Hate That I Love You von SocialDistortion ([OikawaxOC]) ================================================================================ Kapitel 14: just a little favor ------------------------------- ● • . Asuna starrte vehement auf den Boden, während sie darauf wartete, dass Herr Ming das Gespräch mit dem Direktor beenden würde. Sie saßen zwar noch nicht lange hier, aber jede Sekunde verursachte ein Pochen in ihrem Kopf. Sie war müde und sie wollte nach Hause. Seufzend legte sie ihren Kopf in den Nacken. Sie musste zugeben, dass sie nicht damit gerechnet hatte, dass Tōru wirklich zuschlagen würde und sie war nicht wirklich begeistert davon. Aber irgendwie war sie ihm auch...dankbar. Sie war von Natur aus keine nachtragende Person und manchmal verzieh sie zu schnell, und deshalb war sie froh, dass das zur Rechenschaft Ziehen jemand für sie übernahm. Meistens war es Jana, oder in diesem Fall...Tōru. Sie sah auf ihre Hände, die bewegungslos in ihrem Schoß lagen. Die Stille war drückend und doch war sie noch nie so froh, dass so vehement geschwiegen wurde. Bereits seit fünf Minuten wagte es keiner von ihnen, etwas zu sagen. Wobei wagten vielleicht das falsche Wort hierfür war. Immerhin wollte niemand etwas sagen. Worüber sollten sie auch großartig reden? Asuna hatte Riku nichts mehr zu sagen und Tōru sah nicht so aus, als hätte er großartig Lust auf Smalltalk. Sie konnte es ihm aber auch nicht verübeln und wieder musste sie daran denken, wie wütend er gewesen war. So hatte sie ihn noch nie erlebt, und wenn sie ehrlich war, wollte sie es auch nicht noch mal erleben. Es hatte ihr Angst gemacht. Es war keine Angst vor Tōru gewesen, sondern Angst, dass er irgendetwas Unüberlegtes tun und Schwierigkeiten bekommen würde. Und wie sie nun wusste, war diese Sorge berechtigt gewesen. Asuna rutschte tiefer in den unbequemen Sessel, als die Tür zum Büro des Direktors aufgestoßen wurde. Herr Ming sah deutlich zufriedener aus, was die Schülerin schlucken ließ. Das war kein gutes Zeichen, denn jeder wusste, dass ihn nur das Leiden seiner Schüler zum Lächeln brachte. Hämisch forderte er Riku als erstes hineinzugehen. So blieben Asuna und Tōru alleine auf dem Gang zurück, doch dieses Mal wurde nicht geschwiegen. »Eigentlich bereue ich es nicht, dass ich ihn geschlagen habe, aber es tut mir leid«, meinte Tōru plötzlich und riss Asuna aus ihrer Starre. Sie sah zu ihrer Linken. Er hatte seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf seine Hände, oder besser gesagt auf seine Hand gerichtet. Es überraschte sie, dass er die Stille brach. Fasst so sehr wie die Entschuldigung. In all der Zeit hatte sich Tōru nur einmal bei ihr entschuldigt und sie wusste noch genau, wozu das geführt hatte. Damals war es der Anfang von Ende gewesen. Asuna verdrängte diese Erinnerung und ignorierte zugleich seine Aussage. »Tut es sehr weh?« Viel wichtiger war, ob der Schlag ihn verletzt hatte. Immerhin hatte sie seinen Blick gesehen, als sie auf dem Flur gestanden waren. Deshalb sah sie auf seine Hand. Dabei biss sie sich nachdenklich und zugegeben besorgt auf ihre Unterlippe. Bei ihrer Frage sah er langsam auf. Er wirkte nicht überrascht über das Ausweichen seiner Entschuldigung. »Das ist nichts. Ich habe ja nicht mal fest zugeschlagen.« Er hob spöttisch seine Mundwinkel, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich weiß, dass du nicht wolltest, dass ich das tue. Deshalb tut es mir auch leid, aber als ich gehört habe, was er getan hat, konnte ich einfach nicht anders.« »Ich bin nicht wütend auf dich. Also musst du dich auch nicht entschuldigen«, erwiderte Asuna und wandte den Blick ab. Tōru neben ihr ließ seine Schultern sinken. »Kannst du mir einen Gefallen tun?« Er wartete einen Moment, bis sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete. »Wenn du das nächste Mal etwas Ähnliches vor haben solltest, was ich nicht hoffe, dann sag mir wenigstens Bescheid.« Er sah sie so eindringlich an, dass ihr kurzzeitig der Atem stockte. Es war selten, dass sie sie so ernsthaft miteinander sprachen. Meistens beinhalteten ihre Gespräche Sticheleien oder Sarkasmus. Sie konnte wohl an einer Hand aufzählen, wann es anders gewesen war. Allerdings fiel ihr auf, dass sich diese Momente in letzter Zeit häuften und sie wusste nicht, wie sie das finden sollte. Nachdem sie sich wieder halbwegs gefasst hatte, meinte sie: nur leise: »Ja. Ja, werde ich machen.« Asuna hatte geglaubt, dass die Konversation hiermit beendet sein würde, allerdings irrte sie sich. Nachdem Tōru sie offensichtlich gemustert und länger darüber nachgedacht hatte, stellte er abermals eine Frage an sie. Es war die letzte Frage, die sie hören wollte. »Geht es dir gut, Asuna?« Sie hasste diese Frage. Sie hasste sie, weil es ihr unmöglich war, diese ehrlich zu beantworten. Sie wusste nicht wieso es ihr so schwerfiel. Immerhin war es nur eine simple Frage. Wieso war es so schwer, ehrlich zu sein? Ehrlich zu anderen, aber auch ehrlich zu sich selbst zu sein? Schämte sie sich dafür, dass sie nicht so taff war, wie viele glaubten? War es ihr unangenehm, Mitleid von anderen zu bekommen? Fühlte sie sich unwohl, Hilfe anzunehmen? Vielleicht. Vielleicht traf all das zu. »Das hast du mich vor ein paar Tagen schon gefragt, erinnerst du dich?« Sie wich der Frage aus. »Ja. Und ich erinnere mich ebenfalls, dass du mir damals auch keine Antwort gegeben hast. Willst du das jetzt wieder tun?« Unzufrieden zog er seine Augenbrauen zusammen. Es passte ihm offensichtlich gar nicht, dass sie wieder abblockte und Asuna konnte ihn verstehen. Dennoch seufzte sie genervt. Oder müde. Sie konnte keinen wirklichen Unterschied feststellen. »Möglich. Wieso fragst du mich das wieder, wenn ich keine Antwort geben will?« Und kann. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bereute sie diese. Sie waren definitiv harscher ausgefallen als beabsichtigt, aber sie hatte heute einfach keine Lust mehr, sich mit solchen Dingen herumzuschlagen. Auch wenn es sie störte, dass sie ihre Laune an andere ausließ, konnte sie es nicht verhindern. Tōru schien sich von ihren Worten und die damit verbundene Schärfe nicht beeindrucken zu lassen. Dennoch erwiderte er fast schon wütend: »Weil du mir endlich eine Antwort darauf geben sollst und weil du aufhören sollst, mit deinen Gefühlen alleine klarkommen zu wollen. Wieso fällt dir das so schwer?« Asuna hatte Mühe, seinem Blick standzuhalten. Sie konnte genau sehen, wie sehr es ihm gerade gegen den Strich ging, dass sie so abblockte. Dennoch ärgerte es sie fast genauso, dass er derjenige war, der ihr Verhalten kritisierte. Deshalb zischte sie fast schon wütend: »Tu nicht so, als wärst du so viel besser darin.« Sie hatte ihre Augen zusammengekniffen. Eigentlich war er der Letzte, der ihr solche Dinge vorhalten durfte. Wer war es gewesen, der mitten in der Nacht davon gesprochen hatte, dass er nicht perfekt war und danach so getan hatte, als wäre nie etwas gewesen? Er! Also sollte er nicht so tun, als wäre es so furchtbar einfach, über Gefühle zu sprechen. Denn es war nicht einfach. Ganz und gar nicht... Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, sodass sich ihre Nägel unangenehm in die Handinnenflächen bohrten. Es war eine verdammte Herausforderung für sie, so ruhig zu bleiben und ihr fiel auf, wie oft sich ihre Emotionen in den letzten Tagen von einem Moment auf den anderen verändert hatten und es auch jetzt taten. Es war anstrengend und ermüdend, aber sie konnte kaum etwas dagegen tun. Wer weiß, was sie Tōru als nächstes an den Kopf geworfen hätte, wenn in diesem Moment nicht Riku wieder zurückgekommen wäre. Sie war noch nie so froh über sein Auftauchen gewesen. Fast schon erleichtert stand sie auf und sah ihn erwartungsvoll an. »Ihr sollt beide rein. Er hat nicht lange Zeit.« Das waren die Worte, die er leise an beide richtete, bevor er in Richtung Ausgang verschwand. Ohne auf Tōru zu warten, betrat sie die Höhle des Löwen. Sie fühlte sich nach wie vor von den vorherigen Geschehnissen sowie dem Gespräch mit Tōru ausgelaugt, aber sobald sie den Raum betrat, wurde sie nervös und schob alle anderen Bedenken in den Hintergrund. Eigentlich mochte sie ihren Direktor, allerdings wusste sie auch, dass er auf Auseinandersetzungen sehr strikt reagierte. Herr Katori saß wie erwartet hinter dem riesigen Schreibtisch und glich mit seinem Anzug und den grauschwarzen, gepflegten Haaren eher einem Präsidenten. Zumindest strahlte er diese gewisse Autorität und Weisheit aus. Da sie bereits öfters aufgrund von Klassensprecheraktivitäten hier gewesen war, brauchte sie sich nicht im Raum umsehen. Sie hatte schon unzählige Male die ganzen Auszeichnungen betrachtet, die die Aobajohsai High bekommen hatte. Tōru hingegen ließ es sich nicht nehmen, sich genauer umzusehen. »Setzt euch.« Asuna zuckte bei dem harschen Ton zusammen und tat wie gefordert. Sie kaute auf ihrer Lippe herum und spielte mit den Fingern. Es war noch nie vorgekommen, dass sie wegen eines Verstoßes auf diesem Platz gesessen hatte. Dementsprechend schlug ihr Herz in einem unüblichen Tempo. Am liebsten wäre sie sofort mit einer Entschuldigung sowie einer Erklärung herausgeplatzt. Allerdings war ihr Hals furchtbar trocken und sie wusste nicht, was sie überhaupt sagen sollte. Ob Riku etwas erzählt hatte? Herr Katori faltete seine Hände und musterte beide Schüler aufmerksam. »In meiner gesamten Zeit als Direktor habe ich es noch nie erlebt, dass gleich drei meiner besten Schüler wegen einer Schlägerei in meinem Zimmer sitzen.« Asuna vernahm aus dem Augenwinkel, dass Tōru bei Weitem gelassener neben ihr saß. Zumindest wirkte es so, denn wie auch bei ihr war das Gespräch von gerade eben noch nicht vergessen. »Ich bin ehrlich gesagt sehr enttäuscht darüber.« Er holte tief Luft und lehnte sich nach hinten. »Die Aobajohsai ist eine angesehene Privatschule und viele junge Leute würden alles dafür tun, um hier lernen zu dürfen. Es ist traurig, dass ihr drei, die dieses Privileg habt, es nicht zu schätzen wisst. Ist euch bewusst, dass Schlägereien an der Seijoh mit einer Suspendierung geahndet werden?« Eindringlich sah er die beiden an. Asuna schluckte. »Darf ich dazu etwas sagen?« Sie könnte sich selbst dafür ohrfeigen, dass sie so zögerlich klang. Nach dem Nicken sprach sie aber weiter und versuchte, sich weniger von ihrer Unsicherheit anmerken zu lassen: »Ich weiß nicht, was Riku Ihnen vorhin erzählt hat, aber ich kann das alles bestimmt erklären, wenn Sie mich lassen. Ich weiß, dass alles gegen uns oder besser gesagt gegen Oikawa-san spricht, aber all das ist nicht ohne Grund passiert.« Stur sah sie Herrn Katori in die Augen. Sie musste das unbedingt klären, denn sie wollte nicht, dass Tōru wegen ihr in Schwierigkeiten geriet. Dieser hatte allerdings andere Pläne. »Was Kurasaki-san sagen möchte, ist, dass ich es war, der Watanabe geschlagen hat. Und ich würde es wieder tun, wenn ich ehrlich bin«, gab er mit verschränkten Armen zu und erntete von Asuna einen {i]Bist du bescheuert-Blick. Doch er ignorierte sie einfach. »Sie hat demnach nichts damit zu tun. Wenn sie also jemanden bestrafen wollen, dann mich.« Fassungslos sah sie von Tōru zu Herrn Katori und wieder zurück zu Tōru. »Was soll das? Wieso sagst du das?«, zischte Asuna und funkelte ihn ungläubig an. Er wirkte unbeeindruckt von der gesamten Situation, weshalb sie verzweifelt die Luft ausstieß. Selbst hier vor dem Direktor schaffte er es, diese Arroganz auszustrahlen. »Du wolltest mich davon abgehalten, aber ich habe nicht auf dich gehört. Also wieso solltest du hierfür zur Rechenschaft gezogen werden?« »Ganz einfach«, antwortete Asuna eindringlich. »Erst dank Riku und mir ist es überhaupt dazu gekommen.« »Dank ihm UND dir? Wohl eher nur dank diesem verdammten Arschloch!« In seinen Augen blitzte Ärger auf und ihm war anzusehen, dass er sich gerade zusammenreißen musste, um nicht lauter zu werden. »Genug!« Herr Katori hob seine Hand und brachte die beiden zum Schweigen. Fast hätte sie vergessen, dass sie sich im Büro des Direktors befanden. »Immer wieder faszinierend, wie junge Leute versuchen, sich gegenseitig zu decken.« Seufzend rieb er sich den Nasenrücken. »Ich kann euch aber beruhigen. Watanabe und ich haben alles besprochen. Er wird diese Schule verlassen. Freiwillig.« Asuna riss ihren Kopf ruckartig nach rechts und ihre Augen weiteten sich bei dieser Neuigkeit überrascht. »W-Was?« Sie konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte, ließ aber erleichtert ihre Schultern sinken und ein kleiner Teil der Last auf ihren Schultern verschwand. Der Gedanke, dass sie ihm nicht mehr jeden Tag begegnen musste, stimmte sie glücklich. Obwohl er ihr immer nur diese reuevollen Blicke zugeworfen hatte, war sie froh, wenn sie diese nicht mehr ertragen musste. Es war gut, dass er nicht mehr in ihrer Nähe sein würde, denn wer garantierte ihr, dass er nicht wieder versuchen würde, sie gegen ihren Willen zu küssen? Tōrus Lippen verzogen sich indes zu einem zufriedenen Lächeln bei dieser Nachricht. »Gut so«, murmelte er neben ihr. »Was nun euch zwar betrifft«, er griff in eine Lade und zog einige Blätter hervor, »Ihr werdet euch einmal die Woche bei dem Hausmeister Fukatsu blicken lassen und alles erledigen, was er euch aufgibt. Bis zum Ende dieses Schuljahres.« Er langte nach einem Stift und fing an, etwas auf das Blatt zu schreiben. Asuna hob perplex die Augenbrauen. Sie beugte sich nach vorne. »Heißt das, wir sind nicht suspendiert?«, hakte die Klassensprecherin sicherheitshalber nach. Die Tatsache, dass sie einmal die Woche nachsitzen mussten, verdrängte sie in diesem Moment. Das war...eine verdammt milde Strafe dafür. Herr Katori schnaubte, hatte allerdings ein Schmunzeln im Gesicht. »Es wäre töricht von mir, den Kapitän des Volleyballteams und die Schulsprecherin von meiner Schule zu werfen.« »S-Schulsprecherin?«, stammelte sie abermals und räusperte sich sofort. Natürlich musste jemand Riku ersetzen, wenn er nicht mehr hier sein würde. Aber sie? Wirklich? Viele andere Schüler wären besser dafür geeignet. »Herr Watanabe und ich sind der Ansicht, dass du perfekt für den Posten geeignet bist. Ich hätte ihm nicht zugestimmt, wenn ich anderer Meinung gewesen wäre«, erwiderte er und setzte eine Unterschrift am Ende. Asuna schwieg. Sie wusste, wie viel Arbeit das Schulsprecheramt bedeutete, was ihre Freude darüber deutlich schmälerte. Allerdings beschwerte sie sich nicht. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Sie konnte froh sein, dass ihr Direktor so nett war. »Nichtsdestotrotz rate ich euch zwei, sich von nun an aus Ärger herauszuhalten. Es war mein Ernst, als ich sagte, dass ich Schlägereien an meiner Schule nicht dulde. Das nächste Mal werde ich euch höchstpersönlich aus dem Gebäude eskortieren.« Er überreichte ihnen die Blätter. Nur eine Entschuldigung für das Fernbleiben des Unterrichts. »Und jetzt geht zurück in eure Klassen.« Hastig nickte sie und erhob sich. Nach der Verbeugung verschwanden sie beide aus dem Raum und es war, als könnte Asuna zumindest ein wenig leichter Luft holen. Tōru ging vor ihr in Richtung ihrer Klassen. Asuna folgte ihm mit einigen Metern Entfernung. Es war merkwürdig ruhig in den Gängen und genauso ruhig war es zwischen ihnen. Niemand wollte über die vergangene halbe Stunde sprechen. Oder zumindest wusste niemand, worüber sie zuerst sprechen wollten. Langsam hob Asuna ihren Kopf und betrachtete den Setter. Ihr war bewusst, dass sie ihm mindestens genauso eine Antwort schuldete wie ein Dankeschön. Sie zerplatzte förmlich und doch kam kein Wort über ihre Lippen. Es war wie zuvor. Sie konnte ihre Emotionen einfach nicht in Worte fassen. Fest biss sie sich auf die Unterlippe, während sie fieberhaft darüber nachdachte, welche Worte sie benutzen sollte. Doch bevor sie auch nur annähernd irgendeinen Plan zurechtgelegt hatte, ertönte ein überzeugtes »Warte!« Es dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, um zu realisieren, dass diese kurze Wort über ihre Lippen gekommen war. Asuna schloss kurz über ihre eigene Dummheit die Augen, riss sich aber schnell wieder zusammen. Tōru war stehen geblieben und sah unbeteiligt über seine Schulter. Es war, als würde er sie nicht wirklich ernst nehmen, was sie nur noch mehr ärgerte. Aber das ignorierte sie einfach. »Ich wollte dir noch danken, bevor wir uns nicht mehr sehen.« Sie holte tief Luft, da es ihr gerade nicht leichtfiel, darüber zu sprechen. »Also...nicht dafür, dass du Riku geschlagen hast, sondern dass du mich gerade vorhin verteidigt hast und einfach...da warst.« Wow. Sie war so unglaublich schlecht darin. Machte irgendetwas davon was sie sagte überhaupt Sinn? Peinlich berührt zog sie an den Ärmeln ihres Blazers. Der wichtigste Teil fehlte allerdings noch. »Und du hast recht mit dem, was du vorhin gesagt hast. Ich will mit meinen Gefühlen selbst klarkommen, weil ich es irgendwie schon immer musste und ich es gewohnt bin. Außerdem kann ich es nicht leiden, wenn...wenn man merkt wie unsicher und verwundbar ich sein kann. Das ist also wirklich nicht einfach für mich. Und die Sache mit Riku hat all das nicht besser gemacht. Im Gegenteil. Ich frage mich seit damals ständig, was ich eigentlich falsch gemacht habe und ob mein Urteilsvermögen nicht doch völlig beschissen ist.« Sie seufzte auf. »Was ich eigentlich damit sagen will: Nein. Mir geht es nicht gut, aber ich werde damit klar kommen. Was auch sonst?« Asuna holte tief Luft, verschränkte ihre Arme und starrte aus dem Fenster. Ihre Schultern fühlten sich plötzlich um Tonnen leichter an und doch war es ihr furchtbar unangenehm, dass sie hier auf dem leeren Flur so frei über ihre Gefühle gesprochen hatte. Wobei gesprochen der falsche Begriff dafür war. Es war viel mehr ein frustrierter Ausbruch über Bruchstücke ihres Innenlebens gewesen, die sie dem Setter und dem leeren Flur präsentiert hatte. Und dass Tōru nichts sagte, sondern sie nur anstarrte, machte es nicht besser. Sie ließ ihre Arme wieder sinken und erwiderte fast schon genervt seinen Blick. Sie hatte das Gefühl, einen Monolog zu führen. Deshalb fügte sie widerwillig hinzu: »Jetzt habe ich dir eine Antwort auf deine Frage gegeben und du willst nichts dazu sagen? Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich vielleicht einfach die Kla-« Sie konnte ihren Satz nicht beenden, da Tōru plötzlich den Abstand zwischen ihnen verringerte und ihr Gesicht mit seinen Händen umfasste. Asuna erstarrte bei der abrupten Berührung und ihre Augen weiteten sich minimal. W-Was zum Teufel tat er da? »Sieh mich nicht so geschockt an. Ich will mir nur etwas genauer ansehen«, murmelte er und drehte ihren Kopf ein wenig nach links. Asuna fühlte, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss. Es war unangenehm, dass er sie so ansah. Bei diesem Licht, bei dieser Nähe und auf diese akribische Weise. Als würde er etwas suchen und sie wusste auch genau was. Deshalb meinte sie: »Es hat nicht so sehr wehgetan. Deshalb sieht man auch fast nichts. Und weil ich jede Menge Make-Up benutzt habe.« Sie sah an ihm vorbei, weil sie einfach nicht gerne darüber sprach. »Hm«, erwiderte er nur und strich mit seinem Finger ihren Wangenknochen entlang. Genau dort, wo sich die helle Blessur befand. Asuna wusste nicht, ob er etwas sehen konnte oder ob er einfach nur gut geraten hatte, aber sie kniff unbewusst jenes Auge zusammen, was Tōru dazu veranlasste, seine Muskeln anzuspannen. »Das nächste Mal, wenn ich ihn sehe, werde ich mich nicht zurückhalten.« Asuna, die über diese Aussage nicht überrascht war, holte tief Luft und griff nach seinen Handgelenken, um seine Arme nach unten zu drücken. Die Wärme verschwand mit seinen Händen. »Wenn du das tust, wirst du eindeutig von der Schule fliegen und was wäre die Seijoh ohne Oikawa Tōru?« »War das gerader purer Sarkasmus, oder zumindest so etwas Ähnliches wie ein Kompliment?«, hakte Tōru nach und schob seine Hände in seinen Hosentaschen. Sein dezentes Grinsen erleichterte sie, denn es lenkte das Gespräch in ein weitaus weniger ernstes Gespräch. »Interpretationssache?«, gab sie schulterzuckend zurück. Ihr Mundwinkel zuckte verdächtig, allerdings konnte sie sich nicht ganz zu einem Lächeln durchringen. Tōru wollte etwas sagen, wurde aber von einer Stimme unterbrochen: »Hey, ihr zwei! Solltet ihr nicht im Unterricht sein?« Asuna beugte sich nach rechts, um an Tōru vorbeizusehen. Frau Kunima sah vom anderen Ende des Flures zu ihnen. Im Gegenteil zu Herrn Ming, wirkte sie bei Weitem ruhiger. »Tut uns leid! Wir waren beim Direktor und werden gleich wieder in die Klasse gehen, Kunimi-sensei.« Tōru schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, was sie zu beruhigen schien. »Gut. Beeilt euch«, mahnte sie und setzte ihren Weg fort. Sie beide waren wieder alleine. »Sie hat recht. Lass uns gehen.« Tōru ging an ihr vorbei, da sie bereits ziemlich spät dran waren. Genauer gesagt haben sie bereits fast eine gesamte Stunde verloren. Asuna folgte ihm und während sie schweigend zu den Klassenräumen gingen, kam ihr wieder der kleine Gefühlsausbruch von vorhin in den Sinn. Das und das Tōru nicht darauf geantwortet hatte. Es war nicht so, als hätte sie irgendetwas Bestimmtes erwartet. Aber wenn sie darüber nachdachte, dann hatte es ziemlich gutgetan, all ihre wirren Gedanken auf wirre Weise jemandem anzuvertrauen. Auch wenn sie niemals damit gerechnet hätte, dass dieser jemand Tōru sein würde. Absurd, wenn sie ehrlich war. Vielleicht lag es einfach an seiner Art, solange zu nerven, bis man schließlich nachgab? »Asuna?«, kam es unerwartet von Tōru, der stehen geblieben war und sie so darauf hinwies, dass sie bereits vor seiner Klasse angekommen waren. »Hm?« Sie sah ihn abwartend an, konnte sich keinen Reim daraus machen, was er jetzt noch von ihr wollte. Das war auch umsonst, denn in seinen Kopf sehen zu wollen, war fast unmöglich. Deshalb wäre es auch nie vorhersehbar gewesen, was er als Nächstes tat. Er griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich. Asuna stolperte nach vorne und stieß gegen Tōru, der seine Arme um ihren Körper schlang. Völlig versteift blinzelte sie perplex über diese unerwartete Geste. Wie zuvor auch stieg ihr die Hitze in die Wangen und auch wenn sie es nie zugeben würde, schlug ihr Herz plötzlich doppelt so schnell. Sich keinen Zentimeter bewegend, murmelte sie: »Was...soll das werden?« »Pshhhh«, fing er an und drückte sie näher zu sich, wobei das kaum noch möglich war. »Ich versuche gerade, dir Trost zu spenden. Das hätte ich eigentlich vorhin schon tun sollen, aber ich habe den Moment verpasst«, antwortete er, als würde er über das Wetter sprechen. War das sein Ernst? »Und du glaubst, dass das gerade der richtige Moment ist?« Sie bekam hier beinahe eine Herzattacke und er...er sagte das so locker? Als wäre verdammt noch mal nichts dabei? Sie hob ihre Arme und hatte vor, ihn von sich zu schieben, stoppte allerdings bei seinen nächsten Worten. »Nein, eigentlich nicht, aber ich bin nicht gut daran, jemanden mit Worten aufzubauen. Das übernimmt im Team meistens Iwa. Ich benutze lieber...Taten.« Was du nicht sagst, dachte sie sich. »Aber ich will es trotzdem versuchen und dir sagen, dass du das gut gemacht hast. Vielleicht könntest du das nächste Mal gleich auf meine Frage antworten, aber ansonsten bin ich richtig stolz auf dich.« »Wow.« Asuna lachte und schob Tōru nun doch von sich. »Tu mir einen Gefallen und bleib bei Taten. Du bist mit Worten mindestens genauso schlecht wie ich«, meinte sie, nur um abermals leise aufzulachen. Also sie konnte verstehen, weshalb Iwa durch seine Reden für Motivation sorgte und Tōru dafür seine bloße Anwesenheit und sein Verhalten benutzte. Tōru zuckte mit den Schultern und lächelte. Er machte ein paar Schritte nach hinten und griff nach der Türklinke, die zur Klasse führte. Asuna beobachtete ihn dabei und konnte nach wie vor nicht aufhören, über seine Worte zu grinsen. »Also eigentlich finde ich, dass ich das ziemlich gut gemacht habe. Immerhin hast du seit wann zum ersten Mal wieder gelacht? Seit Tagen?« Asunas Grinsen flachte etwas ab und wurde schließlich zu einem Lächeln. Zu einem ehrlichen Lächeln. Es war ihr nicht aufgefallen, dass sie seit so langer Zeit nicht mehr wirklich gelacht hatte. Auch wenn man es ihr nicht verübeln konnte, so war es doch...bedrückend gewesen. Deshalb schuldete sie Tōru etwas. Bereits zum zweiten Mal an diesem Tag. »Du hast recht. Danke. Schon wieder.« Es klang kleinlaut, aber auch überzeugt. Sie hätte nie gedacht, dass Tōru derjenige sein würde, dem sie für diese Dinge danken würde. Aber was hatte sie sich von den letzten Tagen und Wochen überhaupt erwartet? »Gern geschehen. Nur tu mir auch du einen Gefallen und beantworte mir das nächste Mal einfach gleich die Frage, klar?« Er sah sie dieses Mal ernst an und sein Blick verlangte keine Widerrede. Asuna hatte aber auch nicht vor, zu verneinen. Vielleicht war es doch besser, einfach klar und deutlich zu sagen, dass es ihr nicht gut ging. Sie konnte zwar nicht versprechen, dass es ihr ab jetzt einfacher fallen würde, aber sie wollte zumindest daran Arbeiten. Immerhin hatte sie das immense Gefühl der Erleichterung in jeder Zelle ihres Körpers wahrgenommen. Aus diesem Grund nickte sie langsam. »Ich werde es versuchen.« Es klang...nein, es war ein Versprechen. Eines, welches belanglos schien. Eines, welches man einfach so mal...aussprach. Aber auch wie eines, welches genauso schnell gebrochen werden konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)