Das Bluterbe der Youkaifürsten von Weissquell (Fortsetzung zu "Die Blutfehde der Youkaifürsten") ================================================================================ Kapitel 47: Ein schwerer Gang ----------------------------- Die Nacht ist schon längst wieder hereingebrochen und Kouga und Shimogawa sind immer noch unterwegs. Ein Umstand der die Geduld des Wolfsyoukais auf eine harte Probe stellt. Auch ohne die Splitter vom Juwel der vier Seelen ist er für gewöhnlich um Längen schneller als dieses Schneckentempo hier. Doch er kann nichts machen, denn der Inuyoukai des Nordclans läuft schon so schnell wie er kann. Oder besser gesagt er humpelt. Zu Beginn konnte der Nordkrieger noch einigermaßen mithalten, doch inzwischen hat sich ihre Geschwindigkeit drastisch reduziert. Die Verletzungen des Kriegers sind wohl doch ernster als es den Anschein hat. Kouga verdreht immer wieder genervt die Augen während er neben dem Anderen hertrottet. Auf Grund der Richtung hat er eine wage Vorstellung wohin sie wollen, doch er weiß auch, dass es ihm nichts bringen würde wenn er vorauslaufen würde. Er braucht den Hundeyoukai, denn dessen Leute würden ihm, einem Fremden sonst vermutlich kein Wort glauben. Und so aggressiv wie der Nordclan ist, kann sich Kouga besseres vorstellen, als es auf einen Kampf mit ihnen ankommen zu lassen. Zwar hat er sehr wohl mitbekommen, dass die überwiegende Mehrheit der Clankrieger bei dem letzten Angriff umgekommen ist und er es vermutlich nur noch mit Frauen zu tun bekommt, aber er kann wirklich schwer abschätzen wie diese Weiber so drauf sein werden und seine Ehre verbietet es sowieso gegen Frauen zu kämpfen. Na ja, bis auf wenige Ausnahmen, doch selbst er hat gerade noch genug Anstand um seine Waffen nicht gegen Frauen zu erheben, die eben erfahren haben, dass sie zur Witwe geworden sind und deshalb möglicherweise ein wenig ungehalten reagieren. Innerlich seufzt er verstimmt. Er hat nur ein einziges Mal dem Krieger neben sich angeboten ihn zu tragen damit es schneller geht. Die Reaktion darauf war für Kouga eindeutig genug, dass er diesen Vorschlag nicht noch einmal unterbreiten wird. Und nebenbei hat er jetzt einige neue Schimpfwörter gehört, die er sich für passende Gelegenheiten gut merken wird. Es hilft also nichts, sie werden den langen Weg gehen müssen. Was müssen die blöden Hunde nur immer so schrecklich stur sein? Er selbst ist da eher pragmatisch veranlagt. Er würde Kagome nicht dieser Gefahr aussetzen, wie es der blöde Köter immer macht. Er würde sie dorthin bringen wo sie in Sicherheit ist. Und dann wenn es gar nicht anders ginge, dann würde er kämpfen um sie zu beschützen, solange und so hart wie es nötig wäre! Aber im Grunde seines Herzens weiß er, dass es keinen Zweck hat darüber nachzudenken. Kagome wird immer den Hanyou wählen, und sie würde sich nicht verstecken lassen bis alles vorbei ist. Sie würde sich mitten ins Getümmel stürzen und mitkämpfen wollen. Sie ist mutig und sie ist stark. Gerade das schätzt er so an ihr. Doch sie wird den Hanyou nie alleine kämpfen lassen. Und sie wird ihn niemals verlassen. Mit starrer Miene läuft Kouga neben seinem Begleiter her. Vielleicht wäre das alles leichter zu ertragen, wenn sie ihn einfach hassen würde. Aber nein, sie hält noch immer große Stücke auf ihn, obwohl sie zu dem Hanyou gehört. Sie behandelt ihn mit Respekt und traut ihm mehr Edelmut zu als er meist selbst in sich sieht. Wie könnte er ihr da je eine Bitte abschlagen? Er schnaubt grimmig. Der Hanyou weiß gar nicht was er da an ihr hat. Sie ist einfach viel zu gut für ihn! Auf einmal verlangsamen sich die Schritte des Mannes neben ihm und im ersten Moment möchte Kouga ein genervte Geräusch von sich geben, weil sich nun alles nur noch mehr verzögert, doch der Nordkrieger hebt nur ernst den Finger und weist in einiger Entfernung auf ein paar gewaltige Palisaden die zwischen zwei steilen Felswänden den Zugang zu einem Talkessel versperren. „Da ist es!“, bemerkt Shimogawa bitter. Für einen Moment muss er sich beinah dazu durchringen weiterzugehen, doch dann setzt er einen Fuß vor den anderen und steuert nun langsam auf die Absperrung zu. „Das ist eure Heimat?“, fragt Kouga und sein Blick geht wachsam zu den Zinnen der Palisaden, jederzeit bereit sich zu verteidigen falls nötig. „Das ist der Palast des Nordens“, gibt Shimogawa Auskunft. „Und da drin wohnt dein Clan?“, hakt Kouga nach. „Sieht mir nicht grade gemütlich aus.“ „Was weißt du schon, O-kami?“, schnaubt der Nordkrieger zurück. „Außerdem wohnen nicht alle da drin. Nur die Bediensteten des Palastes. Die anderen leben in der Gegend drum herum.“ Er verzieht unwillig das Gesicht. „Aber wozu erzähle ich dir das?“ Kougas Miene zieht sich zu. „Na, weil ich dem blöden Hanyou-Köter versprechen musste, ein Auge auf euren Clan zu haben. Weiß der Geier warum ich mich dazu habe bequatschen lassen, aber da muss ich dann schon wissen wo ich meine Augen überall haben muss.“ Shimogawa zeigt ihm ein schiefes Lächeln. „Du magst den Kerl auch nicht, ha?“ Kougas Mundwinkel verziehen sich spöttisch. „Seh' ich so aus? Leiden konnte ich den echt noch nie.“ Er seufzt einmal schwer. „Wenn er mich nicht immer bei meiner Ehre packen würde, würde ich mich gar nicht um ihn scheren.“ Zynisch blickt Shimogawa ihn an. „Nichts für ungut, aber glaub mal nicht, dass wir die Hilfe von euch Wölfen brauchen. Wir sind auch so immer zurecht gekommen, jetzt gerade zwar... sieht es ein wenig... schwierig aus, aber...“, hier stockt er und seine Miene bekommt nun etwas Angespanntes und Schmerzerfülltes. Er wischt sich kurz einmal übers Gesicht und ballt dann die Faust. „Das wird schon wieder!“, murmelt er so entschlossen wie ihm möglich war. Dann hebt er den Kopf wieder und blickt Kouga mit einem betont verwegenen Blick an. „Wenigstens bist du noch ein echter Youkai und nicht diese Witzfigur von Hanyou. Mal im Ernst, was für eine Hilfe wäre von dem schon zu erwarten?“ Mit regloser Miene erwidert Kouga den Blick. Dann meint er ironisch: „Ja, besser wir überlassen ihm den Kampf gegen diesen übermächtigen Gegner. Da ist er besser aufgehoben. Vielleicht vertreibt er ihn ja noch mal, dann brauchen wir uns mit dem Vieh nicht hier abgeben.“ „Ganz genau!“, bestätigt Shimogawa entschieden. „Der soll bloß weg von hier bleiben!“ Mit erhobenen Augenbrauen blickt Koga den Inukrieger an. Dann verdreht er die Augen. „Meine Fresse, was seid ihr Hunde dämlich!“ „Hey, was soll das bitte bedeuten?“, empört sich Shimogawa. „Ach, vergiss es!“, entgegnet Kouga unwirsch und beschleunigt seinen Schritt. Sie nähern sich dem hölzernen Tor, das links und rechts von seinem Durchgang mit großen, weißen Stoffbandarolen auf denen in großen, geschwungenen Zeichen der Palast des Nordens ausgewiesen wird, begrenzt wird. Unbeirrt schreitet Kouga darauf zu. Es vergehen einige Momente ehe er mitbekommt, dass der Nordkrieger nicht länger an seiner Seite ist. Gereizt blickt er sich zu ihm um. Der Soldat schlurft mit verkniffener Miene auf das Tor zu und wird dabei scheinbar immer langsamer. „Glaubst du, dass du dich vielleicht ein Bisschen beeilen kannst?“, fragt Kouga entnervt. Der Hundekrieger wendet störrisch den Blick ab, aber seine Lippen sind fest aufeinander gepresst. Kouga verdreht die Augen. Es juckt ihn in jeder Faser zurückzugehen und diesen humpelnden Idioten am Arm mit sich zu schleifen. Doch vermutlich würde das so dicht vor dem Palasttor eines Hundeclans einen etwas falschen Eindruck vermitteln. Mit mürrischen Schritten stapft er zu dem anderen zurück. „Würde es was helfen wenn ich schiebe?“, fragt er zynisch. „Ach, halt die Klappe!“, schnaubt Shimogawa, doch die Art wie der Krieger immer wieder verstohlen zu dem Tor hinüber blinzelt, sagt ihm, dass das Problem offenbar woanders liegt. Kouga seufzt schwer. „Hör mal!“, meint er eindringlich. „Du bist nur der Bote. Du erzählst ihnen nur was passiert ist. Sie werden dir dafür schon nicht den Kopf abreißen.“ „Da wär ich nicht so sicher!“, erwidert Shimogawa trocken, aber die Antwort signalisiert Kouga, dass er ins Schwarze getroffen hat. Doch noch ehe er weiterhaken kann, sprudelt es schon aus dem Inuyoukai heraus. „Und was soll ich ihnen überhaupt sagen, hä?“ Kouga bemerkt, dass ein Schaudern über den Körper des Kriegers läuft, offenbar ist er tatsächlich so aufgewühlt wie er sich gerade gibt. Anscheinend will er noch etwas sagen, doch die Worte wollen einfach nicht heraus. Fahrig gestikuliert vor sich in die leere Luft. Es kostet ihn offenbar enorme Überwindung weiterzureden. „Das da...“, er weist gefrustet hinter sich. „Wie soll ich das...? Ich kann doch nicht....“ Seine Kiefer sind starr aufeinandergepresst. Wild zucken seine Augen hin und her. Mit verschränkten Armen beobachtet Kouga den inneren Konflikt des Inuyoukai. Sein Blick ist schmal. Schließlich schnellt seine Hand vor und packt fest den zappeligen Unterarm des Kriegers. Direkt blickt er ihm in die Augen. “Hey!“, meint er nachdrücklich. „Krieg dich wieder ein, ja? Du hast noch einen Job zu erledigen.“ Shimogawa fletscht aufgebracht die Zähne. Hasserfüllt funkelt er Kouga an. „Lass mich los, du Arsch! Du hast doch keine Ahnung wie das ist! Wenn dein ganzer Clan in einer einzigen Schlacht ausgelöscht wird. Alle deine Kameraden... alle deine Freunde sind tot! Und du konntest nichts aber auch gar nichts dagegen tun! Nur du bist noch über und musst jetzt solange du atmest damit leben, dass du der Einzige bist, den es nicht erwischt hat. Dass du derjenige bist, der den Hinterbliebenen erklären muss, dass es für unser Volk keine Zukunft mehr gibt....“ Seine Stimme beginnt zu zittern und bricht dann weg. Doch sogleich wird sein Blick wieder hart und seine Augen schleudern alle Verachtung zu der sie fähig sind zu Kouga hinüber. „Du weißt nicht wie das ist!“ Der Wolfsdämon hat die Worte regungslos über sich ergehen lassen, aber seine Miene ist steinern und seine Kiefer sind hart aufeinandergepresst. Unverwandt starrt er zurück in Shimogawas hasserfüllte Augen. Dann packt er unbarmherzig den Arm in seinem Griff noch fester und hält ihn wie in einem Schraubstock fest. Seine Miene ist angespannt aber regungslos. „Ach, weiß ich nicht?“, kommen schließlich die leisen, mühsam kontrollierten Worte. Mehr sagt er nicht, doch seinen durchdringenden Blick hält er weiter auf Shimogawa gerichtet. Einen sehr langen Moment hält dieses stille Ringen an, währenddessen Shimogawa allmählich die Information verarbeitet die ihm hier so völlig unvermutet zuteil wurde. Es dauert eine ganze Weile ehe er begreift. Schließlich löst sich seine Anspannung wieder. Er senkt den Blick und die eben noch vorherrschende Wut geht langsam in Resignation über. Er löst sich aus Kougas Griff und tritt einen Schritt beiseite. Wieder vergeht eine ganze Weile, ehe eine Reaktion von ihm kommt. Mit hängendem Kopf und kraftlosen Schultern fragt er: „Was soll ich jetzt tun?“ Kougas Blick ist kühl. „Was schon? Das wozu du den Auftrag bekommen hast. Sag ihnen was passiert ist. Und zeig dabei ein bisschen Würde, verdammt noch mal!“ Shimogawa schließt einen Moment die Augen. Dann blickt er wieder auf. „Na schön, aber leicht wird das trotzdem nicht.“ Damit setzt er sich wieder in Bewegung. „Hat ja auch keiner behauptet!“, brummt Kouga verstimmt und macht sich daran ihm zu folgen. Sie gehen nur wenige Schritte, als plötzlich eine helle Stimme von oben ertönt. „Hey, Shimogawa! Schon zurück? Gibt es Neuigkeiten?“ Im ersten Moment ist Shimogawa zusammengezuckt und hat hastig nach oben geschaut. Doch jetzt entspannt er sich wieder, lässt den Kopf hängen und stößt einen sowohl erleichterten als auch verächtlichen Laut aus. Kougas Blick geht ebenfalls hinauf. Auf der Palisade sitzt eine hagere, kleine Gestalt und blickt auf sie hinunter. Grimmig humpelt Shimogawa weiter ohne die Person über ihnen auch nur eines Blickes zu würdigen. Doch damit gibt diese sich wohl nicht zufrieden. Mit einem geschickten Sprung, schwingt die schmale Gestalt sich von ihrem Posten herunter und landet kurz vor den beiden Neuankömmlingen auf dem Weg. Shimogawa bleibt stehen und seufzt genervt. Vor ihnen seht eine kleine, magere Person in einem zerschlissenen, kurzen Jinbei. Spindeldürre Arme und Beine ragen aus den kurzen Ärmeln und Hosenbeinen hervor und ihr Kopf sitzt auf einem so erschreckend dünnen Hals, dass man fast Sorge bekommt, er könnte abbrechen. Dafür ist das herausfordernde Grinsen auf dem Gesicht um so frecher. Wild zerzauste, grau-gescheckte Haarfransen umrahmen ein feingeschnittenes, schlankes Gesicht und hellblaue Augen funkeln voller Schabernack zu Shimogawa hinüber. „Was hast du denn schon wieder hier zu suchen, Jushi?“, brummt Shimogawa missmutig und stapft weiter. Davon lässt sich das junge Mädchen, was diese Person offenbar ist, nicht beirren. „Was wohl? Ich halte Ausschau nach euch“, gibt sie offen Auskunft während sie neben den beiden herläuft. „Du hast hier am Haupttor nichts zu suchen“, stellt Shimogawa verstimmt klar. „Einer muss doch Wache halten und Bescheid geben wenn ihr wieder da seid.“ „Das ist nicht deine Aufgabe!“, erwidert Shimogawa bestimmt. „Ach was?“, kommt es provokant zurück. „Wessen dann, hä?“ Wortlos beschleunigt Shimogawa seinen Schritt. Doch auch damit wird er das Mädchen nicht los. „Alle Wachleute sind doch mit in den Kampf gezogen“, fährt Jushi schonungslos fort. „Also muss eben wer anderes den Job übernehmen.“ Shimogawa schnaubt verächtlich. „Ach, und du hältst dich für jemanden der das tun sollte, was?“ „Klar!“, kommt es trotzig zurück. Mit einer schnellen Bewegung greift seine Hand nach ihrem Gesicht und schubst sie einmal unsanft von sich, so dass sie zu Boden fällt. „Mach dich nicht lächerlich!“, brummt er. „So 'ne halbe Portion wie du hat bei der Wache nichts verloren.“ Unbeirrt, rappelt sich Jushi wieder hoch und schließt rasch wieder zu ihnen auf. „Ich halte ja nur Ausschau, da muss ich nicht kämpfen können. Und außerdem ist sonst eh keiner da der es machen kann.“ Shimogawa verdreht die Augen.“Wozu willst du das überhaupt machen?“, meint er genervt. „Du bist 'n Mädchen. Solltest du nicht lieber was nähen, oder kochen oder so was?“ Jushi stößt ein verächtliches Prustgeräusch aus. „Pff, das ist doch voll öde! Mit solchem langweiligen Babyscheiß, können sich die anderen befassen. Was ihr macht, finde ich viel interessanter.“ Shimogawa beißt die Zähne zusammen. „Mach, dass du heim kommst! Du hast doch keinen Schimmer worum es dabei wirklich geht.“ „Klar hab ich das!“, behauptet Jushi ernst, „Um den Schutz unseres Clans. Die Krieger beschützen die Frauen. Sie kämpfen mit Kraft und Ehre und geben ihr Leben für den Fortbestand unseres Volkes. Ich weiß, dass das 'ne sehr ernste Sache ist. Ich will das auch! Ich kann kämpfen, wenn... wenn ich nur...“ Ihre Stimme wird eindringlicher, doch jetzt wird sie abrupt von Shimogawa unterbrochen. „Halt die Schnauze!“, bricht es unbeherrscht aus ihm heraus. Wild dreht er sich zu ihr um. „Du weißt nichts über die Aufgaben eines Kriegers. Nichts verstehst du? Du bist eine Mädchen! Mädchen kämpfen nicht! Das ist Aufgabe der Männer. Und du bist kein Mann. Du wirst niemals kämpfen! Niemals! Also schlag dir diese schwachsinnige Idee aus dem Kopf!“ Völlig perplex lässt das Mädchen den Wutausbruch über sich ergehen. Für einen Moment bringt sie kein Wort heraus. Ihr Gesicht ist blass und sie schluckt schwer. Doch dann fasst sie sich wieder und in ihre Miene kehrt der Trotz zurück. Ärgerlich richtet sie sich auf und schiebt die Unterlippe vor während sie ihn grimmig anfunkelt. „Fick dich doch!“, faucht sie wütend. Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und läuft zurück Richtung Palast. Nur kurz darauf ist sie schon nicht mehr zu sehen. Shimogawa lässt die Schultern hängen. Müde wischt er sich mit der Hand über die Augen. Mit zynischer Miene und verschränkten Armen steht Kouga neben ihm. „Gehst du immer so mit Kindern um?“ „Ach, halt den Mund!“, meint Shimogawa erschöpft. „Die kleine Landplage steckt das schon weg. Die ist so seit ich sie kenne. Die kommt schon klar damit. Soll froh sein, dass sie grade nichts damit zu tun hat.“ Er seufzt einmal. „Na, komm schon. Wird Zeit, dass wir Deburi finden und ihm Bericht erstatten. Ich will es endlich hinter mir haben.“ Das Tor im Schutzwall, der zum dahinterliegenden Talkessel führt, ist nur angelehnt und steht einen Spalt breit offen. Offensichtlich rechnet der Nordclan mit keinerlei Übergriffen. Kouga muss sich eingestehen, dass er das etwas verwunderlich findet. Scheinbar hat das Mädchen nicht gelogen. Offenbar sind wirklich alle Krieger auf den Feldzug ihrer Fürstin mitgegangen. Das macht die ganze Sache natürlich noch tragischer. Zu gerne wüsste er warum der Nordclan so vorgeht. Doch diese Frage muss wohl warten. Gerade laufen sie über einen baumbeschatteten Innenhof. Vor ihnen liegt der massive Felsen an dessen Flanke man zahlreiche Hütten und Wege gebaut hat, die letztlich zum Thronsaal an der Spitze des Felsmassives führen. Doch auch hier unten befinden sich einige Hütten die offensichtlich bewohnt sind. Gerade jetzt schauen hier und da neugierige Augen heraus und mustern den heimgekehrten Krieger und seine unbekannte Begleitung. Eine vornehm wenn auch schlicht gekleidete Frau tritt nun auf Shimogawa zu. Sie hat helle Haut, aschgraue Haare und verhärmte, steife Gesichtszüge die ihr eine säuerliche, strenge Miene bescheren. „Shimogawa“, begrüßt sie ihn mit leicht erhobenen Brauen. „Wie überraschend dich hier zu sehen. Gibt es Neuigkeiten von der Schlacht?“ Wieder legt sich deutliche Anspannung auf Shimogawas Gesicht. „Chiegusa, ich muss mit Deburi-sama sprechen! Sofort!“ Die Frau blickt ihn etwas pikiert an. Dann wandert ihr Blick hinüber zu Kouga. „Dürfte ich vielleicht erfahren, warum du einen O-Kami hier anschleppst?“ Die Art wie sie das Wort 'O-Kami' ausspricht, lässt tief blicken. Shimogawas Miene verfinstert sich.“Nein, darfst du nicht, du alte Krähe, und jetzt sag Deburi-sama, dass ich ihn sprechen muss. Es ist äußerst wichtig.“ Der Mund der Frau ist ein dünner Strich. „So“, meint sie ironisch. “Na, wenn es 'äußerst wichtig' ist, denn werde ich mich wohl mal beeilen.“ Sie wirft Shimogawa noch einen verächtlichen Blick zu, dann dreht sie sich um und spaziert gemächlich in die entgegengesetzte Richtung davon, hin zu einigen Hütte ein Stück entfernt. Kouga hat den Wortwechsel schweigend verfolgt. Um sie herum bemerkt er jetzt immer mehr Personen die ihre Häuser verlassen und neugierig näher kommen. Dass es bis auf ein paar wenige Kinder nur Frauen zu sein scheiden, sollte ihn nicht verwundern, und dennoch macht sich zunehmend Unbehagen in ihm breit, mit jeder weiteren Person die auftaucht. Er ist sich bewusst, dass sie alle Neuigkeiten über den Verlauf des Kampfes erfahren wollen und das hinterlässt ihm einen bitteren Geschmack im Mund. Auch Shimogawa scheint es bemerkt zu haben. Der Krieger ist äußerst angespannt und blickt nur geradeaus in die Richtung in der die Frau gerade verschwunden ist. Kouga tritt etwas näher an ihn heran. „Wer ist denn dieser Deburi?“, fragt er gedämpft. „Deburi ist der ranghöchste Krieger hier“, raunt Shimogawa zurück. „Er hat hier das Sagen wenn Yarinuyuki-sama gerade nicht da ist.“ „Also so was wie ein Fürst?“, hakt Kouga nach. Shimogawa schüttelt energisch den Kopf. „Nein, Yarinuyuki-sama ist die alleinige Herrscherin unseres Clans.“ „Und...“, setzt Kouga ein wenig skeptisch nach, „wird er Fürst wenn eure Fürstin es vielleicht doch nicht schafft?“ „Bei den Göttern, bloß das nicht!“, presst Shimogawa kaum hörbar heraus. „Wenn ich den jeden Tag ertragen müsste...“ Doch weiter kommen sie nicht. Gerade jetzt erscheint im Türrahmen einer der Hütten eine hochgewachsene Gestalt und bewegt sich auf sie zu. Was dabei auffällt ist, dass diese Person sichtbar humpelt auch wenn sie sich Mühe gibt es nicht zu zeigen. Es ist ein großer, kräftiger Mann. Er hat lange graue Haare und unter einem voluminösen Pelzmantel aus allerlei Flicken trägt er eine stattliche Lederrüstung. Beim Näherkommen jedoch erkennt man dass die erhabene Erscheinung durch mehrere Verunstaltungen entstellt ist. Der rechte Arm endet im Ellenbogen und an der linken Hand fehlen Daumen und Zeigefinger. Statt dem linken Bein stützt er sich beim Gehen auf eine hölzerne Prothese und über sein linkes Auge zieht sich eine tiefe zerfranste Narbe. Das alles ändert jedoch nichts an der würdevollen Haltung die der Mann an den Tag legt. Mit festem Schritt, in der linken Hand einen langen, kräftigen Speer für das Gleichgewicht, bewegt er sich auf die beiden Neuankömmlinge zu und Kouga stellt fest, dass Shimogawa zunehmend nervös wird. Als der eindrucksvolle Mann bei ihnen angelangt ist und sie beide mit einem strengen Blick bedenkt, fällt Shimogawa rasch auf die Knie und neigt das Gesicht zum Boden. „Deburi-sama!“, stößt er ehrerbietig hervor. „Ich habe Nachricht von der Front.“ Zunächst kommt keine Reaktion von dem Truchsess, dann legt sich um seinen Mund ein verächtlicher Zug. „Shimogawa“, die kratzige Stimme klingt geringschätzig. „Einen anderen Boten haben sie nicht finden können?“ Noch immer blickt Shimogawa starr zu Boden. „Ich fürchte nein, Deburi-sama. Es ist nämlich so, dass...“ „Du sprichst gefälligst nur wenn du dazu aufgefordert wirst!“, unterbricht Deburi ihn harsch. „Ich verspüre wenig Lust mir dein Gejammer anzuhören. „Aber Deburi-sama“, setzt Shimogawa an, „ich will mich doch gar nicht beschweren, es ist nur...“ „Das wäre auch noch schöner!“, unterbricht der Truchsess ihn erneut. „Deine Wehleidigkeit steht dir nicht gut zu Gesicht. Das ist eines echten Kriegers unwürdig.“ Shimogawa ballt unwillkürlich die Fäuste. Beherrscht sagt er: „Deburi-sama, ich muss Euch etwas wichtiges mitteilen.“ „Ja, das sagte Chiegusa bereits“, erwidert der alte Krieger sarkastisch. „Etwas 'äußerst wichtiges'. Nun denn“, der Truchsess macht eine gehässige Geste mit seinem Armstumpf, „raus damit! Sag schon wozu du gekommen bist!“ Shimogawa hebt langsam den Kopf und blickt sich mit leichter Besorgnis um. Inzwischen hat sich eine recht beträchtliche Gruppe an Schaulustigen in gebührendem Abstand um sie geschart und so wie es aussieht sind sie alle begierig darauf seinen Bericht zu hören. „Vielleicht wäre es besser, wenn ich Euch das zunächst im Vertrauen berichte“, gibt er besorgt zurück. Im selben Moment trifft ihn ein harte Schlag mit dem Ende von Deburi Speer mitten ins Gesicht. Schmerzerfüllt hält er sich die blutende Nase. „Willst dich wohl aufspielen, was?“, kommt es erbost von Deburi. „Seit wann hast du denn darüber zu entscheiden wann und wo du etwas zu tun hast? Raus mit der Sprache und zwar sofort!“ Wild funkelt das eine Auge des Veteranen auf Shimogawa herunter. „Geht mich ja vielleicht nichts an, aber vielleicht solltet Ihr doch besser auf ihn hören.“ Mit verschränkten Armen hat sich nun Kouga zu Wort gemeldet. Er begegnet der hasserfüllten Miene des Truchsesses, der nun zu ihm herumfährt, mit unerschütterlicher Gelassenheit. „Und wer bist du?“, kommt die bissige Frage als der Krieger entschlossen auf den Wolf zu humpelt um sich hoch vor ihm aufzubauen. Ungerührt erwidert Kouga seinen Blick. „Ich heiße Kouga. Ich bin Anführer des östlichen Wolfrudels und ich kann mir wahrhaft Schöneres vorstellen als hier zu sein. Aber ich hab diesem Hanyou versprochen, dass ich ein Auge auf eure Leute habe und hier bin ich nun. Außerdem denke ich es wäre gut wenn Ihr diesem Jammerlappen da mal Gehör schenken würdet, statt ihn in einer Tour zu demütigen nur um Euch wichtig zu tun.“ Die Anspannung die nach diesen Worten in der Luft hängt ist fast greifbar. Alle Augen ruhen auf Kouga der mit verschränkten Armen dem alten Truchsess die Stirn bietet, dessen Gesichtsfarbe gerade von fassungslosem Weiß bis zu zornfunkelndem Rot wechselt. Er sieht aus als könnte er jeden Augenblick explodieren. „Du wagst es in diesem Ton mit mir zu sprechen, O-Kami?“, bricht es schließlich ungehalten aus ihm heraus. Seine Augen treten fast aus den Höhlen und kleine Spucketröpfchen fliegen in Kougas Gesicht, der es demonstrativ unterlässt sie fortzuwischen. Wütend packt Deburi den Schaft seines Speeres so fest, dass das Holz knirscht. Dann wendet er sich mit einem Ruck ab und tritt Shimogawa einmal nachdrücklich in die Seite, dass dieser sich unwillkürlich krümmt. Wieder ruckt sein hasserfüllter Blick zu Kouga herum. „Du hast hier überhaupt nichts zu sagen! Und auf deine Ratschläge können wir gern verzichten!“, blafft er verächtlich. „Und du“, er wendet sich wieder Shimogawa zu. „Sag endlich was du zu sagen hast!“ Ein erneuter Stoß mit seinem Speer verleiht seinen Worten Nachdruck. „Na los, red schon!“ Shimogawa setzt sich auf. Er beißt sich unbehaglich auf die Lippen und schluckt schwer, wohl wissend, dass gerade sämtliche Anwesende an seinen Lippen hängen. „Wir... haben den feindlichen Eindringling aufgespürt“, beginnt er zögernd. „Und es kam zum Kampf“ Er atmet einmal tief durch. „Leider... verlief die Schlacht anders als erwartet.“ Seine Augen starren nun vor sich zu Boden. „Es gab... schwere Verluste.“ Ein erschrockenes Aufkeuchen ist ringsumher zu vernehmen. „Unser Gegner war viel stärker als angenommen“, fährt Shimogawa verbissen fort. „Yarinuyuki-sama wurde... schwer verletzt.“ Nun geht ein beunruhigtes Raunen durch die Menge. „Wie viele Verluste haben wir erlitten?“, kommt die scharfe Stimme des Truchsesses. Wieder ringt Shimogawa mit den Worten als sich plötzlich erneut das Schaftende des Speers unter sein Kinn schiebt und sein Gesicht schonungslos nach oben hebt. Finster blickt der Truchsess ihn an. „Wie viele!“ Noch einmal schluckt Shimogawa schwer. Dann stößt er gequält hervor: „Alle, Deburi-sama! Bis auf Itakouri, Nadare und mich hat niemand überlebt. Als ich ging, war Yarinuyuki-sama verwundet. Ich weiß nicht ob...“, seine Stimme wird mit jedem Wort dünner und bricht schließlich weg. Eine beängstigende Stille liegt nun über dem Platz. Sie hält viele schreckliche Herzschläge an. Dann endlich entlädt sich die fassungslose Schockstarre und weicht einem beklemmenden Stöhnen, Heulen und Schluchzen. Man muss nur in die Gesichter der Umstehenden sehen um zu erkennen, dass diese Offenbarung niemanden ungerührt gelassen hat. Die Frauen des Nordclans sind bis ins Mark erschüttert. Die Klage hält unvermindert an und überall sieht man Kinder die sich in die Arme ihrer Mütter geflüchtet haben um ihrem Kummer Ausdruck zu verleihen. Shimogawa sitzt mit blassem Gesicht schlaff auf dem Boden und starrt vor sich hin. Es ist offensichtlich, dass auch ihn gerade die Trauer zu übermannen sucht. Deburi tritt aufgebracht von einer Seite auf die andere. Seine Miene wirkt wild und gehetzt. Schließlich richtet er sich energisch auf und vollführt eine harte Geste mit dem Speer. „Ruhe! Seid ruhig! Auf der Stelle!“ Tatsächlich kommt das Klagen nun ein wenig zum Erliegen. Grimmig blickt Deburi in die Runde. „Was fällt euch ein, euch so gehen zu lassen?“, zürnt er. „Habt ihr vergessen wer wir sind? Habt ihr vergessen zu welchem Clan ihr gehört? Habt ihr vergessen wofür er steht?“ Finster schreitet er auf seinen Speer gestützt an den schniefenden Frauen entlang. „Seht euch nur an! Ihr benehmt euch wie kleine Kinder! Ein Youkai des Nordclans wird niemals Schwäche zeigen! Niemals! Das wisst ihr so gut wie ich. Ihr wisst alle, dass das Leben hart ist. Wir verlieren nicht zum ersten Mal Kämpfer. Hört auf sie zu beklagen! Ehrt sie! Würdigt ihr Opfer! Sie sind in der Erfüllung ihrer Pflicht gestorben. Und jetzt geht gefälligst nach Hause und tut das was eure Pflicht ist. Ich werde euch in Kürze bekannt geben was jetzt weiter geschehen wird. Na los! Verschwindet!“ Ein wenig zögerlich doch immerhin folgsam, beginnt sich die Gruppe der Frauen aufzulösen. Mit hängenden Köpfen und hier und da zittrigen Gliedmaßen kehren die Youkaifrauen zu ihren Wohnstätten zurück. Doch bis auf des jämmerliche Schluchzen einiger kleiner Kinder ist nun kein Laut mehr zu hören. Schließlich bleiben Kouga, Shimogawa und Deburi alleine auf dem Platz zurück. Ärgerlich starrt der Truchsess abwechselnd von Kouga zu Shimogawa hinüber und ein missmutiger Laut entfährt seiner Kehle. „Na, das ist ja wunderbar gelaufen“, brummt er verstimmt. Nun blickt er doch wieder auf seinen geknickten Landsmann hinab. „Also schön, du elender Trauerkloß, komm mit und dann will ich gefälligst einen vollständigen Bericht haben. Und wehe du lässt irgendwas aus!“ Mit starrer Miene erwidert Shimogawa seinen Blick. „Ich hatte Euch angeraten, den Bericht zunächst unter vier Augen zu hören.“ Sogleich trifft ihn einmal mehr der Speerschaft am Kopf. „Maßregelst du mich etwa?“, gefährlich dreht sich der alte Krieger zu ihm um. „Hast du etwa irgendetwas an meinen Entscheidungen zu beanstanden?“ Herausfordernd beugt sich Deburi zu ihm hinunter, doch rasch wendet Shimogawa den Blick ab. Wieder ein Knuff mit dem Speer. „Ob du etwas zu beanstanden hast, will ich wissen!“, wiederholt der Truchsess gnadenlos. Sein Gesicht ist nur wenige handbreit von Shimogawas entfernt. „Nein, Deburi-sama“, die Worte des jungen Kriegers sind nur noch ein Flüstern. „Dann mach, dass du hoch kommst!“ Unbarmherzig treibt er Shimogawa mit seiner Behelfskrücke an. „Und du wartest gefälligst hier, bis wir alles nötige geklärt haben, O-Kami!“, wendet er sich scharf an Kouga. Auch bei ihm weist die Betonung des Wortes auf wenig Sympathie hin. Missmutig blickt Kouga den beiden hinterher. Er legt wenig Wert darauf sich das ganze tragische Ausmaß des Geschehens noch einmal schildern zu lassen. Sollen sie sich ruhig so viel Zeit lassen wie sie wollen. Das Einzige was ihm sauer aufstößt, ist dass seine einzige Kontaktperson hier wahrlich wie ein geprügelter Hund davongetrieben wird um diesem selbstherrlichen Ersatzfürsten gefällig zu sein. Nicht, dass er übermäßig viel Sympathie für Shimogawa übrig hätte, aber nun hat er erst mal nichts besseres zu tun als hier dumm in der Gegend herumzustehen und abzuwarten was als nächstes passiert. Kouga seufzt leise. Was man nicht alles auf sich nimmt um einer Dame einen Gefallen zu tun. Vielleicht ist es das Sinnvollste wenn er zurück zum Haupttor geht und dort ein Auge auf die Umgebung behält. Schließlich ist es genau das was er diesem blöden Halbdämon versprochen hat und zum anderen verspürt er gerade wenig Lust sich mit irgendeiner der hier ansässigen Personen abzugeben. Ein wenig Wache halten lenkt ihn hoffentlich von irgendwelchen rührselig anmutenden Gedanken ab und ist immerhin besser als nur Däumchen zu drehen. Lustlos trottet er zum Haupttor zurück, springt hinauf der Spitze der Palisade und lässt sich dort auf einem leidlich bequemen Felsvorsprung nieder. Schweigend starrt er hinaus in die dunkle Nacht. Zwar würde es ihm hier wohl niemand übelnehmen wenn er mal eine Mütze voll Schlaf nehmen würde, doch er sieht im Moment lieber davon ab zu schlafen. Zu unsicher ist er ob ihn die herzzerreißenden Klagerufe der verwitweten Clanfrauen nicht vielleicht doch in seine Träume verfolgen. „Das wirst du mir büßen, dämlicher Hanyou!“, knurrt er vor sich hin, doch dann verfällt er wieder in Schweigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)