Aus der Dunkelheit von SoraNoRyu ================================================================================ Kapitel 9: vs. King Chimera --------------------------- Tamaki fühlte sich schrecklich. Nein, das war untertrieben; ihm war nicht weniger als hundeelend. Und das lag nicht an der Übung. Tamaki hatte kein Problem damit, einen Schurken zu spielen, und er war sich auch sicher, dass er es notfalls auch mit mehreren seiner Klassenkammeraden auf einmal aufnehmen konnte. Gut, siebzehn gegen einen war schon pervers unfair, aber er hatte hier genug Essen gebunkert, um es notfalls mit einer Armee aufzunehmen. Immerhin hatte er gestern eine Ausgangsgenehmigung bekommen und diese zum Stressshoppen genutzt. Sein Vorrat an Lebensmitteln war breit aufgestellt, mit den eher gewöhnlichen Speisen von Lunsh Rush zusammen auch groß genug, einen beträchtlichen Teil des Lagerraumes zu füllen. Sogar die Kühlkammer hinter seinem Versteck war gut bestückt. Er konnte seine Macke voll ausreizen und fühlte sich stark, das war also nicht das Problem. Nein, das Problem war, wie immer, seine psychische Verfassung. Es war eine Sache, gegen Schurken zu kämpfen; wenn es irgendwelche dummen Drogendealer oder Halunken waren, war Tamaki recht egal, was die von ihm dachten. Fatgum sagte immer, man solle den Kampfgeist der Schurken brechen… das ging schnell, wenn man wie ein groteskes Monster aussah. Von seinen Klassenkameraden wollte er aber nicht unbedingt als solches gesehen werden… natürlich war es kaum zu vermeiden. Nach drei Jahren gemeinsamem Training kannten sie ihn und seine Macke natürlich und hatten sich daran gewöhnt, dass ihm Klauen, Hufe und Tentakel wuchsen, es hatte in all der Zeit auch nie jemand darüber gelacht oder ihn gehänselt. Nicht offen, jedenfalls. Aber die Angst davor begleitete ihn schon seit seiner frühesten Kindheit und war auch durch den Umzug und Schulwechsel nicht einfach verschwunden. Es hatte ihn nur niemand mehr aktiv ausgelacht, all die Jahre nicht. Bis vor kurzem… Herr Aizawa hatte recht, es war wieder losgegangen. Schon kurz nach der Mission um Eris Befreiung, wenn er so darüber nachdachte… als Hidoku Wind davon bekommen hatte, wie Tamaki diese drei Handlanger besiegen konnte. Dass er einen Teil seines Gegners geschluckt hatte, um dessen Kristalle gegen ihn verwenden zu können. Tamaki hatte in dem Moment nicht darüber nachgedacht, aber diese Kristalle waren Teil eines Menschen gewesen. Menschliche DNS. Hidoku hatte sofort das Wort Kanibalismus ins Gespräch gebracht. Seitdem ließ er keine Gelegenheit aus, Tamaki als Schurken hinzustellen. Als jemanden, der andere Menschen fressen würde, um deren Fähigkeiten zu stehlen. Jemand, der die Freundschaft seiner Gegner gegen sie verwenden und miese Tricks nutzen würde. Hidoku war sicher, dass Tamaki mehr wie ein Schurke als wie ein Held dachte, und niemand widersprach ihm. Um sich Abzulenken riss Tamaki einen weiteren Fetzen Fleisch von der Schweinekeule in seiner Hand. Essen half, sich von den finsteren Gedanken abzulenken. Es war zu viel, Lunsh Rush machte sich Sorgen, das Wort ‚Essstörung‘ stand im Raum und als ob das alles nicht schlimm genug wäre hatte er noch ein paar Mädchen sagen hören, er würde bald selbst wie Fatgum aussehen, wenn er so weitermachte. Unsinn, natürlich, denn die Energie, um Sachen mit seiner Macke zu reproduzieren, kam ja nicht von ungefähr; er verbrannte damit eine Menge Kalorien, die er sich erstmal wieder anfuttern musste. Und so sehr der BMI-Held Tamaki mit seiner guten Laune schikanierte, er mochte Fatgum. Der Profiheld war einer von denen, die sich immer für Schwächere einsetzten, und nach all der Zeit, die er in seinem Büro arbeiten durfte… Fatgum gefiel ihm am besten, wenn er rund und glücklich war. Es lag in der Natur seiner Macke, dass jedes Gramm Fett ihn stärker machte, und je breiter er war, desto besser konnte man sich hinter ihm verstecken. Dennoch tat es weh, dick und unattraktiv genannt zu werden. Es war nicht nett, schon gar nicht mit dem Zusatz, dass Nejire sich doch lieber einen anderen Freund suchen sollte. Dabei waren sie gar nicht zusammen… entsprechend verwirrt hatte Nejire dann auch reagiert. Frustriert kaute Tamaki auf seinem Schweineknochen herum und versuchte, etwas positiver zu denken. Wenn er nun im Praktikum war war meistens auch Kirishima dabei. Der Erstklässler wurde nicht müde, Tamaki so mit ehrlicher Bewunderung zu überschütten, dass einem schwindlig werden konnte davon. Der Junge machte ihm Mut und sah zu ihm auf, verteidigte ihn sogar lautstark gegen die Beleidigungen der Schurken. Kirishima war auch einer dieser strahlend fröhlichen Menschen… vielleicht sollte er ihm eine Nachricht schicken, um sich etwas abzulenken, bis die Helden kamen. Ein Blick auf die Uhr half nicht gerade, dass Tamaki sich besser fühlte… er saß schon seit gut einer halben Stunde in diesem Versteck, so lange würden die Besprechungen kaum dauern, oder? Klar, vielleicht nahmen sie sich Mirio und Nejire zuerst vor, weil diese als Schurken mehr Unheil stifteten? Er hatte die Maschinen gesehen, die Mirio von dieser unheimlichen Supporter-Kandidatin aufgedrängt bekommen hatte, und die sollten schon zügig entschärft werden… Nejire hatte als Unterweltkönigin sicher auch eine höhere Priorität als ein menschenscheues Monster, dass lediglich Vorräte auffraß und nur auf Provokation hin angriff. Sie war außerdem bestimmt stark genug, um einen großen Teil der Gegner zu binden… vermutlich lag es daran. Immerhin waren auch seine Klassenkammeraden auf dem besten Weg, Helden zu werden, sie würden kaum vor Angst kneifen, oder? Endlich waren in der Nähe Schritte zu hören. Tamaki warf den abgenagten Knochen zielgenau in eine der Mülltonnen und konzentrierte sich auf seine Macke. Vollgefressen wie er war – und ein wenig schämte er sich dafür – hatte er so einiges, worauf er zugreifen konnte. Und als Bösewicht ging es weniger um Effizienz als darum, die Helden einzuschüchtern und einen Kampf direkt zu vermeiden… er musste nicht gut aussehen, das war ein Vorteil. Je grotesker und massiger, desto besser. Kuhhörner waren gut, schön lang und spitz, auch wenn er dafür die Kapuze abnehmen musste. Eberzähne, Rinderfüße… oder nur einen Huf und dafür ein Hühnerbein, das sah durch den Mangel an Symmetrie noch erschreckender aus. Tintenfischgreifarme an den Fingern, weil er damit gut umgehen konnte und sich wohl fühlte, links eine Krabbenschere. Vielleicht noch Hühnerflügel, um den Umriss zu vergrößern. Etwas unstet vor Übelkeit stemmte er sich auf die ungleichen Beine und wandte sich der der Tür zu, die in den Gang führte. Um besser hören zu können manifestierte er Hasenohren über seinen eigenen. Es sah albern aus und die Mädchen würden ihn sicher hassen dafür, dass er Hasenbraten aß, aber die langen Ohrmuscheln waren schön groß und fingen die Geräusche gut ein, die leise durch die verwinkelten Gänge hallten. Schritte von drei Personen und nervöses Geflüster… und das weniger verhaltene Zischen von Hidoku, der seine Mitstreiter mit Horrorgeschichten ängstigte. Tamaki wimmerte. Hätte er mal auf die Ohren verzichtet… aber es war nur eine Geschichte, er war der Böse in dieser Übung. Sicher ging es nur darum. Sicher wussten alle, dass er nicht wirklich ein Monster war… trotzdem vermied Tamaki es, in den rostigen Spiegel zu sehen, als er auf die Tür zu schlurfte. Es war besser, wenn er gar nicht wusste, wie er gerade aussah… er würde den anderen entgegenkommen, schön im Schatten der Container, die das Lagerhaus umstellten, einmal ‚Buh‘ rufen und dann direkt angreifen. Wie ein wildes Tier, das seine Höhle verteidigte. Wegen der Eberzähne konnte er den Mund nicht richtig schließen und hatte Schwierigkeiten, nicht zu sabbern wie ein tollwütiger Hund… er wollte den Kampf beenden, bevor es peinlich wurde. Wenn er richtig hörte, hatte er es mit nicht mehr als drei Gegnern zu tun, vermutlich Hidoku und seine zwei besten Freunde. Keine große Herausforderung, wenn er die Panik halbwegs in den Griff bekam. Den Schritten nach kamen sie näher, er konnte nun auch deutlich hören, wie bildreich Hidoku den anderen beschrieb, dass Tamaki keine Hemmungen hatte, anderen Menschen ganze Körperteile auszureißen, um seinen Hunger zu stillen… Tamaki schluckte gegen die aufkommende Übelkeit und drückte sich flach an die Wand. Jetzt ganz leise… der fensterlose Gang lag beinahe ganz im Dunkeln. Staub glitzerte im wenigen Licht, das durch die Lüftungsgitter auf den Boden fiel, die letzte schwache Neonröhre flackerte und erlosch. Tamaki löste sich von der Wand. Zwei Schritte in die Mitte des Ganges, so leise, wie es ihm auf Huf und Klauen möglich war. Breitbeinig stellte er sich auf, gebeugt, die Hühnerflügel unter dem Mantel erhoben, um seine Silhouette so groß wie möglich zu machen. Die Neonröhre summte und flackerte noch einmal auf, gerade in dem Moment, als Tamaki den Kopf hob, um seine Gegner ins Auge zu fassen. Seine Stimme versagte ihm, dafür schrien Hidoku und seine Begleiter nur umso lauter. Es sah wenig heldenhaft aus, wie sie, panisch übereinander stolpernd, den ungeordneten Rückzug antraten. Zurück blieb ein leichter Geruch nach Ammoniak und Schweiß, der Tamakis Übelkeit nicht gerade besserte. Der Junge schauderte und ließ die Manifestationen verschwinden, bevor er sich in seine Ecke zurückschlich. Dem Spiegel warf er im Vorbeigehen einen strengen Blick zu, sah aber nichts als das übliche Elend. Hatte er wirklich so erschreckend ausgesehen? Besser nicht darüber nachdenken. Vielleicht war noch was von dem Himbeereis da. Himbeeren waren immer gut, schöne dornige Ranken… und süß waren sie auch. Vielleicht half das ja ein wenig gegen die aufschießenden Tränen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)