Herz über Kopf von Maginisha ================================================================================ Kapitel 32: Überholspur ----------------------- Als die Klingel das Ende der letzten Stunde verkündete, atmete ich auf. Endlich. Der Montag war geschafft. Fehlte nur noch der Rest der Woche.   Ich vermied es, in Jos Richtung zu blicken, während ich meine Sachen packte. Auch Mia, die mit ihrer Klasse aus einem der anderen Korridore kam, wich ich aus. Stattdessen eilte ich die Treppen runter in Richtung Fahrradkeller. Dort angekommen lehnte ich mich gegen die Säule neben meinem Rad und wartete. Ich musste eine ganze Weile dort ausharren und etliche komische Blicke ertragen, bis Benedikt endlich auftauchte, den Rucksack über der Schulter.   „Hey!“, rief ich und stieß mich von dem Beton in meinem Rücken ab. „Habt ihr Überstunden gemacht?“   „Ach, frag nicht“, meinte er abwinkend. „Frau Wagner kam erst nicht an den Laden und dann wurde sie nicht fertig. Kennst die Schnarchnase doch.“ Ich nickte zustimmend, denn mit unserer ehemaligen Englischlehrerin war ich auch nie besonders warm geworden. Unser neuer Lehrer war da um Längen besser, wenngleich seine Benotung auch sehr viel strenger war.   Wir nahmen unsere Räder und schoben zusammen die Rampe hoch. Oben angekommen, blieb Benedikt stehen. „Du kommst also mit zu mir?“ „Hatte ich vor.“ Ein feines Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich fragte mich, ob er wohl immer noch gelächelt hätte, wenn er gewusst hätte, mit welcher Ausrede ich mein Fortbleiben bei meiner Mutter entschuldigt hatte. Dass ich den Nachmittag bei einem Kumpel verbringen würde. Denn genau diess Wort hatte ich benutzt. Absichtlich. Sie hatte nur bestätigt, dass sie mir was vom Mittagessen aufheben würde und ansonsten nicht weiter nachgefragt. Was sie wohl gesagt hätte, wenn ich mit Benedikt zusammen bei uns zu Hause aufgetaucht wäre? Oder gedacht? Vermutlich genau das. Dass er nur ein Freund war. Irgendwann würde ich es ihr sagen müssen. „Kommst du?“   Benedikt war bereits auf sein Rad gestiegen, während ich immer noch wie ein Ölgötze an der Rampe herumstand. „Ja, klar“, versicherte ich schnell und schwang mich ebenfalls in den Sattel.   Wir fuhren die kleine Straße entlang, in der jetzt um die Mittagszeit sehr viel weniger los war als noch am Morgen. Als wir auf eine schmale Gestalt zufuhren, erkannte ich, dass es sich dabei um Anton handelte.   „Hey! Nicht einschlafen!“, rief Benedikt. Er beschleunigte und fuhr wild klingelnd haarscharf an seinem Freund vorbei. Der schüttelte daraufhin nur den Kopf.   „Beachte du lieber die Verkehrsregeln“, rief er ihm hinterher. „Hier ist rechts vor links.“ „Das ist ne Einbahnstraße“, gab Benedikt zurück und bog lachend um die Ecke. Ich hingegen wurde langsamer und nahm Antons Zuhause ein wenig genauer unter die Lupe. Es machte nicht viel her. Der Garten war klein und gepflegt, sah jedoch aus wie mit dem Lineal gezogen. Nicht so wie bei uns zu Hause, wo alles üppig und bunt durcheinander wuchs und lediglich die Mohrrüben in Reih und Glied standen. Beete gab es hier nur am Haus, der Rest bestand aus Rasen und Hecke. Es hätte nicht die weißen Rüschengardinen an den Fenstern gebraucht, um zu denken, dass hier vermutlich eher Menschen aus der Generation meiner Groß- oder sogar Urgroßeltern wohnten. Perserteppich und Schrankwand in Eiche rustikal inklusive.   Eine schreckliche Vorstellung, dachte ich bei mir und beeilte mich, zu Benedikt aufzuschließen, der an der nächsten Straßenecke auf mich wartete. „Hast du was Interessantes entdeckt?“, wollte er wissen. „Nö. Hab mir nur Antons trautes Heim mal ein wenig näher angesehen. Sieht ein bisschen spießig aus.“ „Ist es auch. Aber es liegt nah an der Schule und er kann jeden Mittag zu Hause essen.“   „Na, was für eine Freude“, frotzelte ich und auch Benedikt schien nicht begeistert von der Vorstellung zu sein. Lachend traten wir beide in die Pedale und machten, dass wir so schnell wie möglich von unserer Schul- und Bildungsstätte wegkamen.     Wir schlängelten uns durch die Stadt von Straße zu Straße, von Ampel zu Ampel. Mietshäuser und Geschäfte wechselten einander ab. Je weiter wir kamen wurden sie jedoch zunehmend von Einfamilienhäusern abgelöst, die schließlich am Stadtrand den Blick auf ein großes Fußballfeld freigaben. Einige Spieler standen an der Seitenlinie herum und warteten offensichtlich auf den Rest der Mannschaft. Ein Pfiff gellte über den Platz, als zwei von ihnen anfingen, miteinander zu raufen. Automatisch verfinsterte sich meine Miene. Benedikt bemerkte es und sprach mich darauf an. „Ach, ich hab mich nur gefragt, wie das mit Jo weitergehen soll. Ich hab einfach nicht damit gerechnet, dass er so arschig reagiert.“ „Was hast du denn gedacht, wie er reagiert?“   Eine berechtigte Frage, auf die ich keine Antwort hatte. Vermutlich hatte ich vermieden, es mir allzu bildlich vorzustellen, weil mir unterbewusst klar gewesen war, was passieren würde. „Der kriegt sich bestimmt wieder ein“, versuchte Benedikt mich zu beruhigen. Wir hatten die Stadt hinter uns gelassen und befuhren jetzt eine flickig geteerte Landstraße, die rechts und links von dicht an dicht stehenden Nadelbäumen flankiert wurde. Ein Auto, das von hinten kam, rauschte so dich an uns vorbei, dass es mich fast mit dem Außenspiegel gestreift hätte. „Arschloch!“, schimpfte ich hinter dem Fahrer her und bekam dafür ein Grinsen von Benedikt. „Willkommen in meiner Welt. Das ist hier morgens noch viel schlimmer. Am krassesten sind immer die Busse. Da hab ich mich schon ein paar Mal fast im Graben gesehen.“ „Liegt vielleicht daran, dass Radfahrer mehr Punkte geben als Fußgänger.“   Er lachte. „Sind ja auch schwerer zu erwischen.“   Wir blödelten noch eine Weile herum, bis die Straße eine scharfe Kurve beschrieb und wir zu einem lichteren Waldstück kamen. Die Wege, die sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelten, sahen vielversprechend aus. Sie luden förmlich dazu sein Rad mal ein bisschen auf Touren zu bringen. Als dann auf der anderen Seite auch noch eine verlassene Kieskuhle auftauchte, die nicht einmal eingezäunt war, war es um mich geschehen. „Hier müssen wir am Wochenende mal her“, verkündete ich begeistert. Benedikts Augenbrauen bewegten sich in Richtung Haaransatz.   „Warum das?“ „Na, um mal richtig Speed zu geben. Guck dir mal die Piste an. Die ist ideal zum Biken.“   Benedikt sah immer noch nicht überzeugt aus.   „Du meinst die Hügel da?“, fragte er vorsichtig. „Also wenn ich da runterfahre, brech ich mir höchstens was.“   „Quatsch! Ich zeig dir, wie’s geht.“   Meine Begeisterung schien ansteckend zu sein. Benedikt stimmte lachend zu, sich von mir mal den einen oder anderen Kniff beibringen zu lassen. Als wir weiterfuhren, sah er mich mit einem warmen Lächeln im Gesicht an. „Was ist?“, wollte ich wissen. „Ach nichts Ich find’s nur schön, wenn du lachst.“ Ich erwiderte nichts darauf. Stattdessen forderte ich ihn zu einem Wettrennen bis zum nächsten Ortsschild auf. Ich gewann haushoch und nahm beschwingt durch den Sieg noch die Steigung der Eisenbahnbrücke mit, die an dieser Stelle über die Schienen führte. Am anderen Ende ließ ich mich freihändig wieder hinunterrollen. Für einen Augenblick schloss ich die Augen, öffnete sie aber gleich wieder, um nicht vom Weg abzukommen. Das hier war Freiheit. Eine Freiheit, die ich lange nicht mehr gespürt hatte. Die Freiheit zu tun und zu lassen, was ich wollte, mit nichts als dem blauen Himmel über mir und Benedikt an meiner Seite. Ich liebte es und wollte, dass es nie wieder aufhörte.   „Wir sind fast da“, meinte Benedikt, als wir irgendwann wieder auf die Hauptstraße trafen, die mir vage bekannt vorkam. „Soll ich noch was vom Bäcker mitnehmen? Andernfalls musst du nämlich warten, bis ich uns was zum Mittag zusammengerührt habe. Oder mit pappigen Cornflakes vorliebnehmen. Was anderes ist nicht mehr im Haus.“   „Wolltest du nicht einkaufen?“ „Macht meine Mutter heute Abend.“   Wir einigten uns darauf, ein Brot zu kaufen und den restlichen Belag zu vernichten, der noch vom Wochenende übriggeblieben war. Während wir warteten, dass die Verkäuferin das Brot schnitt, sah ich Benedikts Blick, der an der Auslage mit dem Kuchen klebte. „Brauchst du ein Lätzchen oder kannst du den Sabber noch drinnen behalten?“   „Ich hab halt Hunger“, verteidigte er sich und schob die Unterlippe vor. „Und ich mag Kuchen.“ „Dann nimm doch welchen mit.“ „Nee, geht nicht. Geld reicht nicht.“ „Dann lad ich dich ein.“   Ich nestelte einen Geldschein aus meiner Hosentasche und legte ihn, noch bevor Benedikt protestieren konnte, auf den Glastresen. „Und noch zwei Stück Käsekuchen“, sagte ich zur Verkäuferin, die sogleich das Gewünschte einpackte.   „Woher weißt du, dass ich den mag.“ „Geraten.“   Benedikt grinste und ich wusste plötzlich, was er vorhin gemeint hatte. Ihn so lächeln zu sehen, war schön. So schön, dass ich ihn am liebsten geküsst hätte. Aber das ging nicht. Noch nicht. Wir mussten warten, bis wir bei ihm zu Hause waren.   Zum Glück war es vom Bäcker aus nicht mehr weit. Kaum, dass wir die Räder abgestellt und durch die Haustür waren, zog ich ihn an mich und küsste ihn, bis uns beiden die Luft wegblieb. Als er sich von mir löste, war da wieder dieses Grinsen. „Wollten wir nicht essen?“   „Später“, entgegenete ich und küsste ihn erneut. Ich wollte jetzt nicht mehr warten. Ich wollte ihn jetzt und wenn es sein musste auch hier. Ich brauchte das jetzt.   Seine Hände fuhren über meinen Körper, ebenso wie meine über seinen. Als er mich an sich presste, entwich mir ein leises Stöhnen. „Du machst mich ganz wuschig“, murmelte er, bevor er meine Unterlippen zwischen die Zähen nahm und begann, daran herumzuknabbern. „Und das, obwohl da ein Päckchen mit Käsekuchen steht. Das will schon was heißen:“ „Will es das?“, fragte ich lächelnd und haschte jetzt nach seinen Lippen. Er wich mir aus und küsste meinen Kiefer entlang. „Ja. Bei Erdbeerkuchen hättest du nämlich keine Chance.“   Ich knuffte ihn fest in die Seite und erntete einen Biss in den Hals. Benedikt grinste, als er sich wieder von dort löste.   „Was?“, machte ich und sah ihn fragend an. „Nichts. Ich hab nur gedacht, was die Leute aus der Schule wohl dazu sagen würden, wenn du mit einem Knutschfleck ankommst.“   Ich lachte und zog ihn wieder an mich. „Lass es uns doch rausfinden.“   Ich reckte meinen Kopf, um ihm meinen Hals zu präsentieren. Benedikt schüttelte den Kopf und platzierte nur einen kleinen Kuss auf meiner Schlagader, bevor er sich wieder zurückzog. „Ach was. Muss nicht sein. Ich denke, für diese Woche hatten die genug Stoff.“   Für den Bruchteil einer Sekunden war ich versucht, darauf zu bestehen, doch dann ließ ich es bleiben. Im Grunde fand ich diese Markiererei auch albern. Jo hatte mal eine Freundin gehabt, die sich als richtiger Vampir herausgestellt hatte. Er hatte sogar Flecken an Stellen gehabt, wo ich sie ganz bestimmt nicht hatte sehen wollen. Der Gedanke an Jo ließ mich wieder runterkommen. „Vielleicht essen wir doch erst mal was,“ sagte ich und sah das kurze Zögern in Benedikts Mimik. Mein Lächeln, das ich schnell aufsetzte, wischte seine Bedenken jedoch hinweg. Wir machten uns also daran, den wirklich schon sehr leeren Kühlschrank zu plündern und campierten anschließend mit einem Teller mit belegten Broten auf seinem Bett.   „Mahlzeit“, sagte er und biss in eine Schnitte, die mit den immer noch nicht frischer gewordenen Salamiresten belegt war. Ich schnappte mir etwas, das unter Umständen Schinken darstellen sollte, und biss hinein. Es schmeckte gut, was allerdings mehr am Brot und der reichlichen Butter lag als dem mehr oder weniger geschmacklosen Pressfleisch. Trotzdem frohlockte mein Magen, als er endlich etwas zu tun bekam. Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Die Banane, die irgendwo unten in meinem Rucksack lag, war vermutlich nicht mehr genießbar.   Als Benedikt schließlich den leeren Teller beiseite stellte, ließ ich mich auf sein Kissen sinken. Er grinste mich von oben herab an. „Müde?“ „Hättest du wohl gerne.“ „Auf keinen Fall.“ Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich. „Mhmmm, Salami“, urteilte ich. Sofort zog er sich wieder zurück.   „Sorry. Soll ich mir erst die Zähne putzen?“ „Quatsch. Komm wieder her.“   Ich legte die Hand in seinen Nacken und zog ihn wieder zu mir heran. Seine Lippen legten sich auf meine und schon bald waren Mittagessen und andere Dinge vollkommen vergessen. Ich hätte ewig so liegen und ihn küssen können. Erst, als ich ihn grinsen fühlte, unterbrach ich unsere Knutscherei.   „Was ist los?“   Er senkte den Blick.   „Ach nichts. Ich musste nur an was denken.“ „Und an was?“   Er grinste weiter und sah mich immer noch nicht an, doch als er es schließlich tat, war da ein schalkhaftes Glitzern in seinen Augen.   „Ach es ist nur … ich hab dran denken müssen, wie ich mir früher immer genau so was ausgemalt habe. Du hier in meinem Bett. Und jetzt ist es tatsächlich passiert. Das ist irgendwie so … verrückt.“   Ich streckte die Hand aus und zeichnete mit dem Zeigefinger die Konturen seines Gesichtes nach. Er ließ es geschehen, bis ich bei seinem Mund ankam. Während ich seine Lippen berührte, küsste er meine Fingerspitze, bevor er ganz kurz seine Zunge herausfahren ließ, um daran zu lecken. Meine Mundwinkel zuckten, aber ich ließ meinen Finger, wo er war. Benedikt öffnete den Mund und streichelte noch einmal mit dem weichen, feuchten Muskel über die Fingerkuppe. Dieses Mal langsamer und mit mehr Gefühl. Der Blick, den er mir dabei zuwarf, goss flüssiges Feuer in meine Lenden. Ich biss mir auf die Lippen. Das schien ihn jedoch nur noch mehr anzustacheln. Er begann an meinem Finger zu saugen und ließ seine Zunge in sanften Kreisen um dessen Spitze herumgleiten. Es war zärtlich und gleichzeitig so obszön, das ich beinahe aufgestöhnt hätte. „Was wird das?“, fragte ich und unterdrückte ein Keuchen, als er erneut zu saugen begann.   Benedikt grinste und ließ meinen Finger aus seinem Mund gleiten. „Wonach sieht es denn aus?“ „Nach einer Aufforderung mich auszuziehen?“ „Und warum hast du dann immer noch so viel an?“   Ich erwiderte sein Grinsen und richtete mich auf. Er wich zurück und beobachtete mich, wie ich zunächst die Brille abnahm und auf dem Nachttisch verstaute, bevor ich mir das T-Shirt über den Kopf zog. Mit einem geübten Wurf beförderte ich es in Richtung Fußboden. „Hey, ich hab aufgeräumt.“ „Wieso? Hast du mit Besuch gerechnet?“   Ein kleines, ertapptes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Vielleicht ein bisschen.“   Ich lehnte mich vor und ließ meine Hände unter den Stoff seine Shirts wandern. Sein weicher Bauch zuckte unter meinen Händen. „Kitzlig?“, fragte ich und strich nur hauchzart über seine Haut.   „Vielleicht ein bisschen“, wiederholte er seine Antwort von gerade eben. Der Tonfall war jedoch ein völlig anderer. Einer, der die Begierde in mir noch weiter anfachte.   Ohne lange darüber nachzudenken beugte ich mich vor, schob sein T-Shirt ein Stück nach oben und platzierte einen Kuss auf der Haut, die ich gerade noch neckend liebkost hatte. Wieder zitterte sein Bauch, allerdings aus anderen Gründen. Ich küsste ihn erneut. Dieses Mal ein Stückchen tiefer. Und noch eines. Ich stoppte, als ich den Rand seiner Jeans erreichte.   Ich wich ein winziges Stückchen zurück und sah auf das Stück Metall, das mir silbern und mit einem Blattmuster aus dem dunkelblauen Denim entgegenblinkte. Sollte ich es öffnen oder nicht? Benedikt, der mein Zögern anscheinend bemerkt hatte, machte Anstalten, sich von mir zu entfernen. Ich hielt ihn auf und küsste noch einmal kurz neben den Stoff. Meine Hand glitt an seinem Oberschenkel aufwärts. Ich hörte ihn über mir scharf einatmen, als ich mich dem gefährlichen Bereich näherte. Dass er erregt war, war nicht zu übersehen. Mit leichtem Druck fuhr ich über die verräterische Stelle.   Benedikt keuchte leise. Seine Hand legte sich auf meinen Hinterkopf und ich konnte mich gut erinnern, wie es sich anfühlte. Dieses angespannte Warten, das innere Betteln, endlich die Berührung zu bekommen, nach der es einen so sehr verlangte. Er wollte, dass ich ihn anfasste. Vielleicht sogar küsste? In den Mund nahm. Ihm das angedeihen ließ, was er schon ein paar Mal bei mir gemacht hatte. Es hatte sich so großartig angefühlt.   „Du musst nicht“, murmelte er plötzlich über mir. „Ich … wenn du … es ist okay.“   Ich hob meinen Blick und sah zu ihm auf. Sein Mund war leicht geöffnet und seine Lippen glänzten feucht, als wäre er gerade erst mit seiner Zunge darüber gefahren. Auch mein Mund fühlte sich seltsam trocken an. Mein Herz hämmerte in meiner Brust. „Ich … ich will aber“, sagte ich zögernd. „Wenn du es auch möchtest.“   „Ja!“ Sein Ausruf kam so schnell, dass ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. Wieder rieb ich mit der Hand über die Ausbuchtung in seiner Hose. Er presste die Lippen zusammen und sog die Luft durch die Nase ein. Als ich die Berührung wiederholte, wurde er ungeduldig. „Theo! Du bist fies!“ „Ich weiß“, war alles, was ich zurückgab. Ich wusste, dass ich ihn zappeln ließ. Aber die Wahrheit war, dass ich doch ein bisschen Schiss hatte. Schiss davor, was falsch zu machen. Ich hatte doch keine Ahnung, wie das ging. Was, wenn es nicht gut war? Wenn es ihm nicht gefiel? Wenn er Besseres gewöhnt war?   Benedikt sagte nichts mehr. Er streichelte mir noch einmal über die Haare, sodass ich zu ihm aufsah. Er lächelte. „Es ist wirklich alles okay. Wir können noch jede Menge andere Sachen machen.“   Er ließ sich neben mir aufs Bett fallen und zog mich an sich. Küsste mich. Ich ließ mich darauf ein und merkte, wie ich mich wieder entspannte. Das hier war gut. Sicher. Und erregend.   Unsere Küsse wurden tiefer, unsere Zungen umspielten sich. Loteten den anderen aus, während wir unsere Körper zusammendrängten in dem Wunsch, dem anderen so nahe wie möglich zu sein. Benedikt schob ein Knie zwischen meine und ich lehnte mich gegen seinen Oberschenkel. Der Druck und die leichte Reibung waren gut und doch nicht genug. Ich wollte mehr. „Wie war das mit dem Ausziehen?“, murmelte ich gegen seine Lippen und küsste ihn gleich wieder, bevor er antworten konnte. Statt also mit Worten auf meine Frage zu reagieren, glitt seine Hand zu meiner Hose und öffnete sie. Als er seine Finger hineinschob, entwich mir ein Stöhnen. Instinktiv presste ich mich gegen seine Handfläche. Das war besser, aber immer noch nicht genug. „Mehr“, verlangte ich und machte mich daran, es ihm gleichzutun. Stück für Stück zogen wir uns gegenseitig aus, auch wenn wir uns dafür manchmal voneinander entfernen mussten. Doch wie zwei gegenpolige Magnete fanden wir immer wieder zueinander. Wir küssten uns, rieben uns aneinander, bis ich mich schließlich auf den Rücken drehte und ihn über mich zog. Meine Lippen erhaschten seine zu einem erneuten Kuss, während ich ihm mein Becken entgegenhob. Er beantwortete das auf die gleiche, wenn auch gegenläufige Weise. Ein Rhythmus ergab sich, der mehr und mehr dem ähnelte, an das wir vermutlich beide dachten. Schließlich löste sich Benedikt keuchend von meinen Lippen.   „Ich … also wenn wir … noch weitergehen wollen, brauch ich mal ne kurze Pause.“   „Pause?“, meinte ich grinsend und zog ihn erneut in einen Kuss. „Warum das?“   Er biss mich in die Lippe. „Du bist doof.“ „Selber.“ Er rollte mit den Augen und drückte sich noch einmal an mich. Ich spürte ihn genau zwischen meinen Beinen. Weich und hart und unglaublich erregend. Wie es sich wohl anfühlte, ihn in mir zu spüren. Ich sah hoch und ihm in die Augen. Seine Pupillen waren groß und dunkel und seine Augen so unglaublich schön. Ich küsste ihn noch einmal gegen das Kinn.   „Wie ist das eigentlich, wenn man unten liegt“, fragte ich, bevor ich darüber nachgedacht hatte.   „Was?“   Er runzelte die Stirn, bevor Erkenntnis seine grüblerische Miene verdrängte.   „Ach so. Na, also mir gefällt’s.“ Er grinste. „Wie ist es denn, oben zu liegen?“   Jetzt war es an mir zu staunen.   „Hast du das noch nie ausprobiert?“ „Nein.“   Ein wenig verlegen senkte er den Blick. „Es hat sich nicht so ergeben, weißt du. Das … Ach ist ja auch egal.“ „Würdest du es gerne mal ausprobieren?“   Atemlose Stille machte sich zwischen uns breit. Meine Frage hatte uns anscheinend beide gleichermaßen überrascht. „Du meinst …“, begann er, bevor ich ihn auch schon unterbrach. „Ja.“   Noch einmal war da ein Augenblick der Verblüffung, bis Benedikt seine Sprache wiederfand. Das hieß, eigentlich war es nicht so sehr seine Sprache , sondern vielmehr der Rest seines Körpers. Wie ein Klippenspringer stürzte er sich in einen erneuten Kuss, der mir vollkommen den Atem nahm. Wie von selbst schlang ich meine Arme um ihn und hielt ihn fest, bis wir beide wieder Luft holen mussten. Trotzdem trennten wir uns nur einige Zentimeter. Es ermöglichte mir den Tumult in seinen Augen zu sehen. Da war Neugier, Begierde, Wärme und vielleicht auch ein wenig Unsicherheit. Das perfekte Abbild dessen, wie ich mich gerade fühlte.   „Möchtest du … also …“ Benedikt räusperte sich. „Also wenn ich unten liege, bereite ich mich gerne ein bisschen darauf vor. Nur so um sicher zu sein, dass … nichts passiert. Du musst nicht, aber wenn, wäre es okay.“ Es dauerte einen Augenblick, bis ich verstand, was er meinte. Ich lächelte.   „Wie wär’s, wenn wir das zusammen machen?“ „Supergerne.“     Wir duschten gemeinsam, auch wenn das in der engen Kabine gar nicht so einfach war. Das Gefühl des warmen Wassers, der Seife und Benedikts Körper sowie seinen Händen, die überall gleichzeitig zu sein schienen, machten das Ganze zu einer einzigartigen Erfahrung. Ich hätte nicht sagen können, wer von uns ungeduldiger war, doch als wir uns wieder aufs Bett warfen, waren unsere Haare noch feucht und unsere Körper glänzten vor Nässe. „Leg dich auf den Bauch“, bat Benedikt und bedeckte gleich darauf meine Schulterblätter mit Küssen. Ich spürte seine Hände, die über meinen Rücken fuhren und sich von dort zunächst einmal nicht wegbewegten. Mit festen Strichen fuhr er über meine Muskeln, streichelte und küsste mich, während sein Gewicht meinen Unterleib gegen die Matratze presste. Ein wenig auffordernd wackelte ich mit dem Hintern. „Ich glaube, das hier ist der Teil, um den du dich kümmern solltest.“ Er lachte, küsste meinen Hals und knabberte an meinem Ohr. „Geduld. Ich will, dass du dich entspannst.“   Ich musste unwillkürlich lächeln. „Wird es wehtun?“   Ich musste das einfach fragen.   „Ich werde mein Möglichstes versuchen, dass es das nicht tut.“   Diesen Worten ließ er eine Massage folgen, die sich jetzt mehr auf meine untere Körperregion konzentrierte. Ich spürte, wie er sich herunterbeugte und mich auch dort küsste, leckte, knabberte und saugte. Es kitzelte ein wenig.   „Hör auf“, bat ich lachend und hob mein Becken ein wenig an. Sofort glitt seine Hand unter mich und im nächsten Moment spürte ich seine Finger, die sich um meine Erektion legten. Ich stöhnte leise und drückte mein Gesicht in sein Kissen. Ich wollte nicht allzu willig wirken, aber in Wahrheit war ich es. In meiner Vorstellung war ich oft genug derjenige gewesen, der „einsteckte“. Ich hatte mir vorgestellt, wie es sich anfühlte. Wie es war, „genommen“ zu werden. Und doch war es vollkommen anders, jetzt wirklich dort von Benedikt berührt zu werden. Seine Zunge zu fühlen, die vorsichtig in den Spalt zwischen meinen Pobacken glitt. Zu spüren, wie er sich langsam vortastete und mich erkundete, probierte, schmeckte. Ich machte mir keine Sorgen, denn er wusste sicher, was er tat. Und ich war dankbar, dass er mich darauf vorbereitet hatte. So konnte ich mich richtig fallen lassen. Seine Berührungen genießen. Mich gedanklich darauf einstellen, was kommen würde, als er schließlich die Tube zur Hand nahm, die auf dem Nachtisch bereit stand. Er wärmte das Gel vor und trotzdem war es im ersten Moment kalt und ungewohnt. Ebenso wie das, was folgte. Ich war mir nicht sicher, wie es sich anfühlte, doch als er schließlich ein kleines bisschen tiefer ging, merkte ich, dass da etwas war. Etwas, das mich schärfer einatmen ließ. Etwas, das die gleitenden und reibenden Bewegungen in etwas anderes, noch erregenderes verwandelten. Ich wollte, dass er weitermachte. Ich wollte mehr. Trotzdem ließ Benedikt sich Zeit. Mehr Zeit, als ich gedacht hätte. Erst, als ich ungeduldig verlangte, dass er jetzt endlich zur Sache kam, ließ er von mir ab. „Bist du wirklich bereit?“, wisperte er in mein Ohr und küsste es gleich darauf.   „So bereit wie man nur sein kann“, gab ich zurück.   „Dann winkel dein Bein mal ein bisschen an.“   Ich tat, was er gesagt hatte und wartete gespannt. Ich hörte, wie er die Kondompackung aufriss und dann sofort wieder bei mir war. Noch einmal verteilte er großzügig Gleitgel, bis er sich mir endlich auf die Weise näherte, die ich mir bis jetzt immer nur ausgemalt hatte.   Ich hörte seinen Atem an meinem Ohr, spürte sein Gewicht auf mir und dann ein Druckgefühl, das immer weiter anwuchs „Entspann dich“, wisperte er und küsste mich. „Ich bin vorsichtig.“   Ich versuchte es. Meine ganze Konzentration richtete sich darauf, ihn endlich einzulassen und dann … passierte es. Er glitt in mich, ich spürte ein scharfes Ziehen und gleich darauf war ein hartes Keuchen zu hören. Es kam von Benedikt. „Heilige Scheiße“, zischte er und atmete heftig. „Das ist ja der Wahnsinn.“   Ich lachte leise. „Es wird noch besser“, versprach ich und kam ihm leicht entgegen. Es zog immer noch ein wenig und ich war wirklich dankbar, dass er sich Zeit ließ. Viel Zeit. Unendlich viel Zeit, sodass es am Ende doch wieder ich war, der ihm „nun beweg dich schon“ zuraunte. Er tat es und küsste mich, während er immer wieder sanft in mich hineinglitt. Ich konnte nur ahnen, wie viel Beherrschung ihn das kostete und war dankbar, dass seine Hand schon im nächsten Augenblick dafür sorgte, mich von solchen Gedanken abzulenken. Bald war alles nur noch ein beständiges Reiben und Gleiten, Berührung und Gegenberührung. Küsse, Hände, Finger, Lippen, Münder. Der Geruch von frischem Schweiß und seiner Bettwäsche. Sein und mein Keuchen, dass sich in der Stille des Nachmittags zu einem lustvollen Crescendo vereinte. Benedikt, der mich im Arm hielt und sich irgendwann an mich presste, als er nach einigen letzten, kräftigeren Stößen in mir kam. Mein ungleich lauteres Stöhnen, als ich ihm wenige Augenblicke später durch seine Hand folgte.   Immer noch mit ihm vereint und nicht in der Lage, auch nur einen Muskel mehr als notwendig zu bewegen, lag ich danach da und schnaufte. Es war anders gewesen, als ich es mir vorgestellt hatte. Ganz anders. Ich hätte nicht sagen können, ob besser oder schlechter, aber ich wusste, dass ich meine Entscheidung, es auszuprobieren, auf keinen Fall bereute.   Benedikt glitt aus mir heraus und entsorgte das Kondom, bevor er sich wieder an mich schmiegte. Seine Lippen fanden meinen Nacken. „Geht’s dir gut?“, wollte er wissen. „Fantastisch“, murmelte ich. „Ich bin nur vollkommen fertig.“   „Mhm, ich auch“, erwiderte er, doch die Art und Weise, wie er das sagte, ließ mich wissen, dass da noch mehr war. Also raffte ich mich auf und drehte mich um. Seine Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab, seine Wangen waren gerötet und seine Augen glänzten. „Es war wirklich gut“, sagte ich und zog ihn für einen Kuss an mich. „Ich hätte nichts dagegen, das mal zu wiederholen.“   „Ich auch nicht“, sagte er und grinste. „Wir können uns ja abwechseln. Oder Strichliste führen.“ Ich lächelte als Zeichen, dass ich es als Scherz verstanden hatte, und nötigte ihn dann, sich in meinen Arm zu begeben. Er wickelte sich um mich und bettete seinen Kopf an meiner Schulter. Einen Augenblick hielt er Ruhe, bevor er doch noch einmal das Wort ergriff.   „Wir sprechen uns einfach ab, wer gerade auf was Lust hat. Okay?“ „Okay.“ Damit war das Gespräch endgültig beendet und wir konnten uns beide endlich dem Sog der postkoitalen Müdigkeit ergeben. Eine ganze Weile lagen wir so da, bis Benedikt irgendwann meinte, dass wir uns wohl besser anziehen sollten, wenn uns seine Mutter nicht doch noch nackt im Bett erwischen sollte. Ich staunte, wie viel Zeit vergangen war. Wir hatten scheinbar alles um uns herum vergessen. „Bleibst du noch zum Abendessen?“, wollte Benedikt wissen. Ich nickte und küsste ihn noch einmal.   „Tue ich. Aber danach muss ich wirklich los, sonst werden meine Eltern misstrauisch.“   Ich überlegte kurz, bevor ich fortfuhr. „In zwei Wochen hat mein Bruder Geburtstag. Meine Eltern haben gemeint, ich solle Mia zur Feier einladen, aber vielleicht ...“   Ich sprach nicht aus, was ich damit meinte. Wahrscheinlich wusste er bereits, was ich sagen wollte. Womit ich nicht gerechnet hatte, war das Nein, das er mir als Antwort präsentierte. „Nein? Aber warum nicht?“   Er seufzte leise und rückte näher an mich heran. „Weil ich nicht glaube, dass die Verkündigung meiner Existenz am Geburtstag deines Bruders eine gute Idee wäre. Ich weiß wirklich zu schätzen, was du mir damit sagen willst, aber ich glaube, dass das der falsche Weg ist. Ich bin zufrieden mit dem hier. Ich brauche keine weitere Bestätigung.“   Beinahe hätte ich geantwortet, dass ich sie aber brauchte. Dass ich ihn an meiner Seite wollte und dass ich mich nicht traute, meinen Eltern allein entgegenzutreten. Doch ich biss mir auf die Zunge und schluckte die Worte hinunter.   „Gut. Wenn das hier für dich okay ist, dann ist es das für mich auch“, sagte ich stattdessen und lächelte. „Natürlich ist es das“, antwortete er und sah mich zärtlich an. „Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo. Aber jetzt gerade habe ich das Gefühl, dass ich dich ein bisschen bremsen sollte, bevor du dich übernimmst. Lass dir Zeit, Theo. Von mir bekommst du sie jedenfalls.“   Ich lächelte noch einmal und dieses Mal war das Lächeln echt. Ebenso wie das Ziehen in meiner Brust, für das ich einen Namen hatte, ihn jedoch nicht aussprechen wollte. Denn Benedikt hatte recht. Dafür war es noch zu früh und wir hatten schließlich jede Menge Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)