Broken Birdie von MyHeartInTheAttic ================================================================================ Kapitel 12: Schwere Herzen -------------------------- Es war stockdunkel und totenstill, als Sakura desorientiert die Lider aufschlug. Die Müdigkeit hatte noch nicht ganz von ihr abgelassen, dennoch fühlte sie sich erholter und ihre Augen waren weniger erschöpft als zuvor. Sie war nicht zu Hause, doch der erste Moment der Angst, den sie häufig instinktiv empfand, wenn sie auf Missionen unter freiem Himmel oder in einem fremden Bett erwachte, stellte sich nicht ein, daher verharrte sie reglos, obgleich sich ein latent stechender Schmerz von ihrem Nacken bis zu ihrem Lendenbereich zog. Sie musste eingeschlafen sein – offensichtlich. Ihre Wange lag gegen Sasukes Schulter geschmiegt, nicht bequem und trotzdem würde sie für den Rest ihres Lebens in dieser Position sitzen bleiben, wenn die Möglichkeit bestünde. Oder wenigstens noch für ein paar Minuten. Der Blumenschmuck, der in ihren Haaren gesteckt hatte, lag auf ihrem Schoß. Sasuke musste ihn ihr aus dem Haar gezogen haben. Ihr Herz klopfte unweigerlich härter ob der ungewohnt aufmerksamen, irgendwie intimen Geste. Oder hatte sie es im Halbschlaf selbst getan? Seine Hand ruhte einige Zentimeter oberhalb ihres Knies, sie hielt seinen Unterarm locker umschlungen, nicht fest genug, als dass er sich ihr nicht hätte entziehen können, und die Erkenntnis ließ ihre Nervenenden vibrieren. Sein Daumen zeichnete gedankenverloren federleichte Kreise auf ihrem Oberschenkel, während er schweigend zu den Sternen blickte. Sakura dagegen konnte nicht aufhören, ihn anzusehen. Sie wagte kaum, zu blinzeln, weil sie Angst hatte, dass er sich wie ein Genjutsu auflösen würde, wenn sie es tat. Und es gab wahrlich Schlechteres, als ihn zu betrachten. Im kalten Licht der Nacht, das seinem blassen Gesicht ein bläuliches Schimmern verlieh, war er geradezu überirdisch schön, sein Ausdruck war nachdenklich, aber entspannt, beinahe friedlich. „Was ist?“ Sasukes Iriden glitten in seine Augenwinkel, ohne dass er ihr den Kopf zudrehte. Sakura rieb den Schlaf aus ihren Augen, nahm die Wange dabei jedoch nicht von seiner Schulter. Vielleicht wollte sie zu viel, doch die Neugier, wie lange er diese Nähe, nun, da sie nicht mehr schlief, tolerieren würde, war stärker. „Nichts.“ Sie konnte ihm immerhin schlecht sagen, dass sie befürchtete, jede Sekunde aus einem Traum aufzuwachen und dass er in Wirklichkeit gar nicht bei ihr war. „Wie lange habe ich geschlafen?“ „Nicht ganz zwei Stunden.“ Er veränderte seine Position, wodurch sie gezwungen war, ihren Kopf von seiner Schulter zu nehmen. Seine Hand blieb noch ein, zwei Sekunden auf ihrem Bein liegen, ehe es ihm bewusst zu werden schien und er den Arm zurückzog. „Oh“, machte sie, während sie sich den verspannten Hals massierte. „Das tut mir leid. Warum hast du mich nicht geweckt?“ „Wollte ich gerade, meine Schicht ist vorbei.“ Sakura entging nicht, dass er ihr ausgewichen war, und natürlich wusste er, dass sie es bemerkt hatte. Die Frage war nur: Hatte er sie nicht geweckt, damit er sich nicht weiterhin mit ihr auseinandersetzen musste, oder hatte er sie schlafen lassen, weil sie merklich erschöpft gewesen war? Ihr Zusammenbruch hatte etwas zwischen ihnen verändert, doch ob dieses Etwas positiv oder negativ war, konnte sie noch nicht einschätzen. Sasuke hatte jedenfalls nie zuvor für nötig befunden, sie zu trösten, nicht mal, als sie gedacht hatte, dass er im Kampf gegen Haku gestorben wäre, aber vielleicht hatte er ihr nur den Trost, den sie ihm gespendet hatte, zurückgeben wollen. Es sähe ihm zumindest ähnlich, sich deswegen in ihrer Schuld stehend zu fühlen. Vielleicht schämte er sich sogar ein bisschen, weil er der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, gewesen war, allerdings sähe ihm das weitaus weniger ähnlich. Seine Worte taten ihr noch immer weh, daran hatte seine überraschende Nettigkeit nichts ändern können. Nach dem, was sie gehört hatte, konnte sie nicht mal Dankbarkeit empfinden, nur Verwirrung. Und Wut. Und Schmerz. Sie hatte das drängende Bedürfnis, sich zu bewegen, nicht tatenlos neben ihm zu sitzen. Seine Nähe fühlte sich nicht plötzlich unangenehm an, aber falsch und verräterisch. Sie sehnte sich zu sehr nach etwas, das sie nicht haben konnte, unfähig, ihn loszulassen. Selbst jetzt verzehrte sie sich danach, sich wie ein liebestolles Mädchen an ihn zu schmiegen, obwohl sie ihn ohrfeigen wollen sollte. Wieso konnte sie nicht einfach aufhören, in ihn verliebt zu sein? Warum konnte er sagen und machen, was er wollte, sie wie Dreck behandeln und sie dann mit der winzigsten Geste, dem kleinsten Wort alle Gemeinheiten vergessen lassen? Was stimmte eigentlich nicht mit ihr? Womöglich hatte Tsunade recht: Sasuke respektierte sie nicht – niemand respektierte sie –, weil sie letztlich keinen Funken Respekt vor sich selbst besaß. Aus dem tiefsten Inneren ihres Körpers stieg ein Seufzen auf, mit dem sie sich von der Bank erhob und an die Brüstung trat. Eine stinkende Dunstglocke spannte sich wie eine Kuppel über Konoha und trübte die normalerweise herrliche Sicht. Die Luft roch nach Schwarzpulver. Die Sterne und der Mond waren größtenteils hinter den unnatürlichen Nebelschwaden verborgen. Ihr war noch nie aufgefallen, wie trostlos die Welt nach etwas so Schönem wie einem Feuerwerk aussah. Diesmal bekam sie nur die Trostlosigkeit. Sie schlang die Arme um ihre Mitte, weil sie dachte, dass sie ansonsten auseinanderbrechen würde. „Ist dir kalt?“, fragte er und trat neben sie an Geländer. „Nein“, behauptete sie, da sie nicht wollte, dass er zum Aufbruch drängte. Außerdem war ihr nicht kalt, nicht wirklich, nicht kalt genug jedenfalls, um schon gehen zu wollen. Wahrscheinlich wäre ihr aber auch nicht kalt genug, wenn sie in Yukigakure nackt auf einer Eisscholle im Meer treiben würde, solange er da war. Sie verteufelte sich, wie mühelos sie immer wieder in diese Denkmuster fiel, wie verzweifelt sie sich ein paar Minuten mit Sasuke zu erschleichen erhoffte. Das Metallgeländer brannte eiskalt auf ihrer Haut, als sie es mit den Händen umklammerte. „Kann ich dich was fragen?“ Im Augenwinkel sah sie, wie er sich versteifte, doch sie fasste sein Schweigen zumindest als vorläufige Zustimmung auf. „Wieso hasst du deinen Bruder so sehr? Ich verstehe ja, dass du dich von eurem Vater falsch behandelt fühlst, aber dafür kann… Itachi doch nichts.“ Er spannte den Kiefer an und auch Sakura hatte plötzlich das Gefühl, eine unsichtbare Grenze überschritten zu haben, indem sie seinen Bruder beim Namen nannte, als wäre er erst dadurch real geworden. „Du findest also, dass ich stattdessen meine Eltern hassen sollte.“ Sie runzelte ärgerlich die Stirn, weil er ihre Worte absichtlich missinterpretierte. „Ich finde jedenfalls, dass deine negativen Gefühle fehlgeleitet sind.“ Sasuke kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als er scharf gegen die Wut anatmete. Er rang sichtlich um Beherrschung und Sakura war verblüfft und verängstigt zugleich, wie rasch dieses Thema ihn zur Weißglut zu treiben vermochte. Seine Stimme klang gepresst und zu kalt, um gefasst zu sein, als er fragte: „Hast du Geschwister?“ „Nein, habe ich nicht.“ „Dann kannst du das nicht verstehen.“ „Das sagst du ständig, versuchst aber nie, irgendwas zu erklären. Du kannst nicht erwarten, dass die Menschen dich verstehen, wenn du mit niemandem redest.“ „Und das kommt ausgerechnet von der Frau, die vorhin noch groß rumgeheult hat, dass alle sie für eine schwache Heulsuse halten.“ Sakuras Kopf ruckte herum. Das war ein hundsgemeiner, bösartiger Tiefschlag und so schnell, wie er ihrem Blick auswich, wusste er das. Er entschuldigte sich nicht, besaß jedoch genügend Anstand, ein klitzekleines bisschen verlegen auszusehen. „Du hast recht“, bestätigte sie verschnupft. Es fiel ihr unerwartet leicht, wütend auf ihn zu sein, und dennoch – wenigstens im Moment – darüberzustehen. Der Zorn verlieh ihrer Stimme eine schneidende Indifferenz, mit der er vermutlich am besten umgehen konnte. „Man kann die Menschen nicht ändern, nur sich selbst. Das hast du mir beigebracht, wahrscheinlich sollte ich dir dafür danken.“ Sasuke fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und hinterließ eine wilde Unordnung, die ihm viel zu gut stand. Seine Frustration überschritt einen Punkt, die ihn fast verzweifelt wirken ließ. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass ihm die Situation mit seinem Bruder zu sehr ins Herz schnitt, als dass er sich insgeheim nicht jemandem anvertrauen wollte, die Mauern, die ihn von anderen abgrenzen sollten, im Laufe der Jahre aber zu hoch gebaut hatte, sodass er sich selbst darin eingesperrt hatte. „Erzähl mir was von ihm“, sagte sie. „Etwas Schönes.“ „Er hat ein symmetrisches Gesicht, sowas finden die meisten Menschen attraktiv“, erwiderte er trocken. Sakura verdrehte die Augen, musste jedoch unwillkürlich schmunzeln. Den Gedanken, dass er unmöglich besser aussehen konnte als Sasuke, schob sie vehement beiseite. „Ich dachte mehr in Richtung: Wir haben mal versucht, einen Kuchen zu backen, und dabei versehentlich die Küche abgefackelt.“ „Derartige Fehler passieren meinem Bruder nicht, er ist perfekt.“ „Er ist nicht perfekt“, wusste sie und versuchte, ihn mittels purer Willenskraft dazu zu zwingen, sie anzusehen. Es funktionierte nicht und Sasuke schaute weiterhin mit starrem Blick auf das Dorf hinab, in dem allmählich auch die letzten Lichter gelöscht wurden. Ihre Worte schienen ihn nicht mal erreicht zu haben; die Bitterkeit, die seine Mundwinkel nach unten zog, wurde nicht weniger. „Du kennst ihn nicht.“ „Ich muss ihn nicht kennen, um das zu wissen, weil niemand perfekt ist. Und ich weiß, dass er etwas getan haben muss, was dich verletzt hat. Jemand der perfekt ist, würde seine Liebsten nicht verletzen, oder?“ Sie war automatisch in eine Tonlage verfallen, die man normalerweise für kleine Kinder aufsparte, allerdings kam ihr Sasukes Denkweise, Itachi betreffend, uncharakteristisch infantil vor, also konnte er die Situation wahrscheinlich gar nicht rational betrachten. „Itachi ist ein Genie“, sagte er gepresst. „Mein Vater erinnert mich gern und oft genug an meine Minderwertigkeit.“ „Du bist ganz bestimmt nicht minderwertig und wenn dein Vater das behauptet, sagt das mehr über ihn aus als dich.“ Sasuke tat es mit einem Schnauben ab und kehrte zur Bank zurück. Statt ihm zu folgen, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Geländer und betrachtete ihn. Sie wusste nicht, was sie sagen konnte oder wo sie ansetzen sollte, wenn er sich derart verbissen dagegen wehrte, ein besseres Bild von sich zu haben. Er wollte wie sein Bruder sein, aber das war er nun mal nicht und würde es vielleicht niemals sein, was in seiner Welt offenbar bedeutete, dass er keine Anerkennung verdiente – und die Anerkennung durch die eigene Familie konnte unmöglich von Dritten ersetzt werden. Demzufolge konnte sie sich den Mund fusselig reden, andere konnten ihn mit Lob überhäufen und es bedeutete ihm nichts. Sie biss sich auf die Lippe, wägte ihre nächsten Worte mit Bedacht ab, da sie schlecht einschätzen konnte, ob sie damit nicht vielmehr in ein neues Hornissennest stach. „Deine Mutter setzt sich für deinen Bruder ein, weil er ihr Sohn ist. Ich bin überzeugt, dass sie das Gleiche für dich machen würde.“ Er schleuderte ihr einen Blick entgegen, der sie zu erwürgen versuchte, stellte damit eindrücklich klar, dass sie sich zu viel herausgenommen hatte. Sakura ließ es mit einem Achselzucken an sich abprallen. „Erinnerst du dich an das Trainingsgelände beim Naka no Kawa?“, fragte er plötzlich und sah sie nur lange genug an, dass sie zustimmend nicken konnte. „Ursprünglich befand sich dort keine Lichtung.“ Er zögerte, seine Augen zuckten zu ihr, ehe er wieder an ihr vorbeisah. Sakura wagte kaum, zu atmen, damit er sich nicht unterbrochen fühlte. „Wir waren noch Akademie-Frischlinge und hatten an dem Tag unsere Shuriken-Wurfprüfung.“ „Du warst der Einzige, der alle zehn Ziele mit einem Wurf getroffen hat“, sinnierte sie. „Sensei Daikoku hat vor Freude fast einen Herzinfarkt bekommen.“ „Ich hatte wie verrückt geübt, weil Itachi mir versprochen hatte, dass er mir das Jutsu der flammenden Feuerkugel beibringt, wenn ich es schaffe, obwohl unser Vater strikt dagegen war, da ich mein Chakra damals noch nicht gut genug kontrollieren konnte. Ich hatte nicht wirklich daran geglaubt, dass er mir zeigt, wie es geht… Itachi… hat oft versprochen, dass er mit mir trainieren würde, und immer ist ihm was… dazwischengekommen.“ Sasukes Ausdruck verdüsterte sich und Sakura fürchtete, dass seine Erzähllaune damit endete, doch nach einem kurzen, finsteren Schweigen, sprach er weiter: „Ausnahmsweise hielt er Wort und ich wollte unbedingt, dass er stolz auf mich sein kann, aber das Jutsu wollte mir einfach nicht gelingen, mehr als ein paar mickrige Funken habe ich nicht hinbekommen. Als es dunkel wurde, wollte ich einen allerletzten Versuch wagen. Ich sammelte mein ganzes Chakra und fabrizierte plötzlich diesen riesigen Feuerball, innerhalb von Sekunden stand alles um uns herum in Flammen. Vater war außer sich, er vermutete einen Komplott gegen unseren Clan, also behauptete Itachi, es sei seine Schuld gewesen, weil er beim Training nicht aufgepasst hätte. Vater glaubte ihm natürlich nicht, aber Itachi wich keinen Millimeter von seiner Behauptung ab, wodurch er mir die Strafe meines Lebens ersparte und fast seine Stellung bei der ANBU verloren hätte. Für andere mag das keine große Sache sein, aber dass er unseren Vater für mich angelogen hat…“ Er biss ein leises Schmunzeln zurück und Sakura kniff die Lippen zusammen, damit sie nicht grinste. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass nur er und sein Bruder darüber lachen durften, und gleichzeitig fand sie niedlich, mit welch unfreiwilliger Zuneigung er sich daran erinnerte. „Erzählst du mir jetzt, was dir passiert ist?“, fragte er, wobei die Weichheit wieder aus seiner Stimme verschwunden war und etwas Distanziertes angenommen hatte. Das warme Gefühl, das sich in Sakura auszubreiten begonnen hatte, wich erneut eisiger Kälte. „Nein“, sagte sie hart und überraschte ihn damit sichtlich. „Die Problemchen einer unscheinbaren Kunoichi sind sowie nichts, womit sich die Polizei-Einheit belästigen sollte.“ „Das hättest du gar nicht hören sollen.“ Er sah sie böse an. „Du ärgerst dich bloß, dass du mich nicht bemerkt hast“, versetzte sie bitter. „Stimmt“, gab er zu und seufzte leise. „Du hättest es aber auch nicht hören sollen, weil ich es nur gesagt habe, damit Taiko mir nicht weiter auf die Nerven geht.“ Sakura drehte ihm kommentarlos den Rücken zu und überblickte das Dorf. Sie wollte ihm glauben, mehr als alles andere, doch immer wenn sie sich der Hoffnung hingab, wurde sie nur noch schlimmer verletzt. „So oder so war es grausam, sowas zu sagen. Dass du es angeblich nicht gemeint hast, macht es nicht besser.“ „Es sagt mehr darüber aus, wie du dich selbst siehst, dass du dich überhaupt angesprochen gefühlt hast.“ „Bist du sicher, dass du Spielchen spielen willst, Sasuke?“, schnappte sie, drehte sich um und verschränkte die Arme. „Fein! Ich wollte das eigentlich nicht machen, weil ich es für unter meiner Würde hielt, aber dir ist schon klar, dass Lady Tsunade mir den offiziellen Auftrag gab, dich in medizinischen Jutsu zu unterrichten, damit du rehabilitiert werden kannst. Vielleicht berichte ich ihr, dass mir Informationen zu Ohren gekommen sind, die nahelegen, dass deine privaten Probleme zu massiv sind, um dich im aktiven Dienst einzusetzen. Das sollte ich machen, immerhin sind deinetwegen fast Menschen gestorben und du… dir tut das nicht mal leid, nicht wahr?“ Erneut presste sie die Lippen aufeinander, diesmal nicht, weil ihr nach Lachen war, sondern um das Zittern ihrer Unterlippe zu verstecken. „Das kannst du nicht machen“, knurrte er aufgebracht und ballte die Fäuste. Für einen Moment dachte sie, dass er tatsächlich auf sie losgehen wollte, und es kostete sie Überwindung, sich die Angst nicht anmerken zu lassen. „Ich könnte meine Einschätzung noch mal überdenken, wenn du mir erzählst, was bei dir los ist.“ „Damit du das dann auch gegen mich verwenden kannst?“ „Ach, Sasuke…“ Sie löste die Verschränkung ihrer Arme, wusste jedoch nichts mit ihnen anzufangen, weswegen sie schlaff an ihren Seiten herabhingen. Dieses Misstrauen hatte sie nicht verdient und es tat ebenso weh, wie zu hören, was er über sie gesagt hatte. Ihn so zu sehen, tat sogar noch mehr weh, all der Kummer und das Elend, das unter seiner Oberfläche brodelte. Er war mit zwei langen Schritten bei ihr und packte sie an den Schultern, seine Fingerkuppen bohrten sich durch den Stoff und gruben sich in ihr Fleisch. „Du wirst ihr gar nichts sagen, Sakura.“ „Drohst du mir?“, fragte sie mit gerecktem Kinn. Sie fühlte sich nicht annähernd so furchtlos, wie sie ihn glauben zu machen versuchte. Hinter seinen onyxfarbenen Iriden lag ein karmesinrotes Glimmen, doch obwohl sie Angst hatte, gerade weil sie Angst hatte, hielt sie seinem Blick stand. Außerdem war er immer noch Sasuke. Er würde ihr nichts tun. Oder? „Es ist eine Bitte.“ Sie löste ihre Augen von seinen und richtete sie gen Boden. Sein Atem kitzelte ihre Wange. Seine greifbare Verzweiflung ließ sie wie einen Grashalm im Sturm einknicken, obgleich sie der Meinung war, sich ganz gut gegen ihn behauptet zu haben, aber es war wesentlich leichter, einem unausstehlichen Sasuke die Stirn zu bieten. „Ich mache dir ein Angebot“, sagte sie leise. „Ich werde Lady Tsunade vorschlagen, dich probehalber wieder im aktiven Dienst einzusetzen… als Mitglied von Team 7.“ „Nein“, entgegnete er so schnell, dass sie ihren Satz kaum hatte beenden können. „Doch.“ Sie schaffte es gerade so, nicht trotzig mit dem Fuß aufzustampfen. „Du denkst nicht wie ein Shinobi“, sagte er genervt und nahm die Hände von ihren Schultern. „Ich kann nicht mit Kakashi und Naruto zusammenarbeiten, die beiden vertrauen mir nicht und deswegen kann ich ihnen nicht vertrauen. Wir sind kein Team mehr.“ „Wir könnten erst mal wieder mit leichten Sachen anfangen, zum Warmwerden.“ „Katzen einfangen und Unkraut jäten?“ Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, drückte es hoch, damit sie ihn ansehen musste. „Ich weiß, wie sehr du dir wünschst, dass alles wieder wie früher ist, aber weder lässt sich die Zeit zurückdrehen noch kann sie alles ungeschehen machen.“ „Nicht alles“, entschlüpfte ihr und hinterließ ein brennendes Gefühl auf ihren Wangen, das sie beschämt an seinem linken Ohr vorbeisehen ließ. Schlagartig war sie sich seiner Finger an ihrem Kinn sehr bewusst. Auf diese Weise hatte er sie bereits ein paar Mal berührt – in ihren Träumen, weswegen die eigentlich unschuldige Geste eine sinnliche Saite in ihr zum Klingen brachte. Sie schluckte trocken und befeuchtete automatisch ihre Lippen mit der Zungenspitze, ehe sie sein Handgelenk sanft umfasste und von sich weg zog, bevor sie sich zu etwas wirklich Dummen hinreißen lassen konnte. Für einen Augenblick wurde es komisch zwischen ihnen, als hätte er die nervöse Erregung, die in ihrem Unterleib kribbelte, wahrgenommen und wüsste nun nicht, was er damit anfangen sollte. Er trat von ihr zurück und an das Geländer, stützte die Unterarme lässig darauf ab und überblickte das in Dunkelheit getauchte Dorf. „Weißt du, was ich mich schon die ganze Zeit frage“, sagte er. „Was Tsunade sich dabei gedacht hat. Du weißt, weshalb ich vom Dienst suspendiert wurde.“ Er kniff die Lippen zusammen, ein Zeichen dafür, wie ungerecht er den Beschluss noch immer fand. „Erscheint es dir nicht merkwürdig, dass sie mich medizinische Jutsu lernen lässt, statt – was weiß ich – mich sämtliche Bücher über Teamwork und Teamführung auswendig lernen zu lassen?“ Ein Windstoß wirbelte Sakura Haarsträhnen ins Gesicht und sie schindete Zeit, indem sie diese mit penibler Sorgfalt zurückstrich und hinter die Ohren klemmte. Das war das letzte Thema, welches sie mit Sasuke besprechen wollte, weil es bedeutete, dass sie ihn zwar nicht direkt belügen, aber zumindest mit Halbwahrheiten abspeisen musste. „Lady Tsunade wird ihre Gründe haben“, meinte sie letztlich ausweichend, achtete darauf, unbefangen und ehrlich zu klingen, damit er ihre Unsicherheit nicht mit einer Lüge verwechseln konnte. Schließlich log sie nicht; sie erzählte ihm nur eben nicht die ganze Wahrheit, so wie er ihr immer nur einen Teil der Wahrheit offenbarte. „Dann hinterfragst du diese Entscheidung nicht? Sie kommt dir nicht willkürlich vor?“, hakte er schneidend nach. „Tsunade muss dir etwas gesagt haben.“ „Ich bin Shinobi. Es steht mir nicht zu, die Hokage zu hinterfragen“, antwortete sie flapsig und klopfte sich mental auf die Schulter für diese ausgezeichnete Entgegnung. Sasuke kannte das Regelwerk ebenso wie sie. Regeln waren gut und sicher. Er konnte ihr nicht vorwerfen, sich an die Regeln zu halten. Zu spät dämmerte ihr, dass sie den Verdacht gegen ihn, eine Rebellengruppe anzuführen, noch immer nicht ausgehebelt hatte und dass er, als Mitglied des Uchiha-Clans, den die Hokage der vergangenen Generationen nicht immer gerecht behandelt hatten, ihren Gehorsam möglicherweise missverstehen könnte. Sasukes Brauen zogen sich prompt zusammen, zeugten davon, wie unzufrieden er mit ihrer Antwort war. Sakura gab ihm einen spielerischen Klaps gegen den Oberarm, um die Stimmung zu entschärfen. „Ein paar Gedanken habe ich mir natürlich trotzdem gemacht, weil es eine durchaus… ungewöhnliche Herangehensweise ist.“ Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und beugte den Oberkörper leicht zu ihm herüber. „Lady Tsunade setzt sich seit Jahren dafür ein, dass medizinische Jutsu in der Grundausbildung gelehrt werden. Wir, also die anderen Iryōnin und ich, müssen tagtäglich Ninja zusammenflicken, die sich ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf stürzen, weil ihnen gar nicht klar ist, wie viel komplizierter es ist, Verletzungen zu heilen, statt diese von vorherein zu vermeiden. Da Shinobi… unter deiner Leitung verletzt wurden, schätze ich, dass ihre Absicht darin liegt, dir ein besseres Gefühl für… den Wert des Lebens zu vermitteln.“ „Ist das so?“ Sie sah und hörte ihm an, dass sie offensichtlich genau das Falsche gesagt hatte. „Die Mission kommt immer zuerst, richtig?“ „Also…“ „Und manchmal bedeutet das, dass man Verluste in den eigenen Reihen hinnehmen muss. Mein Plan war gut, er ist nicht aufgegangen, aber das kann vorkommen, und es ist nicht meine Schuld, dass diese Idioten keinen Meter für sich selbst denken konnten und deswegen Chaos ausgebrochen ist“, erklärte er kalt. „Schon“, stimmte sie leise zu und konzentrierte sich auf ihre Schuhspitzen. „Aber du warst nun mal ihr Anführer, damit hattest du die Verantwortung.“ Sasuke atmete geräuschvoll durch die Nase aus. „Die Mission war erfolgreich und darauf kommt es an. Jedem anderen wäre zum erfolgreichen Abschluss gratuliert worden, aber ich werde vom Dienst suspendiert. All die Missionen, bei denen wir verletzt wurden oder fast draufgegangen sind, für wie viele musste Kakashi Rechenschaft ablegen?“ Sakura konnte ihn nicht ansehen, ihr Blick geisterte unstet herum. „Ich kenne keine Details, aber angeblich sollst du verantwortungslos und rücksichtslos gehandelt haben. Das ist das Problem, nicht, dass etwas schiefgegangen ist.“ „Mach die Augen auf, Sakura“, sagte er höhnisch. „Hier geht es darum, dass ich ein Uchiha bin. Eine Menge Leute finden es gut, wenn wir im Dreck liegen.“ „Oder du hast Mist gebaut und das ist deine Art, keine Verantwortung dafür zu übernehmen“, warf sie zaghaft ein. „Sasuke, du kannst nicht dein Leben lang alles darauf schieben, dass du ungerecht behandelt wirst, weil du ein Uchiha bist.“ Vorsichtig streckte sie die Finger nach ihm aus. Sein Kiefer war so angespannt, dass er als scharfe Kontur unter seiner Haut hervorstach, doch sie nahm mit seiner Hand vorlieb, streichelte über seine zitternde Faust. Sasuke öffnete den Mund, wusste aber offenkundig nicht, was er sagen wollte. Wahrscheinlich hatte sie ihn ertappt, wenigstens ein bisschen, und sie trat an ihn heran, legte den Arm um seinen Rücken und lehnte den Kopf an seine Schulter. Er versteifte sich, eine Reaktion, die sie mittlerweile zur Genüge kannte, und sie ließ ihre Hand seine Wirbelsäule auf und ab gleiten, bis er sich entspannte. „Du bist kein schlechterer Mensch, weil du nicht perfekt bist.“ „Ach ja? Ich tendiere nämlich dazu, eine Enttäuschung zu sein“, sagte er düster. Sakura zog seinen Kopf mit ihrer freien Hand an ihre Halsbeuge. Er umarmte sie nicht zurück, doch sie hatte den Eindruck, dass er seine Wange vielleicht ein bisschen gegen ihre Haut drückte, dort, wo er ihren Puls in den Adern rasen spüren konnte. „Das stimmt nicht und sowas darfst du niemals denken.“ „Dann bist du nicht enttäuscht?“ Ihre Finger klammerten sich in seiner Uniform fest. Es war eine gemeine Frage und er meinte sie nicht mal aufrichtig, weil es ihm nur darum ging, sie hinterrücks zu einer Bestätigung zu zwingen. „Das kann man nicht vergleichen. Dein Vater und du selbst stellen unrealistische Erwartungen an dich, mir gegenüber hast du dich einfach nur schäbig verhalten.“ Sasuke machte sich ruckartig von ihr los. Ihre Hände glitten von ihm ab, verkrallten sich jedoch im Stoff seines Ärmels, ein physischer Ausdruck ihrer Unfähigkeit, ihn loszulassen. „Was hätte ich denn sagen sollen?“, fragte er anklagend, als wäre es ihre Schuld, dass seine Gemeinheit sie verletzt hatte. Die Wahrheit, lag ihr auf der Zunge, doch sie wusste, dass es nur zu einem weiteren Vortrag über Uchiha’sche Familienehre führen würde, also sagte sie nichts. Unterm Strich würde sich sowieso nichts ändern; selbst wenn er es wirklich nicht so gemeint hatte, würde sie dadurch nicht auf wundersame Weise zu einem respektablen Umgang für ihn. Mehr als eine heimlich ausgelebte Freundschaft war nicht drin – da musste sie wohl oder übel realistischer werden –, falls er überhaupt ehrliches Interesse daran hatte, denn möglichenfalls stellte er sich nur einigermaßen gut mit ihr, weil sie derzeit eine gewisse Macht über ihn hatte. „Schon okay, ich will nicht streiten“, sagte sie und fühlte sich auf einmal so erschöpft, dass sie sich auf die Bank legen und unverzüglich einschlafen könnte. „Wir streiten nicht.“ „Dann ist ja gut.“ Er setzte zu einer Erwiderung an, als urplötzlich ein ohrenbetäubender Knall die Erde erbeben ließ. Die Erschütterung war selbst auf der Aussichtsplattform deutlich zu spüren, ließ Gestein von den ehrwürdigen Reliefs der Hokage rieseln. Sakura klammerte sich instinktiv an Sasuke, als der Boden unter ihren Füßen vibrierte, doch er schob sie unwirsch von sich und wandte sich der Richtung zu, aus der die Explosion gekommen war. Ein ihr unbekanntes, starkes Chakra knisterte in der Luft. Mitten im Dorf, unweit des Zentrums, erhob sich eine Staubwolke, in der ein unheilvoller orangeroter Schein flackerte. Kurz darauf brachen Flammen daraus hervor, reckten sich meterhoch dem Himmel entgegen. „Was war das?“, fragte sie perplex, noch nicht in der Lage, das Offensichtliche kognitiv zu verarbeiten, dann schlug sie entsetzt die Hände vor den Mund. „Bei allen… Sind das die Jōnin-Quartiere?“ „Sieht so aus“, bestätigte Sasuke gepresst und sprang mit einem eleganten Satz auf die Brüstung, um sich in die Tiefe zu stürzen. Sakura umklammerte rasch, was sie zu fassen bekam, seine Hüfte. „Ich kann in meinem Kimono nicht schnell genug rennen.“ „Du bleibst hier“, befahl er barsch, während er seine Hand uncharmant auf ihr Gesicht klatschte, um sie wegzudrücken. Er traf ihre Nase unvorteilhaft, was ihr prompt Tränen in die Augenwinkel trieb, der Nagel seines kleinen Fingers kratzte über ihren Augapfel. Wäre sie eine Dōjutsu-Anwenderin, hätte sie vermutlich einen hysterischen Anfall bekommen, so jedoch schüttelte sie ihren Kopf nur wie ein nasser Hund, um seine Hand loszuwerden. „Ich lasse dich von jemandem abholen, das Code-Wort wird…“ „Ich brauche kein blödes Code-Wort, ich komme nämlich mit“, widersprach sie resolut. „Wahrscheinlich werde ich dringender gebraucht als du.“ Sasukes Blick verfinsterte sich, sein Kiefer mahlte, als würde er dagegenreden wollen und sich nur mühsam beherrschen können, doch natürlich musste er einsehen, dass sie recht hatte. Mit etwas, das wie ein gereiztes Knurren klang, landete er neben ihr, zog ein Kunai und schlitzte sämtliche Schichten ihres Kimonos bis zur Hüfte auf. Für einen winzigen Moment nur lag seine Handfläche auf ihrem nackten Oberschenkel und obzwar sie dafür nun wirklich keine Zeit hatte, zog sich ihr Unterleib mit einer Heftigkeit zusammen, dass sie sich auf die Unterlippe beißen musste und sich einige Herzschläge lang ganz wuschig fühlte. Er sprang, während Sakura sich einen letzten tiefen Atemzug gönnte, ehe sie ihm folgte. Sie war noch nie zuvor aus einer vergleichbaren Höhe gesprungen, rang die Panik, die automatisch von ihrem Denken Besitz ergreifen wollte, nieder, konzentrierte sich auf ihr Chakra und die bevorstehende Landung. Fallwind brauste in ihren Ohren, brachte ihre Augen zum Tränen und bohrte sich wie Nadelstiche unter ihre Haut. Die Müdigkeit war verflogen, verdrängt vom Adrenalin, das durch ihre Blutbahnen preschte. Ihr Aufprall klang wie eine Detonation, presste die Luft aus ihrer Lunge und sandte eine Schmerzwelle von ihren Knöcheln bis hoch zum Atlaswirbel. Sie rollte sich geschickt über die Schulter ab, hörte das Ratschen, als ihr Kimono noch weiter aufriss, kam auf die Füße und sprintete unverzüglich los. Sasuke war bereits ihrem Sichtfeld entschwunden, doch das Ziel war ohnehin kaum zu übersehen. Die Jōnin-Quartiere standen lichterloh in Flammen. Schwarzer, beißender Rauch quoll durch die Straßen, brannte in ihren Augen und ihrer Lunge. Sie zog Narutos Schal über Mund und Nase und sah sich mit tränenverschleiertem Blick um. Die Hitze war schier unerträglich, trieb ihr binnen Sekunden den Schweiß aus allen Poren, die Flüssigkeit, die ihre gereizten Augen produzierten, schien direkt zu verdampfen und jedes Mal, wenn sie blinzelte, hatte sie das Gefühl, ihre Lider bestünden aus Sandpapier. Schemenhafte Gestalten huschten als unscharfe Silhouetten durch den dichten Qualm und das Geschrei der Menschen vermischte sich mit dem wütenden Fauchen und Knistern des Feuers. Sakura kam sich wie ein aufgescheuchtes, kopfloses Huhn vor, wie sie halb blind, hustend und ziellos durch den Rauch irrte, auf der Suche nach Verletzten, die medizinische Erstversorgung benötigten, oder wenigstens jemandem, der ihr sagen konnte, was vorgefallen war. Höchstwahrscheinlich wäre weiser gewesen, wenn sie sich direkt ins Krankenhaus begeben hätte, denn dort würde man etwaige Verunfallte sowieso hinbringen. Schlimmstenfalls hatten Tsunade oder Shizune bereits nach ihr schicken lassen und sie hatte sich unauffindbar gemacht. „Verschwinde, Mädchen, hier ist’s viel zu gefährlich für dich“, wurde sie von einem breitschultrigen, stämmigen Mann angeblafft, der jeweils gleich zwei Sandsäcke geschultert hatte und unter der Last angestrengt schnaufte. „Was ist passiert?“ „Explosion“, war die knappe Antwort. Sakura verkniff sich die ärgerliche Bemerkung, dass sie sich das gerade noch so selbst hätte zusammenreimen können, denn der hünenhafte Mann verleierte just in diesem Moment die Augen, ging erst in die Knie und kippte dann seitlich weg. Mit einem Satz war sie bei ihm, stellte zu ihrer Erleichterung jedoch rasch fest, dass er lediglich vor Erschöpfung zusammengebrochen war. Sie ließ genügend Chakra in ihn fließen, um seine Energiereserven aufzufüllen, wodurch der Mann mit flatternden Lidern, stöhnend und blass um die Nase zu sich kam. „Was…?“, fragte er irritiert und sah sich um, als wüsste er nicht genau, wo er sich befand. Offenbar hatte er die letzten Minuten vor seinem Zusammenbruch vergessen, was nicht ungewöhnlich und daher nicht weiter besorgniserregend war. „Sie sind ohnmächtig geworden. Sie dürfen sich nicht überanstrengen, damit ist niemandem geholfen“, sagte sie mit ihrer besten Strenge-Ärztin-Stimme. Sie kannte diesen Typ Mensch und war ziemlich sicher, dass er zu jener Sorte Mann gehörte, die sich nichts vorschreiben lassen wollte – schon gar nicht von jemandem, den sie in die Kategorie kleines Mädchen einordneten –, die tüchtig anpackte, sich tagtäglich abrackerte und immer morgen damit anfangen wollte, sich zu schonen, bis ihre Körper ihnen keinen Aufschub mehr gewährten oder sie gleich tot umfielen. „Bist du ‘ne Ärztin, oder so?“ „Ja“, bestätigte sie und schulterte zwei der Sandsäcke. Sie wusste auch, wie man sich den Respekt und das Vertrauen solcher Menschen sicherte, nämlich indem man bewies, dass man selbst anpacken konnte. Das Knacken in ihren Knien erinnerte sie peinlichst daran, dass sie ihr Training in den letzten Wochen vernachlässigt hatte. „Lass mal, Mädchen, das ist doch viel zu schwer.“ Der Mann kam auf die Füße, schnaufte dabei aber noch immer so sehr, dass Sakura ihm am liebsten sofortige Bettruhe verordnet hätte. „Sie sind derjenige, der wie eine kleine Prinzessin umgekippt ist“, sagte sie mit einem Anflug von Schnippischkeit. „Also, wohin muss das?“ Der Mann sah sie perplex an, ehe er in knatterndes Gelächter ausbrach. Seine Heiterkeit kam ihr in Anbetracht der Umstände taktlos vor, aber manche Menschen brauchten das und jeder reagierte anders auf Stresssituationen. Er wuchtete die verbliebenen Sandsäcke auf seine Schultern und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Sakura keuchte durch den weit geöffneten Mund. Der Schal hatte sich mit Feuchtigkeit vollgesogen – Schweiß und Atemluft – und schien sich nun wie eine bepelzte Würgeschlange fester um ihr Gesicht zu ziehen. Schweißperlen tropften von ihren Brauen in die Augen, das Haar klebte ihr am Schädel, überhaupt klebte und tropfte alles an ihr. Sie fühlte sich eklig und je nachdem, wie der Wind stand, war ihr entweder grauenhaft heiß oder eiskalt. Sie näherten sich dem Zentrum des Brandes und obgleich sie sich bisher nicht darüber nachzudenken gestattet hatte, spürte sie ein großes Stückchen Anspannung von sich abfallen, dass es nicht Kakashis Appartementkomplex getroffen hatte. Sie atmete sogar erleichtert auf, obwohl das verheerende Ausmaß der Zerstörung eigentlich keinen Grund zur Freude bot. Die mutmaßliche Explosion – und sie wüsste nicht, was sonst einen derartigen Schaden hätte verursachen können – hatte ein klaffendes Loch mitten in das Wohngebäude gerissen. Die angrenzenden Wohnungen lagen offen wie Puppenstuben vor ihr, boten ein Bild der Verwüstung, sämtliche Fenster der umliegenden Häuser waren zersprungen, zerstörtes Mobiliar und private Habseligkeiten lagen kreuz und quer auf der Straße, waren teilweise an den Straßenrand geschleppt worden, um den Weg für die Helfer freizuräumen, das umherfliegende Mauerwerk hatte die Umgebung sichtlich mit der Wucht von Kanonenkugeln bombardiert. Und über allem stand die mächtige Flammenwand, die Rauch und Qualm spuckte und mit gierigen Zungen an allem zu lecken versuchte. Es wäre ein Wunder, wenn niemand verletzt oder gar getötet worden war. Ein ehemals leuchtend rotes Negligé, die Art, die Sakura und Ino noch immer albern hinter vorgehaltener Hand kichern und erröten ließ, lag dreckverkrustet im Matsch. Aus irgendeinem Grund war es genau dieser Anblick, der sie plötzlich schreien lassen wollte. Um sie herum herrschte das geordnete Chaos eines Ameisenhaufens und wie in einem Ameisenhaufen rannten sich die emsigen Arbeiter erstaunlicherweise nicht gegenseitig um. Die Sandsäcke, die ihr nun abgenommen wurden, wurden zu einem provisorischen Wall verbaut, der die umliegenden Gebäude vor den Flammen schützen sollte, mehrere Wassergassen hatten sich gebildet, andere schaufelten Sand in das Feuer oder räumten die Straße. Sie sah Frauen und ältere Kinder, die Getränke und Suppe verteilten und kleinere Verletzungen verarzteten. Es war rührend, wie rasch sich Konohas Bevölkerung organisiert hatte, sodass sie sich im Angesicht dieser Katastrophe dennoch hoffnungsvoll fühlte. „Ich hab ‘ne Ärztin mitgebracht“, trompetete der Mann über den Lärm und das Brüllen des Feuers hinweg und ehe sie sichs versah, heilte sie Brandwunden, Schnitte und Quetschungen, versorgte erschöpfte Helfer mit Chakra und kurierte leichte Rauchvergiftungen. Sakura arbeitete routiniert und konzentriert und erst als ihr eine Tasse mit dampfender Suppe gereicht wurde, bemerkte sie das latente Zittern ihrer Hände und die Erschöpfung, die sich systematisch durch ihre Glieder gefressen hatte. Der Chakraverlust und die chronische Schlaflosigkeit forderten ihren Tribut. Sie ließ sich einfach auf den Boden sinken, der aufgeweichte Lehm gab ein anzügliches Schmatzen von sich und kaum, dass sie saß, walzte die Müdigkeit wie eine Flutwelle auf sie zu, zerrte bleischwer an ihren Lidern. Die Suppentasse fühlte sich merkwürdig schwer an, wenn sie diese an die Lippen hob. Sie tupfte sich die Stirn mit Narutos Schal trocken, die Wolle roch angekokelt, wie sie bestürzt feststellte. Ihre Haut spannte, obwohl sie glitschig von Schweiß war, und ihr linkes Bein, das durch den Schlitz im Kimono komplett freigelegt wurde, sah aus, als hätte sie sich einen üblen Sonnenbrand zugezogen. Sie rieb ihr Bein sowie, nach einigen Sekunden des Überlegens, ihre Stirn und Wangen mit Schlamm ein, starrte dann wie hypnotisiert in die Flammen. Wie lange war sie bereits hier? Es kam ihr wie eine kleine Ewigkeit vor, doch sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, der Himmel, an dem sie sich hätte orientieren können, war von Rauch verhangen und das Feuer schien noch immer nicht nennenswert unter Kontrolle gebracht. Ihr Kinn sank auf die Brust, die Augen schlossen sich ganz automatisch und ihre Gedanken wanderten zu Sasuke. Es gab keinen triftigen Grund, sich Sorgen um ihn zu machen, aber sie tat es natürlich trotzdem. Ein unbedachter Schritt, eine Folgeexplosion, ein einstürzendes Gebäude, ein herabfallender Ziegelstein, zur falschen Zeit am falschen Ort – manchmal kam es nicht darauf an, wie gut man war, sondern wie viel Glück – oder Pech – man hatte. Irgendwo krachte etwas und Sakura riss vor Schreck die Augen auf. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft in ihrer Brust, doch immerhin machte der neuerliche Adrenalinschub sie wieder einigermaßen munter. Sie unterdrückte ein Gähnen, um nicht mehr Rauch als nötig einzuatmen, erhob sich schwerfällig und dehnte ihre Glieder, damit die Leistungskurve ihres Körpers nicht erneut schlagartig abfiel. Sie war wirklich aus der Form. Abermals ertönte ein Krachen, lauter diesmal. Sie wirbelte herum und sah, wie der ausgebrannte Dachstuhl des Wohngebäudes kollabierte und in einer kolossalen Staubwolke einstürzte. Instinktiv schützte sie ihren Kopf gegen den Funkenregen, der meterhoch gen Himmel stieg. Gellende Schreie übertönten das Prasseln des Feuers. Sakura rannte blindlings durch den dichten Rauch, in die Richtung, aus der die Schreie gekommen waren, und kollidierte beinahe mit ihrem Vater, der die Flammen an vorderster Front mit seinen Wasser-Jutsu bekämpfte. „Papa“, rief sie und fiel ihm erleichtert um den Hals. Sie hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass ihr Vater ebenfalls vor Ort sein musste – schließlich war Brandbekämpfung sein Job –, jetzt war sie einfach nur froh, dass ihm nichts passiert war. „Papa, was ist hier los?“ „Saki-chan?“ Kizashi blinzelte irritiert; für einen Moment schien er mit sich zu ringen, ob er sie als Tochter oder höherrangigen Shinobi behandeln sollte. Er sah alt aus, stellte sie mit dem schmerzhaften Stich fest, den vermutlich alle Kinder zu spüren bekamen, wenn ihnen die Vergänglichkeit der eigenen Eltern zum ersten Mal richtig bewusst wurde. Sein Haar, das einst von einer ähnlichen Farbe wie ihres gewesen war, war inzwischen von etlichen grauen Strähnen durchzogen und die Erschöpfung ließ sein Gesicht eingefallener und faltiger aussehen, als sie es in Erinnerung hatte. Ruß und Schweiß hatten eine ölig glänzende Schicht auf seiner Haut gebildet, doch unter dem Schmutz war er besorgniserregend blass. Sakura legte ihre Hand auf seine Brust und ließ Chakra von ihrem in seinen Körper fließen, ignorierte den Schwindel, der in ihrem Kopf ein wattiges Gefühl auslöste. Ihr Vater umfasste ihr Handgelenk und zog es sanft nach unten. „Spar deine Energie besser auf.“ Sie wollte widersprechen, ihm sagen, dass sie, ebenso wie er, nur ihren Job machte, doch er lächelte mild auf sie herab, ehe sie den Mund aufmachen konnte. „Nimm’s mir nicht übel, Saki, aber du hast selbst schon mal besser ausgesehen.“ Sein Blick wanderte ihren Körper mit väterlicher Sorge auf und ab, dann runzelte er die Stirn. „Was ist mit deinem Kimono passiert? Bist du verletzt?“ „Mir geht’s gut“, wiegelte sie knapp ab und fragte nochmals: „Was ist passiert, Papa?“ „Ich weiß nur, dass es wohl eine Explosion gegeben hat, aber…“ Er fuhr sich über den Schnauzbart, bedachte sie mit einem Ausdruck, den sie noch von früher kannte, wenn sie Fragen gestellt hatte, für deren wahrheitsgemäße Beantwortung sie zu jung gewesen war. „Papa!“ Er gab sich mit einem matten Seufzen geschlagen. „Ich habe sowas, um ehrlich zu sein, noch nie erlebt. Das Feuer scheint irgendwie… resistent gegen jegliche Löschversuche zu sein. Außerdem hat es in den vergangenen Wochen so häufig geregnet, dass es überhaupt nicht brennen sollte, jedenfalls nicht so.“ „Ich störe euer Schwätzchen nur ungern, aber uns fackelt gerade das Dorf unterm Hintern weg, falls ihr es nicht bemerkt habt“, wurden sie von einem brünetten Shinobi angefahren. Sakura kannte seinen Namen nicht und ihn lediglich vom Sehen, doch die wulstige Narbe, die sich vom Nasenrücken über die linke Gesichtshälfte zog, hatte genügend Wiedererkennungswert. „Du ist eine Iryōnin, oder?“, wandte er sich an sie. „Mitkommen.“ „Pass bitte auf dich auf, Papa“, sagte sie unter dem ungnädigen Blick des Brünetten zu ihrem Vater. „Du auch, Saki“, entgegnete er, bevor er einige Handsiegel formte und einen Wasserstrahl spuckte. Nun sah sie auch, was er meinte – tatsächlich schien das Wasser die Flammen kaum zu tangieren. Sakura folgte dem dunkelhaarigen Ninja, bis sich jäh eine größere Menschenansammlung aus dem Rauch schälte, bei der es sich mehrheitlich um Mitglieder der Uchiha-Polizei handelte. Sasuke war unter ihnen und sie fand, dass er ungemein wichtig aussah, wie er mit verschränkten Armen in deren Mitte stand und Anweisungen gab. Er blickte nur flüchtig in ihre Richtung, als sie zu der Gruppe stieß, wandte sich jedoch sofort wieder ab und ließ auch sonst nicht erkennen, dass sie sich kannten, doch zu ihrer eigenen Überraschung machte ihr sein Verhalten kaum etwas aus. Jegliche Gedanken, die sie vielleicht hätte haben können, wurden ohnehin rasch von den drei Uchiha in Beschlag genommen, die einen Mann brutal zu Boden drückten, dessen blutgetränktes Haar das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte, noch goldblond gewesen war. Von Deidaras hübschem Gesicht war nur eine zerschlagene, zugeschwollene Masse übrig geblieben, kaum mehr als ein blutiger Fleischklumpen, in dem zwei silbrig blaue Augen hasserfüllt und bemerkenswert lebendig funkelten. Einer der Uchiha hockte sich vor ihn hin und redete auf ihn ein. Sie hörte nicht, was gesagt wurde, doch Deidaras Antwort bestand darin, dem Uchiha blutigen Schleim vor die Füße zu spucken. Der zweite Uchiha trat ihn hart gegen die Rippen, der dritte hockte breitbeinig auf dem Rücken des Blonden und machte ihn damit vollkommen wehrlos und bewegungsunfähig. Die demonstrierte, unverhohlene Brutalität entsetzte sie. Zwar wusste sie, dass Gewalt oder gar Folter zum täglichen Brot für Shinobi wie Ibiki Morino gehörten, doch geschah so etwas üblicherweise hinter verschlossenen Türen und weil es sein musste, weil der Schutz des Dorfes davon abhing. Auf jemanden einzuprügeln, der hilflos am Boden lag, war gegen alles, was sie für richtig hielt. Plötzlich erschienen ihr die Gerüchte über die Machenschaften der Uchiha-Polizei gar nicht mehr so unglaubwürdig – und wenn das stimmte, wie unwahrscheinlich war dann noch, dass der Sasuke, der gleichgültig danebenstand, während seine Leute jemanden halb tot prügelten, nicht doch eine Rebellion gegen Konoha billigte? Es fiel ihr schwer, diesen Sasuke mit dem Jungen in Einklang zu bringen, mit dem sie erst jahrelang auf die Akademie gegangen war und später ein Team gebildet hatte, der ihr von seinen Sorgen und Ängsten berichtet hatte, der voller unfreiwilliger Wehmut über seinen älteren Bruder gesprochen hatte. Freilich waren sie Shinobi und als solche hatten sie alle zwei Gesichter, doch wieder einmal musste sie sich fragen, wie gut sie Sasuke in Wirklichkeit kannte. Deidara würgte keuchend und sie eilte instinktiv auf ihn zu. „Er erstickt“, rief sie und verscheuchte den Uchiha, der auf seinem Rücken saß, mit unwirschen Gesten. Kaum war das Gewicht von seinem Körper verschwunden, fiel dem Blonden das Atmen leichter, dennoch legte sie ihre Hand zwischen seine Schulterblätter und half ihm, die Flüssigkeit, die sich in seiner Lunge gesammelt hatte, abzuhusten. Blutiger Schaum troff von seinen Lippen. Einige Rippen waren gebrochen und perforierten die Lunge. Der Kiefer hing in einem Winkel, den die Natur definitiv nicht vorgesehen hatte – die Uchiha konnten ihn folglich treten und bedrohen, wie sie wollten, es war ihm gar nicht mehr möglich, verbal auf ihre Fragen zu antworten. Und vermutlich wussten sie das auch. „Wenn du Ino etwas angetan hast, wirst du dir wünschen, hier und jetzt erstickt zu sein“, zischte sie ihm zu, sagte dann lauter und zu niemand Bestimmtem: „Er muss ins Krankenhaus.“ „Sonst was?“ Ihr Nacken knirschte, als sie sich dem Sprechenden zuwandte. Sie erkannte seine Stimme, hatte sie erst vor wenigen Stunden gehört, als er sie als nicht besonders ansehnlich bezeichnet hatte. Taiko war – zumindest objektiv betrachtet – wahrscheinlich ebenso hübsch wie die meisten Uchiha; subjektiv betrachtet fand sie, dass er wie ein kleiner, gemeiner Giftzwerg aussah, der sich erdreistete, unverschämt arrogant auf sie herabzublicken. „Sonst stirbt er“, fauchte sie ihm entgegen. „Das ist ein Tatverdächtiger, dem steht keine ärztliche Versorgung zu“, sagte er ungerührt. „Ich glaube, die Entscheidung, wer medizinisch versorgt wird und wer nicht, gebührt mir, und da man einen toten Verdächtigen nicht befragen kann, entscheide ich, dass er ins Krankenhaus muss.“ „Und du bist?“ „Sakura“, sagte jedoch nicht sie, sondern Sasuke. „Gai will dich sprechen.“ „Das geht jetzt nicht, außer du sorgst dafür, dass der da schnellstmöglich ins Hospital eingeliefert wird“, widersprach sie, mit dem Finger auf Deidara deutend. Sasuke musterte sie ausdruckslos, zuckte dann die Achseln und sagte: „Ich kümmere mich darum.“ Sie nickte nur, obwohl ihr die Frage auf der Zunge brannte, warum er überhaupt zugelassen hatte, dass der Blonde derartig zugerichtet worden war. „Er war mit Ino zusammen, auf dem Fest. Ich…“ Ihre Stimme brach. Er hob die Hand, um sich Haarsträhnen aus der verschwitzten Stirn zu streichen, wobei sein kleiner Finger hauchzart über ihre Wange streifte, was vielleicht Zufall war, vielleicht aber auch nicht. So oder so hatte die kurze Berührung etwas Tröstliches. „Ich lasse nachsehen, ob es ihr gut geht.“ „Danke“, sagte sie und wollte seine Hand drücken, ließ es allerdings bleiben, weil sie die Blicke von Taiko und den anderen auf sich spürte. Gai erwartete sie bereits ungeduldig und dass er nicht grinste, veranschaulichte mehr als alles andere, wie schlimm die Lage war. „Gut, dass Raidō dich gefunden hat. Ich muss dich bitten, mit mir mitzukommen“, sagte er ernst. Seine dichten Augenbrauen trafen sich als schwarzer Balken über der Nasenwurzel, was sie normalerweise zum Kichern gebracht hätte, doch jetzt war ihr nicht mal nach Schmunzeln zumute. „Wissen wir schon, was die Explosion verursachte?“, fragte sie, weniger zur Informationsbeschaffung als vielmehr, weil ihr seine untypische Schweigsamkeit aufs Gemüt drückte. „Der Iwa-Bengel hat eine von seinen Bomben hochgehen lassen.“ Gai schluckte gegen einen Kloß an, der Sakura ahnen ließ, dass das nicht alles war. „Kakashi sucht dich. Er… ach, das soll er dir selbst sagen.“ „Dann geht es Sensei Kakashi gut?“, hakte sie ängstlich nach. „Den Umständen entsprechend“, entgegnete er, presste die Lippen jedoch zu schmalen Strichen aufeinander. „Was heißt, den Umständen entsprechend? Wurde er verletzt?“, fragte sie panisch. „Sagen Sie schon.“ Sie wollte die Antwort eigentlich gar nicht hören. Sie wollte ins Bett, sich die Decke über den Kopf ziehen und diesen Tag aus ihrem Gedächtnis streichen. Die Glückseligkeit, die sie empfunden hatte, weil Sasuke sich das Feuerwerk mit ihr hatte ansehen wollen, war entfernter als der Mond. „Physisch ist er unversehrt.“ Gai gab ein Geräusch von sich, das nach einem heiseren Schluchzen klang, in seinen Augenwinkeln funkelten Tränen. Sakuras Organe rumorten vor Angst, in ihrem Magen ballte sich Übelkeit zusammen, während sie sich dem Zentrum der Detonation näherten. Sie kletterten über Trümmer, zerborstenes Glas knirschte unter ihren Sohlen, beinahe traumwandlerisch schritt sie voran. Ihre Erschöpfung saß mittlerweile so tief, dass sie diese gar nicht mehr richtig spürte, eher wie einen Fremdkörper wahrnahm. „Ich habe kaum noch Chakra übrig“, hörte sie sich erklären. „Ich werde nicht viel ausrichten können.“ „Ich verstehe.“ Er blickte stumpf geradeaus, sodass sie sich fragte, ob er wirklich verstand, ob er ihr überhaupt zugehört hatte. Über das Röhren des Feuers nahm sie das Frauengeschrei erst wahr, als die zwei Silhouetten, die miteinander rangelten, bereits sichtbar geworden waren. Hidans widerwärtiges Grinsen schob sich vor ihr inneres Auge und sie mobilisierte ihre letzten Kräfte, um der Frau zu Hilfe zu eilen. Ihre Muskeln brannten, als sie mit einem Satz über die scharfkantigen Reste von etwas sprang, das vermutlich mal ein Schrank gewesen war, und kam schlitternd zum Stehen. Kakashi hatte die Arme von hinten um Kurenai geschlungen, die wie eine wild gewordene in seinem Griff strampelte und hysterisch kreischte. Er hielt sie in Höhe der Brust gepackt, um keinen Druck auf ihren angeschwollenen Bauch auszuüben, während sie abwechselnd mit den Hacken nach seinen Schienbeinen trat und die Beine in die Luft warf. Ihre Hände fuchtelten durch die Luft, die blutigen Striemen auf seiner Wange zeugten davon, dass sie ihn mindestens einmal mit den Fingernägeln erwischt haben musste. Seine Maske war unter die Nase gerutscht und für einen winzigen Augenblick konnte Sakura an nichts anderes denken, als daran, dass sie möglicherweise gleich sein unbedecktes Gesicht zu sehen bekäme. „Lass mich los“, schrie die dunkelhaarige Jōnin schrill. „Ich will zu ihm. Lass mich zu ihm.“ Sie bockte wie ein scheuendes Pferd. Kakashi hatte sichtlich Mühe, sie festzuhalten. „Sei doch vernünftig, Kurenai“, beschwor er sie. „Du kannst da nicht rein.“ „Ich will zu ihm“, kreischte diese jedoch nur und schien sich, ungeachtet ihres Zustandes, rücksichtslos in die lichterloh brennenden Trümmer stürzen zu wollen. „Du kannst ihm nicht helfen. Wenn du da reinrennst, erreichst du nichts, außer dass du dich und das Baby umbringst.“ Gai, der das Spektakel wie paralysiert beobachtet hatte, schüttelte die Starre ab und übernahm die sich windende Frau. Er redete leise auf sie ein und was auch immer er sagte, es sorgte dafür, dass sie sich etwas zu beruhigen schien. Womöglich war Kurenai auch nur am Ende ihrer Kräfte oder begann, sich der unvermeidlichen Resignation zu fügen. Kakashi indes ging zielstrebig auf Sakura zu, während er seine Maske richtete. Sie sah ihm mit geweiteten Augen entgegen, unsicher, was von ihr erwartet wurde, doch dass ihr ehemaliger Sensei hier war, vermittelte ihr ein gewisses Sicherheitsgefühl. „Gut, dass Gai ausgerechnet dich gefunden hat“, sagte er und der Hauch eines Lächelns zerknitterte seine Augenwinkel, hielt sich jedoch weniger als eine Sekunde, ehe sein Blick die gleiche Stumpfheit annahm, die sie bereits zuvor an Gai bemerkt hatte. „Asuma ist tot. Kurenai geht es deswegen nicht so gut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)