Broken Birdie von MyHeartInTheAttic ================================================================================ Kapitel 10: Schneeflocken im Kopf --------------------------------- „Gefällt dir, was du siehst?“, fragte Ino mit einem provozierenden Grinsen und klimperte süßlich mit den Wimpern, wodurch Sakura aus ihren Gedanken gerissen wurde und feststellte, dass sie der Blonden geistesabwesend in den Ausschnitt gestarrt hatte. Die beiden Mädchen saßen auf dem Fußboden in Sakuras Zimmer, Sakura im Schneidersitz, Ino kniete über ihr und zupfte die Augenbrauen ihrer Freundin seit mehr als einer Dreiviertelstunde in Form. Allmählich fragte sie sich, ob sie überhaupt noch Augenbrauen besitzen würde, wenn Ino mit ihr fertig war. Auf ihrem Bett häuften sich Inos Schmink- und Frisiersachen, Kleidung und Schmuck. Als die Yamanaka angekommen war, hatte Mebuki nervös lachend gefragt, ob sie einzuziehen gedachte. „Bist du fertig?“, wollte Sakura teilnahmslos wissen. Sie war müde, weil sie sich die halbe Nacht schlaflos von einer Seite des Bettes auf die andere gewälzt hatte, bis sie schlussendlich in unruhige Träume gefallen war, fühlte sich emotional ausgelaugt. Ihre Trauer war ebenso unmöglich zu kaschieren wie ihre Augenringe, ihre geröteten Skleren und die Knitterfältchen auf ihrem Gesicht. Ino schob die Unterlippe schmollend vor, reichte ihr jedoch einen kleinen Handspiegel, damit sie das Ergebnis begutachten konnte. Sakura konnte absolut keinen Unterschied zu vorher ausmachen. „Zufrieden?“ „Sieht toll aus“, log die Ältere und zwang ihre tonnenschweren Mundwinkel in ein Lächeln, ehe sie mühsam ächzend aufstand, um ihren Kimono¹ zu holen, der bereits auf einem speziellen Kleiderbügel an ihrem Schrank bereithing. Inos wissendes Grinsen hatte sie darin bestätigt, dass ihre Botschaft – es handelte sich um ein dunkelblaues Stück, mit roten und weißen Chrysanthemen-Verzierungen – offenbar deutlich ankam, doch nun erschien ihr bloßstellend, sich demonstrativ in die Clanfarben der Uchiha zu kleiden. Sie hatte Solidarität beweisen wollen und würde sich jetzt nur bis auf die Knochen blamieren, ihr albernes Mädchenherz für jeden gut sichtbar nach außen gekehrt. Ino seufzte auf eine Weise, die zu alt für eine junge Frau klang, und zupfte ihr Oberteil zurecht. Sie trug eine eigenwillige Kombination aus violett-geringelten Wollsocken, einer weiten, himmelblauen Jogginghose, einem langärmligen, blassrosa XXL-Shirt, das ihr bei jeder Bewegung von den schmalen Schultern zu rutschen drohte, und einem schlampig gebundenen Zopf. „Du hast mir die ersten tausend Mal, die ich gefragt habe, zwar auch nicht gesagt, was los ist, aber: was ist los?“ „Was soll schon sein?“, konterte Sakura matt, indes sie den Kimono unzeremoniell vom Bügel riss. Sie wollte das nicht anziehen. Sie wollte überhaupt nicht zum Gründerfest gehen, sondern sich stattdessen in ihrem Bett verkriechen, eingewickelt in Sasukes Jacke, die seit Narutos Geburtstag jede Nacht unter ihrem Kopfkissen versteckt auf sie wartete und, obzwar der Stoff unterdessen nur noch eine schwache Erinnerung an seinen Duft barg, ihr das tröstliche Gefühl vermittelte, in seinen Armen zu liegen. Inos strenger Blick traf sie bis ins Mark. „Verarschen kann ich mich selbst, aber wenn du’s mir nicht erzählen magst…“ Sie zuckt die Achseln, als wäre das Thema damit erledigt, obwohl sie es beide besser wussten, dann blitzte etwas in ihren hellblauen Augen auf, das Sakura weder eindeutig als Jux noch Abenteuerlust identifizieren konnte. „Oder ich frage Sasuke, vielleicht ist er gesprächiger. Was meinst du, ob mein Jutsu gegen das Sharingan ankommt? Das wollte ich schon immer herausfinden.“ „Das wagst du nicht“, fiepte Sakura panisch und sank auf den Boden, weil sich ihr Körper plötzlich zu schwer für ihre Beine anfühlte. „Das wagst du nicht“, wiederholte sie flüsternd. Ihre Sicht verschwamm und sie drückte das Gesicht in den Kimono. Über ihr verzweifeltes Schluchzen hinweg hörte sie, wie Ino auf sie zuging, spürte ihre Hand, die ihr tröstend über den Rücken streichelte. „Was, um alles in der Welt, hat er zu dir gesagt, das dich so fertigmacht?“ Ihre Stimme triefte vor Mitgefühl, das wie Honig durch die Ritzen von Sakuras Schutzschichten eindrang und das ramponierte Innere ihrer Seele berührte. „Es geht nicht darum, was er gesagt hat“, weinte sie, indes Ino ihr sanft den Kimono aus dem verkrampften Griff ihrer Finger entwand. Sie schämte sich, dass sie ihre Emotionen noch immer nicht unter Kontrolle hatte. Früher hatte Kakashi sie dafür getadelt, ihr gesagt, dass ein Shinobi sich niemals und unter keinen Umständen von seinen Gefühlen beherrschen lassen durfte, später, nachdem er sich damit abgefunden hatte, dass sie schwach war, hatte er behauptet, ihre Empfindsamkeit sei ihre größte Stärke. Sie hatte es damals gern als Kompliment verstanden, weil es bedeutet hatte, dass sie sich nicht verändern musste, dass ihre Schwachheit nicht ihre Schuld, sondern den weniger glücklichen Umständen ihrer Abstammung geschuldet war. Das hatte sie freilich nicht stärker gemacht, aber sie hatte besser mit ihrer Schwäche leben können, schließlich konnte sich niemand aussuchen, mit welchen genetischen Vorzügen man geboren oder eben nicht geboren wurde. „Dann hat er was… gemacht?“, fragte die Blonde eindringlich und doch zugleich einfühlsam. Allein die Absurdität des implizierten Vorwurfs ließ Sakura aufsehen. Inos Mund war zu einer harten, schmalen Linie verknittert, entspannte sich auch nicht, als Sakura steif den Kopf schüttelte. Sie schluckte und schniefte mehrmals, bis sie das Gefühl hatte, ihrer Stimme wieder einigermaßen vertrauen zu können. „Ich hatte das Vergnügen, seine Freundin Schrägstrich Verlobte kennenzulernen.“ „Sasuke soll eine Freundin haben?“, sagte Ino langsam und runzelte angestrengt die Stirn. Es war offensichtlich, dass sie ihre Erinnerungen nach entsprechendem Klatsch durchforstete, der eine derartige Behauptung unterstützte. „Das glaube ich nicht.“ „Es spielt keine Rolle, was du glaubst. Ich habe sie gesehen“, beharrte sie und berichtete Ino, was sich abgespielt hatte. „Hmm“, brummte diese schließlich, ließ sich nach hinten fallen und fing sich mühelos mit einer Hand ab, mit der anderen untersuchte sie ihre Haarspitzen auf Spliss. „Sie hat ihn umarmt, na und? Nach diesen Maßstäben gehen wir auch als Pärchen durch.“ Sakura sah ein, dass die reine Nacherzählung der Ereignisse nicht sonderlich viel Überzeugungskraft besaß, allerdings war Ino nicht dabei gewesen, hatte die Spannung zwischen den beiden nicht aus erster Hand wahrgenommen. Zwischen ihnen war etwas gewesen, etwas Vertrautes, dieses gewisse je ne sais quoi. „Ich kam mir fast vor wie auf einem Date“, wisperte sie tonlos und wischte sich den Augenwinkel. „Ich bin so dumm. Vielleicht sollte ich Lady Tsunade bitten, mich von dieser Mission abzuziehen.“ „Darum geht es dir also, du willst aufgeben und dir insgeheim den Segen von jemandem abholen, dass du das Richtige tust“, schnarrte die Blonde und warf ihren glänzenden Zopf über die Schulter zurück. „Typisch für dich.“ Sakura blinzelte verstört, gekränkt von der Barschheit, mit der Ino auf ihrem gebrochenen Herzen rumtrampelte. „Ich komme doch sowieso nicht weiter bei ihm“, rechtfertigte sie sich lahm, während sie an einem gesplitterten Fingernagel rumknibbelte. „Das sehe ich anders“, widersprach Ino heftig. „Wenn deine kleine Geschichte etwas beweist, dann doch, wie weit du schon gekommen bist. Mir würde Sasuke in meinen kühnsten Träumen keinen Tee spendieren. Weißt du, was ich glaube?“ Sie beugte sich vor, bis ihre Nasenspitze nur Zentimeter von Sakuras entfernt war. Ihr Atem roch zuckrig, nach künstlichen Erdbeeren. „Du hast auf dein Märchenende spekuliert, hast dir vorgestellt, dass du Sasukes innere Dämonen allein mit der Kraft deiner Liebe besiegst und er dadurch endlich erkennt, dass du die Eine für ihn bist, aber jetzt, wo du dein Happy End bedroht siehst, wirfst du lieber das Handtuch. Das ist ein Muster; du hast schon immer aufgegeben, sobald es ein bisschen schwierig wird, als wäre das besser, als es zu versuchen und zu scheitern. Und ich frage mich, wieso das so ist. Als du dein Training bei Lady Tsunade begonnen hast und an deine Grenzen gestoßen bist, hast du dich doch auch verbissen durchgekämpft. Vielleicht ist dieses Mädchen Sasukes Freundin, vielleicht auch nicht, aber der springende Punkt ist, dass das Einzige, was sich geändert hat, das ist, wovon du gehofft hast, dass es am Ende für dich dabei rausspringt.“ Inos Wangen glühten fiebrig und sie pustete sich erregt eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du bekommst kein Mitleid mehr von mir. Das einzige Angebot, das ich dir mache, ist, dass wir unsere Kimono tauschen.“ Der Mund der Rosahaarigen klappte stumm auf und zu. Sie wollte widersprechen, aber die Heftigkeit von Inos Ausbruch verschlug ihr förmlich die Sprache. Und steckte nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in ihren Worten? Freilich hatte sie insgeheim darauf gehofft, dass die Zusammenarbeit mit Sasuke sie einander näherbrachte, das war nur natürlich, schließlich hoffte jeder immer, egal wie aussichtlos der Wunsch war. Sie hatte ihm ihre Freundschaft angeboten und letztlich war es ihr Problem, dass sie mehr als Freundschaft von ihm wollte, denn es wäre feige, sich nun aus egoistischen Gründen zurückzuziehen. Er brauchte sie als Freundin und das Dorf brauchte sie als Spionin. Sakura zuckte zusammen, als ihr Nagel einriss und eine einzelne Blutperle aus der kleinen Wund quoll. Sie steckte den Finger in den Mund, erhob sich dann wortlos, noch immer mit einem seltsamen Druck in der Kehle, der ihre Stimmbänder lahmlegte, und schüttelte ihren Kimono aus. „Violett steht mir nicht“, sagte sie nur und breitete das Kleidungsstück auf ihrem Bett aus. Ino sah eigentümlich zufrieden mit sich aus, wie eine Katze, die von der Butter genascht hatte und sich die letzten Beweisrückstände unschuldig aussehend vom Näschen leckte. Sakura versteckte ihre griesgrämige Miene, indem sie ihren Pullover über den Kopf zog und diesen anschließend achtlos auf den Boden fallen ließ, gefolgt von ihren restlichen Kleidungsstücken. Hinter sich hörte sie, wie Ino sich gleichfalls ihrer Klamotten entledigte. Sie stieg in saubere Unterwäsche und legte den Juban² an, während die Blonde kurz aus dem Zimmer verschwand und mit einem nassen, eiskalten Handtuch zurückkehrte, das sie ihr ins Gesicht klatschte, damit sie – laut Ino – nicht mehr so verheult und zugeschwollen aussehen würde. Die beiden Mädchen halfen sich gegenseitig dabei, ihre Kimono anzulegen, dann frisierte und schminkte Ino erst sie und danach sich selbst, sodass es bereits dunkel geworden war, als sie Sakuras Elternhaus beieinander eingehakt verließen. Das Dorf sah geradezu magisch aus. Die Straßen waren mit bunten Girlanden und Papierlampions geschmückt, die die verschneite Umgebung mit warmem, orangenem Licht überzogen. Es schneite noch immer, aber nicht so stark, dass es unangenehm wäre, sich draußen aufzuhalten. Die Schneeflocken glitten im Lampionlicht wie Blütenblätter gen Boden und köstliche Essensdüfte schwebte ihnen von allen Seiten entgegen. Sie waren umgeben von festlich gekleideten Menschen und Gelächter. Sakuras Laune hob sich unweigerlich, während sie die Eindrücke begierig in sich aufsaugte, um damit ihre Gedanken zu überschwemmen, wenigstens temporär, denn als sie das Verwaltungsgebäude erreichten, vor dem eine Holzbühne errichtet worden war, entdeckte sie Sasuke so zielsicher wie Tenten das Schwarze einer Zielscheibe mit einem Kunai traf. „Geht’s?“, fragte Ino und streichelte ihr sanft über den Rücken. „Hmm, ja“, entgegnete Sakura mit staubtrockenem Mund. „Männer in Uniform, sehen immer irgendwie gut aus, was?“ Ino ging freundlicherweise nicht auf ihr kopfloses Geplapper ein, lächelte nur rücksichtsvoll. „Ich hole uns mal was zu trinken, okay?“ Sie wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern verschwand in der Menschenmenge und begab sich mit schwachen Beinen zu einem der Stände. Ihr Herz pumpte schnell, ihr wurde schwindelig und sie musste sich an einer der aufgebauten Festbuden abstützen, als sie plötzlich einen resoluten Griff um die Taille spürte. „Wenn du betrunken bist, setzt’s was.“ Sakura sah auf und blickte direkt in Shizunes strenge Augen. „Ich habe keine Lust, dich auch noch zu babysitten.“ „Auch noch?“ Die Dunkelhaarige nickte vage in Richtung eines Standes, an dem Sake ausgeschenkt wurde. Tsunade umklammerte gleich eine ganze Flasche mit der Hand und befummelte mit alkoholgeröteten Wangen die Muskeln des Raikage, der es schaffte, gleichzeitig geschmeichelt und zutiefst irritiert auszusehen. Gaaras dunkel umrandete Augen huschten mitleiderregend orientierungslos durch die Gegend, auf der Suche nach einem Punkt, auf den er sich stattdessen konzentrieren konnte, indes Kankurō wenig erfolgreich sein Gelächter zu unterdrücken versuchte. „Oh je.“ „Da sagst du was“, seufzte sie und kämmte sich erschöpft durchs Haar. „Vorhin wollte sie alle in eine Pachinko-Halle schleppen. Ich konnte sie geradeso davon überzeugen, dass es sich nicht schickt, die Feierlichkeiten zu Ehren ihres Großvaters zu schwänzen. Außerdem ist es doch garantiert illegal, einen Fünfzehnjährigen mit in eine Spielhölle zu nehmen, selbst wenn es sich dabei um den Kazekage handelt.“ „Wahrscheinlich“, bestätigte Sakura ahnungslos. Shizune schloss für einen Moment die Augen und atmete meditativ durch die Nase ein, immerhin hatte sie Tsunade nicht zum ersten Mal zu händeln. „Wie läuft es mit Sasuke Uchiha?“, fragte sie unvermittelt. „Was? Häh? D-da läuft nichts zwischen uns“, stammelte sie überrumpelt, was die Dunkelhaarige perplex die Stirn krausen ließ. „Das wollte ich gar nicht wissen, ich möchte… Hey“, brüllte sie plötzlich alarmiert und stürmte im Stechschritt auf die blonde Hokage zu, die vehement darauf bestand, dass Gaara ein Schlückchen Sake probierte, indem sie ihm den Flaschenhals zwischen die Lippen zu schieben versuchte. Zwischen den beiden Frauen entstand eine kleine Rangelei, die damit endete, dass der Inhalt der Flasche im Gesicht des Raikage landete. Kankurō brach lachend im Schnee zusammen. Sakura verdünnisierte sich, ehe sie mit reingezogen werden konnte, Shizunes nachgerufene Anweisung, dass sie sich die kommenden Tage in Tsunades Büro einfinden solle, geflissentlich überhörend. Sie schob sich bedächtig durch die Menschenansammlung, winkte hier und da einem bekannten Gesicht zu. Sensei Kakashi – der freilich keinen Kimono trug – kicherte wie ein Schulmädchen über etwas, was Sensei Gai – der einen dunkelgrünen Haori über seinem ebenso grünen Kampfanzug trug – zu ihm gesagt hatte. Die beiden waren sichtlich betrunken. Sakura kniff die Lippen missbilligend zusammen, erinnerte sich an das Gespräch, das sie am Tag nach Narutos Geburtstag geführt hatten, wie sie sich umtanzt hatten, um dem jeweils anderen nicht versehentlich vertrauliche Informationen zu offenbaren. Konnte es wahrhaftig sein, dass der Jōnin nicht um die akute Bedrohung wusste, dass er sich so gehen ließ, oder handelte es sich um eine Farce, damit man in ihm keine Gefahr sah? Nachdenklich reihte sich in die Warteschlange vor dem Stand ein, verlangte zwei Jasminblütentee bei dem gestressten Verkäufer und kramte einige Ryō aus ihrem Kinchaku³. Geld sowie Ware wechselten die Besitzer, doch als sie sich zum Gehen wandte, wurde sie von einem jungen Mann angerempelt, der einen unbedachten Ausfallschritt nach hinten getätigt hatte. Der heiße Tee ergoss sich über ihre Hände und die Vorderseite ihres Kimonos. Sie fluchte leise und begann unverzüglich damit, ihre Verbrühungen zu heilen, ihre Kleidung war leider nicht so leicht zu retten. „Das tut mir leid, schrecklich leid“, entschuldigte sich der Mann aufgelöst, nachdem er bemerke, was er angerichtet hatte, und verneigte sich so tief vor ihr, dass ihm beinahe die Brille von der Nase rutschte. Dann griff er nach einem Stapel Papierservietten und rubbelte über die Teeflecken, womit der den Schaden nicht nur vergrößerte, sondern sie auch ziemlich unsittlich berührte. Sakura schlug seine Hände gereizt von sich. „Das mache ich besser selbst“, knurrte sie und nahm ihm die Servietten ab, um behutsam über den Stoff zu tupfen. Der Mann lief dunkelrot an, entschuldigte sich noch ein paar Mal unter tiefen Verbeugungen, bis ihm die Brille schief auf der Nase hing, und bestand schließlich darauf, ihr wenigstens neue Getränke bezahlen zu dürfen. Sie nahm an, da es ihr einerseits nur recht und billig vorkam und sie andererseits das Gefühl hatte, dass er ansonsten keine Ruhe geben würde. Während sie wartete, fiel ihr Blick schlagartig auf Deidara und Sasori, die offensichtlich hitzig miteinander stritten. Deidara fuchtelte wild mit den Händen herum, um seine Worte mit Gesten zu untermauern, schlug diese Entgegenkommenden um die Ohren, was er entweder nicht bemerkte oder ihn nicht interessierte. Sasori schien weniger erregt, seine Mimik zeigte dieselbe Ausdruckslosigkeit, die sich auch sonst darauf spiegelte, doch seine frostigen graubraunen Augen waren unmerklich verengt. Sakura leckte sich unbewusst über die kalten Lippen. Sie wollte zu gern wissen, worum es bei dem Streit ging, schließlich waren sie mit Hidan befreundet und wenn jemand bewiesen hatte, dass er Vergnügen aus Gewalt und Brutalität zog, dann ja wohl der grauhaarige Yu-Nin. Bedauerlicherweise war es zu laut, um die beiden unauffällig zu belauschen, sie würde sich ihnen auf eine gefährliche Distanz näher müssen. Bei den Massen, die die Straßen verstopften, würde sie ihnen hoffentlich nicht auffallen. „Bitteschön“, sagte der Brillenträger und reichte ihr zwei Tonbecher. „Und Entschuldigung noch mal.“ „Schon okay“, entgegnete sie automatisch, ohne den Blick von den beiden Shinobi zu lösen, nahm die Getränke und anschließend die Verfolgung auf. Ihr überambitioniertes Vorhaben scheiterte bereits nach einigen wenigen Schritten, als der Rothaarige ihr kurz, aber verächtlich in die Augen sah, um ihr zu vermitteln, dass sie nicht unbemerkt geblieben war. Sie seufzte tonlos. Vorerst blieb ihr nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge zu Ino zurückzukehren. „Wo warst du die ganze Zeit?“, rief die Blondine ihr ungeduldig entgegen, die Lautstärke des Festes riss ihr die Worte von den Lippen. Inzwischen hatten sich die übrigen sechs Shinobi, die gemeinsam mit ihnen die Akademie abgeschlossen hatten, zu ihr gesellt, außerdem Tenten, Neji und Lee, die während der vergangenen drei Jahre in ihre kleine Gruppe assimiliert waren, sowie Temari, welche alles andere als erfreut aussah, in der Runde gelandet zu sein. Die hübsche Suna-Nin warf Shikamaru giftige Seitenblicke zu, was in Sakura den Verdacht erregte, dass sie aus irgendwelchen Gründen gemeinsam zum Fest gekommen waren. Das Grüppchen machte ihr Platz in dem Kreis, den sie um Akamaru gebildet hatten, um ihn vor den Füßen der Besucher zu schützen. Der große Hund vertilgte schwanzwedelnd massenweise Schnee und gab dabei zufriedene Brummlaute von sich. Auf der Bühne baute das Orchester seine Instrumente auf, eine Frau mit Geisha-Make-up stimmte mit geübten Fingern eine Koto⁴. Sakuras Aufmerksamkeit schweifte unweigerlich zu der Stelle, wo Sasuke gestanden hatte, doch er war fort und wahrscheinlich war das besser so, denn dadurch konnten sie ihn nicht vorführen, indem sie alle beisammenstanden, als würde er nicht dazugehören. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es einen riesigen Unterschied machte, ob man nicht dazugehören wollte oder ausgeschlossen wurde. Ihr Blick glitt über die Gesichter der Menschen und kreuzte letztlich Hinatas, die sie schon seit geraumer Zeit zu beobachten schien. Sie rang sich ein Lächeln ab. „Du siehst sehr hübsch aus, Sakura-san“, bemerkte Hinata, deren langes Haar kunstvoll aufgesteckt war, mit ihrer leisen, sanften Stimme. Die Angesprochene konnte sie über den allgegenwärtigen Lärm kaum verstehen. Falls Hinata etwas in die Farbwahl ihrer Kleidung hineininterpretierte, ließ sie sich nichts anmerken. „Danke, du aber auch.“ Tatsächlich sah die Hyūga-Erbin atemberaubend in ihrem orangenen, mit filigranen Goldstickereien verzierten Kimono aus, aber nicht so glücklich, wie Sakura es sich für sie gewünscht hätte, was fraglos an Narutos Ignoranz für ihre Person lag. Sie musterte den Blondschopf von oben bis unten, der seine obligatorische Trainingskleidung trug, von der Sakura hoffte, dass er sie wenigstens frisch gewaschen hatte, und schnalzte missbilligend mit der Zunge. Er legte zwar weder gesteigerten Wert auf sein Aussehen noch darauf, was andere über ihn sagten oder dachten, doch für Hinata, die sich sichtlich Mühe für ihn gegeben hatte, musste es sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen. „Was ist mit deinem Kimono passiert?“, fragte Shino, der neben ihr stand. Sie zuckte leidlich erschrocken zusammen, da sie seine Anwesenheit schon wieder vergessen hatte. Überhaupt entfiel ihr gelegentlich, dass er existierte, obgleich sie ihn seit mehr als einem Jahrzehnt kannte, wusste sie de facto nichts über ihn – außer dass er sich seinen Körper mit irgendwelchen Krabbelviechern teilte und ausgerechnet das würde sie liebend gern vergessen. Der Aburame schien sich immer ein bisschen unwohl unter Menschen zu fühlen, auch jetzt versteckte er sein Gesicht hinter einer getönten Sonnenbrille und einem überdimensionalen Schal, seinen Körper in zu großer Kleidung und seine Hände tief in den Taschen seiner Jacke. „Ach, jemand hat Tee über mich gekippt“, wiegelte sie wortkarg ab. Die Wärme des Getränkes war unterdessen verflogen und der feuchte Stoff bot der frostigen Luft die perfekte Angriffsfläche, um sie auszukühlen. „Ist dir kalt?“, fragte Naruto besorgt. „Nein, geht schon.“ Sakura versuchte noch, ihn abzuwehren, was sich mit zwei Teebechern in den Händen überaus schwierig gestaltete, doch da hatte er seinen roten Schal bereits ab- und ihr umgewickelt. Sie konnte Hinata nicht mehr als einen entschuldigenden Blick zuwerfen. Die blassen Augen des Mädchens glänzten verdächtig. Tenten betrachtete die Rosahaarige mit hochgezogenen Brauen und einem mokanten Halblächeln, hielt, allen Kami sei Dank, aber die Klappe. Sakura begegnete den braunen Augen mit gerecktem Kinn. Sie würde die Situation nicht mit kopflosen Rechtfertigungen verschlimmern. „Also, mir ist arschkalt“, moserte Temari barsch und umschlang Shikamarus Finger eisern mit ihren. „Ich will tanzen. Kommt noch jemand mit?“ Passenderweise beendete das Orchester just in diesem Moment seine Vorbereitungen und stimmte das erste Lied an. Die blonde Suna-Nin schleifte Shikamaru gebieterisch mit sich, der ihr meckernd, aber nicht gänzlich unwillig folgte, und warf Sakura im Vorbeigehen einen undeutbaren Blick zu. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass die Blonde ihr auf ihre ruppige Art zu helfen versuchte, schenkte ihr deswegen ein vorsichtiges Lächeln, das jedoch unerwidert blieb. Wie auf Kommando löste sich das Grüppchen auf. Lee – der das gleiche Outfit wie Sensei Gai trug – stürmte ihnen nach und begann unverzüglich, hyperaktiv aussehende Verrenkungen zu machen, bei denen unklar blieb, ob er tanzte, trainierte oder möglichenfalls beides miteinander kombinierte. Kiba trieb Hinata und Naruto vor sich her auf die Tanzfläche. Hinata blieb gerade mal genügend Zeit, den Zurückbleibenden zuzuwinken, ehe Kiba sie förmlich in Narutos Arme schubste. Shino folgte ihnen wortlos, blieb mit Akamaru, der seinem Herrchen herzerweichend nachwinselte, allerdings am Rand des Geschehens stehen und streichelte dem großen Hund liebevoll über den Kopf. Chōji stürmte den nächsten Imbiss-Stand und Tenten und Neji nutzten die Gelegenheit, um sich diskret abzusondern. Sakura sah Tentens auffälliges, dunkelrotes Cheongsam⁵ noch in der Menge verschwinden, Neji, in seinem weißen Kimono, verschmolz bereits perfekt mit der Umgebung. „Nur Freunde, soso“, sagte Ino vorwurfslos, während sie den Becher von Sakura entgegennahm, diesen jedoch nur mit beiden Händen umklammert hielt und als Requisite nutzte, um ihre Freundin darüber hinweg wissend zu fixieren. Sakura verdrehte die Augen, beließ es jedoch dabei. Es hatte keinen Sinn, das Gegenteil zu behaupten; je stärker sie darauf pochte, dass Naruto und sie nur Freunde waren, desto weniger schien ihr Umfeld ihr zu glauben. Ino hielt ihr ein paar Herzschläge lang mit einem schiefen Grinsen stand, bevor sie die Schultern ein Stückchen anhob und ihre Schulmeister-Miene aufsetzte. „Irgendwann musst du dich entscheiden.“ „Da gibt es nichts zu entscheiden, seit unserem letzten Gespräch hat sich diesbezüglich nichts geändert“, erwiderte sie ungeduldig. „Ich bin nicht plötzlich aufgewacht und habe festgestellt, dass ich in Naruto verliebt bin.“ Ihre leuchtend grünen Augen waren unwillkürlich zu dem Blonden gehuscht, der gemeinsam mit Kiba und Hinata ein schräges Dreiertanzgespann gebildet hatte. Hinata schaute drein, als hätte sie die Zeit ihres Lebens und würde gleichzeitig vor Scham im Boden versinken wollen. Sakura ignorierte das sengende Gefühl, das ihre Wirbelsäule emporkroch. Inos tiefes Seufzen ließ sie sich von Narutos Anblick losreißen. „Ich weiß, dass wir alle gern unsere kleinen Witze über euch beide machen und dass es angenehmer für dich ist, dich der Sache nicht zu stellen, aber…“ Sie zögerte unmerklich, in ihren hübschen hellblauen Augen flackerte etwas auf. „Naruto liebt dich, das musst du doch einsehen, wenn du mal eine Minute rational darüber reflektierst.“ Die Rosahaarige rieb gegen die Wärme, die sich in ihren Nacken ausbreitete, mit eiskalten Fingern an. „So ein Unsinn, er liebt mich doch nicht. Er schwärmt maximal ein bisschen für mich, weil das zu seiner komischen Rivalität mit Sasuke gehört.“ „Das war vielleicht mal so“, sagte Ino in einem Ton, der signalisierte, dass sie Sakura entweder für ignorant oder dumm hielt. „Jetzt will er das volle Programm: Händchen halten, Küssen, Babys machen.“ Sakura hob die Hand in einer defensiven Stopp-Geste, damit Ino aufhörte, und verzog das Gesicht, als sich ihr unweigerlich die unerwünschten Bilder aufdrängten. „Es ist nicht besonders nett von dir, wie du mit Naruto umgehst. Du machst ihm zwar nicht direkt Hoffnungen, aber du hältst ihn dir spürbar als Option offen. Wenn das mit Sasuke nicht klappt – und wenn wir ehrlich sind, standen die Aussichten nie unter einem positiven Stern –, musst du nicht den erstbesten Kerl nehmen, der dich will.“ „Wäre das nicht Lee?“, scherzte sie lahm. „Pah! Lee steht insgeheim auf Neji und kompensiert nur über.“ Sakura kicherte hinter vorgehaltener Hand, doch Inos Ausdruck blieb unbewegt und ernst, sodass sie raten musste, ob die Blonde Spaß machte oder ihre Worte tatsächlich meinte. „Solange er glaubt, den Hauch einer Chance bei dir zu haben, wird er sich nicht anderweitig umsehen; so einer ist Naruto nicht.“ Die Rosahaarige knabberte verunsichert am Daumennagel. Sie hielt sich Naruto nicht offen, das war eine infame Unterstellung – sie hatte nicht mal den Fuß in der angelehnten Tür behalten, sondern diese schon vor Jahren fest und mit einem lauten Knall geschlossen und abgesperrt. Naruto und sie waren Freunde, gute Freunde, beste Freunde und es war normal, dass platonischen Freundschaften zwischen Männern und Frauen stets eine amouröse Neigung unterstellt wurde. Gleichzeit waren sie älter geworden, bestimmten Gesten wie einem langen Blick oder einer herzlichen Umarmung haftete plötzlich etwas unterschwellig Verfängliches an. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass sie dann und wann Gedanken hegte, die sich ihren Unterleib auf angenehme und aufregende Weise zusammenziehen ließen, und wo ihre romantischen Fantasien ursprünglich erfüllt waren, wie sie sich mit Sasuke unterhielt oder seine Hand hielt, stellte sie sich nun vor, ihn zu küssen, ihn zu berühren. Dann kam ihr ein anderer Gedanke, der dafür sorgte, dass sie versehentlich in ihren ohnehin lädierten Daumen biss und die kleine Wunde erneut aufriss. „Bist du…? In Naruto?“ „Hast du ‘ne Macke?!“, keifte Ino prompt drauf los. Eine fleckige Röte kroch ihren Hals hoch und breitete sich systematisch bis unter ihren Haaransatz aus. Also nicht; irgendwie erleichterte sie das. Sakura strich eine Strähne ihres chrysanthemengeschmückten Haares hinters Ohr, als Ino sich jäh versteifte und Sakura am Arm zu sich heranzog. Deidara stand in gut drei Metern Entfernung zu den beiden Mädchen. Er sah aus, als wisse er selbst nicht recht, was er hier bei ihnen wollte, sein Teint hatte unter der Rötung einen ungesunden gräulichen Farbton angenommen. „Ähm, hi, hm“, sagte er, seine blauen Augen huschten unstet zwischen Ino und Sakura umher. „Hi?“, erwiderte Ino fragend und tauschte einen kurzen Blick mit Sakura, die nur ahnungslos die Achseln zucken konnte. „K-k-kann i-i-ich m-mi-mit dir re-reden, hm? A-allein, hm?“, stotterte er, sichtlich peinlich berührt, was die Röte auf seinem Gesicht vertiefte. Sein Adamspafel hüpfte nervös, als er hart schluckte. „Was willst du denn von mir?“, fragte Ino und machte einen halben Schritt auf ihn zu. Sakura, die das für eine phänomenal beschissene Idee hielt, hielt sie zurück. Deidara schluckte mehrmals kurz hintereinander. Sakura hatte das bereits ein paar Mal bei Menschen erlebt, die sich jede Sekunde übergeben mussten, und wenn sie sich den Blonden genauer betrachtete, erweckte er tatsächlich den Eindruck, krank zu sein. Allerdings hatte sie nicht vergessen, was Shikamaru ihr über ihn gesagt hatte, ebenso wenig, dass er billigend in Kauf genommen hätte, ein ganzes Viertel zu zerstören und in dem Zuge unschuldige Zivilisten zu töten, daher hielt sich ihr Mitleid für ihn in Grenzen. „W-w-wi-willst d-du…, hm“ Er kniff die Augen zusammen, als würde das Gestotter dadurch einfach verschwinden, sein Kiefer spannte sich an, als er die Zähne zusammenbiss. Seine Handmünder klackerten aufgeregt mit den kleinen Zähnchen und leckten über seine Handflächen, Speichel tropfte ihnen über die Lippen und rann über seine Finger. Er wischte die Hände an seiner dunklen Hose ab. Es tat Ino sichtlich weh, ihm dabei zuzusehen, wie er sich abmühte, ihre Miene nahm weichere Züge an. Keine der beiden drängte ihn zum Weitersprechen oder machte aufs Geratewohl Vorschläge, was er vielleicht zu sagen versuchte. Von seinem sonst so überzogenen Selbstbewusstsein schien jedenfalls nicht viel übriggeblieben zu sein. „T-tanzen, hm? Mit m-mir, hm?“, brachte er holprig heraus und starrte anschließend wie ein unartiger Junge auf seine Schuhspitzen. „Ob ich mit dir tanzen will?“, wiederholte sie ungläubig und warf Sakura einen Blick zu, als wollte sie Bestätigung, sich nicht verhört zu haben. „Hm…“ „Ich weiß nicht“, wiegelte sie unentschlossen ab und umarmte sich selbst. Sakura bemerkte, dass sie zögerte, aber offensichtlich nicht gänzlich abgeneigt war. Objektiv betrachtet war Deidara freilich attraktiv, jedoch fand sie nicht, dass man ihm vertrauen konnte oder sollte. Andererseits schien er nicht nur eine perfide Show abzuziehen und möglichenfalls gelang es Ino sogar, ein paar nützliche Informationen aus ihm herauszubekommen. Sie zog Ino ein paar Schritte zurück und drehte sich und sie so, dass sie mit dem Rücken zu ihm standen, damit er nicht von ihren Lippen lesen konnte. „Du solltest es machen“, wisperte sie widerstrebend. „Horch ihn ein bisschen aus.“ „Aushorchen? Worüber denn?“, raunte die Blonde verwirrt zurück. „Wie er zum Frieden zwischen den Nationen steht, solche Dinge.“ Ino presste die Lippen aufeinander, weswegen Sakura noch ein eindringliches Bitte nachschob. „Klärst du mich noch auf oder ist das wieder so eine Sache, die du mir nicht sagen kannst?“, zischte sie verärgert. „Ich kann es dir nicht erklären, vor allem nicht jetzt.“ Sakura schaute sie stattdessen mit einem bettelnden Blick an und versuchte, ihr die inoffizielle Mission mit den Augen zu verkaufen. Ino knurrte wütend, doch als sie sich umdrehte, zierte ein süßes Grinsen ihren hübsch geschwungenen Mund. „Nach eingehender Beratschlagung haben wir beschlossen, dass das in Ordnung geht.“ Sie drückte Sakura ihren Teebecher in die Hand und griff nach Deidaras, hielt im letzten Augenblick jedoch inne. „Die beißen doch nicht, oder?“ „Meistens nicht“, sagte er und lächelte sie vorsichtig an, was ihn viel jünger und so unschuldig wie ein Lämmchen aussehen ließ, dann wischte er sich die Handfläche abermals an der Hose trocken und streckte diese Ino unsicher entgegen. Sakura konnte nicht umhin, zu bewundern, wie furchtlos sie seine Hand nahm; sie selbst wäre vor Ekel vermutlich gestorben. „Das musst du mir aber erklären. Ich bin Iryōnin und…“ Den Rest verstand Sakura nicht mehr, da sich die beiden bereits zu weit entfernt hatten. Ihr war nicht wohl dabei, ihre beste Freundin dieser Gefahr auszusetzen – sollte Deidara herausfinden, dass sie ihn betrogen, würde er das vermutlich nicht gut aufnehmen. Sie musste auf Inos Raffinesse vertrauen, schließlich wusste sie, dass die Yamanaka clever war, nur wusste sie dummerweise nicht, wie clever der Iwa-Nin war. Schlagartig fühlte Sakura sich sehr nutzlos. Mal wieder. Und sehr einsam. Sie starrte auf die unberührten Teebecher in ihren Händen. Wie allein man eigentlich war, merkte man, wenn man vom Gelächter gut gelaunter, glücklicher Menschen umgeben war, die sich allesamt nicht für einen interessierten. Der Inhalt der Becher kräuselte sich unter kleinen Wellen. Sie konnte Sasuke eben doch verstehen, auch wenn er das nicht anerkennen wollte. Als hätte sie ihn Kraft ihrer Gedanken beschworen, blitzte eine auffällig schwarze Polizei-Uniform zwischen den leuchtend bunten Gewändern auf. Der Schmerz durchzuckte sie wie ein Stromstoß, die frische Wunde ihrer Seele platzte auf und spuckte Blut. Sie sah zu den Tanzenden, entdeckte jedoch keinen ihrer Freunde, straffte den Rücken und ging auf ihn zu. Wie sagte man so schön: Der einzige Weg raus war durch. Sasuke stand mit dem Rücken zu ihr, das Gesicht gelangweilt den Musikern zugewandt. Seine Muskulatur zeichnete sich deutlich unter der Uniform ab, die seine trainierten Schultern und seine gerade Haltung betonte, und Sakura verlor sich für eine Sekunde in dem Tagtraum, wie sich besagte Muskeln beim Tanzen unter ihren Fingern anfühlen würden, obgleich sie ihn nicht für einen leidenschaftlichen Tänzer hielt – aber das war sie selbst eigentlich auch nicht. Ihr Puls beschleunigte sich und pumpte Hitze in ihre Wangen. Scham blubberte in ihr hoch, weil er schließlich vergeben war. Sie musste aufhören, ihn zu offensichtlich zu mögen. Eigentlich musste sie aufhören, ihn überhaupt auf diese Weise zu mögen. „Du solltest dich amüsieren“, sagte er und drehte ihr den Kopf gerade mal so weit zu, wie nötig war, um sie anzusehen. Die Frage schien ihr offensichtlich ins Gesicht geschrieben zu stehen, denn er beantwortete sie, ohne dass sie diese stellen musste. „Dein Parfum.“ Sakura runzelte die Stirn, sie hatte plötzlich das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben, schüttelte den Eindruck jedoch mit einem Lächeln ab. „Schon etwas Verdächtiges beobachtet?“ „Ja, eine Kunoichi, die einen Polizei-Lieutenant abzulenken versucht.“ „Die verdächtige Kunoichi will dem Lieutenant nur etwas heißes zu trinken bringen.“ Sie hielt ihm einen der Becher hin, zwang ihn damit, sich ihr gänzlich zuzuwenden. Sasuke roch an dem Getränk, während er seine Augen über ihre Erscheinung gleiten ließ. „Interessante Wahl.“ Ob er damit den Tee oder ihren Kimono meinte, konnte sie nicht entschlüsseln, doch seine intensive Betrachtung reichte aus, um ihr prickelnde Schauer über den Rücken zu jagen. Sie schluckte nervös. Ihre Kehle war trocken und fühlte sich eng an, weswegen sie den Becher an die Lippen hob, jedoch von ihm aufgehalten wurde, ehe etwas von dem Getränk in ihren Mund gelangen konnte. „Das solltest du besser nicht machen.“ „Wieso?“, fragte sie verdutzt. Er musterte sie regungslos, zuckte dann jedoch nur die Achseln. „Deine Sache.“ Irritiert von seinem absonderlichen Verhalten nippte sie an dem Heißgetränk und bezahlte es unverzüglich mit einem Hustenanfall. „Meine Güte“, keuchte sie, während sie sich aufs Brustbein klopfte. „Was ist das denn?“ „Sake.“ Er legte den Kopf leicht schief. „Hast du das nicht bemerkt?“ „Offensichtlich nicht“, japste sie. Vom Husten tränten ihre Augen und sie kippte den dampfenden Alkohol in den Schnee, der ein hässliches Loch in die weiße Glitzerdecke fraß. „Tut mir leid, eigentlich hatte ich nach Tee verlangt.“ „Gib einfach zu, dass Tsunades Alkoholproblem auf dich abgefärbt hat“, sagte er, doch in seinen Augen glomm ein Fünkchen gut gelaunter Spott. „Haha“, entgegnete sie schmollend, weil sie nichts Besseres zu erwidern wusste. Sie fühlte sich, als würde ihr zwölfjähriges Ich neben ihr stehen und sie auslachen. Zwischen den beiden breitete sich Schweigen aus, aber nicht die angenehme Art. Sasuke behielt pflichtbewusst die Umgebung im Blick, sah überall hin, nur nicht zu ihr, und Sakura, die offenbar masochistische Tendenzen hatte, überlegte fieberhaft, wie sie ihn möglichst beiläufig auf die hübsche Uchiha ansprechen konnte, doch wenn sie Ehrlichkeit und Vertrauen von ihm erwartete, musste sie mit gutem Beispiel vorangehen, angefangen dabei, dass sie sich deswegen elend fühlte. „Das im Dango-Shop…“, setzte sie zögerlich an und spielte mit dem leeren Becher, um ihren rastlosen Händen eine Beschäftigung zu geben. „Was war da los?“ „Was meinst du?“ „Ich verstehe, was du mir gesagt hast, also nein, eigentlich verstehe ich es nicht, aber...“ Sie zuckte unschlüssig mit den Schultern, als würde das irgendwas erklären. „Um ehrlich zu sein, kam ich mir erniedrigt vor, dass du uns nicht mal bekannt gemacht hast, und ich kann mir nur vorstellen, wie das für deine Freundin gewesen sein muss.“ Seine Augenbrauen verschwanden in den Haarsträhnen, die ihm verwegen in die Stirn fielen. „Meine…? Wen meinst du?“ „Hast du mehr als eine Freundin?“, konterte sie schnippisch. „Ich meine das Mädchen, mit dem du dich getroffen hast.“ „Izumi?“ „Ich weiß nicht, wie sie heißt. Du hast uns schließlich nicht vorgestellt.“ Sein Mundwinkel schien amüsiert zu zucken, dann sagte er: „Du musst Izumi meinen, meine Mutter kann man auch mit viel gutem Willen nicht mehr als Mädchen bezeichnen.“ „Deine M-m-mutter?!“, stotterte sie schockiert und erinnerte sich vage an eine gut aussehende, dunkelhaarige Frau, die sie auf ihrer panischen Flucht vor besagter Izumi angerempelt hatte. Natürlich musste es sich bei ihr ausgerechnet um seine Mutter und die Gemahlin des Oberhauptes eines der einflussreichsten Clane im Feuerreich handeln… wieso auch nicht. Sie vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Sasuke gab einen Laut von sich, der einem Glucksen verdächtig nahekam. „Du hast bleibenden Eindruck hinterlassen.“ „Toll“, grummelte sie beschämt und richtete das Gesicht gen Firmament. Die Schneeflocken fühlten sich gut auf ihrer erhitzten Haut an. „Izumi also“, wisperte sie und presste die Lippen aufeinander, weil es ihr unangebracht vorkam, den Namen des Mädchens auszusprechen. „Sie ist… eine Bekannte meines Bruders.“ „Deines… oh!“ Es dauerte einen Moment, bis sie seine Worte kognitiv verarbeitet hatte, doch dann durchflutete siedend heiße Euphorie jede Zelle ihres Körpers, ließ sie wie eine Idiotin grinsen. Sie wusste, dass sie lächerlich aussehen musste, aber sie konnte nichts dagegen unternehmen. Wollte sie auch gar nicht. Wenn für ihn auch nur der geringste Zweifel darüber bestanden hatte, wie sie für ihn fühlte, war ihre Reaktion sicherlich so unmissverständlich, als hätte sie ihm ihre Liebe ins Gesicht gebrüllt. Sasuke musterte sie interessiert, wie ein junges Kind, das mit einem Stock in einem Ameisenhaufen herumstocherte und neugierig war, was passieren würde. „Bist du deswegen weggelaufen, weil du dachtest, Izumi wäre meine Freundin?“ Er sprach das Wort verächtlich aus, als wäre nicht nur der Gedanke vollkommen absurd, sondern als haftete ihm etwas Abstoßendes an, als hätte sie ihm unterstellt, gern die Unterwäsche seiner Mutter anzuziehen. Sakura wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, ohne ihm ihre Gefühle zu beichten, also sagte sie nichts. Sie ahnte, dass er ein vorsätzliches Liebesgeständnis nicht tolerieren würde. Für ihn konnte sie in ihn verliebt sein, wie sie wollte, solange sie ihn nicht zu sehr damit behelligte. „Hast du die ganze Nacht Dienst?“, fragte sie schließlich, fing aus einem infantilen Impuls heraus eine Schneeflocke, die auf ihrer Nasenspitze zu landen drohte, mit der Zunge auf, was ihn schnauben ließ. „Ja, ich muss jetzt auch weiter durchs Dorf patrouillieren. Solche Feste arten schnell aus, weil es immer ein paar Idioten gibt, die sich betrinken und dann Streit anfangen. Dieses Jahr müssen wir besonders aufpassen, weil so viele Fremde aus anderen Dörfern anwesend sind. Außerdem bereitet uns der Hyūga-Clan Sorgen; es ist das erste Mal, dass Ninja aus dem Dorf versteckt unter den Wolken in Konoha sind, seit sie Hinata zu entführen versucht haben.“ „Oh, daran erinnere ich mich. Neji erwähnte sowas, als er während der Chūnin-Prüfung gegen Naruto gekämpft hat“, entsann sie sich, milde irritiert, dass er plötzlich so gesprächig geworden war. „Genau.“ Sasuke nickte zur Bestätigung. „Sie haben sich gegenseitig betrogen und sehen sich beide im Recht. Es ist nicht auszuschließen, dass alte Rechnungen beglichen werden sollen, aber wenn es zu einer Katastrophe kommt, wird man meinen Clan dafür verantwortlich machen, weil wir nicht gut genug aufgepasst hätten.“ Sakura knetete ihre steif gefrorenen, geröteten Finger. „Hinata ist bei Naruto, so leicht wäre sie diesmal immerhin nicht zu entführen.“ „Das letzte Mal wurde sie aus ihrem Schlafzimmer im Hyūga-Anwesen verschleppt“, entgegnete er vielsagend, damit sie mit dieser Information anfangen konnte, was sie wollte. Er machte Anstalten, an ihr vorbeizugehen, als sie rasch fragte: „Kann ich mitkommen?“ „Nein“, sagte er, hielt jedoch auf Höhe ihrer Schulter inne. „Aber ich muss gegen elf auf dem Hokage-Felsen sein, von da aus hat man eine ganz gute Sicht auf das Feuerwerk.“ „Könnte sein, dass ich zufällig in der Nähe bin“, erwiderte sie bemüht nonchalant. Das idiotische Grinsen eroberte ihre Mundwinkel zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)