Priester und Mörder von Gubenko-Verlag ================================================================================ Kapitel 13: Ein Sünder in der Kirche ------------------------------------ Wenn Cartan ehrlich war, dann hatte er bei Eros Worten eher an etwas Sexuelles gedacht. Die Funken sprühten zwischen ihnen, und wenn selbst Castus das nicht mehr gänzlich leugnen konnte, dann wäre es allerhöchste Zeit für Eros und ihn sich dem einfach hinzugeben. Aber nein, stattdessen stand er wieder mal vor den Toren der Kirche. Alles in ihm schrie danach einfach davonzulaufen, nach irgendeinem Händler zu suchen, und sich das Elixier einfach zu nehmen. Doch leider hatte er keine Ahnung von wem Eros das Serum bezogen hatte oder wo er suchen müsste. Seine Magie konnte er nicht nutzen. Er hatte es versucht. Im Gegensatz zu Castus beherrschte Cartan echte Feuermagie. Kein heiliges Feuer, sondern ganz normale Flammen. Doch nichts, sein Zustand war zu fragil. Das Wahrheitsserum war alles was ihm erlaubte diesen Körper zu lenken. Irritiert blickte er auf seine Hände. Sollte er wirklich nach Eros Pfeife tanzen? Oder wäre es nicht besser einfach einen Abend in Freiheit zu genießen. Der Attentäter hatte ihm eine Ampulle mit dem Wahrheitsserum anvertraut. Wenn er seine Aufgabe erledigen und Informationen von Pater Mechalis einholen würde, so bekäme er Nachschub. Doch diese eine Ampulle könnte ihm vielleicht bereits ein oder zwei Tage in einer Bar, mit Sex und Alkohol ermöglichen. Und gerade ersteres hatte er nach all den Jahren der Enthaltsamkeit bitter nötig. Er wollte sich mit den Händen durch die Haare fahren, doch sie waren kurzgeschoren. Wut stieg in ihm auf. Vor allem auf sich selbst. Damals vor den Toren der Kirche hatte er zum ersten Mal einen Dämon gesehen. Er hätte ihn beinahe getötet und die Priester der Kirche hatten ihn gerettet. Ihre Worte klangen so gut. Erlösung, ein Sinn im Leben. Etwas wonach er solange gesucht hatte. Doch, wenn es bedeutete, dass er dafür verschwinden musste, welchen Sinn hatte all das dann? War er böse oder verdorben, nur weil er die Freuden des Lebens genoss? Was war falsch daran? Er atmete tief durch und schritt schließlich durch das breite Tor der Kirche von Lorring. Er zuckte leicht zusammen, als er feststellte, dass er direkt in einen Gottesdienst geplatzt war. Das Knarzen der alten Scharniere ließ einige Gläubige herumfahren. Cartan bewegte sich rasch zu einer der hölzernen Bänke und setzte sich hin. Auch, wenn er gerade nicht in der Stimmung war, um sich eine Predigt anzuhören. Die Aufmerksamkeit aller richtete sich schnell wieder auf den Priester, der verschiedenste Phrasen über Gott und seine Barmherzigkeit von sich gab. Cartan wusste nicht länger was er davon halten sollte. Gott und die Bibel waren für ihn solange abstrakt gewesen. Und Castus war wie ein zweites Ich, jemand der die Dinge gänzlich anders betrachtete. Die meisten Zuhörer waren ganz normale Bürger, aber zum Teil saßen auch Priester in Roben auf den hölzernen Bänken. Auch Castus hatte sich ab und an eine Predigt angehört, besonders als alles anfing. Cartan erinnerte sich an diese Zeit, damals war die Trennung zwischen ihm und dem Priester noch nicht so klar gewesen. Mit der Zeit wurde Cartan immer mehr von Schwärze verschluckt. Die letzten Jahre waren gespickt von lückenhaften Erinnerungen, verdammt dazu zuzuschauen, während jemand anders seinen Körper steuerte. Doch ganz zu Beginn, hatte auch Cartan nach Buße gestrebt, er hatte Angst gehabt vor der Verdammnis. In diesem Moment konnte er nicht mehr sagen was sein Ziel war. Solange war er nur ein Beobachter gewesen. Er hatte versucht Castus mit provokativen Aussagen aus der Reserve zu locken. Aber nichts hatte etwas bewirkt. Ein seltsames Gefühl befiel ihn, als wären Augen auf seinen Rücken geheftet. Er wandte sich um und sah schräg hinter sich einen Priester, der zusammengekauert auf der Bank saß. Das Gesicht war komplett von einer schwarzen Kapuze verborgen. Es war nur ein Priester, der bei der Predigt eingeschlafen war. Cartan seufzte und sah wieder nach vorn. Er sollte einfach gehen. „Unser Leben liegt nur in Gottes Händen. Seine Güte leitet uns, sein Wille soll unser Gesetz sein. Dunkle Mächte und böse Menschen stellen uns immer wieder auf die Probe, doch wenn wir an unserem Glauben festhalten und auf Gott vertrauen, kann uns niemand schaden.“ Es reichte, er hatte keine Lust mehr auf die leeren Worte. Vielleicht wäre Cartan bereits morgen wieder verschwunden, erneut nur Beobachter. Er sollte versuchen so schnell wie möglich die Informationen zu beschaffen, nach denen Eros suchte. Oder Beweise finden, dass Castus tatsächlich Recht hatte, und ein besessener Mensch nicht gerettet werden konnte. Er erhob sich und drehte sich um, doch hielt irritiert inne, als er sah, dass der vermeintlich schlafende Priester in den dunklen Roben es ihm gleichtat. Die Roben waren viel zu weit, der Körper darunter ließ sich nur erahnen und das Gesicht war verdeckt von Stoff. Die Hände waren offenbar unter der Kutte verborgen. Der Anblick erinnerte ihn an den Angriff in Relia Florants Haus. Eine schöne, aber offenbar auch gefährliche und wahnsinnige Frau. Der Mann, welcher sich erhoben hatte, ließ ihn an die Kreatur denken, welche die Magierin auf Castus gehetzt hatte. Die Magie dieser Frau hatte ihn geweckt, hatte ihn alles sehen lassen. Es war schwer zu beschreiben, aber Relia hatte ihm Kraft geschenkt, hatte seine Emotionen verstärkt, sodass Castus ihn nicht mehr gänzlich unterdrücken konnte. Die Entscheidung zu fliehen, kam zu großen Teilen von ihm, auch wenn sein anderes Ich sich dessen wahrscheinlich nicht bewusst war. Wäre sie nicht wahnsinnig und hätte ihre Seele verkauft, so hätte sie ihm vielleicht helfen können. In gewisser Weise könnte er Eros Ziel die Magierin zu retten, auch als sein eigenes betrachten. Was auch immer sie vermochte zu tun, sie könnte ihm eventuell tatsächlich helfen wieder er selbst zu werden. Aber wer wusste schon, ob er sich da nicht in etwas verrannte. Impulsiv, melodramatisch und sprunghaft hatte sein Vater ihn oft genannt. Nicht das Cartan dieser Beschreibung zustimmen würde, aber ihm war bewusst, dass er sich manchmal in Ideen verrannte. Castus trieb jenen Wesenszug mit seinem versessenen Glauben an die Spitze. Er ging langsam voran und ignorierte den seltsam verhüllten Priester. Der Dämon würde sich niemals unter so viele Menschen mischen. Cartan schritt an der Gestalt vorbei, doch er fühlte sich beobachtet und blickte noch einmal zurück. Der Priester hatte sich gedreht und stand ihm zugewandt, das Gesicht noch immer verborgen. Eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus, einem Instinkt folgend griff er nach der Ampulle um seinen Hals und trank. Wahrheitsserum, kein heiliges Wasser. Für Castus war es ein Anker und in diesem Moment war diese andere Flüssigkeit es für Cartan auch. Während das Weihwasser der Kirche ihn in Schwärze ertrinken ließ, gab das Serum ihm die Kontrolle. Cartan schritt rasch voran, direkt zu den Treppen, die auf beiden Seiten des Raumes nach oben zur Empore führten. Auf den Stufen sah er das der Priester noch immer vor der hölzernen Bank stand, weiterhin in seine Richtung gewandt. Er schüttelte den Kopf. Er maß dem zu viel Bedeutung bei. Das war sicherlich einfach ein älterer Priester, der wahrscheinlich sauer war, das Cartan den Gottesdienst gestört hatte und nun auch noch mitten während der Rede des Pastors verschwand. Schnellen Schrittes erklomm er die Stufen und hielt vor Pater Mechalis Arbeitszimmer inne. Es war ein seltsames Gefühl dem Oberhaupt der Kirche gegenüberzutreten. Würde der Mann merken, dass eine gänzlich andere Person vor ihm stand? Und was sollte er fragen, wie könnte er mehr Informationen erhalten als Castus? Der Pater würde ihm sicher nichts erzählen und da er nicht lügen konnte, wäre ein Gespräch auch sehr gefährlich. Allerdings, wer wusste denn schon, ob der Pater nicht vielleicht irgendwelche geheimen Unterlagen oder Bücher versteckt hielt? Cartan wusste, dass Castus die Bibliothek der Kirche bereits mehrfach durchforstet hatte, um das zu finden, was auch Eros suchte. Einen Weg zur Erlösung, der nicht in Blut endete. Doch all die Bücher sprachen nur vom Teufel, von Dämonen und ewiger Verdammnis. Wenn es ein Geheimnis gab, wäre es doch sicher in den Privatgemächern des Oberhaupts der Kirche verborgen. Cartan grinste. Vielleicht sollte Eros recht behalten, er war nicht an Ehrenhaftigkeit oder Respekt für Pater Mechalis gebunden. Cartan war dazu in der Lage die Kirche wahrhaft auszuspionieren. *** Er hatte sich in sein Gemach zurückgezogen, ein trostloser Raum, nur ein einfaches Holz-Bett mit Leinendecken, der Kelch mit heiligem Wasser in einer Ecke und eine kleine Kammer, in der eine hölzerne Wanne stand, sowie ein Eimer. Wenn man bedachte was er alles für die Kirche tat, worauf er verzichtete, könnte man wohl eine gewisse Entschädigung erwarten, doch auch dieses Schlafgemach war minimalistisch und sollte dem Entsagen der Menschlichkeit und den damit verbundenen Schwächen treu bleiben. Keine Gier, kein Wunsch nach einem eigenen Wert, man sollte sich nur Gott unterwerfen. Etwas, dass Castus wahrlich tat. Wahrscheinlich war es Castus möglich, da er Cartan von sich abgespalten hatte, wie einen dunklen Schatten. Doch Cartan wollte nie wieder weichen, das war sein Körper, das war sein Leben. Er würde dafür kämpfen. Bis spät in die Nacht hinein hatte er sich unauffällig verhalten, war in der kleinen Kammer geblieben und hatte gewartet. Denn nur im Schutze der Dunkelheit könnte er die Räumlichkeiten des Oberhaupts der Kirche durchsuchen. Endlich war es soweit. Er öffnete die Zimmertür leise und ging gezielt voran. Inne hielt er erst vor Pater Mechalis Gemächern. Die Tür war verschlossen, doch da er ausgebildet worden war, um Verdammte zu jagen, hatte er auch gelernt, wie man Schlösser knackte. Er verrichtete sein Werk schnell und leise und trat dann vorsichtig ins Innere. In der Dunkelheit irgendetwas zu finden wäre schwierig, weshalb er eine Kerze, die er zuvor aus der Gebetshalle geholt hatte, aus seinem Mantel zog. Er stellte sie auf einer kleinen Kommode neben der Tür ab und entzündete sie mit Zunder. Anschließend hob er sie vorsichtig an und sah sich um. So oft hatte er diesen Raum gesehen. Auf der linken Seite erhob sich ein großes, mit bunten Mosaiken verziertes, Fenster. Vor der gegenüberliegenden Wand stand ein breiter hölzerner Schreibtisch, neben diesem führte eine weitere Tür zur Schlafkammer des Paters. In der er genau in diesem Moment hoffentlich bereits friedlich schlief. Wenn man Cartan entdeckte, so könnte dies sein Todesurteil sein. Sich gegen das Oberhaupt der Kirche zu wenden, kam einem Verrat gleich. Ein Einbruch in die Privatgemächer einer solch wichtigen Person ließ sich nur schwer erklären. An der rechten Wand standen einige Regale und Truhen, aber sein Gefühl sagte ihm, dass die wertvollsten Dinge wahrscheinlich direkt unter Mechalis Aufsicht verwahrt werden würden. Daher ging er gezielt zum Schreibtisch, auch, wenn dieser dem Schlafraum des Paters am nächsten war. Er stellte die Kerze auf dem Tisch ab und zog möglichst langsam ein paar Schubladen auf. In der Obersten lagen einige Schreiben, augenscheinlich wohl Todesurteile . Die Kirche entschied über Leben und Tod, die finale Entscheidung lag beim Papst, dem Vertreter Gottes auf Erden. Die Oberhäupter der verschiedenen Kirchen waren ihm direkt unterstellt und mussten dem mächtigsten Mann Noakas, ja, selbst mächtiger als der König, regelmäßig Bericht erstatten. Cartan wusste nicht so recht was er davon hielt. Aber das war nicht was er suchte. Eine Schublade im unteren Teil war verschlossen. Sein Blick wanderte zur Tür und er horchte. Doch nichts, er war noch immer allein. Alles schien in Ordnung. Ganz vorsichtig öffnete er das Schloss, genau wie zuvor die Tür zum Gemach des Paters, und begutachtete den Inhalt. Einige Umschläge, mit Pergamenten. Vorsichtig zog er einen heraus. ‚Dämonen und ihre Fähigkeiten‘ lautete die Überschrift. Nicht ganz, aber immerhin, vielleicht war die Spur richtig. Er öffnete einige Umschläge und blieb bei einem Titel hängen. Wie man einen Dämon auf einen neuen Wirt überträgt. Seine Augen weiteten sich. Das klang ziemlich explizit. Nun, ja, Übertragung, hieße, jemand anders würde verdammt werden. Aber, Relia könnte gerettet werden. Vielleicht. Er las die Beschreibung aufmerksam. Der Dämon ist über das Blut mit dem Wirt verbunden. Entscheidend ist das Gefühl, welches den Dämon ausmacht, präziser, die Todsünde. Hochmut, Jähzorn, Neid, Trägheit, Wollust, Geiz oder Völlerei. Der neue Wirt muss diese Todsünde in sich tragen, sie muss mit seinem Wesen verwurzelt sein. Als erster Schritt muss das Band mit dem Dämon für den ursprünglichen Sünder gekappt werden. Dazu braucht man Arcwurz, ein magisches Kraut, welches Magie verstärkt und das Blut eines Tieres oder Menschen, der die Todsünde ins Gegenteil verkehrt. Bei der Sünde der Trägheit bräuchte man also das Blut eines besonders aktiven Tieres. Für Jähzorn ein sehr ruhiges und entspanntes Tier. Das Arcwurz erhitzt man zusammen mit dem Blut. Dieser Trank muss von demjenigen eingenommen werden, der ursprünglich die Verbindung mit dem Dämon hergestellt hat. Es dauert eine Weile, doch nach einiger Zeit stellt sich eine Veränderung ein. Die Magie, nein, vielmehr das Wesen des Wirtes wird temporär verändert. Dadurch weicht sein Wesen von der Todsünde ab, welche den Mittelpunkt des Paktes bildet. Der nächste Schritt, sobald das Elixier wirkt, ist ein wenig Blut des ursprünglichen Trägers auf das Bindeglied zu träufeln. In den meisten Fällen wird für die Kontrolle ein blutroter Edelstein verwendet. Kommt das nun ‚verunreinigte‘ Blut mit dem Kontrollobjekt in Berührung, so wird der Dämon es spüren. Nun muss man schnell sein. Der Dämon wird den nutzlosen Wirt töten wollen, dieser widert ihn an, da er nicht länger kompatibel ist. Damit ist das Band gekappt, aber damit diese Trennung auf Dauer bestand hat, muss man dem Dämon einen neuen Wirt anbieten. Jemanden der seine Todsünde in sich trägt, auslebt und somit ein geeigneter Wirt ist. Dazu muss nun das Blut desjenigen auf den der Dämon übertragen werden soll auf das Bindeglied geträufelt werden. Nimmt der Dämon den neuen Wirt an, so ist die Übertragung geglückt. Gezeichnet, Herz und Blut So viele Informationen, doch vor allem eines ließ Cartan stutzen. ‚Herz und Blut‘. Das war die Kirchenorganisation, die sich den weltlichen Gräueln widmete, sie führten die Todesurteile aus, oder verhörten Verbrecher, sicherlich gehörte dazu auch Folter. Dämonen waren eigentlich das Gebiet der Priester von ‚Feuer und Seele‘, der Organisation, welcher auch er, oder eher Castus angehörte. Seltsam, dass ausgerechnet die Henker ein Ritual beschrieben, um einen Dämon zu übertragen. Aber davon einmal abgesehen, hielt er genau das in Händen wonach er gesucht hatte. Es gab tatsächlich einen Weg Relia zu retten. Ein wenig Aufregung stieg in ihm auf, erneut wanderte sein Blick, zur Ausgangs- und zur Tür des Schlafgemachs. Nichts regte sich. Für Castus käme es niemals in Frage jemand anders zu verdammen, um eine Person vom Dämon zu befreien. Doch Cartan war es egal. Er würde Eros diese Möglichkeit offenbaren. Denn dann würde der Attentäter ihn mit dem Wahrheitsserum versorgen. Und Relia könnte vielleicht dafür sorgen, dass Castus für immer verschwand und er gar nicht mehr auf das Elixier angewiesen wäre. Die Welt war egoistisch, warum durfte er es dann nicht auch sein? Er lächelte, griff nach einem leeren Blatt Pergament und schrieb das Ritual stichpunktartig auf. Fehler durften sie sich bei einer so waghalsigen Aktion nicht erlauben, also wollte er sich nicht nur auf sein Gedächtnis verlassen. Anschließend legte er alles genau dahin zurück, wo er es gefunden hatte. Verschließen konnte er das Schloss nicht, doch vielleicht würde der Pater glauben, er habe nur vergessen abzuschließen. Als er das Zimmer verließ war er froh, dass die Empore und die breiten Treppen noch immer leer waren. Nachtschwärmer wären jetzt ein echtes Problem geworden. Cartan war müde, doch er hatte keine Ahnung wie lange das Wahrheitsserum ihm noch die Oberhand geben würde. Also musste er zu Eros, sofort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)