Something To Remember von C3ph3us ================================================================================ Kapitel 2: Be Aware Of The Corrupt Truth ---------------------------------------- 4.03 Uhr „So, Lucien, was genau ist dieses Angebot von dem du eben sprachst?“, der Mann war am Ende seiner Vierziger und trug den vermutlich hässlichsten Anzug, der je eine Schneiderei verlassen durfte. Dass er versuchte, seine Halbglatze mit einem schlecht sitzenden Toupet zu verdecken, unterschrieb, was seine hängenden Wangen nach einem Facelifting vertuschen sollten; dieser Mann hatte einiges in seinem Leben gesehen und es hatte ihn mindestens so sehr mitgenommen, wie einen Kriegsveteran, der seine sterbenden Kameraden in den Armen hielt. Nur, dass er es besser wusste. Dieser Mann war keine Respektsperson, nicht einmal eine Schabe würde diesem menschlichen Abfall freiwillig in den Essensresten wühlen, ihn gar betrachten wollen. Er war Abschaum der schlimmsten Sorte, dessen größte Sorge es war, nicht rechtzeitig zu seiner Lieblingssendung zu Hause zu sein. Es war keine Schande, dass er wohl nie wieder irgendeine Sendung verfolgen können würde, geschweige denn, dieses Lokal verlassen wird, dachte sich der Informationsmann, der sich als Lucien vorgestellt hatte. Er blickte von seinem Getränk auf und sah direkt in die stahlgrauen Augen seines Gegenübers. Sie waren gefüllt von höhnischer Überlegenheit und Selbstgefälligkeit, die Augen eines Menschen, der sich für unantastbar hielt. „Nachdem ich von Ihrer kleinen... Sammlung hörte kam ich nicht umher darüber nachzudenken, wie gut einige meiner Schmuckstücke in Ihre Kollektion passen würden.“, seine Miene verriet nichts von der innerlichen Übelkeit, die sich anbahnte bei dem Gedanken daran, um was die beiden hier verhandelten. Der Ältere grunzte wie ein gequältes Schwein und erwiderte mit aufgesetztem Lächeln, welches man nicht als solchen erkennen konnte, da seine Wangenfalten weiterhin grimmig nach unten verzogen waren: „Wenn deine Objekte so einen Wert haben, wieso willst du sie dann verkaufen? Auch noch zu so einem Spottpreis? Das ist eine Beleidigung!“ „Das liegt daran, dass ich weniger an dem Geld interessiert bin und eher an etwas anderem. Der Preis ist lediglich eine Art Ausgleich für unsere Leistungen. Zumal ich schon bald das Land verlassen werde und kein unnötiges Gepäck gebrauchen kann. Sie erscheinen mir wie der perfekte Abnehmer in dieser Angelegenheit, wenn ich Ihrem Freund, Herrn Lim, vertrauen kann.“ Die Wangen des Angesprochenen verfärbten sich in ein fleckiges Rot, als dieser geschmeichelt antwortet: „Jahaa, da bist du an der richtigen Adresse bei mir! Aber sag, was ist diese andere Währung, die du erwähnt hast.“ Lucien musste ein spöttisches Grinsen unterdrücken; wie einfach es doch immer wieder war, jemandem mit ein paar Worten ausreichend zu bearbeiten, sodass dieser sich in seiner Gegenwart in falscher Sicherheit wägte. Eine überzeugende Mischung aus einem unschuldigen, aber seriösem Auftreten gepaart mit Erfahrung und Wortgewandtheit konnte Welten verändern. „Informationen.“ Sein Gegenüber begann erneut zu glucksen und beugte sich leicht nach vorn: „Habe ich es mir nicht fast schon gedacht. Hör zu, du bist mir wirklich sympathisch, deshalb höre ich mir dein Angebot in Gänze an und entscheide mich im Anschluss, ob wir auf einen Nenner kommen. Noch ein Glas?“ Als Rückmeldung erhielt er ein selbstzufriedenes Nicken, dessen Ursprung ihm schon bald bewusst werden würde. „Was sagtest du noch gleich? 14% Vol.? Aus Italien von deiner entfernten Verwandtschaft?“ „Exakt.“ „Dann sollten wir den lumpigen Wein durch diesen ersetzten.“ Der Mann verteilte das Getränk auf beide Gläser. Sie sprachen einen Trost und setzten das Glas an ihre Lippen an. Konzentriert blickte der Jüngere auf das Glas seines Opponenten, zweifelte schon beinahe an dessen Geisteskraft, als er lächelnd das Trinkgefäß etwas senkte: „Du verstehst doch sicherlich, dass ich dich bitten muss, den ersten Schluck zu nehmen?“ „Ich bin gekränkt, habe ich meine Vertrauenswürdigkeit denn nicht bereits bewiesen, als ich mich unbewaffnet in eine Ihrer Lokalitäten begeben habe? Sollte Ihnen auch nur eine Kleinigkeit fehlen, würden mich Ihre zahlreichen Leibwächter in Stücke reißen.“ „Das mag stimmen, aber wer garantiert mir, dass dir dein Leben etwas bedeutet und du nicht wie einer dieser Selbstmordattentäter, mit Bomben um den eigenen Bauch gebunden, bist und noch versuchst, möglichst viele Seelen mit dir ins Verderben zu stürzen?“ Erstaunt fing nun auch Lucien leicht an zu kichern, beinahe hatte er schon befürchtet, dieser Auftrag würde ihn womöglich langweilen und sich unter seinen normalen Ansprüchen befinden. Wobei seinem Gesprächspartner sein Logikfehler nicht auszufallen schien; sollte ihm sein Leben nichts bedeuten und würde er ohnehin damit rechnen, hier und heute zu sterben, so könnte er genauso gut vergifteten Wein trinken. Da er allerdings nicht darauf aus war, sich selbst ins Fleisch zu schneiden, schwieg er diesbezüglich und hoffte nur, dass der andere sich damit zufriedengeben würde, dass er seiner Aufforderung nachkam. „Touché!“, er hob den Wein etwas in die Luft und sprach noch einen Trost, bevor er das Getränk langsam an seinen Mund führte, „Auf ein gutes Geschäft.“ Graue Augen verfolgten ihn bei jeder kleinen Bewegung genau und erst als sie erblickten, wie sich sein Adamsapfel beim Schlucken bewegte, entspannten sich seine Muskeln und auch er hob sein Glas, ehe die ersten Tropfen seine Speiseröhre hinunterglitten. Ein lautes Seufzen erfüllte den ansonsten stillen Raum: „Also das muss ich dir und deinen Verwandten lassen, der Wein ist köstlich.“ „Vielen Dank, ich werde es ihnen ausrichten.“ Wie um den Anderen anzuregen, ebenfalls noch etwas von dem trockenen Wein zu trinken, hob er noch einige Male das Getränk, ehe Lucien das Gespräch wieder aufnahm: „Um auf das Geschäftliche zurückzukommen. Mir wurde zugetragen, dass Sie in Kontakt mit einem gewissen Wonho stehen.“ Aus dem Augenwinkel konnte Lucien sehen, wie sich die Leibwachen seines Gesprächspartners anspannten und einen Schritt nach vorne machten, wobei sie von ihrem Boss mit erhobener Hand zum Halt auffordert wurden. „Wartet.“, die Augen des Älteren schienen sich zu verdunkeln, „Ich spreche in deinem eigenen Interesse, wenn ich dir sage, dass du dich aus seinen Angelegenheiten heraushalten solltest. Er ist ausgestiegen, schon vor einer Weile.“ „Das ist mir bewusst und auch geht es mir nicht darum, neue Geschäfte anzubrechen, lediglich ein altes zu beenden.“ „Ach ja? Dann müsste dir bekannt sein, dass das Selbstmord ist. Wahnsinn. Und wenn irgendjemand dahinter kommt, woher du diese vertraulichen Informationen hast, bin ich tot.“ Lucien räusperte sich kurz, um etwas Zeit zu gewinnen. Wenn er sich nicht ausreichend konzentrierte, würde ihm das Gespräch entgleiten. Ein Blick auf die edle Standuhr aus Mahagoniholz, die, wie er zu beginn des Gespräches erfahren hatte, ein Familienerbstück in fünfter Generation war, verriet ihm, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Diplomatisch lächelnd wendete er sich wieder seinem Gegenüber zu und fuhr fort: „Sie sollten diese Angelegenheit nicht höher spielen, als sie tatsächlich ist. Es besteht keine Gefahr für Sie. Meine Beziehung zu Wonho ist unbelastet und es geht lediglich um ein paar unschuldige Fragen, um den Kontakt zu einem alten Freund auffrischen zu können.“ Lucien warf einen Seitenblick zu den bewaffneten Männern. „Da dieses Wissen vertraulich ist, wäre es sicherlich von Vorteil, dieses Anliegen unter vier Augen zu klären, was meinen Sie?“ Zusammengekniffene Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß und gerade als er schon dachte, er wäre zu ungeduldig vorgegangen, ruft er sich in Erinnerung, wie gut er in seinem Job war und schmunzelte unbeschwert. Das kehlige Lachen des Anderen überraschte ihn dennoch leicht, als dieser meinte: „Ist gut, ich vertraue dir, Lucien. Männer, bitte lasst uns etwas allein.“ „Aber, Sir, wenn ich mir erlauben darf, ich halte dies für keine-“ „Ich sagte, lasst uns allein.“, kam schroff die Antwort. Angesprochener verbeugte sich leicht und wies seine Kollegen an, ihm zu folgen, als er schließlich folgsam den Raum verließ. „Bitte entschuldige sein ungehobeltes Verhalten; er ist neu und weiß noch nicht, wie diese Art von Geschäften läuft. Zurück zu unserem Übereinkommen. Ich gewähre dir drei Fragen, jede als Gegenwert für jeweils eine Ware, sowie den ausgehandelten Preis. Das ist ein Freundschaftsangebot, weil ich dich so mag, und steht außer Verhandlung.“ „Verstehe, das ist äußerst großzügig, ich weiß Ihr Entgegenkommen zu schätzen.“ Noch fünf Minuten und dreizehn Sekunden. Lucien griff nach seinem Aktenkoffer, der neben dem, mit rotem Leder bezogenen, Stuhl stand, auf dem er Platz genommen hatte, und zog ihn auf seinen Schoß. Bei dem Anblick an das, was sich in seiner Tasche befand, verschmälerten sich seine vollen Lippen unmerklich. „Ohh, darauf habe ich mich seit Beginn unserer Verhandlungen gefreut. Nun zeig sie schon her.“ „Mit größter Freude.“, erwiderte er mit gekünstelter Freundlichkeit und reichte dem älteren Mann einen kleinen Stapel Bilder. Auf jedem der acht Bilder waren Mädchen zu sehen. Misshandelte, minderjährige Mädchen. Die meisten von ihnen trugen lediglich die letzten Fetzen ihrer Kleidung, unter denen sich die Spuren der Gewalt zu deutlich abzeichneten. Flecken in den Farben des Regenbogens und Schnitte in den unterschiedlichsten Größen zierten die zierlichen Körper. Jene, die noch die Kraft besaßen, die Kamera zu erfassen, die jene abscheuliche Momente für die Ewigkeit festhalten wollte, hatten blutunterlaufene Augen, aufgerissene Lippen und eine ausschließlich panische bis apathische Miene. An ihren Armen, Beinen wie auch zuhauf an ihren Hälsen fanden sich stählerne Ketten, die in die Haut schnitten, bis diese aufriss. Unter verfilzten und fettigen Haaren ließ sich die eine oder andere Platzwunde erhaschen, Kratzwunden, die von zu langen Nägeln stammen, übersehen die verdreckten Arme und Oberschenkel der Opfer. Im Hintergrund waren schmierige Rohre und, hinter bröckelnder Fassade, nacktes Mauerwerk zu erkennen. In diesem Gemäuer schien eine ganz eigene Schlacht ausgefochten worden zu sein, nach welcher die Überlebenden wohl nur noch vergessen wollten, alles liegen lassen, alle Spuren beseitigen, alle Eingänge zumauern und vergessen. Bis viele Jahrzehnte später ein junger Bursche, von seiner Neugierde getrieben, die Mauern umstieß und längst vernarbte Wunden wieder aufriss. Und es blutete. Mauern, dazu bestimmt, unaufhörlich Leid zu beobachten, gar zu verursachen und dazu verurteilt, alleinig zuzusehen und zu schweigen . „Fantastisch.“, die gehauchte Reaktion des Alten führte zu einem kalten Schauer, der Lucien durch den ganzen Körper jagte. Ein abstoßender Geschmack breitete sich in seinem Mund aus, als er erwiderte: „Das will ich wohl meinen. Sie sind mein ganzer Stolz.“ „Ich verstehe nun wirklich nicht, wieso du sie verkaufen willst.. gegen ein paar läppische Fragen. Beschweren will ich mich nicht, das ist dein Verlust.“ „Dann sind wir also im Geschäft?“ Statt mit Worten zu respondieren, streckte sein Gegenüber die Hand in seine Richtung aus, um den Deal zu besiegeln. Seine Pranke war überzogen mit Kaltschweiß und zitterte leicht, der zu feste Händedruck drohte Luciens eigene, verhältnismäßig zierliche Hand, zu zerquetschen. „Dann beginne ich mit meiner ersten Frage: Wie kann ich Wonho kontaktieren?“ „Ziemlich ungeduldig, was? Die Antwort ist einfach: Gar nicht.“ „Hören Sie zu, ich weiß über Ihre Kontakte Bescheid und zweifle keinesfalls daran, dass Sie mir nicht zumindest einen Namen nennen könnten, der mich meinem Ziel näher bringt.“ „Kim Yu Hwan. Das hast du aber nicht von mir.“ Lucien nickte zufrieden, es begann also endlich: „Selbstverständlich nicht. Zu meiner zweiten Frage: Was steckt hinter 'Code Alligator'?“ Lucien entging nicht, dass die Hand seines Gegenüber an dessen Seite wanderte, um sich erneut ins Bewusstsein zu rufen, dass er die Oberhand hatte; schließlich war er der Einzige in diesem Raum, der bewaffnet war. Misstrauisch hakte er nach: „Woher weißt du davon?“ Die Pupillen des Älteren begannen sich über ihr normales Maß zu weiten, während es ihm zunehmend schwer zu fallen schien, Lucien richtig zu fixieren. „Das tut nichts zur Sache. Aber da Sie anscheinend etwas darüber wissen, hätte ich gerne meine Antwort. Vorausgesetzt, Sie halten sich an unsere Abmachung. Alles andere würde mich zutiefst enttäuschen.“ „Die Abmachung hat nie beinhaltet, vertrauliche Informationen weiterzuleiten, die potenziell in einem Massensterben enden.“ „Sie weigern sich also?“ Der Mann lehnte sich erneut etwas vor, ehe er antwortete: „Ich weiß nicht mehr, als dass das ein großes Ding ist. Zu groß für kleine Fische wie dich oder gar für mich. Revolutionär und unumkehrbar. Aber was es ist, weiß ich auch nicht.“ „Danke, so schwer war das nicht, oder?“, Lucien grinste überlegen und stand auf, als er beobachtete, wie sein Gegenüber, dessen Haut in Flammen zu stehen schien, erneut nach dem Glas griff und die Flüssigkeit gurgelte, bevor er sie endgültig schluckte: „Das bringt mich zu meiner letzten Frage: Halten Sie mich wirklich für einen 'kleinen Fisch'?“ Er begab sich zu seinem Opponenten und lehnte sich vor, bis beide auf Augenhöhe waren. „Was soll das?“, schrie der Mann entsetzt und sprang übereilt aus seinem Sessel hoch, nur um wenige Sekunden später wieder in diesen zurückzufallen. Während seine Augen wild durch den Raum wanderten, ohne sich an etwas heften zu können, fuhr er entrüstet fort: „W-was.. Was hat du mir gegeben?“ „Das findest du schnell genug heraus. Davor...“, er sah sich in dem Raum um und ging auf einen protzigen Schreibtisch aus Eichenholz zu. Die massive Tischplatte knickte am Kopfende ab und wurde zum Standbein, während das teure Mobiliar auf der anderen Seite von einem Fuß aus grau lackiertem Graphit stabilisiert wurde. Eine dort montierte Doppelschublade erwies sich als äußerst ergiebig, dem Fakt gedankt, dass sie nicht verschlossen war, allerdings auch als belanglos. „... würde ich gerne noch wissen, wie das Passwort zu Ihrem Laptop lautet.“ Besagtes Objekt befand sich, leicht zurückgeschoben, mittig auf der asymmetrisch geschnittenen Tischplatte. Lucien ließ sich auf den, verglichen mit den restlichen Möbelstücken, billig wirkenden Stuhl fallen und klappte das Gerät auf, welches zuvor wohl nicht heruntergefahren wurde. Gut, das sparte Zeit. „Fick dich! Dir elendem Drecksschwein werde ich nichts mehr verraten. Du bist schon so gut wie tot. Männer!“, das, was als Ruf den Mund des Mannes verlassen sollte, ging in einem elendigen Krächzen unter. „Versuch es gar nicht erst.“ Lucien griff in seiner Jackentasche, auf der Suche nach dem USB-Stick, der ihm von Zelo für solche Situationen vorbereitet wurde. Im Hintergrund begann der Mann wirr vor sich hin zu brabbeln und Selbstgespräche zu führen. Verdammt. Zu schnell. Er musste sich beeilen. Kurz nachdem er den Stick angeschlossen hatte, öffneten und schlossen sich verschiedene Fenster, auf denen etliche Zahlen- und Buchstabenfolgen durchrasen. „Das kann nicht sein... du... du bist gestorben. Ich habe dich eigenhändig von dem Dach gestürzt. Nein, nein, nein. Geh weg! Lass mich in Ruhe!“, mit heiserer Stimme und krampfhaften Bewegungen wollte sich der Menschenhändler gegen eine Person wehren, die nur für ihn existierte. Lucien widmete sich wieder dem Bildschirm vor sich , nachdem sich dieser von selbst entsperrte. Mental bedankte er sich bei seinem Kameraden für das nützliche Spielzeug, ehe er den Stick auswerfen ließ und ihn gegen einen zweiten austauschte. Grob überflog er die Dateien seines Opfers, ehe er sich entschloss, von allem eine Kopie zu machen, um auch ganz sicher zu sein, dass er nichts übersah. Er verfluchte den Anderen innerlich dafür, dass er keinen Computer verwendete, bei dem er sich einfach die Festplatten schnappen könnte und Zelo die Arbeit überlassen konnte. Während der kleine Apparat sein bestes gab, alle Dateien auf dem Stick zu kopieren, stand Lucien auf und begann mit den Vorbereitungen für sein Verschwinden. Die Bilder, die er mitgebracht hatte bereitete er auf dem Tisch aus, um Spuren musste er sich keine Gedanken machen; dieser Clan hatte kein Interesse daran, ihn zu verfolgen. Hier gab es keine Loyalität, wenn die Person, die alle anderen mit erpresserischen Methoden an sich gebunden hielt, starb, würden sie ihrem Befreier eher mit einem Dankeskorb um den Hals fallen, als einen Gedanken an Rache zu hegen. Lucien ging zu dem Mann, dessen Puls den gesunden Rahmen nach oben hin verlassen hatte, und griff in dessen linke Brusttasche. Heraus zog er eine goldene Taschenuhr, an einer passenden Kette. Die Verschlusskappe hatte einen verschnörkelten Rahmen und in der Mitte die Initialen YKW eingraviert. Zufrieden landete der Gegenstand in der Jackentasche des Eindringlings. Ein kleines Souvenir, wie er es sich bei jedem seiner Opfer als Andenken mitnahm. Seinen Aktenkoffer stellte er neben den Laptop auf die fein polierte Tischplatte und stellte zufrieden fest, dass das Gerät kurz davor stand, seine Arbeit abzuschließen. Erneut ging er zu dem immer noch zuckenden und wirr redenden Mann, nicht ohne zuvor die, noch zur Hälfte gefüllte, Weinflasche vom Tisch zu nehmen. „Was Sie da zu sich genommen haben nennt sich übrigens die schwarze Tollkirsche. Auch bekannt als Belladonna, da sie zu Zeiten des Mittelalters unter anderem dafür verwendet wurde, die Pupillen einer Person zu weiten, wodurch sie als attraktiver angesehen wurde. Bei der Menge, die Sie zu sich genommen haben, wirkt sie jedoch lebensgefährdend. Zum Glück habe ich mit Aktivkohle, Glaubersalz und Physostigmin vorgesorgt. Welch glücklicher Zufall. Es wird Zeit, unsere kleine Zusammenkunft endgültig zu beenden. Leider war ich von Ihrer Kooperationsbereitschaft etwas enttäuscht, aber das nehme ich Ihnen nicht übel.“ Mit einem festen Griff umklammerte er den Kiefer des Anderen und setzte die Flasche unter großer Anstrengung an seinen Lippen an. „Was ich Ihnen aber wirklich übel nehme, ist das, was Sie all diesen unschuldigen Menschen angetan haben. Heute ist Zahltag, viel Vergnügen in der Hölle.“ Mit einem Mal versenkte er den gesamten Inhalt der Flasche im Rachen des älteren Mannes. Ein beachtlicher Teil floss seine Mundwinkel hinunter und ergoss sich auf seinem Anzug. Kläglich röchelnd rang er nach Luft und verschluckte sich dadurch immer stärker. Es dauerte keine zwei Minuten, bis sich der gewünschte Effekt der Atemlähmung bemerkbar machte. Die letzten Minuten, die der Sterbende unter Höllenqualen ertragen musste, waren nur ein kleiner Preis für die Jahre der Misshandlung, die er eigenhändig verursacht hatte. Nachdem Lucien sich versichert hatte, dass der andere Mann aufgehört hatte zu zucken, positionierte er ihm die Flasche auf seinem Schoß und kontrollierte sicherheitshalber den Puls. Nichts. Zufrieden ging er ein weiteres Mal an den Schreibtisch und ließ auch den zweiten Stick nach vollendeter Arbeit auswerfen, ehe er nach seinem Aktenkoffer griff und sich in Richtung Tür begab. „Die Verhandlungen sind abgeschlossen. Ich befürchte jedoch, dass es euer Boss mit dem Alkohol übertrieben hat, vielleicht solltet ihr einmal nach ihm sehen. Einen angenehmen Abend noch.“, meinte Lucien an die Männer gewandt, denen er auf dem Flur begegnete. Nach einer kleinen Verbeugung lief er zielstrebig auf den Hinterausgang zu. Ein Tempo innehaltend, das als zügig, aber nicht als panisch flüchtend interpretiert werden konnte. Außerhalb des Gebäudes bog er behände in eine dunkle Seitengasse, ehe er sein Mobiltelefon zückte und seinen Kameraden anklingelte. Sein Anruf wurde abgelehnt, was bedeutete, dass alles nach Plan verlaufen war. Auf einer kleinen Seitenstraße fand er den schwarzen Hyundai IONIQ hybrid wie abgemacht geparkt. Er lief um das Gefährt herum und warf seinen Koffer auf die Rückbank, ehe er sich auf dem Fahrersitz niederließ. Der junge Mann auf dem Beifahrersitz wendete sich an ihn: „Hast du, was wir brauchen, Daehyun?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)