb erspart, dass Shen noch sein Lanzenschwert als Machtwort benutzen musste. Die ganze Fahrt über schwiegen beide. Po ließ sich auf den hintersten Teil des Bootes nieder, während Shen mit angespannter Haltung den Blick nach vorne gerichtet hielt. Irgendwie erinnerte es den Panda an die Szene, wo Shen mit seinen Kriegsschiffen die Stadt Gongmen verlassen wollte. Nur waren hier diesmal keine Waffen im Spiel. Mit Ausnahme von seinem Schwert. Po seufzte tief und ließ die Schiffsfahrt teilnahmslos über sich ergehen. Zuerst fuhr das Boot am Hafen, dann an bewachsenen und verwilderten Ufern vorbei. Ab und zu gab Shen flüsternde Anweisungen, die er manchmal mit dem Anstupsen auf der Schulter des Bootsführers mit seiner Lanzenspitze verdeutlichte. Schließlich bogen sie in einen Fluss ein. Als Po das merkte, wurde er etwas unruhig. Wohin trieb es den ehemaligen zukünftigen Herrscher der Stadt Gongmen? Allmählich ahnte der Panda etwas und erhob sich langsam. Shens Augen wanderten leicht zu ihm nach hinten, sagte jedoch nichts. Schließlich wies Shen an das Boot ans Ufer zu steuern. Dort legten sie an und Shen stieg aus. Po tat es ihm gleich und gemeinsam durchquerten sie einen spärlich bewaldeten Wiesenweg. Zuerst ließ der Drachenkrieger wenig interessiert seinen Blick schweifen. Außer Wald und Wiese gab es hier nichts. Plötzlich hielt er inne, als er sich das Gras genauer beschaute. Die Erde war an einer Stelle schnurgerade und danach wurde der Boden wässrig und matschig. Po bückte sich und schob das Gras etwas zur Seite. Es war Reis. Reisgras von einem Reisfeld. Jedoch ein ziemlich verwildertes Reisfeld. War das etwa…? Ruckartig erhob sich der Panda und wollte nach vorne stürmen. Doch dann musste er mitten im Rennen abbremsen, weil Shen nur einen Meter vor ihm zum Stillstand gekommen war. Po blieb auf einem Fuß stehen und taumelte balancierend nach hinten. „Autsch! Iggit.“ Angeekelt rieb Po sich den Dreck vom Rücken und sah zu Shen auf. Dieser hatte ihm wieder den Rücken zugewandt und schien wie versteinert zu sein. „Kommt dir das bekannt vor, Panda?“, fragte er leise und gefühlskalt. Mühsam rappelte Po sich auf und sah sich um. Zuerst sah er nur trübes Wetter über einem teilweise mit Bäumen bestückten Wiesenfeld. Doch dann erkannte er verlotterte, heruntergekommene Holzhütten. Po riss die Augen auf. Das Panda-Dorf. Sein Dorf. Po schluckte schwer. „Hier war ich doch schon mal gewesen.“ Er zog den Kopf ein. „Allerdings als ich vor über einem Jahr nach Gongmen kam… damals, als du mich mit der Kanone abgeschossen hattest… hierher… also, weißt du?“ Shen schwieg. Er sah auf die verbliebenen Überreste des Dorfes herab. Das letzte Mal war er vor über 20 Jahren hier gewesen. Seitdem hatte er keinen Fuß mehr in diesen Ort gesetzt. „Aber nicht das“, flüsterte er heiser. Po wusste nicht, was er meinte. Doch Shen erläuterte keine Details und setzte sich wieder in Bewegung, wobei er den Panda wieder einen Wink mit seinem Flügel gab und Po folgte ihm mit einigem Abstand. Die Atmosphäre lag schwer auf dem einst so schönen kleinen Panda-Dorf. Sie gingen langsam, als wollten sie die Toten nicht stören. Shen hob nur ab und zu leicht den Kopf und ließ die Augen abwechselnd zur Seite wandern. Er erinnerte sich noch wie er hier einfiel. So vieles hatte sich vor langer Zeit hier abgespielt. Es lag noch so viel Tod in der Luft, dass er meinte, ihn spüren zu können. Seine Flügel pressten sich zitternd um den Griff seines langen Schwerts. So viel Blut klebte daran noch fest, obwohl es nicht mehr zu sehen war. Der Lord schnitt mit dem Schwert über einen Grashalm. Damals lag noch Schnee auf den Wiesen und die Flächen waren mit Eis überzogen. Shen schloss kurz die Augen. Das Gras streichelte seine Füße und ließ ihn willkommen, ohne Dornen. Eine sanfte Ruhe, ohne kaltes Eis. Im Gegensatz zu dieser Nacht, wo der Schnee sein weißes Federkleid unscheinbar werden ließ, so hob sich Shens Gestalt jetzt kontrastreich vom Grünen ab, als käme er nicht von dieser Welt. Po kniff die Augen zusammen. Einmal blitzte ein Bild vor ihm auf. Shen, wie er mit lautem Schreien die Wölfe antrieb. Ein Pfauenschrei, der durch die Nacht grellte. Jetzt schwieg der weiße Lord. Keine rote Farbe des Feuers erhellte mehr sein Federkleid. Nur Dunkelheit und Stille, wie die Asche nach dem Feuer. Die Glut war kalt und erloschen. Es war eine Ruhe wie nach einem fast vergessenen Sturm. Nachdem sie das letzte verfallene Haus passiert hatten, bogen sie in den Wald ein. „Wo gehen wir hin?“, fragte Po. Der Pfau entfächerte seinen Pfauenschwanz. Erschrocken wich Po etwas zurück. Doch der Lord antwortete nicht, sondern wies mit seinem Lanzenschwert in den Wald. Anschließend schulterte er sein Schwert wieder über und ging zwischen den Bäumen hindurch. Misstrauisch sah Po ihm nach. Konnte er ihm trauen? Er schaute noch einmal hinter sich, dann seufzte er tief und ging dem Pfau hinterher. Shens weiße Gestalt wanderte zwischen den Bäumen wie ein Geist. Doch sein Gang schien nicht ohne Ziel zu sein. Er schien den Weg sogar genau zu kennen. Po hielt es für das Beste erst mal zu Schweigen und gemeinsam gingen sie eine ganze Strecke bis sie zum Waldrand kamen, wo ein Hügel runterführte. Der Panda blieb kurz stehen. Irgendwie meinte er diese Gegend schon mal gesehen zu haben. Er wollte gerade etwas fragen, als er merkte, dass Shen bereits wieder im Wald verschwunden war. Widerstrebend folgte der Panda ihm erneut. Der Spaziergang ging noch ein paar Meter, dann blieb der Lord unerwartet stehen. Auch Po hielt an. Dann drehte sich der weiße Pfau zu ihm um. Sein Gesicht wirkte wie Stein. „Hier war es.“ Verwundert schaute der Panda hinter ihm. Sie befanden sich auf einer kleinen mit Gras bewachsenen Lichtung. „Was war hier gewesen?“, fragte er. Shen drückte mit beiden Flügeln den Griff seines Lanzenschwertes in den feuchten Waldboden. „Hier habe ich deine Mutter getötet.“ Pos Augen weiteten sich. Doch Shen zeigte keine Gefühlsregung. Stattdessen wies er mit seinem weißen Flügel erneut auf die Waldlichtung auf eine bestimmte Stelle. „Sie fiel dort hin.“ Der Lord ließ den Panda nicht aus den Augen und beobachtete seine Reaktion. Po stand da wie festgewachsen, unfähig sich zu rühren und starrte fassungslos nach vorne. „Willst du nicht das Grab deiner Mutter besuchen, Panda?“ Schweigend und ein wenig betäubt setzte der Drachenkrieger sich in Bewegung und schritt vorsichtig über das Gras. Es war unvorstellbar, dass hier vor über 20 Jahren mal eine Pandamutter tot hier gelegen hatte. Was war wohl aus ihrem Körper geworden? Hier befand sich nichts. Nicht mal Knochen. Ob sie jemand nach dem Massaker gefunden und begraben hatte? Oder war sie längst von wilden Tieren beseitig worden? Tief betroffen ließ der Panda sich auf dem Waldboden nieder, als versuchte er ihre verbliebene Aura zu spüren, wobei er mit den Handflächen über die Grashalme strich. Shen hatte sich immer noch nicht von der Stelle gerührt und ließ seinen Blick auf den Panda ruhen. „Wie seine Mutter“, dachte er. Genau an derselben Stelle. (Rückblende) Die Wölfe waren schnell, aber der junge Lord sprintete ihnen gekonnt hinterher. Nie hätte er gedacht, mit Wölfen auf die Jagd zu gehen. Es durfte keine Überlebenden geben. Der Wald war hier zu Ende. Wo war der geflohene Panda? Ein Heulen. Eine Bewegung im Wald. Der Schrei einer Frau. Ein Wolf sprang an seine Seite. Wies ihn in eine bestimmte Richtung. Pfeilschnell huschte er zwischen den Baumstämmen hindurch. Kalte Schneeflocken strichen ihm über das Federkleid. Es war eine Nacht wie für eine kalte Hinrichtung geschaffen. Eine Lichtung tauchte auf. Ein großer Panda, umzingelt von Wölfen hielten sich dort auf. Sein nächstes Opfer. Eine Frau. Der weiße Pfau hob sein Lanzenschwert. Die Wölfe zogen sich etwas zurück und machten ihrem Heerführer respektvoll Platz. Die Pandafrau sank auf die Knie. Er wusste nicht mehr, was sie genau gesagt hatte. Er blendete einfach alles aus. Er wollte kein Mitleid in sich aufkommen lassen. Mitleid war eine Schwäche. Genauso wie Vergeben. Vergeben. (Rückblende Ende) Shens Flügel verkrampften sich um sein Schwert. Der Todesschrei hallte ihm immer noch in den Ohren. Wieder wanderte sein Blick auf den Panda, der immer noch auf dem Boden hockte. Anschließend wanderte sein Blick auf sein Lanzenschwert. Der Panda stand ganz allein mit ihm im Wald. In dem Zustand, in dem sich der Panda gerade befand, könnte er ihn ohne Mühe zur Strecke bringen. Ein Plan, den er schon vor über einem Jahr in die Tat umsetzen wollte. Shens Fußkrallten gruben sich in den Boden. Mit einer harschen Bewegung und unheilvollem Zischen zerschnitt der Lord mit dem scharfen Kriegsinstrument die Luft. „Fällt es dir immer noch so leicht zu vergeben, Panda?!“, herrschte er ihn an. Zuerst reagierte Po nicht. Erst nach ein paar Sekunden hob er langsam den Kopf. Der Lord drückte seinen freien Flügel auf seine Brust. Irgendetwas tat ihm dort weh, wusste aber, dass es kein körperliches Leid war. Er ballte die Fingerfedern zu einer Faust. Irgendetwas tief in ihm krampfte sich zusammen. „Es schmerzt. Nicht wahr?“ Jeder Ton in seiner Stimme war wie ein Steinschlag. „Wir durchleben beide denselben Schmerz. Jeder auf seine Weise.“ Endlich schaffte es der Panda seinen Kopf in seine Richtung zu drehen. Shen kniff teuflisch und düster die Augen zusammen. In Pos Augen hatten sich ein paar Tränen gebildet. Dem Lord schnürte etwas die Kehle zu, doch seine Wut überwand alles in ihm. „Bist du immer noch bereit mir zu vergeben?“, zischte der Lord mit erstickter Stimme weiter. „Was ist, wenn ich dir sagen, dass ich sie mit derselben Waffe getötet habe?“ Er hielt sein Lanzenschwert hoch, das er anschließend knallhart auf den Boden stemmte. „Denkst du wirklich, deine Mutter könnte mir verzeihen?“ Erneut folgte eine Pause, wo niemand ein Wort sagte. Pos Blick blieb wie zuvor traurig, während Shen immer ungehaltener wurde. Es brodelte in ihm so hitzig wie die Lava eines Vulkans. Er wusste einfach nicht, worüber er genau so einen Zorn verspürte. Über sich? Über andere? Über die Zukunft? Das Universum? Das alles nicht so gekommen war, wie er es sich immer gewünscht hatte? Warum war er so geboren? Er stieß einen lauten Schrei aus und schwang sein Schwert erneut um sich. „Vielleicht schreit sie sogar gerade zu dir!“, keifte er. „Willst du sie denn nicht rächen?!“ Er presste die kalte Klinge gegen seine Stirn. „Der Drang den Schmerz zu lindern ist stark. Verstehst du jetzt was ich meine, Panda?“ Shen wich ein paar Schritte zurück. Po war aufgestanden. Nach einer Phase des Stillstands, ging er auf den Pfau zu. Mit jedem Schritt ging Shen rückwärts. Sein Schwert hielt er vor sich. Erwartete er einen Angriff? „Wenn du mich jetzt töten willst, Panda, dann lass mich zumindest zuerst meinen Racheakt vollstrecken!“ Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich. „Lass mich noch den Verräter zur Strecke bringen!“ In Shens Stimme lag immer noch Verbitterung. Aber auch irgendwie Angst. Doch dann erhob er sich so stolz wie ein Pfau nur eine stolze Haltung nur zeigen konnte. „Denn das ist Gerechtigkeit!“ Plötzlich sprang Po ihn an. Shen hätte ihn vielleicht erstechen können, doch irgendetwas fror seine Bewegung ein. War es nur Gerechtigkeit, dass der Panda seine Mutter rächen wollte? Der Lord schaffte es gerade noch sein Lanzenschwert wie ein Schild vor sich zu halten. Doch Po drückte es ihm runter und schlang seine Arme um ihn. Zuerst befürchtete Shen der Panda wollte ihm das Rückgrat brechen. Er stieß einen Pfauenschrei aus, hielt sein Schwert aber weiterhin mit festem Griff in beiden Flügeln, sodass es zwischen ihnen eingedrückt wurde. Doch der umarmende Griff verletzte den Pfau nicht. Stattdessen umschlossen sie ihn nur und der Kopf des Pandas ruhte auf seiner Schulter. Vergeblich versuchte der Pfau sich herauszuwinden. „Was tust du da?!“ „Ich habe dir damals schon vergeben“, stieß Po mühsam hervor. „Zwing mich nicht diesen Schwur zu brechen.“ Er verstärkte seine Umarmung, als versuche er das scheußliche Gefühl nach Rache damit zu vertreiben. „Vergib lieber mir, dass ich dich damals nicht von der Kanone weggerissen habe.“ Shen zuckte zusammen. „Wovon redest du da?“ „Davon, dass ich weggelaufen bin, als die Kanone auf dich fiel. Das war sehr egoistisch von mir gewesen. Ich hätte dich retten sollen. Es tut mir leid.“ Shen stand da wie betäubt. „Warum sagst du das?“ „Weil es nicht gerecht war. Ich bin der Drachenkrieger. Und es ist meine Aufgabe jeden in Not zu helfen und zu schützen. Bei dir hab ich es vermasselt. Tut mir leid.“ Er strich dem Pfau über den Rücken. „Bitte, vergib mir.“ Stille fiel. Während Po den Pfau immer noch umarmt hielt, seine Augen dabei geschlossen und auf ein Wort von seinem Gegenüber hoffte, fühlte Shen sich wie in einem toten Körper. Vergib mir. Noch nie hat ihm jemand darum gebeten. Nur Flehen um Gnade oder aus Angst, dass er jemanden verschonen sollte. Wer hat ihm mal darum gebeten, dass er jemanden vergab? Dem Pfau durchzuckte ein Schock. Der Panda weinte. Tränen tropften ihm auf die Schulter. Normalerweise hätte er ihn angewidert von sich gestoßen, doch es rief in ihm etwas anderes hervor. Eine körperliche Geste wie, wenn ihm jemand das Herz öffnete. Ein Zitternd durchfuhr seinen Körper. Mit bebenden Flügeln umklammerte er sein Schwert, dann ließ er es fallen und es landete im Gras. Eine Weile stand er noch teilnahmslos da. Doch dann hob er seine Flügel, die sich sachte auf den Panda niederließen. Als Po seine Flügel spürte, schob er seine Arme in der Umarmung weiter hoch. Schließlich begann der Lord seine Fingerfedern auf dem Fell des Pandas zu bewegen. Schwarz und Weiß. Das Weiß war fast identisch mit seinem. Das er das nie zuvor bemerkt hatte. „Ach, Panda.“ Er kniff die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete verschleierten Tränen ihm die Sicht. Alles von damals war irgendwie vergessen. Ein leichter Wind wehte durch die Bäume und streichelt ihm die Tränen aus dem Gesicht. Der Pfau sah auf. Eine Ruhe umgab die Lichtung. Als würde das Universum sie beruhigen wollen. Er senkte den Blick und Weinen war alles, was die Stille noch erfüllte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)