Decision von MoonLestrange ================================================================================ Kapitel 4: Gewissen ------------------- „Gibt es schon eine Spur von Ferid Bathory?“ „Leider nein, Meister Geales. Aber wir werden weiterhin die Augen offen lassen.“, der Vampir verneigte sich einmal und ging von dannen. „Was denkt er sich eigentlich? Erst Druck machen und uns dann solange warten zu lassen.“, sagte Lest Karr und verschränkte seine Arme vor dem Körper. Ky Luc erhob einen Zeigefinger: „Immer mit der Ruhe. Er wird schon auftauchen. Vielleicht ist ihm was dazwischengekommen?“ Lest Karr schaute ihn skeptisch an: „Es gibt keinen Grund einem Unruhestifter wie ihm zu vertrauen.“ Urd legte ihm eine Hand auf die Schulter: „Ky hat recht. Es stimmt, er ist ein Unruhestifter. Aber wir sollten nicht übereilt handeln. Solange wir keinen Lageplan haben, sollten wir keinen Angriff planen. Noch haben uns die Menschen wohl nicht bemerkt. Natürlich sind die Informationen von Ferid Bathory mit Vorsicht zu genießen. Aber es ist besser als nichts. Sollten die Menschen wirklich einen Seraph of the End gezähmt haben, davon müssen wir ausgehen, kann es auch für uns bedrohlich werden.“ Lest seufzte: „Na schön, Meister Geales. Wie Ihr wollt.“ „Was machen wir eigentlich mit der Kleinen?“, wechselte Ky das Thema, „Schmeckt sie denn gut, Meister Geales?“ „Also doch. Ich hatte mir doch eingebildet, gestern Abend noch frisches Menschenblut gerochen zu haben“, ein Lächeln hatte sich auf Lests Gesicht geschlichen. Urd drehte den beiden den Rücken zu: „Geht so. Aber wir können sie noch gebrauchen, also last sie.“ Das war gelogen. In Wahrheit hatte der Geschmack, allein der Geruch, an seiner Selbstbeherrschung gekratzt. Schon sehr lange hatte er keinen Menschen mehr getroffen, der seinen Gaumen derart verwöhnt hatte. Er wollte es für sich, nur für sich. Natürlich könnte er auch einfach sagen, dass ihr Blut ihm gehöre und kein anderer Vampir würde es wagen sich an ihr zu vergreifen. Dennoch…wenn das ganze hier vorbei war…vielleicht könnte er sie mit zurück nach Russland nehmen. Er hatte schon lange keine persönliche Nahrungsquelle mehr gehabt. Allerdings könnte es zu einem schwierigen Unterfangen werden sie davon zu überzeugen, mit ihm zu kommen. Bei ihm in Russland war das etwas anderes. Er ging anders mit Menschen um, als die meisten seiner Artgenossen. Würde er einen von ihnen bitten ihm den Hals frei zu machen, würde sich wohl kaum einer wiedersetzen. Außerdem wollte er sie weiterhin tanzen sehen. Vampire konnten viele Dinge besser als Menschen, aber singen und tanzen gehörte nicht dazu. Vampire konnten vielleicht die Technik besser, doch sie könnten nie die Gefühle zum Ausdruck bringen, die ein solcher Tanz ausdrücken soll. Konnte natürlich auch nur ein subjektives Empfinden sein. Jeder Vampir hat einen anderen Geschmack. Urd hatte nicht unbedingt großes Interesse an Kinderblut. Es schmeckte nicht schlecht, aber es gab besseres. Das hatte er soeben gefunden. Urd schüttelte den Kopf. Er musste diese Gedanken verdrängen, sich auf die vor ihm liegenden Aufgaben konzentrieren. Über Blut konnte er sich auch später noch Gedanken machen. Doch auch wenn er ein hochrangiger Adeliger war. Auch er war ein Vampir. Vampire müssen Blut trinken, sonst werden sie zu Bestien ohne Willen und Verstand. Kein schönes Ende. Missmutig betrachtete Aoi sich im Spiegel. Genauer gesagt betrachtete sie die zwei Wunden, welche ihren Hals verunstalteten. Sie hoffte, dass sie verheilt waren bevor sie jemand sah. Niemand, absolut niemand durfte davon erfahren, was sich zwischen ihr, Aoi Sangu, persönliche Assistentin von Kureto Hiragi, und ihm, Urd Geales, einem Urahn zweiten Ranges, abgespielt hatte. Nachdem sie die Kraft gefunden hatte aufzustehen, war sie sofort ins Bad gegangen und hatte die Wunde gründlich gewaschen. Dass sie nicht mehr ihre Uniform, sondern ein weißes dünnes Nachthemd trug, davon hatte sie nur am Rande Notiz genommen. Urd musste sie ausgezogen haben, aber das dieser Vampir sie nackt gesehen hatte war im Moment ihr geringstes Problem. Vampire hatten, soweit sie wusste, ohnehin keine sexuellen Begierden, von daher brauchte sie sich zumindest darum keine Sorgen zu machen. Sie war kein kleines Mädchen in der Pubertät mehr, die schon bei dem Gedanken an Männer errötete, sondern eine gestandene Frau, eine Soldatin. `Eine Vampirjägerin, die sich vor einigen Stunden zu Vampirfutter hat machen lassen´, flüsterte ihr eine Stimme gehässig zu, `Du bist nicht besser als deine kleine Verräter-Schwester Mitsuba. Aber die hat sich wenigstens nicht freiwillig von Vampiren beißen lassen.´ Ob sie Kureto jemals wieder reinen Gewissens gegenüber treten kann? Wird sie ihn überhaupt jemals wieder sehen? Oder werden diese Vampire sie nach Russland verschleppen oder wo die sonst herkommen? Würde sie als Blutgefäß enden? Aoi kniff die Augen zusammen. Nein! So durfte sie nicht denken. Sie durfte sich nicht so einfach geschlagen geben! Nun war es passiert, das konnte sie nicht mehr ändern. Sie musste vorwärts blicken! Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. Dann öffnete sie sich leise. Aoi schaute aus der Badtür. Es war die blonde Vampirin, die gestern die drei Adeligen und sie bedient hatte, Aoi meinte sich an den Namen Ana zu erinnern. Sie hielt ein Paket in ihrer Hand: „Meister Geales wies mich an, Ihre Uniform zu waschen und zu reparieren.“ Damit legte sie es auf dem Tisch ab. „Uh, danke. Schätze ich…“, Aoi war etwas überrumpelt, sie wusste nicht was sie zu dieser seltsamen Vampirin sagen sollte. Sie lächelte zwar, aber es lag auch etwas Wehmut in ihrem Blick. Ihre lackierten Finger spielten die ganze Zeit nervös an ihrem weißen Kleid. Aoi öffnete das Päckchen, ihre Uniform war frisch gewaschen, gebügelt und perfekt genäht. „Bist du…“, begann Aoi. „Ich bin Ana Fountain. Ich bin zwar jung, aber vielleicht bin ich trotzdem von Nutzen“, murmelte Ana. Aoi zog eine Augenbraue hoch: „Jung? Was heißt jung?“ Vampire hatten davon sicher ein anderes Verständnis als Menschen. „Also, ich wurde 1917 zum Vampir gemacht“, sagte sie, „Für mich ist es schon ewig her, aber für einen Vampir ist das natürlich gar nichts.“ Aoi war verwundert: „Du wurdest zu einem Vampir gemacht?“ Ana schaute auf und auch in ihrem Blick stand Verwunderung: „Natürlich, wie jeder andere Vampir war ich mal ein Mensch. Die meisten Vampire reden nur nie darüber.“ „Dann war Urd Geales auch mal ein Mensch?“, sagte Aoi mehr zu sich selbst als zu Ana. Schwer vorstellbar, dass er und seine beiden Anhängsel mal so etwas wie Menschlichkeit besaßen. Aoi ging zurück ins Bad und zog sich das weiße Nachtgewand aus. Sogar ihre Unterwäsche war wieder intakt. Während sie sich umzog redete Ana weiter: „Ich weiß, was Sie denken. Glauben Sie mir, ich habe auch mal so gedacht. Das alle Vampire Monster wären. Aber Meister Geales ist anders. Ihm sind menschliche Leben nicht komplett egal. Auf das was andere Adelige in ihren Gebieten tuen, darauf hat er wenig Einfluss. Dennoch hat er alles dafür getan, das zerstörte Russland wieder aufzubauen.“ Aoi hörte kurz auf die Knöpfe ihrer Uniform zu schließen und seufzte: „Das mag ja alles sein. Dennoch, ihr zapft uns unser Blut ab und sperrt uns in euren Städten ein. Ihr behandelt uns wie Tiere! Glaubt ihr wirklich, dass wir das ewig mit uns machen lassen?“ Aoi schloss die letzten Knöpfe und verließ das Bad. Sie nahm Chijiryu von einem Stuhl und ging Richtung Tür: „Meister Kureto wird kommen. Er wird mich aus euren Fängen befreien. Wie können auch auf uns selbst aufpassen, dafür brauchen wir euch nicht!“ Damit ließ Aoi die perplexe Ana zurück. Aoi rannte förmlich die Treppen nach oben. Was war das denn? Hatte diese Vampirin gerade wirklich versucht, sie davon zu überzeugen, sich diesem Vampir anzuschließen? Als ob sie Kureto verraten würde! Sie war eine Sangu! Ihr Leben gehörte den Hiragis, Kureto Hiragi. Und niemandem sonst. Aoi atmete einmal tief durch und versuchte ihren Kopf klar zu bekommen. Ein Vampir, der Menschen mit Respekt behandelte, das glaubte sie erst, wenn sie es sah. Urd Geales war zweifelsohne keine gewöhnliche Bestie, aber dennoch war er ein Raubtier, ein Vampir. Egal wie viel Disziplin er besaß, er kann seinen Blutdurst nie ganz ablegen. Er würde immer weiter nach Blut verlangen, egal wie viele Jahrhunderte, wie viele Jahrtausende vergingen. Aoi betrat das Deck, Urd Geales stand an der Reling und hatte sich mit seinen Armen am Geländer abgestützt. Sein Blick schien weit in die Ferne gerichtet. Ob er es jetzt bemerken würde, wenn Aoi ihn angreifen würde? Wahrscheinlich. Er würde es spätestens dann merken, wenn er das Surren der Waffe durch die Luft wahrnahm. Er hätte seine Waffe so schnell gezogen, so schnell konnte Aoi noch nicht mal schauen. Worauf warteten die Vampire eigentlich? Warum hatten sie noch nicht angegriffen? „Du bist wieder auf den Beinen“, Urd warf ihr einen Blick über seine Schulter zu. „Ja“, antwortete Aoi ihm, „Worauf wartet ihr eigentlich?“ Urd schaute wieder in die Ferne: „Bitte?“ Aoi stellte sich neben ihn, mit etwas Abstand: „Seid ihr nicht gekommen, um uns zu vernichten?“ „Wir sind hier, um die Forschungen mit dem Seraph of the End zu stoppen. Ich werde tun was dafür notwendig ist. Nachdem Krul Tepes anscheinend mit euch zusammengearbeitet hat, will ich kein Risiko mehr eingehen.“, machte Urd seinen Standpunkt deutlich. „Krul…Tepes?“, fragte Aoi noch einmal nach, „Pfff…Als ob wir mit einem Vampir zusammenarbeiten würden.“ Urds Gesicht verfinsterten sich. Was hatte sie denn nun falsches gesagt? „Verstehe…Also ist Krul doch nicht…Dann hat Ferid Bathory also doch gelogen?“ Aoi war von den ganzen Namen etwas überfordert. Worauf wollte Urd eigentlich hinaus? Eine Weile sagte keiner von beiden etwas. Urd schien tief in Gedanken versunken, man hätte ihn glatt für eine Statue halten können, lediglich seine sich gleichmäßig bewegende Brust wies darauf hin, dass er atmete. Am Anfang war Aoi voller Anspannung gewesen, doch allmählich spürte sie wie sich ihr gesamter Körper lockerte. Für einen Vampir hatte Urd durchaus etwas Charisma, das konnte sie nicht abstreiten. In seiner Art, alles rein strategisch zu analysieren, ähnelte er Kureto. Ihre Finger klammerten sich an das Geländer. Innerlich musste sie lachen. Nein, das geht so nicht. Kureto und er…sie haben nichts miteinander gemein. Warum verglich sie ihn dann mit ihm? Sie fühlte nichts für diesen Kerl. „Wie alt bist du, Sangu? Verzeih, ich kann das Alter von Menschen nicht mehr gut einschätzen“, fragte Urd. Aoi war sich nicht sicher, ob sie ihm zu viel über sich verraten sollte. Aber was wollte er an ihrem Alter schon ablesen? „Dreiundzwanzig“, sagte sie. Kurz meinte sie erstaunen in seinem Gesicht zu sehen, aber ganz sicher war sie sich nicht: „Dreiundzwanzig? Wie hast du das Virus überlebt? Du musst zu dem Zeitpunkt schon über zwölf gewesen sein.“ Aoi presste ihre Lippen aufeinander. Sollte sie ihm von dem Serum erzählen, dass sie gerettet hatte? Urd schloss seine roten Augen: „Verstehe. Du willst das Geheimnis der Menschen nicht mit mir teilen. Das habe ich mir schon fast gedacht.“ „Wie alt bist du?“, entfuhr es Aoi. Urd verschränkte seine Arme vor dem Körper: „Nun, mit dieser Frage hätte ich wohl rechnen sollen. Wenn ich ehrlich bin…ich weiß es nicht genau. Irgendwann zählt man nicht mehr mit. Wenn man genau weiß, dass man nie sterben wird, verliert das irgendwann an Bedeutung. Sobald wir wahre Vampire sind, verlieren wir unsere Emotionen oder eher…erleben wir sie weniger intensiv.“ „Verstehe. Was heißt wahrer Vampir?“, fragte Aoi weiter. „Wahrscheinlich hast du noch nichts anderes gesehen. Sobald ein Mensch Vampirblut trinkt, verändert sich sein Körper. Aber so weit bist du wahrscheinlich schon informiert. Diese Menschen erhalten übermenschliche Stärke und Fähigkeiten. Aber es ist nur eine Zwischenstufe. Um ein Vampir zu werden, muss dieser Mensch das Blut eines anderen Menschen trinken. Dadurch werden all unsere Zellen aktiviert, unsere Entwicklung wird gestoppt und unsere Augen erhalten die typische, rote Farbe“, fuhr Urd seine Erklärungen fort, „Dadurch, dass wir unsere Emotionen verlieren, verlieren wir gleichzeitig auch viele unserer Interessen. Viele Vampire leiden unter chronischer Langeweile. Ich kann mich darüber zwar nicht beschweren, ich habe genug zu tun. Aber ich weiß dass es den anderen da etwas anders geht.“ So war das also. Na Ja, wenn man so lange lebt hat man vielleicht schon alles gesehen, was es zu sehen gibt. „Du hast kaum Langeweile?“, ging sie auf diese Aussage von ihm ein. Er nickte: „Ja. Als Oberhaupt des hohen Rates der Urahnen hat man ein paar besondere Pflichten. Noch dazu kam vor acht Jahren noch ein ganzes Land dazu, was es zu verwalten gilt. Eine Menge Papierkrieg. Wenn ich nicht aufpasse macht jeder was er will. Von daher habe ich zur Langeweile ohnehin keine Zeit. Die wenigen Momente, wo ich nichts zu tun habe, weiß ich mich schon zu beschäftigen. Dann lege ich mich entweder ein paar Stunden hin oder ich gehe ins Theater.“ Aoi zog eine Augenbraue hoch: „Ins Theater? Was willst du denn da? Da tritt doch wahrscheinlich eh keiner mehr auf.“ Vor allem nicht in diesen Zeiten. Oder genoss er einfach nur die Atmosphäre?... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)