Ippo ni Yoko von MAC01 (Seto x Jou) ================================================================================ Kapitel 280: Einen Schritt in die moralische Grauzone ----------------------------------------------------- Wenn man Snack-Automaten anzeigen könnte, ich würde es tun. Jedenfalls den in unserem Pausenraum. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass ich Geld eingeworfen, einen Snack gewählt habe und der Drehautomatismus zu kurz lief, so dass der Snack nicht in die Ausgabe fiel? Bestimmt schon einige Dutzend Male. Jedes Mal um einen Snack betrogen. Genau wie an diesem Abend. Also muss der Kaffee einfach reichen. Ich kehre mit meinem frischen Kaffee in meiner Lieblingstasse zurück in mein Büro und an meinen Schreibtisch. Dort stell ich die Tasse ab, schlag die Akte erneut auf und ... bin erneut schockiert. Ich sehe täglich bei der Arbeit die Abgründe der menschlichen Gesellschaft. Aber das hier ... das toppt einfach alles. Diese Grausamkeit gegenüber Kindern. Aber ich hab es mir selbst ausgesucht. Für meine Abteilung muss man sich freiwillig melden und einige Tests absolvieren. Selbst wenn man es in die Abteilung geschafft hat muss man halbjährlich zu einem psychologischen Gespräch. Das wurde eingeführt nachdem sich ein paar Kollegen ihre eigene Dienstwaffe beim Putzen in den Mund geschoben und abgedrückt haben. Im Schnitt halten die Beamten in dieser Abteilung es knapp zwei Jahre aus. Nur wenige - wie ich - können diese Arbeit länger machen. Die, die es hier nicht aushalten wechseln in der Regel zu weniger stressigen Abteilungen, wie das Mord- oder Drogendezernat. Ein ehemaliger Kollege, den ich ab und zu auf ein Bier treffe, meinte, dass der Unterschied daran liege, dass man bei der Mordkommission nicht mit lebenden Opfern zu tun hat. Ich bin jetzt seit fast zehn Jahren in dieser Abteilung. Die Abteilung zu verlassen und in eine andere Abteilung zu wechseln kann ich mir nicht vorstellen. Nicht immer können wir einen Täter ermitteln, festnehmen oder der Gerichtsbarkeit zuführen, aber ich kann immer eine Stütze für die Überlebenden sein. Wenn ich in ihr Leben trete haben sie gerade eine unglaubliche Gewalt erfahren. Bin bei ihnen, wenn sie im Krankenhaus untersucht werden und - wie eine Überlebende es einmal formulierte - 'ein zweites Mal vergewaltigt' werden. Und nach einer traumatischen Erfahrung und einer mehr als demütigenden Untersuchung müssen sie mir das Geschehene bis ins kleinste Detail schildern. Immer und immer wieder. Fragen beantworten. Sich an alles erinnern. Danach fahr ich sie nach Hause oder wo anders hin, wenn das eigene Zuhause ein Tatort ist. Biete ihnen einerseits die Nummer der 'Opferberatung', andererseits auch meine Schulter, wenn sie jemanden zum Reden brauchen. Unsere Arbeit beschränkt sich nicht nur auf die Tätersuche oder die Ermittlungen. Sondern besteht auch darin die erste Stütze zu sein, die einen Überlebenden wieder aufrichtet. Denn wir können den Täter nur mit ihrer Hilfe hinter Gitter bringen. Dafür dürfen sie aber kein psychisches Wrack sein. Doch dann gibt es solche Fälle, wie diesen: Ein Pädophilenring, der die gehobenen Gesellschaftsschichten durchzieht. Daimon Kogoro war nicht der Drahtzieher, aber eines der mächtigsten Rädchen, die das Getriebe dieser Perversion am Laufen hielt. In seiner Bildersammlung haben wir bislang drei Dutzend Kinder und Jugendlicher festgestellt. Bei einem Drittel haben wir die Identität ermittelt, aber stießen dort auf eine Mauer des Schweigens. Eine Mauer, die mit Blutgeld gemauert wurde. Der einzige bekannte Überlebende, der frei von so einer Schweigegeldvereinbarung scheint, ist Kaiba Seto. Ich hab ihn erst kennen gelernt, nachdem der letzte Missbrauch mehr als vier Jahre her ist. Er war kein zufälliges Opfer dieses Monsters. Daimon Kogoro war früher einmal Firmenvorstandsmitglied der Kaiba Corporation und konnte sich regelmäßig an dem jungen Mann vergehen. Doch darüber spricht der junge Geschäftsmann nicht. Nicht weil er will, sondern weil er noch nicht kann. Ich hab dafür Verständnis. Gerade Kinder müssen eine Überlebensstrategie entwickeln, die ihnen erlaubt, nicht an dem Erlebten kaputt zu gehen. Gelingt nicht immer. Jene Kinder, deren Überlebensstrategie nicht greift versuchen sich oft anderweitig von den Erinnerungen zu befreien. Sie betäuben sich mit Drogen oder Gewalt. Dadurch geraten sie aber in eine Situation, in der sie ständig Geld brauchen. Die wenigsten sind vermögend, also müssen sie Geld ranschaffen: Sie rauben, stehlen, betrügen oder verkaufen sich selbst, was zu neue Wunden führt, die sie ausradieren wollen. Doch selbst wenn die Überlebensstrategie greift haben die Überlebenden in ihrem späteren Leben enorme Probleme: Sie können niemanden vertrauen. Lassen keine Nähe zu. Manchmal stürzen sie sich wiederholt in ungesunde Beziehungen. Sind oft von Wut und Unbeherrschtheit getrieben. Sie müssen alles kontrollieren. Wenn sie selbst Eltern werden sind sie oft übervorsichtig und sperren ihr Kind lieber ein, um es zu beschützen, was dann zu Problemen mit diesem führt. Was die wenigsten wissen ist, dass so eine Überlebensstrategie nicht für immer hilft. Irgendwann brechen die Mechanismen zusammen, die die Schmerzen und Erinnerungen zurück gehalten haben. Dann erleben die Überlebenden alles so, als würde es in diesem Moment erst geschehen. Alles auf einmal. Einige zerbrechen dann. Wenige schaffen es einen neuen Weg zu finden, auf dem sie mit all dem Ballast zurechtkommen können. Ein Rascheln lässt mich aufblicken und überrascht feststellen, dass ich nicht länger alleine bin. In meiner Tür steht die Staatsanwältin. Sie hält eine braune Papiertüte in der Hand, die sie kurz hochhält. Auf der Tüte erkenn ich das Logo eines chinesischen Restaurants, dessen Ruf ganz gut ist. Ich winke sie also ins Büro und biete ihr einen Platz an meinem Schreibtisch an. Sie kommt und sieht die Akte, die ich zuschlage. Sofort erkennt sie diese und packt dann die verschiedenen Schachteln aus. Dann reicht sie mir Stäbchen und wir beginnen zu essen. Dabei unterhalten wir uns darüber, was mich so spät abends noch hier im Büro hält und dann über den Fall. Sie fragt, ob Seto sich schon entschieden hat, ob wir die Bilder aus dem Herrenhaus dem Fall hinzufügen dürfen. Ich teil ihr mit, dass er am Morgen hier war und sich vorerst gegen die Verfolgung der Männer auf den Bildern entschieden hat. Sie schaut mich verblüfft an, nickt dann aber. Maggi ist in ihrer Heimat berühmt geworden, weil sie die Mitglieder eines ziemlich großen, nationalen Kinderpornorings ins Gefängnis gebracht hat. Sie hat also durchaus Erfahrung mit den Überlebenden solcher Verbrechen. Aber sie muss dennoch konsequent ihr Ziel - diesen Abschaum möglichst lange von den Straßen zu holen - verfolgen. Sie muss etwas resoluter sein, auch den Überlebenden gegenüber. Doch mit dem, was sie mir zwischen zwei Pappschachteln offenbart, hab ich dann doch nicht gerechnet. Sie meint, sie habe Verständnis für die Entscheidung des jungen Mannes, dennoch habe sie alle Bilder kurzerhand abfotografiert und archiviert. Nur für den Fall, dass Seto es sich doch mal anders überlegen sollte und jemand die Originale 'weggeräumt' hat. Ich halte diese 'Begründung' für sehr dünnes Eis. Wenn Seto davon erfährt könnte es sein Vertrauen in mich, diese Abteilung und den Rechtsstaat verlieren. Wohin das führen kann... möchte ich mir lieber nicht vorstellen. . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)