Hate That I Love You von SocialDistortion ([OikawaxOC]) ================================================================================ Kapitel 26: slice of life. -------------------------- ● • . »Bei dir oder bei mir?« Asuna unterbrach das Lesen in ihrem Schulbuch und sah auf. Oikawa saß verkehrt auf Janas Platz. Fragend hatte er dabei den Kopf schief gelegt. Verwirrt runzelte sie die Stirn und sah sich um. Wie konnte sie nicht mitbekommen, dass er in ihre Klasse gekommen war? Die anderen schien es auf jeden Fall aufgefallen zu sein, nachdem einige neugierige Blicke in ihre Richtung warfen. »Was?«, hakte sie deshalb perplex nach. »Lernen. Bei dir...oder bei mir?« Ja, ihr war klar gewesen, was er gemeint hatte. Immerhin war es erst drei Tage her, dass Frau Narata ihnen mitgeteilt hatte, dass sie nicht mehr Nachsitzen mussten und sie somit den Nachmittag für Mathematik verwenden konnten. Dennoch überraschte es, dass er hier auftauchte, nur um diese Frage zu stellen. Außerdem hatte er zwei Sätze gesagt, ohne sie mit irgendetwas aufzuziehen und ohne sein typisches Grinsen. Das war ungewohnt. »Weder noch«, antwortete sie langsam, nachdem sie ihn für einige Sekunden eingehend gemustert hatte. Für diese Antwort erntete sie einen kaum merklichen überraschten Blick. »Wir werden hier in der Schule lernen. In der Bücherei.« Oikawa sah wenig begeistert über ihre Antwort aus. »Wieso? In der Bücherei ist es stickig und ungemütlich. Oder ist es, weil-« »Nein,« unterbrach ihn Asuna, da sie wusste, worauf er hinaus möchte, »also nicht hauptsächlich. Die Bücherei ist eine natürliche Lernumgebung und ideal für Nachhilfe.« »Nicht hauptsächlich?«, erwiderte er und ihr war klar, dass er gerne detaillierter über Gedanken gesprochen hätte. Allerdings war es ein denkbar ungünstiger Moment, um dieses Thema zu vertiefen. Vor allem, wenn sie sich ihre Mitschülerinnen so ansah. Einige von ihnen schienen mit sich selbst zu hadern, ob sie Oikawa ansprechen sollten. »Ja, also treffen wir uns Montag in der Bücherei, oder?« Oikawa schien noch etwas hinzufügen zu wollen, allerdings überlegte er es sich anders. Wieder etwas, dass Asuna aus der Bahn warf. »Okay. Übrigens habe ich dank Iwa Hatakes und somit auch deinen Stundenplan. Ich habe am Montag eine Stunde früher aus und werde in der Sporthalle sein. Können wir uns dort treffen? Wenn ich Volleyball spiele, neige ich dazu, die Zeit zu vergessen.« »Klar...« Sie zögerte und genau in diesem Moment kam ihr Maya, eine beliebte Schülerin ihrer Klasse und Vorsitzende des Leichtathletikclubs, zuvor. Asuna beobachtete, wie sie ihre langen schwarzen Haare zurückwarf und ihr einen flüchtigen Blick schenkte. Maya war sehr hübsch und wenn Asuna ihren Charakter genauer beschreiben müsste, würde sie die Worte extrovertiert, hartnäckig und selbstbewusst verwenden. Maya zögerte nicht, als sie Oikawa fragte: »Entschuldigt die Unterbrechung, aber ich wollte nur fragen, ob du mal mit mir ausgehen möchtest?« Sie redete nicht um den heißen Brei herum, sondern kam sofort zum Wesentlichen. Neugierig beobachtet Asuna die Situation. Sie rechnete es Maya hoch an, dass sie Oikawa vor allen anderen in der Klasse um ein Date bat. Immerhin hatte sie es bereits so oft erlebt, wie andere Schülerinnen vor sich hin stammelten und einen hochroten Kopf in seiner Gegenwart bekamen, nur um es sich anders zu überlegen. Doch die 17-Jährige wirkte alles andere als unsicher. Außerdem war ihr bewusst, dass sie selbst auf ihre Mitschülerinnen vielleicht einschüchternd wirken konnte. Das war wohl ihrer unfreundlichen Ausstrahlung geschuldet, wie es Jana mal bezeichnet hatte. Langsam wanderten Asunas Augen wieder zu dem Setter, woraufhin sich ihre Blicke kreuzten. Sie stockte kurz und hob ihre Augenbrauen. Hör auf zu starren und antworte, wollte sie damit vermitteln. »Tut mir leid,« begann er und sah Maya zum ersten Mal richtig an, weshalb diese auffallend die Luft einzog, »aber ich habe kein Interesse und auch keine Zeit für Dates.« Sofort senkten sich ihre Schultern und auch Asuna hatte mit dieser eindeutigen Antwort nicht gerechnet. Eigentlich lief dieser Moment immer gleich ab. Die Mädchen kamen auf ihn zu, fragten ihn um ein Date und Oikawa vertröstete sie mit einem Lächeln auf ein anderes Mal. Dieses Mal hingegen tat er genau das Gegenteil. Er lächelte nicht und er sagte auch klar und deutlich, dass er kein Interesse hatte. Das sorgte nicht nur bei Asuna für Überraschung, sondern auch bei Maya, die zumindest nicht mit einer solchen Abfuhr gerechnet hatte. »Oh, schade.« Sie zwang sich zu einem Lächeln und machte kehrt. Während Maya mit ihren Freundinnen die Klasse verließ, um vermutlich über diesen gescheiterten Versuch zu sprechen, widmete sich Asuna wieder ihrem Gegenüber. Sie sagte nichts, sondern musterte Oikawa eingehend. Irgendwie verhielt er sich seit Beginn anders. »Alles...okay?«, hörte sie sich selbst über den Lärm der tratschenden Schüler, die sich wieder von dem Ereignis losgerissen hatten, hinweg sagen. Es war eine Frage, die sie stets bis ins Unermessliche nervte, aber manchmal einfach notwendig war. Oikawa richtete sich kaum merklich auf und starrte vehement auf ihr Heft mit den fein säuberlichen Notizen für Chemie, welche unter ihrem Schulbuch sichtbar waren. »Ist es das nicht immer?«, stellte er eine Gegenfrage, die sie kurz aus der Bahn warf. Obwohl Umgebung, Worte und insbesondere Atmosphäre gegen ein Déjà-vu sprachen, kam es ihr so vor banal vor wie damals nachts in ihrem Zimmer. Sie hatte diese Seite an Oikawa erst einmal gesehen und das hatte sie völlig irritiert. Vielleicht hatte es auch daran gelegen, dass sie sich kaum mit seinen Bürden, seinen Emotionen und seiner Person auseinandergesetzt hatte. Jetzt, da sich ihre Gedanken öfters um den Setter drehten und sie gleichzeitig versuchte, ihn zu verstehen, konnte sie seine Aussage besser nachvollziehen. Nicht völlig, aber zumindest besser als damals. »Nur, wenn man es sich einbildet und sich weigert, mit anderen darüber zu reden.« Sie war nicht gut darin, andere aufzumuntern, aber sie war zumindest besser darin, sich in andere hineinzuversetzen. Und wenn sie etwas wusste, dann, wie es war, sich alles schön zu reden und zu glauben, dass alles okay war. Oikawa musterte sie eingehen, ehe er sich erhob und erst ausgiebig streckte. Anschließend schob er seine Hände in die Hosentaschen und beugte sich zu ihr. Asuna verharrte in ihrer Bewegung und kniff kaum merklich ihre Augen zusammen. »Wirst du etwas sentimental, Kura-chan?«, fragte er mit einem abwertenden schiefen Grinsen und es war offensichtlich, dass er nicht viel von ihren Worten hielt. Dabei lag es nicht daran, dass sie von Asuna kamen. Es waren schlichtweg die Worte selbst, die einen wunden Punkt getroffen hatten. Sie wusste das, und deshalb ließ sie sich auf die Provokation nicht ein. »Nicht wirklich, aber nichts und vor allem niemand ist immer okay.« Asuna setzte sich aufrecht hin und nahm ihr Schulbuch wieder in die Hand. »Das sollten wir eigentlich beide wissen.« »Sollten wir«, hörte sie ihn leise sagen, während er Abstand von ihr nahm und ein paar Schritte nach hinten machte. »Vielleicht musst du mich einfach des Öfteren daran erinnern.« Er zuckte mit den Schultern und wartete gar nicht auf ihre Antwort. Unter den heimlichen neugierigen Blicken der anderen verschwand er aus ihrer Klasse. Zurück ließ er eine frustrierte Asuna. Es war erst Vormittag und doch hatte Oikawa sie wieder einmal verwirrt. ♛♔ Als Asuna mit Jana zwei Tage später das Schulgebäude verließ, vermisste sie sofort den Strand und die Sonne in Okinawa. Hier in Miyagi war es doch um einiges kälter und die Temperaturen erinnerten sie daran, dass es doch schon Anfang Oktober war. Oktober bedeutete unter anderem auch, dass das Volleyballteam nicht mehr lange bis zu den Playoffs hatten. Laut Jana war dies eine Tatsache, die Iwa beinahe durchdrehen ließ. Ein Grund, weshalb beide nun auf den Weg in die Sporthalle waren. Laut ihrer besten Freundin sollten sie das Team mental unterstützen. Auch wenn Asuna nicht ganz klar war, in welcher Weise ihre Anwesenheit als Unterstützung fungieren sollte. »Ist dir Oikawa, seit wir zurück sind, irgendwie merkwürdig vorgekommen?«, fragte Jana plötzlich, während sie die Halle betraten und die Zuschauertribünen aufsuchten. »Du meinst merkwürdiger als sonst?«, versuchte sie zu scherzen. Immerhin war er schon immer irgendwie anders gewesen. Aber sie wusste, worauf Jana hinauswollte. Vor allem nach seinem Besuch in der Klasse. »Nein, also eigentlich ja. Hajime meinte, dass ihn das Meisterschaftsspiel total stresst, allerdings anders als sonst.« Die beiden suchten sich einen Platz weiter vorne. Sie waren nicht die einzigen hier. Es kam öfters vor, dass Schüler dem Team beim Training zusahen. Manche kamen aufgrund der Spieler, andere um einfach hier abzuhängen. Asuna musste zugeben, dass das Quietschen der Schuhe...beruhigend war. »Vor zwei Tagen war er in unserer Klasse und ich muss Iwa recht geben. Er ist zurzeit nicht der Oikawa, den man gewohnt ist. Ich kenne Oikawa nicht so gut wie Iwa, aber zumindest weiß ich, dass für ihn Volleyball an erster Stelle steht. Auch wenn das Ende der Oberschule nicht das Ende von Volleyball bedeutet, sind es nach wie vor die letzten, die Iwa, Oikawa und die anderen aus der Dritten spielen werden. Das letzte Mal gemeinsam als Team auf dem Feld stehen. Die letzte Chance, um das Turnier zu gewinnen. Das muss wirklich beängstigend sein. Nach diesem Jahr trennen sich immerhin deren Wege und zusätzlich trifft das Erwachsenenleben sie mit voller Wucht. Also nicht nur sie. Sondern auch uns.« Asuna stoppe mit ihren Gedanken und auch Jana hatte gemerkt, dass ihre Worte in eine andere Richtung gingen. »Ohhhh, lass das! Wenn du weitersprichst, muss ich heulen. Ich will nicht erwachsen werden. Ich will nicht, dass wir uns nicht mehr so oft sehen wie jetzt.« Theatralisch legte sie einen Arm um Asuna. »Ah, ja. Tut mir leid. Irgendwie überkam es mich gerade.« Sie lachte und drückte Jana kurz an sich. Bis jetzt hatte sie es tatsächlich vermieden, lange darüber nachzudenken. »Schon gut. Ich werde dich nach unserem Abschluss ohnehin nerven, dich jeden Tag anrufen und dich mindestens einmal besuchen.« »Ich liebe dich, Jana, aber wenn du das tust, muss ich deine Nummer blockieren.« Sie lachte, obwohl sie ernst bleiben wollte und erhob sich anschließend, um sich ans Geländer zu stellen. »Aber um auf vorhin zurückzukommen, – ich glaube, dass Oikawa in dem Stadium ist, welches nach der Nervosität und all dem kommt. Keine Ahnung, ob das Sinn macht, aber ich glaube, seine Gedanken erdrücken und zerreißen ihn von innen.« Sie legte ihren Kopf schief und suchte nach besagtem Spieler. Er stand am Spielfeldrand und beobachtete jeden einzelnen seiner Mitspieler genau. Sein Gesichtsausdruck war nachdenklich und zugleich mehr als nur ernst. Er war in seiner eigenen Welt, bekam auch nicht mit, wie viele Schülerinnen ihn gerade auf der Tribüne anhimmelten. »Ja, so etwas hat Hajime auch gesagt. Hört sich schmerzhaft an.« Jana stellte sich neben sie. »Oikawa hat einen wirklich...komplizierten Charakter, auch wenn es irgendwie auf den ersten Blick nicht den Anschein macht.« Oh ja. Asuna konnte ihrer Freundin nur zustimmen. Oikawa war vieles, aber nicht einfach oder leicht zu durchschauen. Es lag viel mehr hinter diesem attraktiven Aussehen als die Liebe für Aufmerksamkeit und die fehlende Ernsthaftigkeit in gewissen Situationen. Und Volleyball war nicht nur einfach eine Leidenschaft. Es war Teil seines Lebens. Sie hatte ihn noch nicht gefragt, was er nach der Schule vorhatte, doch es musste etwas mit Volleyball zu tun haben. Bestimmt hatte ein Team hier in Japan jetzt schon ein Auge auf ihn geworfen. Etwas anderes konnte sie sich nicht vorstellen. Nicht um sonst war er ständig in den Ausgaben der Monthly Volleyball zu sehen. »Glaubst du, dass von dort unter unseren Rock sehen kann?«, fragte Jana plötzlich und deutete auf die Glasfront nach unten auf das Feld. Asuna griff nach dem Saum ihres Rockes, der ihr nicht ganz bis zu den Knien reichte. In dem Moment kam Watari in ihre Richtung, hob den Ball auf, der anscheinend bis hierhin gerollt war und erstarrte kurz, als er die beiden sah. Er murmelte ein paar Worte, die sie nicht verstanden. Es hätte anscheinend irgendwelche Grußworte sein sollen, denn zusätzlich dazu verbeugte er sich. Jedoch war er so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Asuna sah zu Jana, woraufhin beide anfingen zu lachen. »Ich glaube, da hast du deine Antwort.« »Gut, dass ich heute meine schicke Unterwäsche angezogen habe«, fügte Jana kichernd hinzu. Nach der Ausgelassenheit verfielen beide wieder in Schweigen. Erst später fragte Asuna: »Hast du Lust, nächsten Samstag mit mir für die Englischwiederholung zu lernen?«, fragte Asuna, während sie den Blazer auszog. Hier war es doch wärmer als gedacht. »An einem Samstag?« Jana verzog wenig begeistert das Gesicht. »Kannst du dafür nicht auch gleich mit Oikawa lernen?« »Du weißt genau, dass sie trainieren. Außerdem hilft er mir bereits am Montag. Wenn du nicht willst, dann-«, begann sie, wurde aber von ihrer Freundin unterbrochen. »Nein, schon gut. Ich lerne gerne mit dir. Immerhin lerne ich dann wirklich und lasse mich nicht alle fünf Minuten von meinem Handy ablenken.« Sie grinste. »Gut, bei dir? Ich war schon ewig nicht mehr bei euch zuhause.« Sie liebte Janas Zuhause. Es war so herzlich, warm und auch ein wenig chaotisch. Wie...Jana. »Klar, meine Eltern haben ohnehin bereits nach dir gefragt. Aber versprich mir, dass wir um 20 Uhr fertig sind.« Sie faltete bittend ihre Hände und schob ihre Unterlippe nach vorne. Mit einer gewissen Vorahnung runzelte Asuna die Stirn. »Wieso?« »Weiiiiiil Tsuyu aus der Nebenklasse ihren Geburtstag feiert und uns vorhin eingeladen hat, als du irgendwelche Schulsprecherdinge erledigt hast.« Als Asuna bereits ablehnen wollte, setzte sie hastig fort: »Also nichts Großes, sondern nur im kleinen Rahmen. Abzulehnen wäre unhöflich. Vor allem da ich schon zugesagt habe.« Ein fettes Grinsen zierte ihr Gesicht. »Schon gut, aber dafür lernen wir umso mehr«, antwortete sie nach kurzem Zögern. »Natürlich tun wir das.« Die Dunkelhaarige nickte eifrig. Das würde sie noch bereuen, dachte sich Asuna nun doch belustigt. Jana war nicht schlecht in der Schule, aber sie könnte noch besser sein, wenn sie mehr lernen würde. Dafür war sie aber eindeutig zu faul und somit das krasse Gegenteil von ihr selbst. Sie hätte noch länger darüber nachgedacht, doch ihr Blick wanderte wie von selbst zu Oikawa, der mit einem Volleyball am Spielfeldrand stand und sich keinen Zentimeter bewegte. Niemandem schien es bis jetzt aufgefallen zu sein, doch er starrte vehement auf den gelb-blauen Ball in seinen Händen. Theoretisch hätte es sein gängiges Verhalten im Training sein können. Immerhin war sie bisher kaum hier gewesen, doch da er sich bereits die ganze Woche immer merkwürdiger verhielt, glaubte sie nicht daran. Asuna kaute auf ihrer Lippe herum und hätte ihn am liebsten gefragt, ob es ihm gut ging. Doch sie wusste, wohin dies führen würde. Immer ist alles okay. Sie hasste diese Antwort und doch würde sie genau dieselben Worte nutzen. »Sehe ich da etwa Sorge in deinem Gesicht?«, kam es plötzlich von Jana. »Um ehrlich zu sein, ja. Auch wenn mich seine Sprüche und Aussagen meistens nerven, sind sie mir viel lieber als diese Schweigen und der nachdenkliche Ausdruck im Gesicht. Ich würde ihm gerne helfen, aber abgesehen davon, dass ich nicht weiß wie, wird er das wohl oder übel alleine schaffen müssen. Außerdem hat er die Unterstützung seines Teams, auch wenn er glaubt, alles alleine schaffen zu müssen.« Was sollte sie schon großartig in dieser Situation tun? Er hatte offensichtlich Stress. Nicht nur, dass die Abschlussprüfungen, für die er trotz seiner natürlichen Intelligenz lernen musste, bevorstanden. Die letzten Meisterschaften der Drittklässler zwangen sie dazu, jede freie Minute in der Sporthalle zu verbringen. Selbst wenn Volleyball der Lebensmittelpunkt war, konnte es einen mental ins Negative beeinflussen. »Eigentlich würde ich sagen, dass du ihn wenigstens auf andere Gedanken bringen kannst, aber das ist ja keine Option mehr.« Jana zuckte grinsend mit den Schultern. »Und wer hätte gedacht, dass sich ausgerechnet Kurasaki Asuna jemals über Oikawa Tōru ihren Kopf zerbricht? Und dann auch noch über Volleyball? Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der du dich richtig dagegen gesträubt hast, überhaupt mit mir hierher zu kommen.« »Was soll das jetzt heißen? Ich kann ihn auch mit meinem äußerst faszinierenden Charakter und nicht nur mit meinem Körper auf andere Gedanken bringen«, erwiderte sie empört auf ihre erste Frage bezogen. Auch wenn sie zugeben musste, dass es mit nackter Haut durchaus einfacher wäre. »Was allerdings das andere betrifft: Ich schätze...ich bin gerade dabei, all das herauszufinden.« »Dann«, begann Jana, unterbrach sich aber selbst, um Iwa aufgeregt zu zuwinken, »solltest du dich beeilen. Es ist fast Ende Oktober und das Schuljahr dauert nicht mehr ewig. Nach dem Schulschluss wirst du in Tokio sein und Oikawa? Keine Ahnung, aber jeder weiß, wie schwer es ist, nach der Oberschule Kontakt zu halten.« Asuna musste unweigerlich den Klos in ihrem Hals hinunterschlucken. Die Worte ihrer Freundin wogen schwer, weil sie absolut der Wahrheit entsprachen. Es blieb tatsächlich nicht viel Zeit, um all das zu klären. Und selbst wenn sie sich darüber im Klaren war, wusste sie nicht, wie es nach der Schule weitergehen würde. »Du hast recht«, meinte sie deshalb nur kurz angebunden. Während sie sich am Geländer abstützte, beobachtete sie die Spieler weiter beim Training. Sie sprach mit Jana über die einzelnen Mitglieder, sammelten einige Dinge, die sie über sie wussten. Irgendwann sagte ihre beste Freundin: »Oikawa scheint noch immer etwas zu beschäftigen.« Scherzend fügte sie schließlich noch hinzu: »Willst du nicht doch etwas Haut zeigen?« Sie verzog das Gesicht. »Abgesehen davon, dass ich mich hier schlecht ausziehen kann, sind die Zeiten von nackter Haut vorbei.« »Ich meinte doch nicht, dass du dich ausziehen sollst«, schmunzelte sie und wandte sich zu ihr. Sie streckte ihre Arme aus und griff nach ihrer roten Krawatte. Geschickt lockerte sie diese. Asuna ließ es skeptisch über sich ergehen. Manchmal war es besser, Janas Gedankengänge nicht verstehen zu wollen. »Obwohl es irgendwie lustig wäre, die Reaktionen der anderen zu sehen.« »Dafür, dass du nur gescherzt hast, macht dir das eindeutig zu viel Spaß.« Asuna hob belustigt ihre Augenbrauen. Sie erinnerte sich daran, dass sie damals von Janas Charakter ziemlich überrumpelt war. Vielleicht lag es daran, dass die meisten Japanerinnen nicht so offen waren wie Frauen aus anderen Ländern. Aber dank Jana war sie gewissen Dingen gegenüber definitiv aufgeschlossener. »Du hast ja keiner Ahnung«, lachte sie. »Wenn mich ein Lehrer so sieht, kann ich tatsächlich für das restliche Jahr nachsitzen«, meinte Asuna nur dazu, während sie ihre Krawatte auf die Seite schob. Die Kleidervorschriften waren an einer Privatschule wie der Seijoh streng, und wenn man sich nicht daran hielt, zog das Konsequenzen nach sich. Die locker gebundene Krawatte oder auch der geöffnete erste Knopf würde für Aufregung unter den Lehrern sorgen. »Eigentlich sollten wir eine Petition starten. Die Krawatten nerven und die Röcke haben eine bescheuerte Länge. Und von den Farben will ich erst gar nicht anfangen. Wer hat sich dieses Design eigentlich ausgedacht?«, beschwerte sich Jana und zupfte an ihrer eigenen Kleidung herum. »Die Uniform gibt es bereits so lange wie die Schule selbst. Viel Glück also, wenn du daran etwas ändern möchtest.« Asuna stimmte Jana insgeheim zu. Genauso musste sie zugeben, dass es eindeutig angenehmer war, wenn die blaue Bluse nicht bis obenhin zugeknöpft war. »Was macht ihr zwei da?«, ertönte es auf einmal vom Spielfeld. Iwa sah die beiden verwirrt an, während er mit dem Ball in der Hand zu ihnen herauf sah. Jana drehte sich um und antwortete todernst: »Ich ziehe Asuna aus.« Sie konnte jedoch nicht lange ernst bleiben und grinste ihrem Freund ins Gesicht. Asuna stützte sich mit dem Arm am Geländer ab und verfolgte das ausgelassene Gespräch der beiden. Indes tasteten ihre Finger nach ihrer Halskette, die sie manchmal trug. Eine schlichte goldene Kette mit einem langen dünnen Anhänger, welcher in ihrem Dekolleté verschwand. Dabei verrutschte ihr Armband, sodass ihr Blick darauf fiel. Es war jenes von Oikawa. Nach wie vor trug sie es, wenn ihr danach war. Heute hatte sie besonders gut zur Halskette gepasst. Während sie ihren Gedanken nachhing, flog ihr Blick über das Spielfeld. Dabei fiel ihr auf, dass Oikawa keinem von ihnen nennenswerte Aufmerksamkeit schenkte. Sie beobachtete ihn ungeniert und wieder würde sie ihm gerne seine Zweifel, seine Sorgen und alles andere abnehmen, aber natürlich konnte sie das nicht. Es war, als würde ihn eine dunkle Aura umgeben. Sie wusste, es klang bescheuert, aber sie konnte es nicht anders beschreiben. Ob die Meisterschaften das Einzige waren, was ihm zusetzte? Oder war da mehr? Wenn er bloß nicht so schwer zu lesen wäre, kam ihr in den Sinn. Sie hätte noch weiter gestarrt, wenn er nicht in diesem Moment zu ihr gesehen hätte. Es sollte nur ein flüchtiger Blick sein, doch anscheinend verwirrt ihn ihr Erscheinungsbild genauso wie seinen besten Freund. Beinahe hätte sie gelacht. Er dachte zumindest für wenige Sekunden nicht an Volleyball. Es hatte anscheinend doch etwas Gutes, dass Jana ihre Uniform verunstaltet hatte. »Asuna«, vernahm sie ihren Namen und richtete ihre Augen auf Jana, die sie erwartungsvoll ansah. »Hm?« Sie stoppte mit dem Spielen ihrer Kette. »Ich habe jetzt drei Mal deinen Namen gesagt, wieso hörst du-«, begann sie, wurde aber unterbrochen, »Oi, Iwa! Lass dich nicht von deinem Mädchen ablenken und trainiere gefälligst.« Iwa rollte mit den Augen, tat aber wie befohlen. Ungewöhnlich für das Ass, aber anscheinend wollte er seinem besten Freund auch nicht widersprechen. Offensichtlich lag das an dem derzeitigen Gemüt des Setters. Sie konnte es Iwa nicht verübeln. Mit einem wütenden Oikawa wollte sie sich nicht anlegen. Er warf seinem Kapitän einen schnellen Blick zu und murmelte etwas Unverständliches, ehe er sich den Ball schnappte und zu den anderen zurückging. Oikawa allerdings kam ihnen etwas näher. »Ihr zwei lenkt meine Spieler ab.« Wenig begeistert runzelte er die Stirn. »Nur diejenigen, die sich ablenken lassen wollen, lassen sich ablenken«, erwiderte Jana altklug, »und solange sich der Kapitän nicht ablenken lässt, ist doch alles gut, nicht wahr, Oikawa-san?« Asuna sah von Jana zu Oikawa. Sie hatte eine Ahnung, worauf ihre Freundin anspielte, aber sie hatte keine, was sie damit bezweckte. Bevor der Setter antworten konnte, kam ihm Asuna zuvor: »Er hat recht, Jana. Wenn jemand Iwa ablenkt, dann du. Deshalb sollten wir jetzt wirklich gehen.« Sie griff nach ihrem Blazer, um ihren Worten Ausdruck zu verleihen. Jana wollte protestierten, sah aber schnell ein, dass sie wohl keine Chance haben würde. Aus diesem Grund verabschiedeten sie sich und verließen die Tribüne. Erst als sie ins Freie traten, fand ihre Freundin wieder ihre Sprache: »Soll ich ehrlich sein, Asuna? Ich glaube nicht, dass ihr alle vier Punkte auf eurer Liste braucht. Versteh mich nicht falsch. Mir ist bewusst, warum ihr das tut, aber...« Sie zögert, »...mehr will ich dazu nicht sagen.« Asuna sagte dazu nichts, doch diese Worte brannten sich in ihren Kopf. Wenn sie an die Liste dachte, dann wurde sie nervös. Sie bekam sogar dezent Panik, weil sie das Ergebnis nicht beeinflussen konnte. Gefühle oder keine Gefühle. Beides stand nicht in ihrer Macht und das hasste sie. Sie konnte sich noch so oft diese Nacht, dieses Date, diese unschuldige Umarmung oder diesen Kuss ausmalen. Sie musste es auf sich zukommen lassen und das war für sie das Schlimmste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)