Ein Austausch mit Folgen von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 67: Wenn Angst auf Entschlossenheit trifft -------------------------------------------------- Ich starrte an die Decke und dachte nach. Warum wollte Kaiba unbedingt, dass ich bei dem Turnier mitmachte? Nicht, dass er mich als Konkurrenz hätte brauchen können; für ihn gab es nur Yugi, das war mir klar. Die anderen Finalisten konnte er genauso gut selbst aus dem Weg räumen. Nein, es musste etwas Anderes sein. Wobei konnte jemand wie Kaiba Hilfe brauchen? Brauchte er überhaupt Hilfe? Dafür war er eigentlich viel zu stolz. So wie ich den CEO kennengelernt hatte, war er kein Pragmatiker. Seto Kaiba folgte seinen Idealen, seinen Wertvorstellungen und seinem Traum, den er lebte. Wer nicht in dieses Konzept passte, der wurde zermalmt. Ich drehte mich auf den Bauch und schnappte mir mein Deck. Eine Karte nach der anderen betrachtete ich eingehend. Keine davon war selten genug, als dass ich vermutete, dass Kaiba sie wirklich besitzen wollte. Höchstens die Exodia, und selbst daran hegte ich Zweifel: War es nicht er gewesen, der mir das Deck überhaupt ermöglichte. „Etwas Seltenes, Rares, noch mächtiger als die Weißen Drachen“, murmelte ich. Dutzende Gedankenspiele geisterten mir durch den Kopf. Mokuba, vielleicht um Yugi zum Zögern zu bringen, aber nein, das war nicht sein Stil, dann, um Joey zu demütigen. Das alles hätte er aber selbst bewerkstelligen können. Drachen, Monster, Fallen, Zauberkarten – nichts davon war es wirklich wert, Kaibas Aufmerksamkeit zu genießen. „Vielleicht der Ring?“ Ich strich mit den Fingern über das kalte Metall, welches sich an mein Shirt schmiegte. Nein, ich würde weder das Schmuckstück, noch Mahad hergeben. Er war ein guter Freund geworden, der neben Joey und Yugi zu meinen wichtigsten Bezugspersonen gehörte, und dem ich blind vertrauen konnte. Nicht einmal Kaiba konnte ihn mir nehmen. Wenn es sein musste, würde ich es sogar mit dem Ultradrachen aufnehmen. Falls es der Dunkle Paladin nicht schaffte, und auch nicht mein Rotauge, dann hatte ich noch immer einen Trumpf in der Hand. „Ich erinnere mich noch, als du Bedenken hattest, diese Karte zu verwenden“, meldete sich Mahad in meinem Kopf zu Wort. Ich konnte eine Spur Stolz aus seiner Stimme heraushören. „Manchmal ist es eben notwendig, über seine Grenzen hinauszugehen und seine Ängste zu besiegen.“ Apropos Ängste, mir war da ein Gedanke gekommen. „Mahad? Könntest du mir bei etwas behilflich sein?“ Innerlich tauschten wir uns kurz aus, wobei ich mich auf den Weg zum Spieleraum machte. Die VR Brillen lagen genau dort, wo wir sie bei der letzten Session liegen gelassen hatten. Inzwischen hatte Kaiba das Modul modifiziert, und ich konnte sogar Karten auswählen, die nicht in meinem Deck waren. Lächelnd suchte ich mit dem Touchpad nach einem bestimmten Monster und sprang in die virtuelle Realität hinein. Mittlerweile war ich sowohl den kurzen Dämmerzustand nach dem Eintritt in Kaibas Spiel gewohnt, als auch den Ablauf des Games selbst. Wieder das dunkle Marmorlabyrinth, erhellt mit unzähligen Fackeln. Fast schon mühelos huschte ich durch die einzelnen Gänge und Abzweigungen. Auch wenn Kaiba das Spiel so programmiert hatte, dass sich die Level jedes Mal aufs Neue generierten, und so kein Durchlauf dem Anderen glich, hatte ich gelernt, bestimmte Merkmale und Handlungsmuster des CEO zu deuten. Am Anfang musste man beispielsweise immer den rechten Weg wählen, und dann an der ersten Gabelung schauen, in welche Richtung der Fackelschein zeigte. Geheimschalter befanden sich meist auf Augenhöhe, da man dort am Wenigsten danach suchte. Auch die Wächter waren kein Problem. Den Dunklen Magier-Ritter hatte man genauestens auf mich und meinen Spielstil abgestimmt. Ausweichen stellte keine Schwierigkeit mehr dar. Die Schwertklinge des ersten Elfenschwertkämpfers zerbrach ich einfach, während ich mit Blitzen aus meinen Fingern die Axträuber auf Distanz hielt. Alles nicht die Gegner, die ich suchte. Meine größte Angst lag tiefer, auf der dritten Ebene, begraben. Dieses Mal würde ich sie überwinden, ganz sicher. Eilig huschte ich durch die Gänge, vernichtete hier ein Monster und umging dort eine Falle. Es war kinderleicht, nicht nur ob der Routine. Ich hatte das Gefühl, mich auf die Karte, den Avatar, den Schwarzen Magier in all seinen Facetten und Formen, vollständig eingelassen zu haben. Mokuba hatte bei einem Durchlauf einmal gemeint, dass er noch niemanden so gut mit der Figur umgehen hatte sehen, wie mich. Im Versus-Modus war er mittlerweile chancenlos. „Ba und Ka sind eins“, ging mir immer wieder durch den Kopf. Mit Geduld und einer gehörigen Portion Übung konnte ich sogar den Torwächter in Schach halten, während ihn meine Mitstreiter langsam in seine Ursprungsmonster aufspalteten und vernichteten. Es gab nur ein Monster bisher, das ich nicht bezwingen hatte können. Ich wurde langsamer, als ich das leise Zischen hörte. Sie hockte hier irgendwo, lauerte im Schatten. Sorgsam achtete ich auf meine nächsten Schritte, nach dem Zeichen suchend, welches die Falle auslöste. „Bist du dir ganz sicher?“, fragte mich Mahad, was ich nur mit einem Nicken beantwortete. Ich wollte dieses Kapitel, diese Furcht hinter mir lassen. Fieberhaft wanderten meine Augen umher, und als ich die Markierung erblickte, spürte ich die Angst in mir aufkeimen. Langsam kroch sie empor, lähmte mich und trübte meine Sinne. Ein Schritt noch, und wieder würde ich konfrontiert werden. Bisher hatten immer Mokuba oder Joey sich um dieses Problem kümmern müssen. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich panisch am Boden kauern, die Hände über dem Kopf, wie ein kleines Kind. Wollte ich so sein? Brauchte es nicht Mut, sich seinen Ängsten zu stellen? War ich nicht mutig? Ich hatte mich schon mit schlimmeren Dingen befasst, Mei, Kaiba, Pegasus. Entschlossen machte ich den letzten Schritt und betätigte den Druckschalter. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich das schabende Geräusch über mir hörte. Im Fackelschein konnte ich den Schatten bereits erkennen. Die spitzigen Beinfortsätze, mit denen sie über die Decke huschte. Entschlossen sah ich nach oben. Beim Anblick des Monsters wurden mir die Knie weich. Panik erfasste meine Sinne. Ich wollte instinktiv wegrennen, mich verstecken, einfach den Ausschalter betätigen. Aber dieses Mal, dieses Mal da sollte es anders sein. „Jirai Gumo“ flüsterte ich, und starrte in die vielen Augen der Spinne, die mich bösartig anstarrten. Das Schwert in meiner Hand zitterte. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Brustkorb zerspringen. Warum war mir auf einmal so heiß? „Konzentriere dich“, hörte ich Mahads Stimme, die wie ein Ankerpunkt wirkte. Ich klammerte mich an ihre Wärme, ihre Vertrautheit, die Geborgenheit, die sie ausstrahlte. „Du kannst es“, ermutigte mich mein früheres Ich. Langsam hob ich die zitternden Hände und umfasste damit den Schwertgriff. Die Spitze wippte unruhig hin und her, während sich das Monster zum Angriff bereitmachte. Es ekelte mich vor jeder Bewegung von Jirai Gumo. Als sie sich von der Decke fallen ließ, senkte ich mein Schwert. Warum tat ich das? Eine völlig unlogische Handlung. Gleich würde sie mich berühren, mit ihren widerlichen Beinen meinen Körper umschließen und mich aus dem Spiel werfen. Ich wollte die Augen schließen, konnte aber nicht. Meine Beine versagten ihren Dienst. Die letzten Zentimeter spielten sich unendlich langsam ab, fast wie in Zeitlupe. Der aufgedunsene Leib von Jirai Gumo breitete sich vor mir aus. Es war kinderleicht, ich musste es nur wollen. Ich hatte es bereits hunderte Male gemacht, warum sollte es hier anders sein? Aus dem Dunkel schälte sich eine weitere Spinne, und dann noch eine. Sie umkreisten mich. War das noch real? Kaiba hatte die Fallen doch nicht modifiziert, oder? Mir wurde schummrig. Eine Jirai Gumo zu töten war vielleicht möglich gewesen, aber so viele? Alle zischten mich an, ließen mir keinen Platz mehr, bedrängten mich. Gleich würden sie sich auf mich stürzen. Worauf wartete die erste Spinne? „Ba und Ka sind eins“, ging mir durch den Kopf. Ich dachte an Joey, Yugi, Mokuba – wenn ich schon an einem einfachen Pixelhaufen scheiterte, wie konnte ich meine Freunde, meinen kleinen Bruder, beschützen? War ich wirklich so schwach? „Nein“, sagte ich mir selbst und sah auf. In mir keimte Trotz auf. Ich wollte mich nicht ergeben, widerstandslos den Ingametod erfahren. Ich spürte eine glühende Hitze in meiner Brust. Mir war, als ob meine Eingeweide schmelzen wollten. Meine Augen brannten wie Feuer. Ein grelles Licht erleuchtete die Gänge, nein das ganze Labyrinth. Der blank polierte Marmor brach auf und gab eine riesige Spiegelhalle frei. Mein Spiegelbild starrte mich aus dutzenden Perspektiven an, mal verdeckt von der Spinne, mal komplett zu erkennen. War das wirklich ich? In meinen Pupillen brannte die Flamme der Entschlossenheit. Der Milleniumsring, der eigentlich nicht da sein hätte dürfen, leuchtete durch die Rüstung des Dunklen Magier-Ritters hindurch. „Möge das Licht den Schatten verdrängen“, rief ich mit einer Stimme aus, die mir total fremd war. „Ba und Ka sind eins!“ Damit stieß ich zu. Mühelos fraß sich die Klinge in den Leib von Jirai Gumo. Die Spinne windete sich, kreischte laut. Schwarze Blitze sprangen vom Schwert auf das Monster über, welches wie Glas zersplitterte. Kraft durchströmte meine Adern, genauso wie Energie, Wärme und Licht. Dem Angriff der nächsten Spinne wich ich genauso zielstrebig aus wie bei den anderen Monstern. Mit einem sauberen Hieb hackte ich das Wesen entzwei. „Was hast du gemacht?“, lachte ich erfreut auf. Wie konnte es sein, dass die lähmende Angst, die mich so lange beherrschte, einfach zurückgedrängt worden war. Ein kleines Bisschen wohnte mir noch inne, nagte an mir, doch dieser Teil, er war schwindend gering. „Das warst du selbst, und nun, konzentriere dich“, ermutigte mich Mahad. Konzentrieren? Worauf? Hastig duckte ich mich unter den Klauen einer weiteren Gegnerin hinweg und schickte sie mit einem Blitz meiner Waffe ins digitale Nirwana. Es wurden immer mehr Spinnen. Das konnte nicht mehr in der VR passieren, oder? „Das ist unwichtig. Konzentriere dich!“, versuchte Mahad erneut meine Gedanken zu fokussieren. Erinnerungen blitzten auf. Konnte es wirklich so einfach sein? War es das, was der Ring mir sagen wollte? Ich streckte meine linke Hand aus und konzentrierte mich. Ich dachte mit aller Kraft an das Monster, welches ich beschwören wollte. Technisch gesehen war es unmöglich, denn Kaiba hatte die Karte sicher nicht einprogrammiert. Ich hatte sie ja nicht einmal in der Auswahl gefunden. Warum also - ? Mir stockte der Atem. Ein großer Spalt öffnete sich, wie der Riss in eine andere Dimension. Immer größer wurde die Gestalt, die sich aus dem Tor in eine andere Welt bewegte. Mit einem lauten Brüllen breitete der Schwarze Rotaugendrache seine Schwingen aus. Sämtliche Spiegel klirrten und zerbrachen einfach. Kreischend entlud das Monster seinen Energieball und vernichtete sämtliche Spinnen auf einmal. Schnaubend senkte der Drache sein Haupt. Rauch kam aus seinen Nüstern, während er den Kopf reckte und zu mir schaute. War das real? Passierte es? Hatte ich…? „David, komm da raus, schnell, das System überhitzt!“, riss mich Mokubas Stimme aus meinen Gedanken. Ein Fehler in Kaibas Programm? Unmöglich. Das konnte nicht sein. „Er reagiert nicht, schalten Sie ab!“, konnte ich den kleinen Kaiba panisch rufen hören. Ich streckte die Hand aus, wollte die Schnauze des Rotauges berühren, als es um mich herum schwarz wurde. Langsam verblasste mein Monster. Nur die roten Augen glühten noch in der Dunkelheit, bis mir die Brille vom Kopf gezogen wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)