Aus der Dunkelheit von SoraNoRyu ================================================================================ Kapitel 7: vs. Grape Juice -------------------------- Aizawa gähnte ungeniert. Er hätte den frühen Schulschluss heute gerne für ein Nickerchen genutzt, aber die Arbeit eines Lehrers war mit dem Gong leider nicht beendet. Und so durfte er sich nun extra Zeit nehmen, Mirio in die leere Trainingshalle Gamma zu bestellen. Granitos hatte aufgeräumt, nun gab es her keine störenden Felsen mehr. Nur viel Platz, um Schüler zu ärgern. „Tamaki hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass du gern wieder am Unterricht teilnehmen würdest.“ Das waren nicht exakt Tamakis Worte, aber Aizawa hielt sich nicht mit Wortklaubereien auf. Er hatte die Jungs kämpfen sehen, und wenn Mirio fit genug war, es mit dem Klassenbesten aufzunehmen… „Du müsstest dazu allerdings deine Klassenkammeraden wissen lassen, dass du deine Macke im Moment nicht benutzen kannst.“ „Das ist weniger das Problem“, meinte Mirio leichthin, „Die meisten wissen es eh schon. Ich mach mir mehr Sorgen, wie ich das Training ohne Macke schaffen soll.“ Aizawa grinste. „Fällt dir nichts ein, was du vielleicht üben solltest?“ „Ausweichen“, kam die prompte Antwort, „Das geht nicht automatisch genug dafür, dass ich mich nichtmehr durchlangbar machen kann. Tamaki hat mich ein paar Mal recht heftig getroffen, weil ich gepatzt habe…“ „Hab ich gesehen, ja. Deswegen werde ich dich auch erstmal prüfen, bevor ich deine Mitschüler auf dich loslasse.“ Aizawas Grinsen ließ nichts Gutes verheißen. Mirio wurde mit einem Mal unangenehm warm in seinem Trainingsanzug, und er wusste nicht ob ihm der Schweiß aus Angst oder vor Aufregung ausbrach, als sein Lehrer einen sehr kleinen Jungen durch die Tür der Trainingshalle kommen ließ. Der kleine Kerl trug ein auffällig violettes Heldenkostüm und blickte, als hätte man ihn direkt in die Hölle bestellt. „Minoru Mineta“, stellte Aizawa vor, „Einer meiner Schüler aus der 1-A. Er wirft seine Gegner mit Haarkugeln ab.“ Aizawas Grinsen wurde breiter. „Das Zeug ist schlimmer als Sekundenkleber, also solltest du dich besser nicht treffen lassen.“ Während die Jungs sich taxierten, Mirio mit seinem üblichen selbstbewussten Lächeln, Minoru mit schockweiten Augen, zog Aizawa eine Sprühdose aus der Tasche und malte Ein O auf den Boden. Dann ging er sorgfältig bemessenen Schrittes etwa fünfzig Meter in die Halle hinein und sprühte dort ein X auf. „Mineta, du stellst dich in den Kreis und wirfst von dort aus deine Kugeln. Mirio, du startest auf dem Kreuz, läufst auf Mineta zu und haust ihm eine rein. Wenn du es nicht schaffst, hab ich hier Terpentin und Eisspray, um dich wieder loszubekommen, ist aber unangenehm.“ Die Jungs begaben sich auf Position. Die Sache mit dem Terpentin klang nicht sehr ermutigend… der Erstklässler machte keinen sehr kräftigen Eindruck, aber das hieß nicht, dass er nicht gefährlich war. „Übrigens“, fuhr Aizawa fort, während er aus der Schussbahn lief, „Mineta hat sich diese Extra-Stunde verdient, weil er eine Kamera im Mädchenbad angeklebt hat. Brauchst dich also nicht zurückhalten, er hat jeden Schlag verdient, den du landen kannst.“ Die Ansage hätte Aizawa sich echt sparen können, fand Minoru, der noch lebhaft in Erinnerung hatte, wie Mirio erst vor wenigen Monaten seine ganze Klasse aufgemischt hatte. Wenn er sich damals zurückgehalten hatte… Minoru tat jetzt noch der Bauch weh, wenn er daran dachte. Alles nur wegen der Kamera… wenn es nicht ausgerechnet Toru und Kyoka gewesen wären, die als erstes ins Bad kamen, und wenn Kyoka die Kamera nicht sofort gefunden hätte, dann hätte er jetzt wenigstens Bilder von Brüsten gehabt. Aber so war es einfach nur UNFAIR, dass Aizawa ihn gleich von einem Drittklässler verprügeln ließ! Selbst ohne seine Macke… Mirio war doppelt so groß wie Mineta und locker viermal so breit. Der schlug in doch zu Brei! Zitternd griff sich der kleine Heldenlehrling in die Haare. Er würde einfach so schnell es ging so viele Kugeln wie möglich verschießen und den Kampf beenden, bevor es gefährlich wurde. Aizawa packte derweil seinen Schlafsack aus, suchte sich ein sicheres Plätzchen außerhalb der Schusslinie und machte sich bereit für ein wohlverdientes Nickerchen. „Ihr habt neunzig Minuten“, rief er den Jungs noch zu. Dann schloss er geräuschvoll den Reißverschluss. Das Klicken des Schiffchens gegen den Stopper hallte wie ein Startschuss in der fast leeren Trainingshalle, und Aizawa konnte förmlich spüren, wie seine ungleichen Schüler sich in Bewegung setzten. Der Kampf war hart und schnell entschieden. Minorus großer Plan, Mirio schlicht mit einer Welle an Klebekugeln stillzulegen, war aus zwei Gründen zum Scheitern verdammt: Erstens konnte er die Angriffswelle nur für fünf Minuten aufrechterhalten, bis seine Kopfhaut zu bluten begann und die nachwachsenden Haarkugeln immer länger brauchten; nach zwanzig Minuten war es mit neuer Munition praktisch vorbei. Zweitens war Mirio zu schnell und zu klug, sich komplett festkleben zu lassen. Er konnte den Kugeln nicht sofort perfekt ausweichen und war schnell fixiert, hatte aber keine Hemmungen, einfach aus seiner Kleidung zu schlüpfen. So klebten seine Jacke und seine Schuhe zwar hoffnungslos fest, er selbst aber war frei und hatte aus seinen anfänglichen Fehlern genug gelernt, um dem schnell versiegenden Kugelhagel geschickt auszuweichen und dabei noch eine recht imposante Figur zu machen. Während Mirio also immer besser und geschickter auswich ging Mineta schlicht die Kraft aus. Mirio überwand die fünfzig Meter immer schneller und sicherer, auch und gerade wenn er Minoru gerade erst wieder eine großzügige Pause erlaubt hatte, und der Erstklässler musste nicht nur die Faustschläge einstecken, sondern auch mit der Tatsache ins Reine kommen, dass dieser unanständig gutaussehende Kerl, dem die Frauen sicher ohnehin zuflogen, auch ohne Macke noch um ein tausendfaches stärker und cooler war als er, den ohnehin schon niemand ernst nahm. Was nur war so falsch daran, sich zumindest ein paar schöne Videos gönnen zu wollen? Sicher, die versteckte Kamera anzubringen war nicht gerade heldenhaft gewesen, aber konnte man es ihm wirklich übelnehmen? Er war eben nicht so cool oder gutaussehend war wie beispielsweise Shoto, deshalb musste er doch zu solchen Mitteln greifen, oder? Er hatte Mitleid verdient, stattdessen bezog er hier Prügel! „Alles okay? Sag ruhig, wenn du genug hast“, ermutigte ihn Mirio, „Deine Haare scheinen gar nicht mehr nachzuwachsen…“ Minoru ließ sich weinend zu Boden sinken. Dieses arglose Mitleid… so jemand konnte gar nicht verstehen, wie schwer er es hatte. All das harte Training, um mit den anderen mithalten zu können, deren Macken so viel cooler waren als seine. All die Stunden, die er sich die Haare ausgerissen hatte, um seine Macke zu stärken, damit die Kugeln schneller nachwuchsen und seine Kopfhaut nicht gleich zu bluten begann… und dann war es nach zwanzig Minuten vorbei und der muskulöse Schönling stand immer noch. Es war erniedrigend. „Soll ich dich lieber zu Recovery Girl bringen?“ Mirio fühlte sich doch etwas schlecht. Vielleicht hatte er den kleinen Kerl doch zu hart rangenommen? Er hatte ja von Anfang an nicht so mutig gewirkt, aber diese Klebe-Macke war schon ziemlich stark. Hätte ihn eine dieser Kugeln auf die bloße Haut getroffen hätte er sicher festgehangen oder zumindest ein ganzes Stück Haut gelassen, um freizukommen. Die Jacke konnte er jedenfalls vergessen, die ging wohl wirklich nur noch mit Terpentin ab. Andererseits konnte Aizawa den Kleber sicher auch mit seiner Macke löschen. Eigentlich könnte Mirio also ziemlich stolz auf seine Leistung sein. Insgesamt hatte er sicher so dreißig Treffer landen können. Allerdings war es gegen Ende vor allem deshalb leichter geworden, weil sein Gegner extrem nachgelassen hatte, und das gab dem Erfolg doch irgendwie eine bittere Note. Er hatte den Erstklässler ja nicht gleich komplett demoralisieren wollen… andererseits, wer hängte bitte eine Kamera ins Mädchenbad? Wie kam man überhaupt auf so eine Idee? Wenn er daran dachte, wie die armen Mädchen sich gefühlt haben mussten… Er selbst hatte, allein der Erfahrung wegen, kein Problem damit, wenn ihn jemand nackt sah, aber wenn er sich vorstellte, dass Tamaki so eine versteckte Kamera im Bad fand… sowas ging gar nicht. Wenn er daran dachte, wie sich die armen Mädchen gefühlt haben mochten, tat ihm der kleine Möchtegernheld plötzlich doch nicht mehr so leid. „Willst du aufhören oder brauchst du nur ne Pause? Wir können Herrn Aizawa gerne wecken, wenn du für heute genug hast“, schlug er vor, nicht unfreundlich, aber doch weniger einfühlsam als üblich. Minoru fing nur zu weinen an, aber das reichte ihm als Antwort. „Herr Aizawa?“, rief er in Richtung des gelben Schlafsacks, „Ich glaub, wir sind hier fertig. Der Erstklässler ist durch.“ Er hatte nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet, aber tatsächlich regte sich der Schlafsack sofort. Erst hob er sich in der Mitte wie eine Raupe in Bewegung, dann öffnete sich der Reisverschluss und Herr Aizawa entstieg dem Kokon… naja, nicht gerade wie ein Schmetterling. Vielleicht eine Motte, aber eigentlich sah er immer noch aus wie ein ziemlich zerknitterter Lehrer mit Bartstoppeln und struppigen Haaren. „Zwanzig Minuten“, stellte er mit einem Blick auf die Uhr fest, „Das ging schon mal besser, Grape Juice.“ Das lila Häufchen Elend wimmerte traurig. Aizawa seufzte und reichte ihm einen Krankenschein. „Ab zu Recovery Girl mit dir, aber denk nicht, du wärst vom Haken! Ich erwarte bis morgen einen dreiseitigen Report, wie du gegen Schurken kämpfen willst, wenn du gegen einen mackenlosen Teenager verlierst, und einen ernstgemeinten Entschuldigungsbrief an Hagakure und Jiro, den ich persönlich durchlesen werde, bevor du ihn abgibst. Danach sehen wir, ob du wieder am Unterricht teilnehmen darfst oder weiter Mülldienst schiebst. Haben wir uns verstanden?“ Minoru wimmerte nur und nahm zitternd seinen Krankenzettel entgegen, bevor er elendig von dannen kroch. Aizawa wandte sich Mirio zu und seine geröteten Augen verengten sich. „Mal wieder halbnackt, wie ich sehe. Was ist deine Ausrede?“ Mirio grinste verlegen. „Klebt da hinten“, erklärte er und wies auf seine Jacke, „Er hat am Anfang echt gut vorgelegt, ich hatte Glück, dass ich nur mit der Kleidung festhing. Ich weiß nicht, ob ich wirklich besser geworden bin mit der Zeit, die Angriffe sind ziemlich bald immer langsamer gekommen.“ Aizawa seufzte. „Minetas Ausdauer ist ein echtes Problem“, murrte er, „ich hatte gehofft, er wäre klug genug, das zu berücksichtigen.“ „Tja…“ „Trotzdem. Seine Macke ist nicht übel, und du hast dich gut behauptet. Dem Gegner Angst zu machen, dass er sich vorschnell verausgabt, und daraus einen Vorteil zu ziehen, ist auch eine gute Taktik in deiner Situation. Überleg dir, ob du dich vor der Klasse outen willst, was deine Macke angeht, aber wenn du damit kein Problem hast, komm morgen ins Training. Ich hab nen hübschen kleinen Anschlag auf deine Klasse vor und kann dich gut gebrauchen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)