Der letzte Sieg von BuchTraumFaenger (Böse Vorahnung) ================================================================================ Kapitel 11: 11. Die Suche nach der Schuld ----------------------------------------- Es fiel Xia extrem schwer die Zimmertür ihrer Eltern zu öffnen. Wobei es noch nicht mal von zwei, sondern nur von einer Person besetzt war. Sie holte nochmal tief Luft, dann klopfte sie zaghaft an. Es kam keine Antwort, was sie auch erwartet hatte. Leise öffnete sie die Tür und spähte hinein. Ihre Mutter saß auf dem Bett, ihr Blick Richtung Fenster gewandt und erwecket den Eindruck, als ob sie für den Rest ihres Lebens in dieser Stellung verharren wollte. Zögernd trat ihre Tochter näher an sie heran. „Mutter?“, fragte sie leise. Die Pfauenhenne regte sich nicht, aber ein sachtes „Mmm?“ war zu hören. „Wir wollen Mittagessen. Möchtest du auch was essen, oder soll ich es dir aufs Zimmer bringen?“ Doch ihre Mutter schüttelte den Kopf, was soviel heißen sollte, dass sie keinen Hunger hatte. Xia hatte das eigentlich erwartet, aber ewig konnte das nicht so weitergehen. „Mutter.“ Damit stellte sie sich vor sie und legte ihre Flügel auf die Flügel ihrer Mutter. „Das geht nun schon seit zwei Tagen so. Du musst etwas essen.“ Doch ihre Mutter schien sie kaum wahrzunehmen. „Später. Nicht heute.“ Niedergeschlagen verließ ihre Tochter wieder das Zimmer. Kaum hatte sie die Tür hinter sich verschlossen, kam Sheng ihr im Gang entgegen. „Und?“ Xia schüttelte den Kopf. „Mutter hat es sehr mitgenommen, aber Vater macht mir noch mehr Sorge.“ Stöhnend lehnte sie sich gegen die Zimmertür. „Er verschanzt sich in seinem Arbeitszimmer. Er isst nichts, will niemanden sehen. Ich mach mir Sorgen, dass er sich noch etwas antut, oder jemand anderen.“ Ihr Bruder seufzte. „Was sollen wir denn machen?“ Eine Weile schwiegen die beiden Geschwister, bis Xia ihren Flügel auf seinen legte. „Mutter muss mit ihm reden.“ Sheng sah sie entsetzt an. „Sie kann doch selbst kaum reden. Wenn sie Vater jetzt auch noch so sieht. Ich glaube, daran würde sie zerbrechen.“ „Vielleicht. Aber vielleicht können andere sie dazu überreden. Ich werde die Wahrsagerin und Xinxin dazu ermuntern sich mit ihr etwas zu unterhalten.“ „Hältst du das wirklich für klug?“, fragte ihr Bruder zweifelnd. „Warum soll es eigentlich nur Mutter tun? Wäre es nicht das Beste, wenn wir für sie einspringen?“ Xia senkte ihren Blick. „Vielleicht… vielleicht bedeuten wir ihm nicht so viel wie Mutter.“ Shengs Augen weiteten sich. „Glaubst du das wirklich?“ „Er kennt uns doch kaum“, wandte Xia ein und stieß sich von der Tür ab. „Im Gegensatz zu Mutter. Er kennt sie besser. Und er liebt sie auch mehr. Von daher denke ich… hat sie mehr Einfluss auf ihn.“ Damit wandte sie sich ab und lief den Gang runter, während Sheng ihr schweigend hinterher sah. Im Arbeitszimmer war es dunkel. Kein Licht brannte. Alle Fenster waren verriegelt und verschlossen. Kein Licht drang hindurch, obwohl es gerade in der Abenddämmerung war. Der weiße Lord hatte sich in die hinterste Ecke des Zimmers zurückgezogen und hatte sich, seitdem er den Panda vor die Tür gesetzt hatte, nicht mehr von der Stelle gerührt. Nur ab und zu wurde seine Schweige-Phase von Weinen und Schlafen unterbrochen. Den Rest der Zeit verbrachte er nur damit in die Dunkelheit zu starren. Auf Anklopfen und Rufe reagierte er nicht. Und reinkommen konnte eh keiner, weil er auch noch die Tür verschlossen hatte. Er wollte einfach nichts und niemanden sehen. So war es nicht verwunderlich, dass er nicht reagierte, als jemand an der Tür klopfte. „Shen?“ Erst als Yin-Yus Stimme hinter der Tür zu ihm hindurchdrang blickte er auf. „Shen? Darf ich reinkommen?“ Er schwieg. „Könntest du mir wenigstens ein Lebenszeichen von dir geben?“, fuhr ihre Stimme fort. Ein Seufzen entkam ihm. „Geh weg.“ Er wollte sie nicht sehen. „Wenn du mich nicht sehen willst, kann ich wenigstens mit dir kurz reden? Vor der Tür?“ Etwas wehleidig erhob er sich von seiner Sitzposition. „Was soll das bringen? Geh einfach.“ „Ich brauche aber jemanden zum Reden“, beharrte sie. „Was willst du?“ Je schneller er es hinter sich hatte, desto schneller konnte er wieder allein sein. „Ich mache mir Sorgen um dich“, fuhr Yin-Yu fort. „Ich wollte nur sicher gehen, dass du dir nichts antust.“ „Warum sollte ich?“ „Weil du seit Tagen nichts mehr gegessen hast.“ „Du doch auch nicht.“ „Woher weißt du das?“ Shen schwieg einen kurzen Moment. „Ich weiß es eben.“ „Dann solltest du auch wissen, dass ich heute wieder etwas gegessen habe.“ „Wie kannst du nur etwas essen?!“ Wütend schlug der weiße Pfau gegen die Wand. Hinter der Tür trat kurzfristig eine Stille ein. „Wir können nicht ewig so weitermachen, Shen. Das hätten unsere Kinder auch nicht gewollt…“ „WOHER WILLST DU DAS WISSEN?!“, brüllte er. „Du hast sie doch nie gekannt!“ „Shen, ich weiß wie du dich fühlst. Und ich verlange auch nicht, dass du einfach darüber hinwegsiehst. Alles was ich dir nur sagen möchte ist, dass ich dich bitten möchte, nicht zu riskieren, dass ich dich verliere.“ „Mein Leben geht dich gar nichts an!“ Shen stiegen die Tränen in die Augen. Er konnte hören wie sie sich gegen die Tür lehnte. „Shen. Mach bitte nicht denselben Fehler wie damals in Gongmen.“ Der weiße Pfau horchte auf. „Wie meinst du das?“ „Die Wahrsagerin hat mir einiges erzählt, was damals in der Stadt Gongmen passiert war. Ich verstehe nur eines nicht.“ Sie machte eine kurze Pause. „Wieso wolltest du damals sterben?“ Shen meinte sein Herz würde aussetzen. „Wolltest du damals nur alles oder gar nichts?“ Der weiße Lord stand in der Dunkelheit. Völlig alleine. Womit hatte diese Wahrsagerin ihr nur den Kopf verdreht? „Kannst du es mir nicht sagen?“, fuhr sie fort. Shens Krallen gruben sich in den Boden. Schmerzen von damals waren wieder in ihm spürbar. „Entweder ich musste gewinnen oder ich musste sterben!“, schrie er. „Da gab es keine andere Möglichkeit für mich! Entweder ich starb für meinen Sieg, oder man hätte mich hingerichtet. Und ich hatte auch keinen Grund nach meiner Niederlage weiter zu leben.“ Er brach kurz ab. „Oder für irgendjemanden.“ Wieder herrschte eine Schweigeminute, bis Yin-Yu das Schweigen unterbrach. „Als ich damals noch mit Xiang verheiratet war, erging es mir ähnlich. Aber ich hatte keinen so großen Lebensgeist wie du. Dein Chi ist stark. Ich konnte meinen Lebenswillen nur aufrechterhalten, weil ich meine Kinder hatte. Wären sie nicht gewesen – dann wäre auch ich tot. Aber weißt du… So aussichtlos auch alles sein mag, so hoffte ich immer auf einen Ausweg. Nur… versprich mir nur, dass ich nicht mit dir streben muss, wenn du nicht mehr bist.“ Sie hatte Mühe ihr Weinen zu unterdrücken. Anscheinend waren ihre seelischen Kräfte schon so gut wie aufgebracht. „Und auch vor allem – vergrabe deinen Frieden nicht mit anderen.“ „Es war seine Schuld gewesen!“ „Das ist nicht wahr und du weißt das. Du willst nur eine Erklärung für deinen Schmerz haben. Hauptsache es war nur nicht deine Schuld.“ „War es meine Schuld?“ „Nein. Aber versprich mir nur, dass du ihm nicht den Frieden vor die Füße wirfst. Er hat dich damals gerettet. Denn sonst wären wir nicht hier.“ Yin-Yu verbarg das Gesicht in den Flügeln. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie hatte einen Fehler gemacht. Innerlich hoffte sie, dass Shen es nicht auffangen würde. Doch sie waren wie eines. Und Shen hatte diesen Gedanken leider aufgefangen. Der weiße Pfau nahm einen tiefen Atemzug. „Ich wünschte, ich wäre damals umgekommen. Dann wäre mir das hier erspart geblieben.“ Yin-Yu sank zusammen. Dass das Gespräch in diese Richtung hinauslief hatte sie nie wollt. Aber es war passiert. „Alles wäre mir erspart geblieben!“ Sie hörten ihn im Zimmer auf und ab rennen und gegen die Wände schlagen. „Shen, bitte…“ „Geh, geh!“, schrie er. Yin-Yu bemühte sich noch etwas zu sagen, doch Shen ließ sie einfach nicht zu Wort kommen. „GEH! Geh einfach! Lass mich alleine! Geh, geh, geh!“ Eilig lief sie davon, während Shen seine Flügel gegen das verriegelte Fenster presste. Alles brannte in ihm wie das Feuer seiner Waffen. Einen Schmerz, den er nicht einfach so rausreißen konnte wie ein Messer in seiner Brust. Er stieß einen Schrei aus. Nie wollte er etwas an sich heranlassen. Weder sie noch sonst jemand anderen. Wieso hatte er das zugelassen? Warum konnte er nicht allem entkommen? War es nicht wie Licht, als sie ihn wieder in seiner Liebe geküsst hatte? Wie der Phönix wiedererwachen würde. Der sich in die Luft schwang. Da war eine Zukunft gewesen. Eine Zukunft… Einen Tag nach dem Hochzeitstag… Die Sonne ging auf, doch es war noch zu früh am Morgen. Doch das kümmerte die beiden nicht. Shen lag im Bett, seinen Rücken gegen ein Kissen gelehnt, während Yin-Yu neben ihm lag. „Wir müssen uns noch Namen ausdenken“, murmelte sie. Shen strich ihr übers Gesicht und hob ihr Kinn an, sodass sie ihm ins Gesicht sah. „Hast du denn schon einen?“, fragte er. Sie lächelte. „Ich wüsste schon einen, denn ich gerne hätte.“ Shen hob die Augenbrauen. „Für einen Jungen, oder für ein Mädchen?“ Sie schmiege sich an ihn, wobei sie ihm zuflüsterte: „Wenn es soweit ist, werde ich es dir sagen.“ Er ließ sich zu ihr runtersinken und die beiden drücken sich aneinander. „Willst du es mir nicht jetzt schon sagen?“, bettelte er. Doch Yin-Yu schüttelte den Kopf. „Erst wenn es da ist.“ „Kannst du mir nicht schon einen Tipp geben?“, bat er. Sie kicherte, als er ihr über den Rücken rieb. „Wenn du es in den Flügeln hältst, werde ich es dir sagen.“ Mit einem Schrei schlug er gegen das Fenster. Die Bretter zerbrachen in tausend Stücke. Im nächsten Moment sprang der Lord nach draußen und rannte über die Dächer. Über die Mauer, weiter über die Stadt. Die Stadtleute, denen er unterwegs begegnete, beachtete er überhaupt nicht. Er wollte nur weg. Er flog und rannte in einer solchen Geschwindigkeit durchs Stadttor und von dort immer weiter in die Berge. Er raste so schnell, als wollte er das Universum durchbrechen. Er hatte kein Ziel. Keine Ahnung wohin er lief. Irgendwann, nur irgendwann zwang ihn seine brennende Lunge anzuhalten. Doch noch bevor er zum Stillstand kam, schlug er gegen eine Schneewand, die die Frühlingssonne noch überlebt hatte und löste eine kleine Berglawine aus. Mit einem donnernden Krachen rollte die Schneemasse herab und versank irgendwo in einer Schlucht. Kaum war der letzte Schneedonner verklungen, brach er auf einem Felsen zusammen. Er hatte keine Kraft mehr. Nicht einmal zum Schreien. Alles was er noch konnte war zu atmen. Und die Zeit um ihn herum lief weiter. Ohne, dass er sie beeinflussen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)