Ippo ni Yoko von MAC01 (Seto x Jou) ================================================================================ Kapitel 338: Einen Schritt nicht schaffen ----------------------------------------- Ich hasse diesen einen Tag im Jahr. Es gibt nicht viel, bei dem ich dieses Extrem nutze. Dieser Tag hat es sich redlich verdient. Der Tag, der mich bloß stellte, das Leben meines Vaters zerstört und meine ganze Familie für immer und unwiederbringlich zerspringen ließ. Alles nur wegen den Taten eines einzelnen Mannes, der die Kontrolle über sich verloren hatte. Dieser Kontrollverlust hat mich für mein Leben geprägt und wird mich bis zu meinem Tod begleiten. Dieser Tag jährt sich nun zum elften Mal und wie jedes Jahr steh ich hier, vor dem Tor des Friedhofs und betrachte es lange. Man sollte meinen, dass die zehn Besuche vor diesem mir eine gewisse Übung oder Abgeklärtheit geschenkt haben. Haben sie nicht. Dafür möchte ich mich am liebsten ohrfeigen. Mich wieder wie der Siebenjährige zu fühlen, der sich mit seiner schlimmsten Angst konfrontiert sieht, ist fast unerträglich. All die Scham von damals ist so präsent, als wäre sie nie weg gewesen. Die Scham, die ich damals empfunden habe, als mein Vater uns im Keller bei der Tiefkühltruhe erwischt hat. Nein, nicht uns! Es war nicht meine Schuld, mein Fehler oder meine Verantwortung, wie es der Alte mir immer wieder eingetrichtert hatte. Es war ganz alleine der Alte, der erwischt wurde. Damals, als mein Vater den Alten wegstieß und mich packte, hatte ich gedacht, er würde mich jetzt zum Jugendamt bringen, um mich zu verstoßen. So hatte es der Restaurantbesitzer mir eingeredet. Immer und immer wieder hatte er mir erzählt, dass meine Eltern aufhören würden, mich zu lieben, wenn sie das mit ihm und mir jemals heraus fänden. Deshalb hab ich nie um Hilfe gerufen, wenn mich der Alte fand und begann sich über mich herzumachen. Ich wollte meine Familie nicht verlieren. Aber auch die Wut meines achtjährigen Ichs zu fühlen, ist nicht gerade das Angenehmste. Nach einem dreiviertel Jahr Therapie hatte ich endlich verstanden, was der Alte mit mir gemacht hatte. Hatte verstanden, dass ich ein Überlebender war. Hab es als ungerecht empfunden, dass er mich ausgesucht hatte. Weil ich verfügbar gewesen war. Hab mich damals oft gefragt, ob ich etwas hätte anders machen können, damit der Alte von Anfang an die Griffel von mir gelassen hätte. Hab aber schnell erkennen müssen, dass diese 'was wäre wenn'-Gedanken mich nicht voran bringen, also hab ich sie irgendwann gelassen. In den vergangenen Jahren hab ich mir oft die Frage gestellt, ob ich wirklich das erste oder einzige Opfer des Restaurantbesitzers gewesen war. Ich meine, so eine Neigung entwickelt man doch nicht von null auf gleich, nur weil man eine Gelegenheit wittert. Oder war das der ausschlaggebende Grund? Die Gelegenheit? Das ich verfügbar und wir in seiner Wohnung ungestört waren? Hat er sich deshalb an niemanden sonst ran getraut? Nur an mich? Da spüre ich plötzlich etwas an meiner Hand. Als ich hinunter schaue, erkenne ich Finger, die sich mit meinen verschränken. Wie in einem Traum hebe ich langsam meinen Blick, bis ich das Gesicht meines Drachens neben mir sehen kann. Das erinnert mich daran, dass der Besuch dieses Jahr anders ist, als die letzten paar Male, denn ich bin nicht alleine. Bei den ersten Jahrestagen hatte mich Kai begleitet, bis ich anfing in die Pubertät zu kommen. Ab da bin ich alleine hergefahren. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann wäre ich auch heute alleine hier. Ich kann gar nicht erklären, wieso ich lieber alleine hier wäre, als in Begleitung meines Drachens. Vielleicht hat es etwas mit der Angst zu tun, dass er mich als seinen Partner ablehnen könnte, wenn er erst einmal gesehen hat, dass ich doch nicht so stark bin? Aber was unterscheidet dieser Besuch auf dem Friedhof von einem Trigger? Klar, haben ihm die Trigger Angst gemacht, weil er sie nicht von mir kannte, aber er fing mich auf und hatte viel Verständnis dafür. Das hatte nichts zwischen uns geändert. Wird es mit diesem Besuch genauso sein? Ich kann spüren, wie Seto sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken streichelt. Mit Mühe lächle ich ihn an und er bittet mich, dass nicht zu tun. Perplex schau ich ihn an. Sanft streicht er mir mit seiner freien Hand über die Wange. Flüstert mir zu, dass er ahnen kann, wie schwer mir das Hiersein fällt. Das mir sicherlich nicht zum Lächeln zu Mute sei. Also soll ich mich nicht zwingen. Tja, mittlerweile kann mein Drache auch mich ganz gut lesen. Das macht mich stolz. Stolz auf ihn. Was mein geliebter Drache für eine Entwicklung bis hier her schon hinter sich hat. Das ist einfach verblüffend. Als ich gestern Seto erzählte, dass heute der Todestag des Restaurantbesitzers sei, hat er mich nur verwundert angeschaut. Fragte mich, warum ich jemanden, der mir solchen Schmerz zugefügt hat, die Ehre erweise, ihn am Todestag zu besuchen. Wieder musste ich lange überlegen, bevor ich antwortete, dass es dabei nicht um Ehre ging. Fragend hatte mich mein Drache angeschaut. Da hatte Kai das Wort ergriffen. Er hatte Seto dann erklärt, dass es um eine letzte Aufgabe ging. Eine Aufgabe, die er nur jene Patienten auftrug, die ihre Therapie erfolgreich abgeschlossen haben. Dabei kann sich diese Aufgabe von Person zu Person unterscheiden. Fragend hatte mich Seto wieder angeschaut und ich musste ihm gegenüber einräumen, dass ich diese letzte Aufgabe noch nicht erfolgreich bewältigt habe. Für einen Moment hatte ich geglaubt in seinem Blick Zweifel zu sehen. Ich war mir sicher, er würde sich fragen, ob ich ihn belogen oder ihm etwas vorgemacht hatte. Doch dann beugte er sich zu mir rüber und küsste mich sanft. Nach dem Kuss meinte mein Drache, dass er mich begleiten würde. Es war keine Frage gewesen, sondern eine Ankündigung. Wie hätte ich ihm da sagen sollen, dass mir das nicht so recht wäre? Langsam setze ich den ersten Schritt durch das Tor auf den Friedhof. Wir schreiten an unzähligen Grabsteinen vorbei. Bei manchen glimmen Räucherstäbchen, bei anderen liegen einige frische Blumen. Ich hab weder Räucherstäbchen, noch Blumen bei mir. Warum auch? Schließlich kommen wir zu der Reihe, in der auch die Urne des Alten beigesetzt wurde. Noch einmal bleib ich stehen. Zögere. Dann betrete ich die Reihe. Erst nach einigen Metern erreichen wir den Grabstein des Restaurantbesitzers und ich kann hören, wie Seto überrascht Luft in sich zieht. Vielleicht hab ich ein kleines Detail in meiner Erzählung falsch dargestellt... ein unwichtiges Detail, meiner Meinung nach. Seto sagt nichts. Er wird es sicherlich später zur Sprache bringen und mich danach fragen. Muss er tun. Das ist zwanghaft bei ihm. Ich weiß das und werde ihm daher auch nicht böse sein. Wie schon die viele Male zuvor steh ich stumm an dem Grab meines Peinigers und hab keine Stimme. Irgendwas schnürt mir immer den Hals ab, wenn ich hier stehe. Ein großer, fetter Kloß bildet sich in meinem Hals und ich kann nichts anderes tun, als meine Lippen fest aufeinander pressen. Spüre, wie die Scham und die Wut in mir auf ein unerträgliches Maß anschwellen. Ich will schreien. Klagen. Fragen. Doch kein Ton kommt aus einem Mund. Alles was ich tun kann, ist meine Hände zu Fäusten ballen. Okay, meine eine Hand zu einer Faust ballen, denn die andere wird von Seto gehalten. Durch das Ballen meiner Hand zerknüll ich den Brief, den ich in meiner Hand halte. Nicht zum ersten Mal. Dieser Brief hat schon einige Jahre und Besuche hier auf dem Friedhof hinter sich. Hier und da ist der Brief schon so abgenutzt, dass er droht zu zerfledern. Ohne große Sorgfalt stopf ich den Brief schließlich wieder in meine Hosentasche und wende mich von dem Grab ab. Stapfe eilig und wütend davon und ziehe einen verwirrten Seto einfach mit mir. . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)