Ein Chef zum Verlieben von Mitternachtsblick (Mann mit Kind sucht Mann mit Saldenlisten) ================================================================================ Prolog: Pretty Accountant ------------------------- „Tja, und dann habe ich ihm gesagt: ‚Mit so einer Fresse würde ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen‘“, beendete Yuriy achselzuckend seine Schilderung, „und ich stehe immer noch dazu.“ Julia starrte ihn an wie ein besonders faszinierendes Insekt, die Wasserflasche auf halber Höhe zu ihrem Mund verharrend. Schließlich schüttelte sie den Kopf, trank einen Schluck und schraubte die Flasche wieder zu. „Ich will nicht sagen, dass du es herausgefordert hast, gefeuert zu werden, aber…“ „Nicht gefeuert, es war noch Probezeit“, korrigierte Yuriy, dann seufzte er und rieb sich über eine Braue. „Aber ich gebe zu, dass das undiplomatisch war.“ „Du bist viel, aber nicht diplomatisch“, stimmte Julia zu und klopfte ihm auf die Schuler. „Und was machst du jetzt?“ „Was wohl“, sagte Yuriy düster, „ich suche mir was anderes. Irgendwelche Nebenjobs gibt‘s immer. Man kann nicht viel über London sagen, aber es ist auf jeden Fall ziemlich groß.“ Julia stieß einen tiefen Seufzer aus und musterte ihn, als er sich von ihr wegdrehte, um noch einmal den rechten Arm zu dehnen. Eigentlich machten sie gerade nur Pause bei ihrem wöchentlichen Tanzkurs; die anderen Tanzpaare hatten sich überall im Saal verteilt und lehnten an beziehungsweise saßen bei den verspiegelten Wänden. Immer wieder streifte sie und Yuriy ein neugieriger Blick. Julia warf sich selbstgefällig den Pferdeschwanz über die Schulter. Sie wusste, dass sie beide ein gutes Paar abgaben. Zumindest beim Tanzen. „Du hättest echt was Besseres verdient“, sagte sie schließlich, „du bist doch Buchhalter, verdammt! Du kannst das doch auch alles auf Englisch!“ „Schon“, sagte Yuriy düster, „aber letzteres autodidaktisch. Erstaunlicherweise akzeptiert man auch in London Buchhalter eher nur mit entsprechenden Leistungsnachweisen. Britischen Nachweisen.“ Julia seufzte. Es war wirklich zum Mäusemelken. Yuriy war attraktiv, dynamisch und hatte einen Kopf für Zahlen, der seinesgleichen suchte. Das einzige, was ihn von Job zu Job tingeln ließ, war die Tatsache, dass er eigentlich Russe war, der sich erst seit knappen eineinhalb Jahren in London befand. Er hatte zwar die Erlaubnis, hier zu leben und zu arbeiten, aber mit einer Arbeit als Buchhalter haperte es, wenn die ganzen Nachweise auf kyrillisch für das russische Buchhaltungssystem gemacht waren. „Mach‘ ne Prüfung!“ Yuriy zog die Brauen hoch. „Geld? Wir haben darüber schon mal gesprochen.“ „Du brauchst einfach einen reichen Liebhaber“, befand Julia, „das würde mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ „Schlägst du mir gerade vor, in den Eskortservice zu gehen?“ Julia dachte einen Moment lang ernsthaft darüber nach. „Ehrlich gesagt, ich würd dich bezahlen“, sagte sie dann nachdenklich und duckte sich rechtzeitig, als Yuriy mit dem Handtuch nach ihr schlug. „Was? Hat bei Richard Gere und Julia Roberts auch funktioniert, und die war nicht mal Eskort, sondern nur Prostitution!“ „Ich eskortier‘ dich gleich, und zwar raus“, sagte Yuriy empört. Wie immer, wenn er sich aufregte, trat der Akzent in seinem ansonsten tadellosen Englisch stärker heraus, bis das R geradezu mahnend über Julia hinwegrollte. Es war irgendwie sexy, also beschwerte sie sich nicht gerade. „Schön“, sagte Julia mit einem tiefen Seufzer und machte sich bereit, wieder in Position zu gehen. Sie hatte ein persönliches Interesse daran, dass Yuriy ein halbwegs vernünftiges Einkommen heranzog, damit er sich Späße wie diesen Kurs weiterhin leisten konnte. Anders als alle anderen ihrer früheren Tanzpartner hatte Yuriy schnell verstanden, wie weit er sie lenken konnte und wie sie miteinander kooperieren mussten. Yuriy zog sie schwungvoll an sich und legte den rechten Oberarm an ihren Rücken, während er mit der Linken ihre Hand nahm. Sein Griff war sicher und kräftig, ohne sie zu zerdrücken und sein angenehmer, herber Geruch kitzelte sie in der Nase. Sie richtete sich auf, legte den linken Arm gespiegelt zu seinem an seinen Rücken und blickte wie für einen Tango üblich über seine rechte Schulter - und hatte eine spontane, aber gloriose Eingebung. Die Firma, in der sie als Grafikerin arbeitete, suchte gerade nach einem Buchhalter, weil der alte spektakulär gegangen worden war. Das wusste sie, weil ihr Bruder Chef der Personalabteilung war - ihr Bruder, der sicher beide Augen über (noch) fehlende Referenzen von britischen Stellen zudrücken würde, wenn sie ihn gebührend bearbeitete. Es war ja nicht so, als ob Yuriy nicht wusste, was er tat, sie hatte ihn immerhin nicht umsonst ihren Steuerausgleich machen lassen. Und der CEO von Hiwatari Enterprise war dafür bekannt, dass er sich mit Personaleinstellungen auf den unteren Ebenen nur selten beschäftigte. Außerdem - und Julia sah es immer klarer vor sich, ja, es zog wie ein Film vor ihren Augen vorbei und sie weidete sich gründlich daran - außerdem war er single, sexy und auch nicht auf den Kopf gefallen. Mit ein bisschen Schubsen hier und ein bisschen Schubsen da kam Yuriy vielleicht doch noch zu seinem Richard Gere, und was war der schon ohne seine Julia Roberts? Es war tatsächlich wie der Plot einer dieser kitschigen Liebesfilme, die Raul immer so gerne schaute. „Yura“, sagte sie, während der Tanzlehrer alle Paare dazu aufforderte, Haltung einzunehmen, „ich habe da eine Idee.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)