Broken Birdie von MyHeartInTheAttic ================================================================================ Kapitel 8: Doppelter Herzschlag ------------------------------- Das Rosa der Kirschblüten hatte dieselbe Farbe wie Sakuras Haar, als die Knospen unter Sasukes Fingern aufbrachen. „Sehr gut“, lobte sie und schenkte ihm ein schiefes Lächeln, das er nicht bemerkte, weil er sie nicht ansah. Er sah sie in letzter Zeit gar nicht mehr an, sprach nur noch das Allernötigste mit ihr und ignorierte sie ansonsten konsequent. Dafür hatte er in den vergangenen Tagen größere Fortschritte gemacht als in all den Wochen zuvor. Sie sollte sich darüber freuen, doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sich plötzlich derart viel Mühe gab, weil er sie endlich loswerden wollte; und wenn er sich weiterhin so rasend schnell verbesserte, wäre ihr gemeinsames Training tatsächlich bald überflüssig. Beinahe verzweifelt suchte sie nach Fehlern, die er womöglich gemacht hatte, fand zu ihrer Enttäuschung jedoch keine. „Du siehst aber nicht besonders zufrieden aus“, stellte er fest und sah sie auf eine Weise an, die sie fürchten ließ, dass er ihre Gedanken nicht nur erraten, sondern lesen konnte. „Wieso sollte ich unzufrieden sein, das Ergebnis perfekt.“ Sie schnippte harscher als nötig gegen die unschuldigen Blüten, die dadurch träge auf und ab wippten, doch kein einziges Blütenblatt verloren. Sasukes Leistung war mehr als perfekt, sogar besser, als sie es damals beim ersten Versuch hinbekommen hatte. Er hatte genügend Chakra verwendet, um die Blüten heranreifen zu lassen, aber nicht so viel, dass sie übersättigt wurden und welkten, und es gezielt in den Knospen konzentriert, wodurch sich die zarte Farbe und der feine Duft entwickelt hatten. Vielleicht sollte er sie demnächst unterrichten, dachte sie frustriert. Sasuke hob den Zweig vom Tisch und drehte ihn zwischen den Fingern, betrachtete ihn von allen Seiten, als wolle er sich vergewissern, dass er wirklich alles richtig gemacht hatte. Sie wartete geradezu darauf, dass er sie fragte, wann Lady Tsunade ihn wieder im aktiven Dienst einsetzte. Dabei hatte sie noch immer nicht herausgefunden, welche Sorgen ihn quälten, geschweige denn inwiefern er in die Machenschaften dieser Rebellengruppe involviert war. Die Hokage wurde allmählich ungeduldig, aber Sasuke war verschlossener als ein Buch mit sieben Siegeln. Um sich abzulenken, schaute sie sich in dem Raum um, der ehemals als Wohnzimmer gedient hatte. Spinnweben hingen in jeder Ecke, überall lag eine dicke Staubschicht, ihre Füße hatten Spuren im Dreck hinterlassen, die sich bei jedem Besuch vermehrten, und manchmal hörte sie Kratzgeräusche in den Wänden, die schätzungsweise von einer sich prächtig entwickelnden Mäusefamilie verursacht wurden, doch der Schmutz und die diversen Fraßschäden täuschten nicht über die kostspielige Einrichtung hinweg. Auf dem niedrigen Kaffeetischchen lag ein Buch, mit einem Lesezeichen darin, das sehnsüchtig darauf wartete, wieder aufgeschlagen zu werden, eine benutzte Tasse mit schwarz verkrusteten Teerückstanden stand daneben. Das Haus erweckte ganz und gar den Eindruck, dass dessen Bewohner es überstürzt verlassen hatte, aber nie zurückgekehrt war. Höchstwahrscheinlich war er gefallen oder aus anderen Gründen verstorben und es bereitete ihr eine Gänsehaut, wie gleichgültig das Haus, die Besitztümer und somit die Erinnerung dem Verfall überlassen wurden. Als sie das erste Mal hier gewesen waren, hatte sie Sasuke gefragt, wem das Haus gehörte, doch er wusste es nicht und es interessierte ihn noch weniger. Natürlich hatte sie sich nicht erinnern können, dass Sasuke ihr den Vorschlag unterbreitet hatte, im Uchiha-Viertel zu üben, doch glücklicherweise war er geistesgegenwärtig genug gewesen, sie vor der Bibliothek abzufangen. Weniger glücklich war, dass ausgerechnet Shikamaru und Chōji sie gemeinsam Richtung Uchiha-Viertel laufen gesehen hatten. Das war nun über eine Woche her, doch da Ino ihr bisher keine Briefbombe geschickt hatte, hatten die beiden ihre Sichtung offenbar für sich behalten. Oder aber Ino war so durch mit ihr, dass Sakura ihr nicht mal mehr ein bisschen Wut wert war. „Ich habe dich was gefragt“, riss Sasuke sie genervt aus ihren Gedanken. Sakura lächelte ihn entschuldigend an, was wie immer keine Wirkung auf ihn erzielte. „Konzentration ist das A und O, hm?“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und bildeten eine steile Falte über seiner Nasenwurzel. „Womit machen wir weiter?“ Seine Motivation war beleidigend und sie lächelte das Gefühl zumindest oberflächlich weg. „Ich finde, du hast dir für heute eine Pause verdient. Du stellst dich wirklich gut an und das freut mich, aber wir sollten es nicht übertreiben.“ Er sah aus, als wollte er widersprechen, zuckte dann jedoch nur die Achseln und ließ den Kirschblütenzweig auf die Tischplatte fallen. Es hatte etwas Deprimierendes, wie er die filigranen Blüten, dieses Symbol des erwachenden Lebens gleichgültig ihrem vorzeitigen Schicksal überließ, aber er hatte schon früher kein Auge für die kleinen Dinge übriggehabt, hatte sich nie an seinen Erfolgen erfreuen können, weil jede gemeisterte Hürde unverzüglich uninteressant wurde und er stets nur auf das schaute, was er noch nicht beherrschte und nicht haben konnte. Aus einem Impuls heraus nahm Sakura den Zweig an sich und drückte ihn gegen die Brust; näher käme sie einem Geschenk von Sasuke vermutlich nie. Dieser kommentierte ihr Verhalten lediglich mit dem Anheben einer Augenbraue. „Gönn dir aber wirklich ein bisschen Freizeit, okay?“, bat sie besorgt, als er den Tisch umrundete, annehmend, dass er nun, wie immer, einfach gehen würde, und Sakura, wie immer, die Aufräumarbeiten überlies. Er schnaubte, doch zu ihrer Überraschung steuerte er das Sofa an, der Dreck knirschte unter seinen Schritten, dann setzte er sich und wirbelte Staubschwaden aus den Polstern auf. Instinktiv kniff er die Augen ein Stückchen zusammen, als die Wolke seinen Kopf einhüllte. „Das letzte Mal, dass ich auf einen deiner gut gemeinten Ratschläge gehört habe, war ein Desaster“, sagte er trocken. „Das tut mir…“, setzte sie an, doch er unterbrach sie, ehe sie den Satz beenden konnte. „Du hast dich schon mal entschuldigt.“ „Mehr kann ich nicht machen, fürchte ich“, entgegnete sie, während sie die Bücher ordentlich in eines der Regale einsortierte. Wahrscheinlich war es unnötig, es gab ohnehin niemanden, der sich an einem hinterlassenen Chaos stören könnte, doch ihr kam es trotzdem respektlos vor und wenn sie schon machtlos gegen die Unordnung in ihrem Kopf war, wenigstens die Bücher konnte sie wegräumen. Selbst ihr Zimmer war aufgeräumt wie seit Jahren nicht mehr, obwohl sie nie sonderlich unordentlich gewesen war. Mebuki war ganz aus dem Häuschen. Ihr Vater fürchtete, dass sie sich heimlich mit einem Jungen traf und deswegen plötzlich so reinlich geworden war. Er behauptete sogar, eines Nachts eine Männerstimme aus ihrem Zimmer vernommen zu haben; er wurde wirklich paranoid, was Sakuras vermeintliches Liebesleben betraf. Ihr Gesicht wurde tiefrot, als sie an das unangenehme Gespräch mit ihm zurückdachte, dabei hatte sie noch nicht mal ihren ersten Kuss gehabt, geschweige denn, dass sie sonst was mit irgendeinem Liebhaber anstellte. „Hat Kakashi inzwischen etwas rausfinden können?“, fragte Sasuke. Sie sah ihn über die Schulter an. Er hatte die Ellbogen auf den Knien abgestützt, die Hände unter seinem Kinn gefaltet und blickte an die gegenüberliegende Wand, aus dem vor Schmutz blinden Fenster, das in besseren Zeiten einen sicherlich herrlichen Ausblick auf einen nun verwilderten Garten geboten hatte. Er wirkte erschöpfter als sonst und immer, wenn er glaubte, dass sie nicht hinsah, bewegte er seine linke Schulter, als hätte er Schmerzen. „Wegen Hidan“, ergänzte er, weil sie zu lange geschwiegen und seinen Anblick in sich aufgesogen hatte, und drehte ihr leicht den Kopf zu. Ertappt wandte sie sich ab, obwohl er natürlich bemerkt haben musste, dass sie ihn beobachtet hatte, und sortierte die restlichen Bücher ins Regal. „Ja, er kann es nicht gewesen sein. Er war an dem Abend bis spät in die Nacht in einem Izakaya¹, das können ungefähr ein Dutzend Zeugen bestätigen. Ich…“ Sie ballte hilflos die Fäuste. „Ich habe Angst. Wenn er es nicht war, wer dann und vor allem warum? Habe ich Feinde, von denen ich nichts weiß, oder war ich ein Kollateralschaden, nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Oder galt dieser Angriff vielleicht gar nicht direkt mir, sondern sollte eine Botschaft an Lady Tsunade sein?“ Sasuke seufzte leise, das Polster verursachte Flatulenzgeräusche, als er seine Position veränderte. „Ich halte nach wie vor für nicht ausgeschlossen, dass du alkoholisiert warst. Du weißt doch, wie es auf solchen Partys läuft, irgendein selbsternannter Spaßvogel mischt Hochprozentiges in die Getränke und lacht sich anschließend ins Fäustchen. Wahrscheinlich hast du gar nichts bemerkt, bis der Alkohol an der frischen Luft seine volle Wirkung entfaltet hat.“ „Hmm“, machte sie und knibbelte am Daumennagel. Was er sagte, klang nicht unplausibel, und doch… „Könntest du nicht, naja, mal nachsehen, oder so?“, fragte sie vorsichtig, während sie sich damit ablenkte, die Buchrücken gerade nebeneinander zu stellen, sodass sie am Ende wie mit dem Lineal gezogen aussahen. Sie bezweifelte insgeheim, dass er zustimmen würde, schließlich war es nicht ungefährlich, im Kopf eines Menschen herumzuwühlen, und wenn dabei etwas schiefging, verursachte sie ihm massig Probleme. Nachdem Sensei Kakashi und Naruto ihn sowieso schon auf dem Kieker hatten, könnte das schlecht für ihn ausgehen. Und natürlich gab es auch noch genügend Gedanken und Erinnerungen, von denen sie keinesfalls wollte, dass er sie fand, die sich ihm jedoch automatisch in den Weg werfen würden, wenn er in ihren Kopf eintauchte, weil man bekanntermaßen immer an das dachte, an das man nicht denken wollte. Der berühmte rosa Elefant, den man sich unmöglich nicht vorstellen konnte. „Mal nachsehen?“ Sie hörte ihn förmlich die Stirn runzeln. „Du müsstest doch meine Erinnerungen an den Abend reaktivieren können, oder?“ „Ich…“ Er stöhnte genervt auf. „Theoretisch ist das möglich, aber dafür müsste ich dich mit einem Genjutsu belegen. Bist du sicher, dass du das willst?“ Sakura drehte sich zu ihm um und nickte entschlossen. „Ich vertraue dir.“ Sasukes Miene blieb unbewegt, sein Blick jedoch war bohrend und intensiv, als hätte er bereits begonnen, ihren Verstand mit seinen Künsten zu umweben – und ein bisschen stimmte das ja auch. Sie schlug die Lider für eine Sekunde nieder, ehe sie ihre Augen abermals fest mit seinen verhakte, um ihm zu signalisieren, dass sie sich wirklich nicht fürchtete. Obwohl das nicht stimmte, denn sie hatte Angst; Angst vor dem, was sie vielleicht zu sehen bekam, Angst vor dem, was sie ihm womöglich ungewollt offenbarte, und einen anderen Menschen derart tief in die eigene Psyche eindringen zu lassen, war unheimlich und… intim. Sie spürte eine brennende Hitze über ihr Gesicht kriechen, die sie zum Wegsehen zwang. Er seufzte erneut, eine Mischung aus Enervation und Frustration. „Meinetwegen.“ „Also, ähm…“ Sie strich sich durchs Haar, der Kirschblütenzweig, den sie hinters Ohr geklemmt hatte, fiel auf den Boden und sie bückte sich umständlich danach, drückte das zarte Pflänzchen anschließend wie einen Schutzschild gegen die Brust. Unschlüssig wippte sie auf den Fußballen auf und ab. „Wie genau machen wir das jetzt? Soll ich mich hinsetzen, oder so?“ Der Schwarzhaarige presste die Lippen aufeinander. Wie jedes Mal, wenn man sich nicht augenblicks wie von ihm erwünscht verhielt, schien er jegliches Entgegenkommen seinerseits bitter zu bereuen. Mit einem harschen Wink bedeutete er ihr, näher zu kommen. Sakura tippelte zögerlich wie ein unbeholfenes Kitz zu ihm herüber und setzte sich, sicherlich näher als zwingend nötig gewesen wäre, neben ihn. Das Sofa bespuckte sie beide mit einer neuerlichen Staubwolke und ein kleines quietschendes Pelztierchen flüchtete sich aus dem Inneren des Polstermöbels hinter einen Schrank. Sasuke wandte ihr den Oberkörper zu, rückte gleichzeitig jedoch in einer geschmeidigen Bewegung von ihr ab, wie sie leicht beleidigt feststellte. „Bereit?“, erkundigte er sich und aktivierte sein Sharingan. Sakura befeuchtete nervös ihre Lippen, rutschte mit dem Hintern auf dem Sofa herum, um Zeit zu schinden, das ihre unruhigen Regungen mit obszönen Geräuschen untermalte. Sasuke stieß ungeduldig Luft durch die Nase aus. „Hast du es dir anders überlegt?“ „Nein, nein“, beteuerte sie rasch und schluckte trocken, was ein klebriges Klacken in ihrer Kehle verursachte, aber sie konnte sich nicht helfen, sie hatte plötzlich ein zutiefst ungutes Gefühl bei der Sache. „Wird es wehtun?“, fragte sie, obwohl sie natürlich wusste, dass Genjutsu an sich nicht schmerzhaft waren, doch ihr war lieber, dass er annahm, sie wäre sich dieses Umstandes nicht bewusst, als dass er ihr Zögern auf sich zurückführte. Schließlich hatte sie gerade noch versichert, dass sie ihm vertraute. Sasukes Ausdruck implizierte, dass er sie durchschaute, dennoch ließ er sich zu einer Antwort herab: „Nein, aber du nimmst vielleicht meine Präsenz wahr und das könnte dir unangenehm vorkommen.“ Sie lächelte matt, den Blick auf seine Hände gerichtet – die eine lag entspannt auf seinem Oberschenkel, mit der rechten stützte er sich locker auf dem Sofa ab – und griff nach der linken. „Ich weiß, dass ich viel von dir verlange, also… danke“, nuschelte sie und drückte seine kühlen Finger. Wieso war seine Haut so kalt? Das war definitiv nicht gesund und er sah so schrecklich müde aus; vielleicht hätte sie ihn nicht ausgerechnet heute darum bitten sollen. Sie wünschte, sie könnte ihn einfach umarmen, vor allem wünschte sie, dass er Trost aus ihrer Berührung, aus ihrer Anwesenheit ziehen würde. Ihr Daumen streichelte über seine Knöchel, die ein bisschen rau waren. Er hob ihre Hand in Höhe seines Mundes. Ihr törichtes Herz stolperte, dann runzelte sie sachte die Stirn, weil sich im hintersten Winkel ihres Gehirns etwas zu regen versuchte. Ihre Augen krochen von seinen Lippen über seine Nase, hoch zu seinen scharlachroten Iriden, die halb von seinen gesenkten Lidern verdeckt wurden. Seine Wimpern waren lang und dicht, ebenso makellos wie der Rest von ihm. Plötzlich hatte sie das Gefühl zu kippen, als hätte sich das Sofa und alles drumherum unter ihr in Nichts aufgelöst. Sie glaubte, sich selbst vor Schreck spitz aufschreien zu hören, aber bereits im nächsten Moment drängte sie sich zwischen lachenden und plappernden Menschen hindurch, rempelte jemanden, den sie gar nicht recht wahrnahm, mit der Schulter an. Glas splitterte, doch sie lief weiter, ohne darauf zu achten. „Blöde Kuh“, schimpfte jemand, der vermutlich sie meinte. Sie wollte sich entschuldigen, hatte die Person aber gleich darauf schon wieder vergessen. „Sakura!“ Das war Narutos Stimme, die nach ihr rief. Sie wollte sich umdrehen und stellte mit einem Anflug von Panik fest, dass ihr Körper ihr nicht gehorchte, stattdessen die Treppe, die zu Narutos Appartement führte, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit hinabeilte. Ihr Fuß glitt aus und sie bekam gerade noch rechtzeitig das Geländer zu fassen, um den Sturz abzufangen, strauchelte kurz, verlangsamte ihr Tempo allerdings nicht – wobei sie theoretisch gar nichts tat, außer mental Stopp zu kreischen, worauf der Körper, in den ihr Geist gepresst war, in keinster Weise reagierte. „Sasuke?“ Das war eindeutig ihre Stimme, die unglücklich durch die Dunkelheit irrte. Klang sie immer so weinerlich und verzweifelt? Kein Wunder, dass Sasuke sie für schwach hielt, sie war selbst genervt von ihrer eigenen Stimme. Allmählich dämmerte ihr auch, dass sie sich unlängst in seinem Genjutsu befand, unterdrückte den unweigerlichen Impuls, dagegen anzukämpfen, und konzentrierte sich stattdessen bestmöglich auf ihre Umgebung. Ihre Sicht war leicht verschwommen, schien zeitverzögert, als würde sie durch eine schlecht verarbeitete Fensterscheibe blicken. Sie mochte blinzeln, konnte aber freilich nicht. „Sasuke, hörst du mich?“, versuchte sie, irgendwie Kontakt zu ihm aufzunehmen, erhielt aber keine Antwort. Trotzdem glaubte sie, dass er auf einer Ebene da sein musste, immerhin war das sein Jutsu und er Herr dieser Welt, und das Wissen, dass er in der Realität nur einen Herzschlag entfernt war, vielleicht noch immer ihre Hand hielt, hatte etwas Tröstliches. Sakura spürte ihr Herz wie einen Fremdkörper gegen ihr Brustbein pochen, während sie wie benommen durch die Straßen Konohas torkelte. Das Laufen schien ihr schwerzufallen, denn sie stolperte wiederholt, zog missbilligende Blicke von Passanten, deren Gesichter unscharfe Farbkleckse blieben, auf sich. Sie fühlte die Kälte auf der Haut, die ihr nichts ausmachte, und einen Schmerz in der Brust, der doppelt wehtat, weil beide Sakuras ihn empfanden, doch zwischenzeitlich brandeten Wellen der Zuneigung für Sasuke auf und überrollten ihr schlechtes Gewissen, ertränkten es in der schieren Kraft der Fluten. Hoffentlich bekam er davon nichts mit, sie könnte ihm nie wieder ins Gesicht sehen. Sie bog in eine Seitengasse ein, entsann sich dunkel, Sasuke in ebenjener endlich gefunden zu haben, aber die Sakura aus ihrer Erinnerung erschrak freilich dennoch und beförderte sich, vermutlich sehr unelegant, in eine Hecke. Der Uchiha besaß genügend Anstand, sie nicht auszulachen, obgleich sie mehrere Versuche benötigte, um wieder auf die Beine zu kommen, es erst schaffte, als er sich ihrer erbarmte und sie am Arm hochzog. „Verfolgst du mich?“, fragte er mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. Sie gab eine beinahe unverständliche Erklärung ab, ihre Stimme klang verwaschen, ihre Zunge schien ganze Silben nicht mehr anständig artikulieren zu können. Es glich einem kleinen Wunder, dass er sie offenbar dennoch verstanden hatte. Sakura verschloss ihr inneres Auge vor der Peinlichkeit, was leider nichts nützte. Konnte er das Genjutsu nun bitte aufheben?! Sie hatte wahrlich genug gesehen, konnte auf den Rest getrost verzichten und Sasukes Erinnerung daran musste für ihren Geschmack ebenfalls nicht aufgefrischt werden. Ihr Körper schwankte bedrohlich vor und zurück und fiel schlussendlich förmlich in seine Arme. „Ups“, hörte sie sich albern kichern. „Dein Ernst?“ Sasuke verzog missbilligend das Gesicht und Sakura konnte es ihm wahrlich nicht verdenken. Er legte sich ihren Arm um die Schultern und schleifte sie mehr denn dass sie eigenständig ging durch das Dorf, während sie verworren vor sich hin plapperte, sich mehrmals für den missglückten Abend entschuldigte und ihm von ihrem Streit mit Ino vorjammerte, was sie, zu ihrem größten Verdruss, klingen ließ, als wären sie noch immer zwei vorpubertäre Zicken, die sich um einen Jungen kabbelten. Der Schwarzhaarige ertrug ihr unangemessenes Verhalten erstaunlich duldsam, stieß nur dann und wann ein genervtes Zischen aus. Wie von Sinnen war sie eigentlich gewesen?! Sie konnte nicht mal genießen, dass er sie gezwungenermaßen dicht an seinen Körper drückte, den Arm fest um ihre Taille geschlungen hielt. Plötzlich ließ sie sich mitten auf der Hauptstraße auf den Boden plumpsen. Sasuke versuchte noch, sie aufzufangen, doch sie entglitt ihm wie ein nasser Mehlsack. „Ich brauch ‘ne Pause“, hörte sie sich lallen und legte sich allen Ernstes flach auf den Rücken. Sasuke sah aus, als stünde er kurz davor, ihr eine zu scheuern. „Du kannst dich hier nicht hinlegen“, knurrte er und packte sie grob an den Oberarmen, um sie hochzuziehen. Sakura machte sich extra schwer, quengelte wie ein Kleinkind, dass sie müde war und – gütige Kami – wahrscheinlich brechen müsse. Wenn sie Sasuke buchstäblich ankotzte, würde sie zweifelsohne das Land verlassen. Seine Behauptung, dass sie ein bisschen neben der Spur gewesen wäre, war offenkundig eine deutliche Untertreibung gewesen. Sie wollte sich mit schierer Willenskraft dazu zwingen, sich nicht mehr derart daneben zu benehmen, doch freilich blieb der Versuch ebenso fruchtlos wie jene zuvor, weshalb sie das Genjutsu zu brechen versuchte, was jedoch ebenfalls misslang. Sasuke stieß seinen Atem geräuschvoll durch die Nase aus. Es hätte sie nicht gewundert, wenn ihm dabei Flammen aus den Nasenlöchern gezüngelt wären. Er war oft genervt von ihr, aber nie zuvor war er in diesem Maße genervt von ihr gewesen. Und völlig zurecht. Er zog seine Jacke aus und half ihr wie einem hilflosen Säugling in das Kleidungsstück. Sie war derart ausgekühlt, dass sie selbst in ihrer Erinnerung erbärmlich fror, hatte davon aber offensichtlich nichts bemerkt, denn sie drückte ihr Gesicht auf eine Weise, die ihr vernebeltes Gehirn vermutlich für unauffällig gehalten hatte, auffällig in den Stoff und inhalierte seinen Duft. Der Schwarzhaarige, der neben ihr hockte, krauste befremdet die Stirn, strich ihr aber plötzlich gänzlich unerwartet und ungewohnt sanft eine Haarsträhne aus der Stirn. „Na komm, ich bringe dich nach Hause, da kannst du dich… erholen.“ Den restlichen Weg schafften sie es sogar, sich einigermaßen gesittet zu unterhalten, obgleich Sakuras Kopf mehrmals auf Sasukes Schulter sackte und ihre Augenlider unaufhaltsam zugezogen wurden. „Schaffst du den Rest allein?“, fragte er vor ihrer Haustür. Sakura gab ein schläfriges Brummen von sich, woraufhin Sasuke sie vorsichtig losließ und einen Schritt zurücktrat. Sie öffnete die Tür, stieß sich das Kinn an ebenjener, als sie sich nochmals zu ihm umdrehte, um ihm zum Abschied zuzuwinken, schleppte sich die Treppe zu ihrem Zimmer hoch, wobei sie wiederholt stolperte und gegen die Wände prallte, sodass ihr absolut unverständlich war, wie ihre Eltern von dem Radau nicht aufgewacht waren, ließ sich auf ihr Bett fallen und kippe bei dem Versuch, sich die Schuhe auszuziehen, um. Ihr Hinterkopf knallte hart gegen den Bettpfosten und knockte sie aus. Das erklärte dann wohl auch die hühnereigroße Beule, die sie am Morgen danach bemerkt hatte. Auf dem Sofa im Uchiha-Viertel kehrte Sakura in die Realität zurück und schlug unverzüglich die Hände vors Gesicht. „Das tut mir so unendlich leid“, murmelte sie beschämt zwischen ihren Fingern hindurch. „Konntest du wenigstens neue Erkenntnisse daraus ziehen?“, erkundigte er sich trocken. „Ja, dass ich auswandern muss und nie mehr das Haus verlassen werde.“ „Wenn du das Haus sowieso nie mehr verlassen willst, macht es wenig Sinn, vorher extra auszuwandern“, gab er amüsiert zu bedenken. Sakura lugte vorsichtig zwischen ihren Fingern hindurch. Weshalb war er so entspannt? Er hatte jeden Grund, stinkwütend auf sie zu sein. „Du hattest mit deiner Vermutung offensichtlich recht“, sagte sie betreten. „Ich werde Sensei Kakashi darüber informieren.“ „Mir wäre lieber, wenn du ihm nichts sagst“, entgegnete Sasuke schlagartig kühl. Sie legte den Kopf fragend schief, stimmte schließlich aber mit einem Nicken zu. Höchstwahrscheinlich war es tatsächlich besser, wenn sie dem Jōnin nicht auf die Nase band, dass Sasuke sie mit einem Genjutsu belegt hatte, auch wenn dies auf ihr eigenes Bitten hin geschehen war. „Kann ich mich irgendwie revanchieren? Deine Schulter heilen zum Beispiel.“ Nun war es an ihm, sie fragend anzusehen. „Woher…?“ „Das ist mein Beruf und für eine Ärztin ist deutlich zu sehen, dass du Schmerzen hast. Du belastest die Schulter kaum und deine Bewegungen sind verzögert.“ Seine Lippen verengten sich zu einem schmalen Strich. Natürlich fasste er ihre Beobachtung lieber als Affront gegen sich denn Zeugnis ihres Könnens auf. „Das ist nicht notwendig.“ „Bitte, du würdest mir einen Gefallen tun, wenn ich mich erkenntlich zeigen darf“, versuchte sie sich diplomatisch. Die Zeiger der Wanduhr tickten durch die aufkommende Stille. Sakura bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, obwohl sie nicht nachvollziehen konnte, was es an ihrem Angebot lange zu überlegen gab, und sein Benehmen in dieser Hinsicht ziemlich kindisch fand. Er hatte Schmerzen, mutmaßlich verursacht durch eine Verletzung unbekannten Ausmaßes, sie konnte helfen, ihm die Schmerzen nehmen, das wäre eine Sache von ein paar Minuten. Sein Zögern beanspruchte mehr Zeit, als sie vermutlich für den Heilungsprozess benötigen würde. Er wollte sich nur nicht helfen lassen, um sich nicht helfen zu lassen, weil er automatisch dachte, ihr dann etwas schuldig zu sein. Es sei denn – sie bemühte sich weiterhin um eine nichtssagende Mimik – er wollte nicht, dass sie seine Verletzung sah, weil deren Entstehung Fragen aufwerfen würde. Möglicherweise hatte sie doch ein bisschen misstrauisch ausgesehen, denn kaum war ihr der Gedanke gekommen, zog er sein Oberteil über den Kopf und entblößte seinen Oberkörper vor ihr. „D-du hättest n-nicht…“, stammelte sie und fixierte jeden Punkt im Raum, der nicht seine in anbetungswürdige Haut verpackten Muskeln waren. Die Hitze in ihr schien die Umgebungstemperatur zu steigern. Du bist eine Iryōnin, verdammt, rügte sie sich selbst, so ein bisschen nackte Haut wirst du ja wohl abkönnen. Aber das war Sasukes nackte Haut. Der anderen Sakura schossen Blutfontänen aus der Nase. Ein sardonisches Halblächeln zupfte an seinem Mundwinkel, als wüsste der Schuft ganz genau, was er mit ihr anstellte. Ihr glühender Teint ließ aber sicherlich wenig Freiraum für Interpretationen. Eventuell genoss er auch, sie in ihrem Spezialgebiet, einem Feld, auf dem sie normalerweise brillierte, wie eine blutige Anfängerin aussehen zu lassen. Oder es war seine Art, sie auf ihren Platz zu verweisen, sie zu bestrafen, weil er sich niemals in einem privaten Rahmen vor ihr entkleiden würde. Moment mal, was dachte sie überhaupt?! Konzentration, Sakura, Konzentration. Sie schluckte nicht vorhandenen Speichel in ihrem staubtrockenen Mund herunter und fokussierte sich auf seine Schulter. Er drehte ihr den Rücken zu, was sie prompt zischend Luft einsaugen ließ. Sein Schulterblatt war in einem hässlichen Violettton verfärbt, das Gelenk stach in einem unnatürlichen Winkel unter der Haut hervor. Er musste wahnsinnige Schmerzen haben, dieser Vollidiot. „Bist du eigentlich bescheuert“, blökte sie und boxte ihm überaus unprofessionell gegen die Schulter, was ihn das Gesicht verziehen und sie eine gewisse Genugtuung verspüren ließ. „Wieso hast du das noch nicht behandeln lassen? Oh, ich weiß, weil du kein Baby bist.“ Sie setzte das Wort Baby mit den Fingern in dramatische Anführungszeichen. „Dafür verhältst du dich ganz schön wie eins. Du bist so ein Sturkopf“, schimpfte sie. „Fertig?“ Er sah sie eiskalt über die Schulter an. Sakura grummelte leise vor sich hin, während sie seine Verletzung sanft abtastete. Das Schultergelenk war ausgekugelt, darüber hinaus stellte sie jedoch keine weiteren Blessuren fest, keine gebrochenen Knochen und das umliegende Gewebe war ebenfalls intakt. Dennoch glich einem Wunder, dass er den Arm überhaupt noch bewegen konnte. Sie hatte nicht übel Lust, ihm noch mal gegen die Schulter zu schlagen, fürchtete aber, dass er es ihr diesmal mit einer gebrochenen Nase vergelten würde. „Wie ist das passiert?“ „Training“, sagte er nur. Ihr Mund bildete eine schmale, weiße Linie. „Ich muss die Schulter einrenken. Das wird dir nicht gefallen, mir dafür umso mehr.“ „Seit wann bist du so sadistisch?“ Er erdreistete sich zu einem schiefen Schmunzeln. „Seit ich mit idiotischen Patienten zu tun habe, die es verdienen“, entgegnete sie grollend. „Leg dich hin.“ Irgendetwas daran ließ ihn spöttisch auflachen, aber er kam ihrer Aufforderung nach und sie beförderte den Knochenkopf seines Oberarms mit einem Knirschen und einigem Kraftaufwand zurück in die Gelenkpfanne. Sasuke zuckte nicht mal. „Bleib noch einen Moment liegen“, instruierte sie, als er sich direkt wieder aufsetzen wollte, und unterstrich die Aussage, indem sie ihre Hand auf seine Brust legte und ihn nach hinten drückte. „Du musst ins Krankenhaus, du brauchst eine Armschlinge und anschließend mindestens eine Woche Ruhe, besser wären zwei.“ Er schnaubte empört, als hätte sie sonst was von ihm verlangt und aus seiner Perspektive hatte sie das vermutlich auch. „Es ist mir Ernst, Sasuke, du musst sorgsamer mit dir umgehen, mehr auf dich achten. Zwei Wochen Ruhe bringen dich nicht um.“ „Weißt du eigentlich, wie sehr der Körper in zwei Wochen abbaut?“ „Zufällig ja, ich bin Ärztin“, erwiderte sie schnippisch, indes sie ihr heilendes Chakra in ihn fließen ließ, um die Schmerzen und die Schwellung zu lindern. „Ich sehe natürlich vollkommen ein, dass eine Schlinge zu tragen viel schlimmer ist, als den Arm zu verlieren.“ „Laufe ich denn Gefahr, den Arm zu verlieren?“, fragte er sarkastisch. Sie sah ihn streng an, seufzte dann leise. „Ich frage mich, wofür du dich bestrafst, weshalb du offenbar der Meinung bist, das verdient zu haben.“ „Du weißt gar nichts. Tu nicht so, als würdest du mich kennen“, blaffte er und riss sie am Handgelenk von sich weg. Ihr Puls hämmert gegen seine Fingerspitzen. „Woher auch, du redest nie mit mir.“ „Warum sollte ich.“ „Ich glaube, dieses Gespräch haben wir schon ein paar Mal in einigen Facetten durchgespielt“, sagte sie resigniert und entwand ihm ihr Handgelenk. „Du willst mir nichts erzählen und ich kann dich schlecht dazu zwingen, aber du kannst mich ebenso wenig zwingen, dass ich aufhöre, mich um dich zu sorgen.“ „Sicher?“ Er setzte sich schlagartig auf, sein Gesicht schwebte nur Zentimeter vor ihrem. Jedem anderen wäre die Situation vermutlich bedrohlich vorgekommen, doch die Intensität seines Blickes, sein heißer Atem auf ihrer Haut und der Umstand, dass sein Oberkörper noch immer unbekleidet war, sorgten lediglich dafür, dass sich ihr Unterleib zusammenzog. Sakuras Augen rutschten auf seine Lippen, blieben zu lange dort hängen, als dass es ihm entgangen sein konnte. Sie sah rasch zur Seite weg und rückte von ihm ab, ehe ihr hormonverhageltes Gehirn komplett aussetzen und sie zu einer riesengroßen Dummheit verleiten konnte. „Sicher“, meinte sie nachdrücklich. „Du bist mein Freund. Es gibt Schlechteres, als Freunde zu haben, weißt du.“ „Tzz“, zischte er verächtlich, glitt endgültig von dem Sofa und streifte sein Oberteil über. „Ich habe die nächsten Tage übrigens keine Zeit für dich, ich habe Wichtigeres zu tun“, informierte er sie und stolzierte erhobenen Hauptes an ihr vorbei. Es gab nur wenige Menschen, die überzeugend stolzieren konnten, aber Sasuke gehörte eindeutig dazu. Kalte Herbstluft blies in das Zimmer und wirbelte Staub auf, als er sie, ohne eine Entgegnung ihrerseits abzuwarten, stehenließ. Sakura hatte sowieso nichts dazu zu sagen. Nachdenklich lief sie durch das Uchiha-Viertel, das Gesicht gegen den eisigen Wind tief in ihrem Schal vergraben. Ihre Wangen brannten dennoch, vor Kälte diesmal. Woran leg es, dass er, jedes Mal, wenn sie sich ein wenig näherzukommen schienen, wenn sie – durfte sie es zu denken wagen? – einen Moment hatten, danach besonders mauerte, es regelrecht darauf anlegte, ihr Gespräch in einen Streit münden zu lassen? Es stimmte, sie würde sich immer um ihn sorgen, doch die andere Wahrheit war, dass jedes Aufeinandertreffen mit ihm ihre Kräfte absaugte, als hätte man den Stöpsel in der Badewanne gezogen. Und es brachte nicht mal etwas; sie würde ihm noch das letzte Quäntchen ihrer Energie schenken, wenn es ihm wenigstens helfen würde. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, wodurch sie erschrocken zurückzuckte, als sie plötzlich sanft an den Oberarmen gepackt und ein Stückchen zurückgeschoben wurde. „Hoppla“, grinste Shisui freundlich zu ihr herunter und hielt sie auf Armeslänge von sich. Offenbar wäre sie fast in ihn hineingelaufen. „Verzeihen Sie bitte, ich habe nicht aufgepasst“, sagte sie und verbeugte sich vor ihm. Seine Hände rutschten von ihren Armen. „Mir tut es leid, dich aus deinen Gedanken gerissen zu haben. Du sahst so nachdenklich aus, dass dir bestimmt gleich eine wichtige Erkenntnis gekommen wäre, wenn ich nicht im Weg gestanden hätte.“ Er kratzte sich sympathisch lachend am Hinterkopf und erinnerte sie damit irgendwie an Naruto. „Dafür müsste ich wahrscheinlich bis nach Iwagakure durchlaufen“, wusste sie betrübt. „Die wenigsten lohnenden Ziele sind ohne Mühe und Fleiß erreicht.“ Sakura lächelte ihn unverbindlich an. Derartige Plattitüden schmetterte Sensei Kakashi ihr ebenfalls gern friss-oder-stirb-mäßig um die Ohren, wirklich hilfreich oder tröstlich waren sie selten. „Sakura, richtig?“ „Ähm… ja“, bestätigte sie verdutzt. Woher kannte er ihren Namen? Hatte Sasuke über sie gesprochen? So schön wie der Gedanke war – wobei sicherlich nicht gesagt war, dass er sich positiv über sie geäußert haben musste –, so unwahrscheinlich war er leider auch. Hatte er sich bei Sasuke über sie erkundigt? Etwas wahrscheinlicher, immerhin schien ihm etwas daran zu liegen, dass Sasuke soziale Kontakte außerhalb seines Clans pflegte. Oder traf ihr einstiger Verdacht, dass er sie im Auge behielt, etwa doch zu? Eigentlich auch nicht sonderlich wahrscheinlich, da sie ihn für zu klug hielt, um sich derart plump zu verraten. Außer natürlich er bezweckte etwas damit, eine subtile Drohung etwa. Sie schüttelte leicht den Kopf. Vermutlich hatte er sich ihren Namen einfach gemerkt, als Lady Tsunade ihn beauftragt hatte, sie in ihr Büro zu eskortieren. Sie entspannte sich etwas. „Hast du dich mit Sasuke getroffen?“ „Ähm…“, machte sie nicht besonders eloquent und errötete. „Ja?“ Hoffentlich machte Sasuke sie dafür keinen Kopf kürzer, andererseits übernahm Shisui das womöglich, wenn ihm ihre Antwort, was sie hier zu suchen hatte, nicht gefiel, schließlich hatte sie bereits gemerkt, dass die Uchihas Außenstehende nicht gern in ihrem Viertel sahen. „Das ist schön.“ Er kniff die Augen freundlich zusammen, als fände er das wirklich. „Ähm, ja.“ Allmächtige, jetzt reichte es aber wirklich. Sie verpasste sich eine mentale Ohrfeige. „Da fällt mir ein, ich habe mich noch gar nicht für Ihre Hilfe mit Ino bedankt.“ „Ino?“ Er drehte die Augen überlegend gen Himmel, brauchte allerdings nicht lange, um auf die Lösung zu kommen. „Deine blonde Freundin, oder? Nicht der Rede wert. Wie geht es dem Mädchen?“ „Besser“, behauptete sie. „Immer noch Streit, hm?“ Sakura senkte den Blick betreten auf ihre Schuhspitzen. War sie wirklich so durchschaubar oder lag es an der schier übermenschlichen Wahrnehmung der Uchihas? „Ihr seid jung, in eurem Alter neigt man dazu, Kleinigkeiten stärker aufzubauschen als sie verdienen.“ „Sagen Sie das ihr.“ Shisui schnalzte mit der Zunge. „Wenn du ehrlich mit dir bist, wirst du feststellen, dass zu sowas immer zwei gehören.“ „Aber ich habe nichts Falsches gemacht“, begehrte sie auf. Er seufzte, nicht genervt, nicht unfreundlich, aber so, wie man eben seufzte, wenn man sein Gegenüber ein bisschen albern fand. Er beherrschte es nicht weniger gut als Sasuke, hinterließ aber einen ganz anderen Eindruck. „Ich kann das natürlich nicht beurteilen, aber der Punkt ist doch, dass ihr entweder nie mehr miteinander redet oder einer von euch beiden nachgibt. Freunde sind wichtiger als falscher Stolz, meinst du nicht?“ „Hmm“, brummte sie und scharrte mit dem Fuß über den Boden. Shisui lächelte sie wieder auf diese freundliche Art an, klapste ihr sogar ermutigend auf die Schulter. Die Geste ließ ihn erstaunlich unbeholfen erscheinen, dann trat er einen halben Schritt zurück und verschränkte die Arme locker vor der Brust. „Ich hoffe, Sasuke war nicht allzu grantig zu dir. Er ist in letzter Zeit besonders reizbar und ihr seid heute verdächtig zeitig fertig.“ „Was?“, fragte sie belämmert und sah ihn mit großen Augen an. „Na, ihr trefft euch doch regelmäßig, um was auch immer zu machen.“ „S-so ist das nicht“, korrigierte sie hektisch und wedelte abwehrend mit den Händen vor sich herum. „Sasuke und ich sind nicht… wir machen kein, was auch immer.“ Der Schock, was er indirekt angedeutet hatte, saß tiefer als der, dass er offensichtlich genaustens über ihre eigentlich geheimen Treffen Bescheid wusste. „Natürlich nicht, ansonsten hätte er nicht so schlechte Laune“, lachte Shisui, stockte und riss leicht die Augen auf. „Das kam… unangemessen rüber.“ „Ein bisschen“, bestätigte Sakura beschämt. Ihr Kopf musste einer überreifen Tomate gleichen und stand vermutlich ebenso kurz vorm Platzen. „Ich wollte damit nicht andeuten… naja, lassen wir das lieber, bevor ich mich um Kopf und Kragen rede“, sagte er verlegen. „Woher“, sie räusperte gegen ihre piepsige Stimme an, „wissen Sie davon?“ „Ist das ein Geheimnis?“ Seine Brauen verschwanden gänzlich unter seinem Stirnband. „Ihr seid nämlich nicht besonders unauffällig.“ „Sasuke bringt mich um“, klagte sie weinerlich und ließ den Kopf hängen. „Ach was, ist doch nicht deine Schuld“, versuchte er sie zu trösten und tätschelte abermals ihre Schulter, was noch unbeholfener als beim ersten Mal wirkte. „Das wird ihn aber nicht interessieren.“ Shisui wackelte mit dem Kopf, als wäre ihr Einwand durchaus nicht unberechtigt. „Du konntest es aber nicht besser wissen, er schon. Euch alle paar Tage in unserem Viertel zu treffen und anzunehmen, dass das niemandem auffällt, wäre naiv und das ist er nicht.“ Er zuckte nonchalant die Achseln, damit sie mit seiner Aussage machen konnte, was sie wollte. „Ich will dich nicht stehenlassen, aber ich muss leider los. Ich bin mit jemandem verabredet und sowieso schon viel zu spät dran. Lass dich nicht unterkriegen.“ Er hob die Hand zum Abschied und entfernte sich mit einem Satz von ihr. „Warten Sie bitte“, rief sie ihm nach und überbrückte die Distanz, die er bereits zwischen sie gebracht hatte, im Laufschritt. Er schaute ihr fragend entgegen. „Sasuke hat eine ziemlich üble Schulterverletzung.“ Sie klang ein bisschen vorwurfsvoll. „Ich konnte ihn heilen, allerdings muss er sich jetzt unbedingt schonen. Das habe ich ihm gesagt, aber, naja, Sie kennen ihn selbst. Als seine Ärztin…“, was großzügig ausgelegt war und sie in diesem Fall sogar gegen ihre Schweigepflicht verstoßen hätte, „muss ich unbedingt darauf bestehen, dass Sie als sein Sensei Rücksicht darauf nehmen. Kein Training für zwei Wochen.“ Sie unterstrich ihre Anordnung noch, indem sie gebieterisch das Kinn reckte. Die Überraschung ob dieser Information spiegelte sich keine Sekunde auf seinem Gesicht wider, trotzdem entging sie ihr nicht. „In Ordnung, ich werde darauf achten“, versprach er mit einem Grinsen, das ihr plötzlich fürchterlich falsch vorkam, hob abermals die Hand und war mit einem Satz verschwunden. Sakura vergrub ihre Hände tief in den Jackentaschen. Shisui hatte offensichtlich keine Ahnung gehabt, ergo hatte er Sasuke diese Verletzung auch nicht zugefügt. Die Art ebenjener schloss jedoch aus, dass er sie selbst verursacht haben konnte. Natürlich hätte Sasuke mit jemand anderem trainiert haben können… theoretisch jedenfalls. Sie kniff die Augen zusammen und machte sich auf den Heimweg. Dass sie aufmerksam beobachtet wurde, bemerkte sie nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)