Barbiersolist von -Kiara ================================================================================ Kapitel 1: Bartpflege (First Draft) ----------------------------------- Prüfend strich sich der rothaarige Piratenkapitän über den bereits viel zu dichten Bartschatten, der seine Wangen und seinen Hals entlang wuchs. Der Blick in den Spiegel bestätigte seinen Verdacht. Er hatte sich ein bisschen zu sehr gehen lassen in den letzten Tagen. Sein Glück war, dass sein Bartwuchs generell eher langsam vonstatten ging. Seitdem er seinen guten Arm eingebüßt hatte, stellte sich die tägliche – oder manchmal auch nur wöchentliche – Rasur als eher lästig heraus. Es gab bereits genügend andere Dinge, für die er jetzt seine rechte Hand bemühen musste. Mit einem scharfen Messer an seinem Gesicht herumzuhantieren gehörte nicht zu seinen Prioritäten. Sehr zu seinem persönlichen Wohlgefallen hatte sich die junge Piratin dazu bereit erklärt ihm die Bartpflege abzunehmen. Zumindest ab und zu. Das Angebot, geschweige denn die damit einhergehende bedingungslose Aufmerksamkeit die ihm dadurch zuteilwurde, konnte er wohl kaum ausschlagen. Gut gelaunt lümmelte Shanks sich daher auf den Rand der Badewanne, um eine angemessene Arbeitshöhe für die kleine Piratin zu ermöglichen. Diese rührte währenddessen emsig mithilfe eines dicken, weichen Pinsels den Rasierschaum in einer kleinen Holzschale an. „Hast du das eigentlich schonmal gemacht?“, fragte der Rothaarige neugierig. Sie wirkte jedenfalls nicht allzu unsicher in der Handhabung mit dieser doch recht spezifischen Materie. „Wenn ich nein sage, würdest du mich dann trotzdem noch mit einer scharfen Klinge an deinen Hals lassen?“, erwiderte Kiara mit einem Grinsen im Mundwinkel. Shanks presste nachdenklich die Lippen zusammen. Das Gefährliche hatte schon seinen Reiz. Gelassen zuckte er mit den Schultern. „Wahrscheinlich schon.“ Sie lachte amüsiert auf. „Keine Sorge, ich hab‘ auf Plunder Island mal eine Zeit lang in der Barbierküste gearbeitet. Ich war quasi Teil eines Barbershop Quartetts.“ Flüchtig berührte sie den metallenen Henkel eines Deckels, welcher sich mitsamt noch dampfendem Topf im Waschbecken befand. Shanks hatte sich schon gefragt, wozu sie den brauchte und was sie im Badezimmer bitte zubereiten wollte. Die Antwort auf seine unausgesprochene Frage folgte zum Teil sogleich, als Kiara den Stoff ihres Ärmels um die Hand wickelte und den Deckel hob, um ein fein säuberlich zusammengerolltes, weißes Handtuch aus dem Topf zu heben. „Da hast du aber lecker gekocht“, bemerkte er zweifelnd und beobachtete wie Kiara das Tuch von einer Hand in die andere jonglierte. „Das ist dafür da, damit deine Haut sich spannt. Dann wird das Ergebnis umso glatter! Und du kriegst keine Hautirritationen“, erklärte sie fachmännisch. Anscheinend hätte sie wirklich ein oder zwei Dinge von einem echten Barbier gelernt. Oder sie dachte sich das alles nur aus. Von so einer Prozedur hatte er noch nie gehört. Seine bisherigen Rasuren hatten immerhin auch ohne gespannte Haut ganz gut funktioniert. Vorsichtig trat sie an ihn heran hob das beinahe heiße Handtuch an seine Wangen. Er zuckte nicht einmal, obwohl die Berührung im ersten Moment nicht ganz angenehm war. Im zweiten Moment fühlte es sich gleich viel besser an. „Ist es zu heiß?“, fragte Kiara unsicher nach. Kaum merklich schüttelte Shanks den Kopf. „Alles gut.“ Selbst wenn sie sich das nur ausdachte, war es eine Prozedur, an die er sich gewöhnen konnte. „Und, singt ein Barbershop Quartett dann während des Haareschneidens?“, hakte er amüsiert nach. „Ich glaube, das mussten sie lassen, weil es vor lauter heiterer Überschwänglichkeit zu Kollateralschäden kam. Aber beim Aufräumen hab‘ ich viele Shantys gelernt.“ Shanks nickte anerkennend. Ein ordentliches Repertoire an schmissigen Sea Shantys war eine Unerlässlichkeit für einen Seemann auf Kaperfahrt. „Wie kommt es, dass du bei einem Friseur gearbeitet hast? Ich dachte, du wärst Pirat“, grinste er sie schelmisch an. Er mochte zwar frech rüberkommen, aber es interessierte ihn tatsächlich. Nun waren sie schon einige Wochen gemeinsam unterwegs und er wusste kaum etwas über sie. „Ich brauchte Geld für ein Schiff. Ohne Schiff ist es schwierig anderen ihre Beute zu plündern, nicht wahr?“ Sie versuchte sich nicht zu sehr von seinem Gesicht und Grinsen ablenken zu lassen, und wahrte möglichst einen professionellen Blick auf die Aufgabe vor sich. Sanft tupfte sie das allmählich lauwarme Tuch über seine Wangen, Kiefer und Hals, betrachtete den Zustand seiner Haut eingehend und wandte sich dann zu der Schale mit dem weißen Schaum zu. „Nachdem wie du dir hier dein Taschengeld erwirtschaftet hast, hätte ich eher erwartet, dass du dir einfach eins ergaunerst“, feixte er. Verständlicherweise war Kiara kein Geld geblieben, als sie von seiner Mannschaft aus dem Meer gefischt wurde. Die Goldstücke, welche sie besessen hatte, waren entweder im Magen des Seekönigs oder zusammen mit dem Rest des Schiffes auf dem Meeresgrund gelandet. Shanks’ Angebot, dass sie sich gerne auf seine Kosten beim nächsten Landgang eindecken konnte, hatte sie freundlich abgelehnt. Stattdessen ermutigte sie die Crew zu einem Wetttrinken, welches sie veranstalten wollte und sammelte Geld für einen Siegertopf. Keiner hatte erwartet, dass dieses kleine Leichtgewicht gewinnen und den Topf absahnen würde. Danach war es ihr durch geschicktes Kartenspiel, und gewiss einer ganzen Portion Glück, gelungen ihren Gewinn zu verdoppeln. Im Kodex der Rothaarpiraten war Glücksspiel keinesfalls verboten, jedoch sollten Wetteinsätze in Maßen gesetzt werden. Und da sie von vielen Männern je ein bisschen gewann, war dem nichts gegen einzuwenden. „Hey, was heißt ergaunern? Das war fair und ehrlich! Oder krieg ich etwa Taschengeld für’s Kartoffeln pellen?“, entrüstete sie sich während sie mit dem kurzen, dicken Pinsel begann den Schaum auf sein Gesicht aufzutragen. Shanks überging die Frage beflissentlich und hob das Kinn, um ihr mehr Spielraum zu geben. „Was hast du vorher gemacht? Oder hast du deine ganze Jugend in einem Friseursalon verbracht?“ Sorgfältig und großzügig hatte Kiara den Rasierschaum auf dem Kiefer ihres Kapitäns verteilt. Nun ging es ans Eingemachte. Bedacht entfaltete sie das Rasiermesser. „Ich hab‘ das nur für ein halbes Jahr oder so gemacht.“ Sie hob andeutend die Klinge in sein Sichtfeld. „Letzte Chance deine Entscheidung zu überdenken.“ „Du machst das schon, ich vertrau dir da“, meinte er ruhig. „Und wenn du doch Blödsinn machst, hab‘ ich dich schneller im Griff, als du gucken kannst.“ „Ich bemüh‘ mich“, zwinkerte sie zuversichtlich und setzte behutsam die Schneide zum ersten Schnitt an. Shanks ließ es sich nicht anmerken, aber dass er nach dieser ersten fließenden Bewegung keine blutende Fleischwunde davontrug, erleichterte ihn dann doch. Äußerlich sowie auch innerlich gelassen, wandte er sich dem nächsten Zug der Klinge entgegen. „Also?“, hakte er entspannt nach. „Hm?“ „Was hat Klein-Kiara gemacht?“ Während nach und nach die kurzen dunkelrötlichen Stoppeln wichen, erzählte ihm Kiara davon, wie sie zuhause unterrichtet wurde und ihre Mutter darauf ein Auge hatte, dass es mehr als nur das bloße Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen war. Sie erzählte ihm von Musikstunden, Wirtschaftslehre und dem Französischlehrer den sie absolut nicht ausstehen konnte. „Das klingt eher nach Aristokratie, als nach Piratenleben“, bemerkte Shanks beiläufig. „Meine Mutter ist Gouverneurin. Ich denke, sie wollte nicht, dass ihre Tochter als dumm gilt. Und dass ich eventuell ihren Posten irgendwann übernehme. Also übernehmen könnte. Sofern ich für das Amt gewählt werden würde. Aber solange sich sonst niemand jemals aufstellen lässt, bleibt das Motto halt weiterhin ‚Wenn es nur einen Kandidaten gibt, gibt es auch nur eine Wahl.‘“ „Gouverneurin also? Ganz schön viel Verantwortung.“ Er wollte nicken, aber da sie gerade akribisch die Kontur seines Kinnbartes definierte, hielt er dann doch lieber so still er konnte. „Naja, damit bin ich quasi aufgewachsen. Es fühlt sich nicht nach etwas besonderem an. Wenn meine Mutter für einige Zeit auf einer anderen Insel war, hab‘ ich sie mehr oder weniger wie selbstverständlich vertreten.“ Kurz hielt Kiara inne. „Ich glaube es sollte eigentlich so etwas wie eine ebenfalls gewählte oder ernannte Stellvertretung geben… aber wir sind noch nicht so lange demokratisch, da sollte man das System vielleicht noch etwas überarbeiten.“ „Interessante Demokratie. Was wart ihr vorher?“ Kiara blies einen Schwall Luft aus. „Frag mich nicht. So viel ich weiß haben aber zumindest drei der Inseln mal meiner Familie gehört. Dann kam Urgroßpaps Marley, hat beschlossen, wir sind jetzt eine Demokratie, die Sklaverei wird abgeschafft und das Land gehört allen. Meine Großeltern sollen ziemlich scheiße gewesen sein, ich glaube er wollte ihnen ihr Erbe so richtig schön aus den gierigen Händen schlagen.“ Sie setzte die Konturen zu seinen Mundwinkeln fort. „Naja und ansonsten war ich den Großteil der letzten fünf oder sechs Jahre auf Handelsschiffen unterwegs, hab gelernt wie man möglichst diplomatisch verhandelt und sich nicht von irgendwelchen Idioten bescheißen lässt.“ „Und wo kommt das Piratenzertifikat her?“, warf der Rothaarige mit einem Schmunzeln ein, während die Möchtegern-Barbierin Haar und Schaum von der silbernen Klinge abstrich. Sie biss sich auf die Lippe und beschäftigte sich noch etwas länger als notwendig mit der Säuberung des Rasiermessers, um ihm ihre Schamesröte nicht zu offenbaren. Er wollte sie nur damit aufziehen und das gelang ihm auch mit Bravour. „Unwichtig. Was ist mit dir? Seit wann nennst du dich einen Piraten?“, wälzte sie das Thema stattdessen zurück auf ihn ab. „Eigentlich schon mein ganzes Leben. Im Grunde bin ich seitdem ich denken kann auf See und hab die Welt gesehen.“ Der Blick des Rothaarigen wandte sich erneut prüfend zum Spiegel. Da waren noch einige weiße Schaumrückstände, doch die kam Kiara sogleich mit einem feuchten, kleinen Handtuch abtupfen. Das war wirklich sehr ordentlich. Ob sie sich immer seines Bartes annehmen mochte? Es war definitiv eine Prozedur an die er sich gewöhnen konnte. „Du bist seit du denken kannst ein Pirat zur See? War das nicht gefährlich?“ „Oh, das war es. Es war gefährlich, anstrengend und aufregend. Feindliche Piraten, die Marine, die unberechenbare See. Da hat man früh gelernt tough zu sein.“ Kiara träufelte sich etwas von der Balsamlotion auf die Handfläche, während sie aufmerksam den Worten ihres Kapitäns lauschte. „Das klingt nicht sonderlich nach dem geeigneten Umfeld für ein Kind“, zweifelte sie sorgevoll. „Aye, das ist es auch nicht. Deswegen hab‘ ich den kleinen Jungen, aus dem Dorf an dem wir ein Jahr vor Anker lagen, nie auf eine Fahrt mitgenommen, egal wie oft er mir damit in den Ohren hing.“ Sorgfältig verrieb Kiara die Lotion auf ihren Händen, bis ihre Haut ganz ölig und glänzend war. Dann nahm sie sein Gesicht sanft in ihre Hände um den beruhigenden Balsam zärtlich einzumassieren. Das gefiel dem Kapitän gut. Er lehnte sich in die Berührung hinein und ließ genießend die Augen zufallen. „Und wer war hingegen so leichtsinnig und hat dich mitgenommen?“, summte ihre Stimme beinahe. „Na, Käpt’n Roger.“ Ihre liebliche Massage stoppte abrupt. Fragend blinzelte Shanks die Augen auf, um nachzuforschen, was sie pausieren ließ. Kiara starrte ihn fassungslos an. „Du… Redest du von ‚König der Piraten‘-Roger?“ „Genau dem.“ Prüfend zog Shanks eine Augenbraue hoch. Er konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten. „Aber du bist doch erst… 25? 30?“, stammelte sie. „27, wenn du es wissen möchtest.“ Er legte den Kopf schief. Nicht um seine Wange noch etwas an ihre Hand anzuschmiegen, aber es war ein nettes Extra. „Was passt für dich nicht zusammen?“ „Ich dachte seine Hinrichtung sei gut zwanzig Jahre her?“, überlegte sie laut. Sie hatte bis dato von dem Piratenkönig nur in Büchern gelesen, was er wohl für ein eindrucksvoller und ungeheurer Mann gewesen war und es erschien ihr alles so weit weg. „Es geschah vor zwölf Jahren.“ Kiara ließ die Hände sinken. Sehr zum Verdruss des Rothaarigen. „Das muss schrecklich für dich gewesen sein“, sagte sie erschüttert. „Auf dem Schiff?“ „Seine Hinrichtung. Wenn du dort aufgewachsen bist, dann war er doch sowas wie Familie“, erwiderte sie betreten. Erstaunt lehnte sich Shanks ein Stück zurück und musterte sie eingehend. „Das würden die wenigsten Außenseiter auf Anhieb denken.“ Ein Lächeln glitt über ihre Lippen während sie ungläubig den Atem ausstieß. „So warm wie deine Augen gerade geleuchtet haben, als du ihn erwähntest… Er war kein schlechter Mensch.“ Ihre kleine, bedeutungsschwere Pause unterbrach sie mit einem „jedenfalls nicht für dich.“ Ihr war wohl eingefallen, dass manches auch einfach Ansichtssache war. Ehe er sich versah spürte Shanks wieder die warmen, weichen Hände an seinen Wangen, wie sie ihn zärtlich liebkosten. Augenblicklich flatterten seine Lider wieder zu und ein zufriedenes Seufzen entwich seinen Lippen. Es kostete ihn eine Menge Willenskraft sich daran zu erinnern, dass sie das bestimmt einfach nur aus professioneller Sicht und Fürsorge tat. Aber dann strichen ihre Daumen auch noch über seinen Oberlippenbart und er musste wirklich an sich halten nichts zu überstürzen. Immerhin hatte sie ihm das Versprechen abgenommen, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Und das würde er ohne Zweifel tun, wenn er seinen Gelüsten nachgäbe. „Du musst mir unbedingt von dieser Zeit erzählen“, säuselte ihre Stimme an seinem Ohr. Bestimmt tat sie es gar nicht, aber er wollte es sich einreden. „Du weißt, ich liebe Geschichten.“ Intuitiv neigte er sich wenige Zentimeter nach vorne, um die viel zu riesige Lücke zwischen ihnen zu überbrücken. Er fühlte die Wärme ihres Gesichts prickelnd nah an seiner Haut und ihren Atem gegen seine Lippen hauchen. Trotzdem war die Entfernung weiterhin zu groß für seinen Geschmack. Und plötzlich war die Lücke verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)